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An Felice Bauer
Es hat vielleicht doch einen Sinn, aber ich will ihn nicht wissen. Liebste,
"blind vertrauen" soll ich Dir und kann ich Dir, gewiß.
Aber weißt Du, ob Du Dir vertrauen kannst? Ob Du Dir vertrauen Kannst,
in allem, was Dich erwartet? Und wenigstens Von Ahnungen dessen bist Du
nicht frei. Du weißt nicht, was Dich mir gegenüber bindet. Du
bist dann nicht "ein dummes Kinds (ich wußte niemanden, dem
ich unterlegener wäre als Dir in Deiner Nähe), die Natur selbst
hält Dich. Aber Du willst mir darüber noch schreiben (dieses
Versprechen halte ich fest! ), und im Grunde bin ich imstande, mich
von Deinem leichtesten Kopfschütteln überzeugen zu lassen.
Es gibt einen ungeheueren Einwand gegen manche Vorstellungen von zukünftigem
Glück, es sind das nämlich die Möglichkeiten, die unausdenkbar
sind. So wie man das Dasein Gottes aus dem Gottesbegriff, den man besitzt,
beweisen zu dürfen glaubt, so kann man es auch aus dem Mangel des
Begriffs widerlegen. Hätte ich Dich doch (die Vergangenheit ist ebenso
sicher wie verloren) vor 8 oder 10 Jahren gekannt, wie glücklich könnten
wir heute sein ohne diese jammervollen Winkelzüge, Seufzer und trostloses
Schweigen. Statt dessen kam ich mit Mädchen zusammen - das ist schon
alles jahrelang her -, in die ich mich leicht verliebte, mit denen ich
lustig war und die ich noch leichter verließ oder von denen ich ohne
die geringsten Schmerzen mich verlassen sah. (Nur die Mehrzahl nimmt sich
so zahlreich aus, weil ich sie nicht mit Namen nenne und weil alles so
längst vergangen ist.) Geliebt, dass es mich im
Innersten geschüttelt hat, habe ich vielleicht nur eine Frau, das
ist jetzt sieben oder acht Jahre her. Von da an, ohne dass dazwischen
Beziehungen beständen, war ich fast vollständig von allem losgelöst,
immer mehr und mehr auf mich beschränkt, mein elender körperlicher
Zustand, der in meiner - wie soll ich sagen? - Auflösung voranging
oder folgte, half mit, mich weiter versinken zu lassen, und jetzt, wo ich
fast am Ende war, traf ich Dich.
Franz
Geliebt, ... acht Jahre her Gemeint ist Kafkas
Beziehung zu einer Frau in Zuckmantel in den Jahren 1905 und 1906. Vgl.
Wagenbach, Biographie, S. 130f Kafka erwähnt sie einmal in
Tagebücher (24.Januar 1915), S. 460: "Das Süße
des Verhältnisses zu einer geliebten Frau, wie in Zuckmantel und Riva
..." und Tagebücher (Juli 1916), S. 505: "Ich war
noch niemals, außer in Zuckmantel, mit einer Frau vertraut. Dann
noch mit der Schweizerin in Riva. Die erste war eine Frau, ich unwissend
,..." Vgl. auch Kafkas Brief an Max Brod von Mitte Juli 1916. Briefe,
S. 139.
Meine liebste Felice, hat es einen Sinn (ich rede von mir aus), die Qual
der Unklarheit weiter zu tragen nur deshalb, weil in ihr ein kleiner, unsinniger,
im ersten Augenblick schon verschwindender Trost irgendwo enthalten ist?
Ich warte nicht bis zur Zurückkunft Deines Vaters, ich schreibe den
Brief vielleicht schon heute abend, schicke Dir ihn morgen zur Durchsicht
und schicke ihn dann Deinem Vater nach Berlin oder wo immer er gerade ist.
Es wird ja kein Brief sein, dessen Beantwortung von Launen abhängig
sein wird, dessen Beantwortung etwa anders ausfallen könnte, ob sie
hier oder dort geschrieben ist. Es hat keinen Sinn, zu warten.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at