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Briefkopf der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt]


An Felice Bauer

28. IV. 13
 


Es ist nicht möglich, mit dem Schreiben zu warten, ich muß Dir antworten mitten zwischen den Büchern und Papieren, zwischen denen ich gerade einen Vortrag über "Organisation der Unfallverhütung" mit dem leersten Kopfe machen soll. Felice, wehtun wollte ich Dir also? Wehtun? Dir? Und meine Aufgabe besteht doch nur darin, alles Übel, das ohne meine Schuld von mir auf Dich eindringt, abzuschwächen, so gut ich kann. Und nun ist Dein Brief so müde und traurig. Wie steht es mit Dir? Was fehlt Dir, Du Arme? Bin ich denn ein so grenzenloser Narr? Glaubst Du, ich hätte gleich bei der ersten Ahnung einer Furcht Dir so geschrieben? Ich glaubte eine Menge Beweise zu haben, ich will sie jetzt nicht aufzählen. Dazu ist jetzt auch nicht die Zeit; als ich Deinen Brief gelesen hatte, fühlte ich einen Ruck, als sei ich wieder in die Welt gestellt, nachdem ich lange außerhalb gewesen war.

Ich war schon auf alles vorbereitet, gar als gestern kein Brief gekommen war. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich es für Hilflosigkeit von Deiner Seite hielt, für Hilflosigkeit in einem andern Sinn.


zuhause

Felice, sag, ist es nicht schrecklich, Du hast ein Leid und ich bin davon ausgeschlossen. Muß ich nicht auf das Leid eifersüchtig sein, das Dich hält? Aber Du hast ja dieses Leid in der letzten Zeit gar nicht mehr erwähnt. Ich hatte fast daran vergessen. In Deinen Briefen hieß es immer nur "in Eile" und "wieder in Eile", die Augen schmerzten mich schon beim Lesen dieser Worte.

Und nun ging ich hier herum ohne Brief von Dir, ohne Brief an Dich. Und ich hielt es aus. Es müssen doch noch Energien in mir sein. Aber ich beaufsichtigte mich auch ordentlich. Ohne es mir ausdrücklich zu sagen, war ich tätiger als sonst, aufhören oder nachgeben wäre schlimm gewesen. Ich dachte mir Verschiedenes aus, wovon ich gar nicht reden will. Nur das kann ich sagen, dass ich entschlossen war, wenn kein Brief kommen sollte, Dir in einem Brief zu erklären, wie es unendlich viel Möglichkeiten menschlichen Verkehres gibt und wie die Gleichgültigkeit, die Du (im besten Falle allerdings) für mich hast, kein Grund dafür wäre, mich ganz zu verlassen. Wir könnten, wollte ich Dir vorschlagen, auch wieder Sie zueinander sagen, ich wollte Dir Deine Briefe zurückschicken unter der Bedingung, dass Du die meinen behieltest - aber verlassen müßtest Du mich doch deshalb nicht. Und erlauben solltest Du mir trotzdem, Pfingsten nach Berlin zu kommen und Dich zu sehn, denn diese Reise war nun ein gar zu bestimmter Vorsatz, dessen Änderung mein ganzes Leben verdrehn würde. Und dieser Empfangstag Deiner künftigen Schwägerin, der mir in einem Deiner letzten Briefe geradezu als ein Hindernis unseres Zusammenkommens genannt schien, müßte Dich doch bei gutem Willen für eine halbe Stunde freilassen. Ich verstehe übrigens diese Empfangstage nicht.

Natürlich waren meine Entschlüsse nicht ganz fest. So wollte ich Dir z. B. gestern unbedingt telephonieren, wußte zwar nicht, was es sein sollte, denn wenn Du nicht einmal brieflich antworten wolltest, so schien es mir, dann wolltest Du noch weniger mündlich antworten. Trotzdem wollte ich telephonieren. Du, Deine Stimme hören an einem beliebigen zufälligen Nachmittag! Aber ich konnte unter Deinen Briefen nicht jenen finden, auf welchem Du, wie ich mich erinnern zu können glaubte, die Nr. des Telephons notiert hattest. Wahrscheinlich war es nur auf einem Couvert gewesen. Unter den Nummern, die auf dem Geschäftspapier stehn, wußte ich aber nicht zu wählen, vielleicht hätte ich gerade die Deines Direktors ausgesucht.

Übrigens hatte ich schon einen andern Entschluß und verzichtete auf das Telephonieren. Ich wollte abend zu Max gehn und ihn bitten, Dir zu schreiben. Ich wollte ihm Deine letzten 3 Briefe zeigen, ihm erzählen, was ich Dir geschrieben hatte, ihm noch eine sehr dumme Theorie erzählen, die ich mir für Dein Verhalten gebildet hatte und ihn bitten, Dich zu fragen. Ihm würdest Du doch die Wahrheit sagen, dachte ich, ihm gegenüber würde Dich doch nichts hindern. Er sollte den Brief gleich schreiben und ich wollte ihn dann noch abend in den Zug einwerfen. Ich ging also um ½9 zu Max, aber es war noch niemand zuhause, ich ging unten eine ¾ Stunde auf und ab; aber sie kamen nicht und wenn sie nun auch jetzt gekommen wären, für meine Bitte wäre es doch zu spät gewesen. Ich ging also wieder nachhause und bin jetzt, so traurig ich gestern abend über dieses Mißlingen war, sehr froh, Dir Maxens Brief, den Du heute vormittag bekommen hättest, erspart zu haben.

Liebste, nimmst Du mich also wieder auf? Zum soundsovielten Male? Trotzdem ich gestehen muß, dass ich selbst mit Deinem heutigen Brief in der Hand bei einem neuerlichen Durchleben dieses Monats zu dem gleichen Ende käme. Und trotzdem ich weiß, dass innerhalb einer ungestörten Verbindung dieses Mißtrauen das Schlimmste ist, was man einander antun kann. Ich weiß es noch aus der Zeit her, als Du vor Monaten einmal irgendetwas Mißtrauisches schriebst, es war allerdings nur einmal, ich aber höre nicht auf. Felice! Und Pfingsten? Ich wage Dich gar nicht mehr zu küssen und werde Dich niemals küssen. Ich bin dessen nicht wert.

Franz


[Auf der ersten Seite über dem Briefkopf] Soll ich Donnerstag ein freundliches Wort von Dir haben? Dann müßtest Du den Brief expreß schicken. Es ist Feiertag und die Post wird nur einmal ausgetragen. Bis 12 Uhr aber bin ich im Bureau.


Letzte Änderung: 8.6.2016werner.haas@univie.ac.at