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An Felice Bauer

27. VI. 13
 


Ich bin so traurig, es gibt so viele Fragen, ich sehe keinen Ausweg und bin so elend und schwach, dass ich immerfort auf dem Kanapee liegen und ohne einen Unterschied zu merken die Augen offenhalten oder schließen könnte. Ich kann nicht essen, nicht schlafen, im Bureau habe ich jeden Tag Verdruß und Vorwürfe, immer durch meine Schuld, zwischen uns ist es so nilsicher oder nicht zwischen uns, aber vor uns, und wie ich jetzt aus deal Fenster schaue es ist geringfügig, aber gehört doch her, denn ich spüre die Wut darüber in der Kehle -, sehe ich drüben vor der Schwimmschule einen fremden Jungen in meinem Boot herumfahren. (Das kann ich allerdings schon während der letzten 3 Wochen fast jeden Tag sehn, da ich mich nicht entschließen kann, die verlorengegangene Kette zu ersetzen.)

Gerade jetzt, wo ich im Bureau diese Zänkereien habe, die sich trotz der größten Liebenswürdigkeit von allen Seiten, durch meine Schuld, regelmäßig wiederholen müssen und wiederholen, denn ich kann nicht ordentlich sein, mir geh" Akten verloren, und wenn ich sie mit beiden Händen halte, und ich kann irgendeinen Akt, gegen den ich eine besondere Abneigung habe, nicht vornehmen, und wenn ich die Drohung, die von ihm ausficht, jahrelang tragen sollte, und ich kann auch nichts verstecken, verhindern oder entschuldigen, sondern muß alles auf mich herunterkommen lassen, wie die Erde das Donnerwetter - (ich wiederhole) gerade jetzt muß ich mich bei der deutlichen Unfähigkeit, meine gegenwärtige oder gar eine spätere noch verantwortlichere Stelle auszufüllen, ganz besonders fragen, ob ich, selbst nur in dieser Hinsicht, das Recht habe, Dich zu verlangen, selbst wenn Du den Mut hättest, Dich mir zu geben.

Gibt mir denn überhaupt Dein Verhalten irgendein Recht? Das Recht muß ich doch aus mir ganz allein ziehn. Eigentlich müßte ich mir doch sagen, dass ich ein Recht, Dich, also mein Glück zu bekommen, nur aus der eigenen Beurteilung meines körperlichen und geistigen Zustandes, meiner inneren und äußern Sicherheit, meinen Vermögensverhältnisse und meiner Zukunft ableiten kann. Spricht mir diese eigene Beurteilung das Recht ab - und sie tut es - woher bekomme ich ein zweites Recht? Aus Deinem Mut, aus Deiner Güte gewiß nicht und nicht einmal aus Deiner Liebe, selbst wenn Du sie Dir nicht nur einbildetest (eine Möglichkeit, die Du in Deinem letzten Brief offen gelassen hast). Ein solches Recht - es läge schon an der verantwortungslosen Grenze zwischen Recht und Pflicht - bekäme ich erst, wenn Du sagtest: "Ich kann nicht anders, trotz allem." Aber allem Anschein nach kannst und darfst Du das nicht sagen. Besonders wenn Du alles überlegt hast. Es wird klarer durch das Schreiben aber auch schlimmer.

Franz


[Am Rande der ersten Seite Danke für die Zeitung. Es kitzelt einen von oben bis unten. - Für Sonntag werde ich Dir wohl nur mit Expressbrief schreiben können.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at