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An Felice Bauer

30. IV. nachmittag
 


Ich hatte früh einen falschen Brief in der Eile (das Wort eigne ich mir an und gebe es Dir nicht mehr wieder) mitgenommen und muß jetzt diesen express schicken. Vorher küsse ich nur noch die liebe Hand, trotzdem sie gestern nicht einen Federstrich für mich gemacht hat.

Kein Brief. Sollte ich das Telegramm schlecht verstanden haben, trotzdem ich es so oft gelesen habe, trotzdem es in der Nacht unter meinem Polster lag. Liebste, sieh darüber hinweg, dass ich Dir nur noch Vorwürfe schreibe, ich widerlicher und undankbarer Mensch, der ich bin. Aber weißt Du, ich bin im Bureau und mein Herz klopft eigentlich in dem Brief, von dem ich glaube, dass er zuhause liegt. Und dann laufe ich nachhause und es ist nichts da und damit ist das Urteil gesprochen, dass ich zumindest einen Tag und eine Nacht wieder warten muß. Ich will Dich ja nicht plagen, es ist Sommer, Du sollst nicht viel schreiben, sollst auch nicht unruhig sein, wenn Du einmal nicht geschrieben hast - gut, stellen wir also fest, dass ich nur einmal in der Woche, jeden Sonntag, aber ganz bestimmt, ob Du nun übersiedelst oder ob Ausstellung ist oder ein anderes Unglück in meinem Sinn, einen Brief von Dir bekomme, an dem Du eben schreiben kannst, wann Du Zeit und Lust hast, den Du dann aber schließlich jeden Samstag früh in den Briefkasten werfen mußt. Willst Du so lieb sein? Damit ich nicht mehr warten muß, damit die Zeit nicht so stockend und langsam vergeht, denn die Uhren schlagen hier nur, wenn ein Brief von Dir kommt. Mein Kopf wird auch besser werden; es sieht zwar aus, als hätte ich diese Kopfschmerzen zur Unterstützung meiner Bitte jetzt erfunden, aber ich habe sie wirklich. Vielmehr sind es keine Kopfschmerzen, sondern unbeschreibliche Spannungen. Schreiben sollte ich, sagt mein innerster Arzt. Schreiben, trotzdem mein Kopf so unsicher ist und trotzdem. ich vor einem Weilchen die Unzulänglichkeiten meines Schreibens zu erkennen Gelegenheit hatte. Ja, ich habe Dir noch gar nicht geschrieben, dass nächsten Monat ein ganz kleines Buch (es hat 47 Seiten) von mir erscheinen wird, eben habe ich hier die zweite Revision. Es ist das erste Kapitel des unglücklichen Romans und heißt "Der Heizer. Ein Fragment". Es erscheint in einer billigen Bücherei, die Wolff herausgibt und die ein wenig komisch "Der jüngste Tag" heißen wird, das Bändchen zu 8o Pfennig. Das Ganze gefällt mir nicht sehr, wie jedes nutzlose künstliche Herstellen einer Einheit, die nicht da ist. Aber erstens bin ich Wolff doch verpflichtet, zweitens hat er mir die Geschichte ein wenig herausgelockt und drittens war er so liebenswürdig sich zu verpflichten, den "Heizer" später mit Deiner Geschichte und noch einer andern in einem größern Bande nochmals herauszugeben. - Sobald ich von etwas anderem rede wie von Dir, fühle ich mich wie verloren.

Franz




nochmals herauszugeben:Vgl. den Brief Kurt -Wolffs an Kafka vom 16. April 1913, in welchem er verspricht, die Erzählungen "Die Verwandlung", "Der Heizers und "Das Urteil" in einem Band zu vereinigen. (Wolff, Briefwechsel, S. 30f.)


Letzte Änderung: 8.9.2016werner.haas@univie.ac.at