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An Felice Bauer

4. Mai 1913
 


Warum wirkt das Schreiben an Dich nicht stärker auf mich, warum beruhigt es nicht die Verzweiflungsanfälle, die ich manchmal in Gedanken daran habe, dass Du so weit bist, und die jetzt vor der Berliner Reise noch unerträglicher sind als sonst, denn was wird diesen Pfingsten folgen?

Ich soll also einen Besuch bei Euch machen? Dann beantworte mir rechtzeitig folgende Fragen: Welches ist Euere Telephonnummer, im Telephonbuch wird sie ja noch nicht stehn? Muß ich einen schwarzen Anzug haben oder genügt es, wenn ich als zufälliger Besucher im gewöhnlichen Sommeranzug komme? Das letztere wäre mir viel lieber oder besser das erstere wäre mir fast unmöglich. Bringe ich Deiner Mutter Blumen mit? Und was für Blumen?

Ich werde wieder im Askanischen Hof wohnen. Vielleicht komme ich auch wieder tim 11 Uhr [abends an, aber abgesehen davon, dass das unsicher ist (ich habe viel Arbeit im Bureau, und Arbeit, der ich immer weniger gewachsen bin, ein anderer würde das Ganze mit Leichtigkeit bewältigen), beschwöre ich Dich noch außerdem, nicht einmal daran zu denken mich abzuholen. Ich komme immer in einem schrecklichen Zustand an, und Du wirst doch nicht wünschen, dass ich Dir mitten im Bahnhof vor Unsicherheit, Zerstreutheit, Müdigkeit, Verzweiflung und Liebe in die Arme falle. Also bitte nicht daran denken!

Du schreibst, Pfingsten muß man die Vormittage mit dem Empfang zubringen, also auch Montag. Das ist schlimm. Und Montag abend fahre ich ja wieder weg. Länger kann ich nicht bleiben.

Meine "herrliche" Idee besteht kurz gesagt in Folgendem: Wenn Du zustimmst, werde ich Deinem Vater alles das sagen, was ich erstens bis jetzt Dir gegenüber nicht aussprechen konnte und zweitens alles das, was ich Dir schon gesagt und geschrieben habe, ohne dass Du es genug schwergenommen hättest. Das ist mein Plan. Ist er, soweit Du Dich, Deinen Vater und mich kennst, ausführbar? Gestern sagte mir Felix bei irgendeiner Gelegenheit, dass ich einen Curator brauchen würde. Das ist keine schlechte Idee, den würde ich im gewöhnlichen und allerhöchsten Sinne brauchen, wenn nicht schon zu spät ist.

Franz


[Am Rande der ersten und der vierten Briefseite] Antworte bitte auf alle Fragen! Hast Du Freitag zwei Briefe von mir bekommen? Du antwortest mir auf einen Vorschlag nicht.

Befeuchte nicht den Copierstift mit den Lippen, wie bei dem vorletzten Brief!




Montag: Empfangstag aus Anlaß der Verlobung von Felicens Bruder Ferdinand.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at