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An Felice Bauer

[20. Juni 1913]
 


Liebe, liebste Felice, nicht das, nicht das. Du sollst nicht in etwas Dich hingeben, was Dein Unglück sein könnte, sondern vielleicht, wenn Gott will, hineingehn, überlegen. Rechne mir mein Verhalten jetzt als ein Laster an, das ich vielleicht bei meiner Selbstbeschreibung vergessen haben könnte, ich kann nicht davon ablassen. Das Wort, das Du mir sagst ist äußerlich das wofür ich mein Leben bestimmen will, aber ich kann ihm von außen nicht ansehn, ob es das ist, was ich will. Ich halte Dir, Felice, vorläufig die Hand vor den Mund und Du hast vorläufig das Wort nicht eigentlich, sondern nur in meine hohle Hand gesprochen. Du hast das, was ich schrieb, nicht ganz gewürdigt (bitte, bitte Felice, rechne es mir nicht schlecht an, dass ich so rede, ich muß, ich muß), ich sehe nicht, dass Du Punkt für Punkt überlegt hättest, Du hast nur alles in Bausch und Bogen überlegt, wer kann sagen, was Dir da entgangen ist. Unsichere Bedenken hattest Du allerdings, aber ich sehe nur ihre Spur (da Du einen Tag verstreichen ließest, ehe Du die Karte schriebst, und 2 Tage ehe den Brief), sie selbst sind nicht verzeichnet. Das, was ich über den Arzt sagte, macht Dir Unruhe, Du verstehst es auch nicht recht, was ganz natürlich ist, aber statt weiter darauf zu bestehn, sagst Du "lassen wir das!" Ich aber meinte, die Entscheidung des Arztes wäre, nur für den Fall als sie günstig ist, an sich nicht schon Entscheidung für mich; mehr sagte ich nicht. Du gestehst, dass in meinem Briefe häßliche Dinge standen, denn "wenn ich ängstlich wäre ..." Aber Liebste, Liebste, ich verlange doch nicht nur Mut von Dir oder will Dir vielmehr nicht nur eine Aufgabe auferlegen, die nur Mut erfordert. Aber Mut ohne Überlegung ist Selbstaufopferung. Du glaubst mir alles, was ich sage, nur das, was ich über mich sage, ist "zu schroff". Also glaubst Du mir den ganzen Brief nicht, denn er handelte ja nur von mir. Was soll ich da tun? Wie Dir das Unglaubliche glaubhaft machen! Du hast mich doch schon in Person gesehn, gehört und geduldet. Nicht nur Du, auch Deine Familie. Und doch glaubst Du mir nicht. Und es handelt sich auch um mehr als nur um "Berlin und was dazu gehört", was Du verlieren würdest, darauf antwortest Du aber gar nicht und es ist das Wichtigste. "Einen guten lieben Mann ?" Ich habe in meinem letzten Brief andere Eigenschaftswörter zu mir gesetzt, aber die glaubst Du mir eben nicht. Glaub mir doch, überleg alles und sag, wie Du es überlegt hast. Wenn Du doch heute, Sonntag, ein wenig Zeit hättest und mir ein wenig ausführlich schreiben wolltest, wie Du Dir das wochentägliche Leben mit einem Menschen wie dem von mir beschriebenen vorstellst? Tu das, Felice, ich bitte Dich darum als einer, der Dir seit der ersten Viertelstunde verlobt war.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at