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An Felice Bauer
Ich habe Dir, Felice, alles geschrieben, was sich mir im Augenblicke des
Schreibens aufdrängte. Alles ist es nicht, aber es läßt,
wenn man aufmerkt, fast alles ahnen. Trotzdem wagst Du es, entweder bist
Du unsinnig kühn oder in ahnungsvollerer Verbindung mit dem, was uns
beherrscht. Daß Du mir glaubst, daran zweifle ich nicht mehr, trotzdem
Du mir ein wenig auch in dem heutigen Brief ausweichst (durch das Schreiben
hält man sich eben, ohne roh zu werden, nicht genug fest). Ich zweifle
nicht daran, dass Du mir glaubst, denn dann wärest Du ja nicht
die, die ich liebe, und ich müßte an allem zweifeln. Nein wir
halten uns also von nun ab fest und legen die Hände ordentlich ineinander.
Denkst Du noch an meine lange, knochige Hand mit den Fingern eines Kindes
und eines Affen? Und in die legst Du nun Deine.
Ich sage nicht, dass ich glücklich bin, ich habe zu viel Unruhe
und Sorgen, bin vielleicht überhaupt nicht menschlichen Glückes
fähig und das Ereignis, dass (jetzt kam Dein Telegramm, ich starre
es an, als wäre es ein Gesicht, das einzige, das ich unter allen Menschen
kenne und will) dass ich mit Dir, der ich mich vom ersten Abend an
verbunden fühlte, ganz und gar verbunden sein soll, ist mir wirklich
unübersehbar, und ich wollte davor gerne an Deiner Brust die Augen
schließen.
Du hast mich so beschenkt. Die Kraft, mit der ich es 30 Jahre lang ausgehalten
habe, verdient die Geschenke, aber das Ergebnis dieser Kräfte, das
Dasein, verdient es wirklich nicht, das wirst Du merken, Felice. Es müßte
dein sein, dass heute großer Geburtstag ist und dass sich
das Leben heute, ohne das Gewonnene zu verlieren, ein besonderes Stück
um seine Achse dreht.
Ich habe heute meiner Mutter beim Mittagessen (ganz kurz, sie ist immer
nur kurze Zeit zuhause und ist mit dem Essen immer schon fertig, wenn ich
komme; der Vater ist seit heute früh auf dem Lande) als Antwort auf
ihre Geburtstagswünsche gesagt, dass ich eine Braut habe. Sie
war nicht sehr überrascht und nahm es merkwürdig ruhig hin. Sie
hatte kein Bedenken, nur eine Bitte und sagte, der Vater sei gewiß
sowohl in dem erstem als auch in dem letztern mit ihr einig. Die Bitte
war, ich möchte ihr erlauben, Erkundigungen über Deine Familie
einzuziehn; bis die Nachricht kommt, bleibe mir ja noch immer die Freiheit,
nach meinem Willen zu handeln, sie würden mich darin nicht hindern
und nicht hindern können, aber jedenfalls solle ich mit dem Brief
an Deine Eltern bis dahin warten. Ich sagte darauf, wir seien ja schon
verbunden, jedenfalls sei der Brief an die Eltern eigentlich kein weiterer
Schritt. Die Mutter bestand auf ihrer Bitte. Ich weiß nicht genau
warum, vielleicht aus meinem ständigen Schuldbewußtsein gegenüber
meinen Eltern gab ich nach und schrieb der Mutter den Namen Deines Vaters
auf. Es kam mir ein wenig lächerlich vor, wenn ich daran dachte, dass
Deine Eltern, wenn sie ähnliche Wünsche haben sollten, nur gute
Auskunft über uns bekämen und dass kein Auskunftsbureau
imstande wäre, die Wahrheit über mich zu sagen. Kennt Dein Vater
übrigens das "Urteil" ?Wenn nicht, dann gib es ihm bitte
zu lesen.
Wenn ich daran denke, was für Mut Du hast! Bin ich denn nicht ein
fremder Mensch, machen mich meine Briefe nicht noch fremder? Sind meine
Verwandten Dir nicht fremd, auf der Ansichtskarte sind meine Eltern, sehn
sie nicht unfaßbar, wie alle fremden Menschen aus, nur dass
die Fremdheit vielleicht durch das uns gemeinsame Judentum gemildert ist?
Und Du fürchtest Dich also (ich glaube, dieses Staunen werde ich niemals
los werden) vor diesem Menschen nicht, der dadurch, dass er selbst
sich vor allem fürchtet, noch schrecklicher wird? Hast Du um nichts
Angst? Gibst Du Dich bedenkenlos? Das ist ein Wunder, darüber ist
unter Menschen nichts zu sagen, dafür maß man nur Gott danken.
Franz
Übrigens, Felice, wir sind knapp dem ersten Streit ausgewichen. Dorthin,
wohin kein Mensch kommen soll (das ist ernster gemeint, als gesagt), hast
Du jemanden eingeladen? Aber Frl. Brüht ist wirklich eine Ausnahme,
sie darf eingeladen werden, aber sie ist die einzige. Ich habe sie gern,
streichle ihr für mich die Wangen.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at