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An Felice Bauer
Endlich weiß ich, wo Du bist, Felice. Ich wage "endlich"
zu sagen, trotzdem ich nur einen Tag ohne Brief war und trotzdem Du - Aber
wozu das alles wiederholen, Du nimmst mir diesen Zwang, den ich auf Dich
üben muß, nicht übel, denn wenigstens ahnen mußt
Du es doch, dass mein Verlangen nach einer möglichst ununterbrochenen
brieflichen Verbindung mit Dir seinen Grund nicht eigentlich in der Liebe
hat, denn die müßte Dich doch in Deiner jammervollen Müdigkeit
der ganzen letzten Zeit zu schonen suchen, sondern in meiner unglücklichen
Verfassung.
Felice, ich will keine Antworten auf meine Briefe haben, ich will von Dir
hören, nur von Dir, ich will Dich in so friedlichem Zustande sehn,
wie wenn ich nicht da wäre oder wie wenn ich ein anderer Mensch wäre,
ich müßte ja zittern bei dem Gedanken, dass ich die Antworten
bekommen könnte, die meine Briefe verdienen - aber nur das eine sag
mir, Felice, damit ich darin klar sehe, von wo die Entscheidung schließlich
kommen muß, sag: hast Du aus jenem verdrehten, gezierten, ohnmächtigen,
dummen Brief, den Du vorigen Donnerstag bekommen hast und auf den ich mich
schon mehrmals berufen habe, herausgelesen, um was es sich handelt? Eigentlich
dürfte ich von nichts anderem sprechen, es ist wunderbar, Ruhepausen
zu genießen, Dich anschauen und an sich vergessen, aber es ist unverantwortlich.
Daran dass Du in Hannover bist, hatte ich nicht gedacht. Ich hatte
geglaubt, dass Du erst von Frankfurt aus hinfährst, irre ich
nicht, so hast Du es auch einmal so geschrieben. Und Deine Schwester ist
in Hannover? Plötzlich? Ist alles Unglück schon vorüber?
Die 5 bis 6 Wochen, von denen Du einmal die Entscheidung darüber abhängig
gemacht hast, wären ja schon verstrichen. Du hast in Hannover bei
Deiner Schwester gewohnt, nicht im Hotel?
Von meiner Gärtnerei mußt Du Dir nicht allzu gute Folgen für
mich versprechen. Heute arbeitete ich den vierten Tag. Die Muskeln werden
natürlich etwas gespannt, die ganze Figur etwas schwerer und aufrechter
und das Selbstgefühl erhöht sich dadurch ein wenig. Ganz ohne
Bedeutung kann es natürlich nicht sein, wenn ein Körper, der
ohne gute natürliche Gaben bei einem Schreibtisch- und Kanapeeleben
sich immerfort angreifen und erschüttern läßt, einmal mit
dem Spaten selbst angreift und erschüttert. Aber die Grenzen solcher
Wirkungen sind schon zu sehn, ich schreibe Dir darüber noch. Es ist
heute schon spät, ich war abends bei Max und habe mich bei den zwei
zufriedenen Menschen zu lange aufgehalten. Über diese Ehe habe ich
zuerst schlecht geurteilt, aber die Gründe meines Irrtums sind mir
nur zu klar.
Franz
Letzte Änderung: 8.6.2016 werner.haas@univie.ac.at