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An Felice Bauer

1 Juni 13
 


Was wird aus uns werden, meine arme Liebste? Weißt Du, wenn nicht der Löwy hier wäre, ich nicht einen Vortrag für den armen Menschen veranstalten müßte (eine von mir veranlaßte, vom Pick geschriebene Notiz liegt bei, und derartig ist einiges zu tun), Karten verkaufen müßte, um den Saal zu sorgen hätte und schließlich dieses nicht niederzudrückende Feuer des Löwy auf mich wirkte und mich in scheinbare Eile und Tätigkeit gebracht hätte - ich wüßte nicht, wie die paar Tage vorübergegangen wären. Schau, wir gehören zusammen, das scheint mir zweifellos, aber ebenso zweifellos ist der ungeheuere Unterschied zwischen uns, dass Du gesund in jedem Sinne und deshalb bis in die Tiefe hinunter ruhig bist, während ich krank, vielleicht weniger im landläufigen, dafür aber im schlimmsten Sinne krank, und deshalb unruhig, zerstreut und lustlos bin. Die Unterschiede zwischen Deinen ersten Briefen und denen der letzten Wochen bestehn ja gewiß, sie sind aber vielleicht nicht so wichtig, als ich glaube und haben vielleicht einen andern Sinn, als ich herauszufinden glaube. Dein Verhalten zu mir hat vielleicht auch einen andern Sinn, als ich erkennen kann oder vielmehr es hat ihn gewiß, da Du es selbst sagst. So ist es eben, Du leidest an mir und bist doch, wie Du sagst, mit mir zufrieden und ich leide an Dir und maß Dich doch so haben wie Du bist und keinen Hauch anders. Denk z. B. an jenen Brief, den Du mir aus dem Zoologischen Garten geschrieben hast. Das war kein Brief, das war das Gespenst eines Briefes. Ich kenne ihn fast auswendig. "Wir sitzen alle zusammen hier im Restaurant am Zoo, nachdem wir den ganzen Nachmittag im Zoo gesessen haben." Ja aber warum, warum mußtest Du im Zoo sitzen? Du bist doch keine Sklavin. Du durftest Dich zuhause von der Reise ausruhn und mir 5 ruhige Zeilen schreiben. "Ich schreibe jetzt hier unter dem Tisch und unterhalte mich nebenbei über Reisepläne für den Sommer." Also diese Zeilen, die ersten nach 8 Tagen Pause, maßt Du noch in einer übrigens unvorstellbaren Situation schreiben, die übrigens noch für mich fast einen Vorwurf bedeutet, dass ich nach 8 Tagen endlich ein Wort von Dir hören will. Dann aber wirfst Du den Brief ohne Marke ein, so dass er 3 Tage später ankommt, und glaubst nun wieder 3 Tage nicht mehr mir schreiben zu müssen. - Nun wollte ich Dir etwas Liebes sagen, in meinem tiefsten Grund ist nichts anderes für Dich als Liebe, aber es kommt noch immer Bitterkeit heraus. Kämen doch lieber Tränen und hielte man einander in den Armen!

Franz




vom Pick geschriebene Notiz: Siehe Anhang, S. 763.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at