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An Felice Bauer
In der vorletzten oder vorvorletzten Nacht träumte ich fortwährend
von Zähnen; es waren nicht Zähne im Gebiß geordnet, sondern
es war eine Masse genau, wie in den Geduldspielen der Kinder, zusammengefügter
Zähne, die alle unter einander von meinen Kiefern gelenkt in schiebender
Bewegung waren. Ich wandte alle Kraft an, um etwas zum Ausdruck zu bringen,
was mir vor allem andern am Herzen lag; die Bewegungen dieser Zähne,
die Lücken zwischen ihnen, ihr Knirschen, das Gefühl wenn ich
sie lenkte - alles hatte irgendeine genaue Beziehung zu einem Gedanken,
einem Entschlusse, einer Hoffnung einer Möglichkeit, die ich durch
dieses ununterbrochene Beißen erfassen, halten, verwirklichen wollte.
Ich gab mir solche Mühe, manchmal schien es möglich, manchmal
dachte ich ich wäre mitten im Erfolg, und als ich früh endgültig
aufwachen sollte, schien es mir beim halben Öffnen der Augen, alles
sei gelungen, die Arbeit der langen Nacht sei nicht vergeblich gewesen,
die endgültige, unveränderliche Zusammenstellung der Zähne
habe eine zweifellose glückbringende Bedeutung, und es kam mir unbegreiflich
vor, dass ich das während der Nacht nicht längst erkannt
hatte und so hoffnungslos gewesen war, ja gemeint hatte, das deutliche
Träumen schade dem Schlaf. Dann aber wurde ich gänzlich wach
(da ruft immer unser Fräulein mit klagender, vorwurfsvoller
Stimme wie spät es ist), und nun war also doch nichts erreicht, diese
Unglückszeit des Bureaus fing wieder an und Du Liebste, das wußte
ich allerdings damals nicht, hattest die Nacht mit Zahnschmerzen verbracht.
Weißt Du, Liebste, diese Mischung von Glück und Unglück,
die mein Verhältnis zu Dir bedeutet (Glück - weil Du mich noch
nicht verlassen hast und wenn Du mich verlassen solltest, mir doch einmal
gut gewesen bist, Unglück - weil ich die Probe auf meinen Wert, die
Du für mich bedeutest, so elend bestehe), jagt mich im Kreis herum,
als wäre ich der Überflüssigste auf dieser Welt. Alle Hemmungen,
die bisher (jeder Mensch hat oft Proben zu bestehen, ich habe wenige bestanden
und keine war so groß und entscheidend wie diese) mich noch hielten,
scheinen sich zu lösen, ich gehe in einer sinnlosen Verzweiflung und
Wut herum, nicht vielleicht gegen meine Umgebung, gegen meine Bestimmung,
gegen das, was über uns ist, sondern nur und mit Wollust gegen mich
gegen mich allein. Am schlimmsten vielleicht geht es mir im Bureau, diese
an und für sich gespensterhafte Tätigkeit beim Schreibtisch überwächst
mich, ich bringe nichts fertig, manchmal hätte ich Lust, mich dem
Direktor zu Füßen zu werfen und ihn zu bitten, mich aus Menschlichkeit
nicht hinauszuwerfen. Natürlich merkt kaum jemand etwas von alledem.
Und vielleicht wird alles von übermorgen ab besser, ich werde nachmittag
bei einem Gärtner arbeiten, darüber schreibe ich Dir nächstens.
Franz
unser Fräulein:Vgl. Anm. 1 S. 82.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at