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Briefkopf der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt]
An Felice Bauer
Es ist nicht möglich, mit dem Schreiben zu warten, ich muß Dir
antworten mitten zwischen den Büchern und Papieren, zwischen denen
ich gerade einen Vortrag über "Organisation der Unfallverhütung"
mit dem leersten Kopfe machen soll. Felice, wehtun wollte ich Dir also?
Wehtun? Dir? Und meine Aufgabe besteht doch nur darin, alles Übel,
das ohne meine Schuld von mir auf Dich eindringt, abzuschwächen, so
gut ich kann. Und nun ist Dein Brief so müde und traurig. Wie steht
es mit Dir? Was fehlt Dir, Du Arme? Bin ich denn ein so grenzenloser Narr?
Glaubst Du, ich hätte gleich bei der ersten Ahnung einer Furcht Dir
so geschrieben? Ich glaubte eine Menge Beweise zu haben, ich will sie jetzt
nicht aufzählen. Dazu ist jetzt auch nicht die Zeit; als ich Deinen
Brief gelesen hatte, fühlte ich einen Ruck, als sei ich wieder in
die Welt gestellt, nachdem ich lange außerhalb gewesen war.
Ich war schon auf alles vorbereitet, gar als gestern kein Brief gekommen
war. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich es für Hilflosigkeit
von Deiner Seite hielt, für Hilflosigkeit in einem andern Sinn.
zuhause
Felice, sag, ist es nicht schrecklich, Du hast ein Leid und ich bin davon
ausgeschlossen. Muß ich nicht auf das Leid eifersüchtig sein,
das Dich hält? Aber Du hast ja dieses Leid in der letzten Zeit gar
nicht mehr erwähnt. Ich hatte fast daran vergessen. In Deinen Briefen
hieß es immer nur "in Eile" und "wieder in Eile",
die Augen schmerzten mich schon beim Lesen dieser Worte.
Und nun ging ich hier herum ohne Brief von Dir, ohne Brief an Dich. Und
ich hielt es aus. Es müssen doch noch Energien in mir sein. Aber ich
beaufsichtigte mich auch ordentlich. Ohne es mir ausdrücklich zu sagen,
war ich tätiger als sonst, aufhören oder nachgeben wäre
schlimm gewesen. Ich dachte mir Verschiedenes aus, wovon ich gar nicht
reden will. Nur das kann ich sagen, dass ich entschlossen war, wenn
kein Brief kommen sollte, Dir in einem Brief zu erklären, wie es unendlich
viel Möglichkeiten menschlichen Verkehres gibt und wie die Gleichgültigkeit,
die Du (im besten Falle allerdings) für mich hast, kein Grund dafür
wäre, mich ganz zu verlassen. Wir könnten, wollte ich Dir vorschlagen,
auch wieder Sie zueinander sagen, ich wollte Dir Deine Briefe zurückschicken
unter der Bedingung, dass Du die meinen behieltest - aber verlassen
müßtest Du mich doch deshalb nicht. Und erlauben solltest Du
mir trotzdem, Pfingsten nach Berlin zu kommen und Dich zu sehn, denn diese
Reise war nun ein gar zu bestimmter Vorsatz, dessen Änderung mein
ganzes Leben verdrehn würde. Und dieser Empfangstag Deiner künftigen
Schwägerin, der mir in einem Deiner letzten Briefe geradezu als ein
Hindernis unseres Zusammenkommens genannt schien, müßte Dich
doch bei gutem Willen für eine halbe Stunde freilassen. Ich verstehe
übrigens diese Empfangstage nicht.
Natürlich waren meine Entschlüsse nicht ganz fest. So wollte
ich Dir z. B. gestern unbedingt telephonieren, wußte zwar nicht,
was es sein sollte, denn wenn Du nicht einmal brieflich antworten wolltest,
so schien es mir, dann wolltest Du noch weniger mündlich antworten.
Trotzdem wollte ich telephonieren. Du, Deine Stimme hören an einem
beliebigen zufälligen Nachmittag! Aber ich konnte unter Deinen Briefen
nicht jenen finden, auf welchem Du, wie ich mich erinnern zu können
glaubte, die Nr. des Telephons notiert hattest. Wahrscheinlich war es nur
auf einem Couvert gewesen. Unter den Nummern, die auf dem Geschäftspapier
stehn, wußte ich aber nicht zu wählen, vielleicht hätte
ich gerade die Deines Direktors ausgesucht.
Übrigens hatte ich schon einen andern Entschluß und verzichtete
auf das Telephonieren. Ich wollte abend zu Max gehn und ihn bitten, Dir
zu schreiben. Ich wollte ihm Deine letzten 3 Briefe zeigen, ihm erzählen,
was ich Dir geschrieben hatte, ihm noch eine sehr dumme Theorie erzählen,
die ich mir für Dein Verhalten gebildet hatte und ihn bitten, Dich
zu fragen. Ihm würdest Du doch die Wahrheit sagen, dachte ich, ihm
gegenüber würde Dich doch nichts hindern. Er sollte den Brief
gleich schreiben und ich wollte ihn dann noch abend in den Zug einwerfen.
Ich ging also um ½9 zu Max, aber es war noch niemand zuhause, ich
ging unten eine ¾ Stunde auf und ab; aber sie kamen nicht und wenn
sie nun auch jetzt gekommen wären, für meine Bitte wäre
es doch zu spät gewesen. Ich ging also wieder nachhause und bin jetzt,
so traurig ich gestern abend über dieses Mißlingen war, sehr
froh, Dir Maxens Brief, den Du heute vormittag bekommen hättest, erspart
zu haben.
Liebste, nimmst Du mich also wieder auf? Zum soundsovielten Male? Trotzdem
ich gestehen muß, dass ich selbst mit Deinem heutigen Brief
in der Hand bei einem neuerlichen Durchleben dieses Monats zu dem gleichen
Ende käme. Und trotzdem ich weiß, dass innerhalb einer
ungestörten Verbindung dieses Mißtrauen das Schlimmste ist,
was man einander antun kann. Ich weiß es noch aus der Zeit her, als
Du vor Monaten einmal irgendetwas Mißtrauisches schriebst, es war
allerdings nur einmal, ich aber höre nicht auf. Felice! Und Pfingsten?
Ich wage Dich gar nicht mehr zu küssen und werde Dich niemals küssen.
Ich bin dessen nicht wert.
Franz
[Auf der ersten Seite über dem Briefkopf] Soll ich Donnerstag ein
freundliches Wort von Dir haben? Dann müßtest Du den Brief expreß
schicken. Es ist Feiertag und die Post wird nur einmal ausgetragen. Bis
12 Uhr aber bin ich im Bureau.
Letzte Änderung: 8.6.2016 werner.haas@univie.ac.at