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An Felice Bauer
Ich bin so traurig, es gibt so viele Fragen, ich sehe keinen Ausweg und
bin so elend und schwach, dass ich immerfort auf dem Kanapee liegen
und ohne einen Unterschied zu merken die Augen offenhalten oder schließen
könnte. Ich kann nicht essen, nicht schlafen, im Bureau habe ich jeden
Tag Verdruß und Vorwürfe, immer durch meine Schuld, zwischen
uns ist es so nilsicher oder nicht zwischen uns, aber vor uns, und wie
ich jetzt aus deal Fenster schaue es ist geringfügig, aber gehört
doch her, denn ich spüre die Wut darüber in der Kehle -, sehe
ich drüben vor der Schwimmschule einen fremden Jungen in meinem Boot
herumfahren. (Das kann ich allerdings schon während der letzten 3
Wochen fast jeden Tag sehn, da ich mich nicht entschließen kann,
die verlorengegangene Kette zu ersetzen.)
Gerade jetzt, wo ich im Bureau diese Zänkereien habe, die sich trotz
der größten Liebenswürdigkeit von allen Seiten, durch meine
Schuld, regelmäßig wiederholen müssen und wiederholen,
denn ich kann nicht ordentlich sein, mir geh" Akten verloren, und
wenn ich sie mit beiden Händen halte, und ich kann irgendeinen Akt,
gegen den ich eine besondere Abneigung habe, nicht vornehmen, und wenn
ich die Drohung, die von ihm ausficht, jahrelang tragen sollte, und ich
kann auch nichts verstecken, verhindern oder entschuldigen, sondern muß
alles auf mich herunterkommen lassen, wie die Erde das Donnerwetter - (ich
wiederhole) gerade jetzt muß ich mich bei der deutlichen Unfähigkeit,
meine gegenwärtige oder gar eine spätere noch verantwortlichere
Stelle auszufüllen, ganz besonders fragen, ob ich, selbst nur in dieser
Hinsicht, das Recht habe, Dich zu verlangen, selbst wenn Du den Mut hättest,
Dich mir zu geben.
Gibt mir denn überhaupt Dein Verhalten irgendein Recht? Das Recht
muß ich doch aus mir ganz allein ziehn. Eigentlich müßte
ich mir doch sagen, dass ich ein Recht, Dich, also mein Glück
zu bekommen, nur aus der eigenen Beurteilung meines körperlichen und
geistigen Zustandes, meiner inneren und äußern Sicherheit, meinen
Vermögensverhältnisse und meiner Zukunft ableiten kann. Spricht
mir diese eigene Beurteilung das Recht ab - und sie tut es - woher bekomme
ich ein zweites Recht? Aus Deinem Mut, aus Deiner Güte gewiß
nicht und nicht einmal aus Deiner Liebe, selbst wenn Du sie Dir nicht nur
einbildetest (eine Möglichkeit, die Du in Deinem letzten Brief
offen gelassen hast). Ein solches Recht - es läge schon an der
verantwortungslosen Grenze zwischen Recht und Pflicht - bekäme ich
erst, wenn Du sagtest: "Ich kann nicht anders, trotz allem."
Aber allem Anschein nach kannst und darfst Du das nicht sagen. Besonders
wenn Du alles überlegt hast. Es wird klarer durch das Schreiben aber
auch schlimmer.
Franz
[Am Rande der ersten Seite Danke für die Zeitung. Es kitzelt einen
von oben bis unten. - Für Sonntag werde ich Dir wohl nur mit Expressbrief
schreiben können.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at