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An Felice Bauer

18. V. 13


Meine liebste Felice, hat es einen Sinn (ich rede von mir aus), die Qual der Unklarheit weiter zu tragen nur deshalb, weil in ihr ein kleiner, unsinniger, im ersten Augenblick schon verschwindender Trost irgendwo enthalten ist? Ich warte nicht bis zur Zurückkunft Deines Vaters, ich schreibe den Brief vielleicht schon heute abend, schicke Dir ihn morgen zur Durchsicht und schicke ihn dann Deinem Vater nach Berlin oder wo immer er gerade ist. Es wird ja kein Brief sein, dessen Beantwortung von Launen abhängig sein wird, dessen Beantwortung etwa anders ausfallen könnte, ob sie hier oder dort geschrieben ist. Es hat keinen Sinn, zu warten.

Es hat vielleicht doch einen Sinn, aber ich will ihn nicht wissen. Liebste, "blind vertrauen" soll ich Dir und kann ich Dir, gewiß.

Aber weißt Du, ob Du Dir vertrauen kannst? Ob Du Dir vertrauen Kannst, in allem, was Dich erwartet? Und wenigstens Von Ahnungen dessen bist Du nicht frei. Du weißt nicht, was Dich mir gegenüber bindet. Du bist dann nicht "ein dummes Kinds (ich wußte niemanden, dem ich unterlegener wäre als Dir in Deiner Nähe), die Natur selbst hält Dich. Aber Du willst mir darüber noch schreiben (dieses Versprechen halte ich fest! ), und im Grunde bin ich imstande, mich von Deinem leichtesten Kopfschütteln überzeugen zu lassen.

Es gibt einen ungeheueren Einwand gegen manche Vorstellungen von zukünftigem Glück, es sind das nämlich die Möglichkeiten, die unausdenkbar sind. So wie man das Dasein Gottes aus dem Gottesbegriff, den man besitzt, beweisen zu dürfen glaubt, so kann man es auch aus dem Mangel des Begriffs widerlegen. Hätte ich Dich doch (die Vergangenheit ist ebenso sicher wie verloren) vor 8 oder 10 Jahren gekannt, wie glücklich könnten wir heute sein ohne diese jammervollen Winkelzüge, Seufzer und trostloses Schweigen. Statt dessen kam ich mit Mädchen zusammen - das ist schon alles jahrelang her -, in die ich mich leicht verliebte, mit denen ich lustig war und die ich noch leichter verließ oder von denen ich ohne die geringsten Schmerzen mich verlassen sah. (Nur die Mehrzahl nimmt sich so zahlreich aus, weil ich sie nicht mit Namen nenne und weil alles so längst vergangen ist.) Geliebt, dass es mich im Innersten geschüttelt hat, habe ich vielleicht nur eine Frau, das ist jetzt sieben oder acht Jahre her. Von da an, ohne dass dazwischen Beziehungen beständen, war ich fast vollständig von allem losgelöst, immer mehr und mehr auf mich beschränkt, mein elender körperlicher Zustand, der in meiner - wie soll ich sagen? - Auflösung voranging oder folgte, half mit, mich weiter versinken zu lassen, und jetzt, wo ich fast am Ende war, traf ich Dich.

Franz


Beigelegt



Geliebt, ... acht Jahre her Gemeint ist Kafkas Beziehung zu einer Frau in Zuckmantel in den Jahren 1905 und 1906. Vgl. Wagenbach, Biographie, S. 130f Kafka erwähnt sie einmal in Tagebücher (24.Januar 1915), S. 460: "Das Süße des Verhältnisses zu einer geliebten Frau, wie in Zuckmantel und Riva ..." und Tagebücher (Juli 1916), S. 505: "Ich war noch niemals, außer in Zuckmantel, mit einer Frau vertraut. Dann noch mit der Schweizerin in Riva. Die erste war eine Frau, ich unwissend ,..." Vgl. auch Kafkas Brief an Max Brod von Mitte Juli 1916. Briefe, S. 139.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at