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An Felice Bauer
Was wird aus uns werden, meine arme Liebste? Weißt Du, wenn nicht
der Löwy hier wäre, ich nicht einen Vortrag für den armen
Menschen veranstalten müßte (eine von mir veranlaßte,
vom Pick geschriebene Notiz liegt bei, und derartig ist
einiges zu tun), Karten verkaufen müßte, um den Saal zu sorgen
hätte und schließlich dieses nicht niederzudrückende Feuer
des Löwy auf mich wirkte und mich in scheinbare Eile und Tätigkeit
gebracht hätte - ich wüßte nicht, wie die paar Tage vorübergegangen
wären. Schau, wir gehören zusammen, das scheint mir zweifellos,
aber ebenso zweifellos ist der ungeheuere Unterschied zwischen uns, dass
Du gesund in jedem Sinne und deshalb bis in die Tiefe hinunter ruhig bist,
während ich krank, vielleicht weniger im landläufigen, dafür
aber im schlimmsten Sinne krank, und deshalb unruhig, zerstreut und lustlos
bin. Die Unterschiede zwischen Deinen ersten Briefen und denen der letzten
Wochen bestehn ja gewiß, sie sind aber vielleicht nicht so wichtig,
als ich glaube und haben vielleicht einen andern Sinn, als ich herauszufinden
glaube. Dein Verhalten zu mir hat vielleicht auch einen andern Sinn, als
ich erkennen kann oder vielmehr es hat ihn gewiß, da Du es selbst
sagst. So ist es eben, Du leidest an mir und bist doch, wie Du sagst, mit
mir zufrieden und ich leide an Dir und maß Dich doch so haben wie
Du bist und keinen Hauch anders. Denk z. B. an jenen Brief, den Du mir
aus dem Zoologischen Garten geschrieben hast. Das war kein Brief, das war
das Gespenst eines Briefes. Ich kenne ihn fast auswendig. "Wir sitzen
alle zusammen hier im Restaurant am Zoo, nachdem wir den ganzen Nachmittag
im Zoo gesessen haben." Ja aber warum, warum mußtest Du im
Zoo sitzen? Du bist doch keine Sklavin. Du durftest Dich zuhause von der
Reise ausruhn und mir 5 ruhige Zeilen schreiben. "Ich schreibe jetzt
hier unter dem Tisch und unterhalte mich nebenbei über Reisepläne
für den Sommer." Also diese Zeilen, die ersten nach 8 Tagen
Pause, maßt Du noch in einer übrigens unvorstellbaren Situation
schreiben, die übrigens noch für mich fast einen Vorwurf bedeutet,
dass ich nach 8 Tagen endlich ein Wort von Dir hören will. Dann
aber wirfst Du den Brief ohne Marke ein, so dass er 3 Tage später
ankommt, und glaubst nun wieder 3 Tage nicht mehr mir schreiben zu müssen.
- Nun wollte ich Dir etwas Liebes sagen, in meinem tiefsten Grund ist nichts
anderes für Dich als Liebe, aber es kommt noch immer Bitterkeit heraus.
Kämen doch lieber Tränen und hielte man einander in den Armen!
Franz
vom Pick geschriebene Notiz: Siehe Anhang, S. 763.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at