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An Felice Bauer

4. IV. 13
 


Neben uns wohnt schon seit 1 oder 2 Monaten ein tschechischer Schriftsteller. Er ist Lehrer und schreibt erotische Romane, wenigstens hat sein letztes Buch diesen Untertitel, und auf dem Titelblatt eist eine Dame abgebildet, die mit brennenden Herzen jongliert. "Brennende Herzen" heißt auch das Buch, glaube ich. Ich weiß nicht eigentlich, aus welchen Gründen ich mir den Menschen, ohne mich irgendwie um ihn zu bekümmern, als einen kleinen schwarzen Schleicher vorstellte. Letzthin hörte ich allerdings von einem tschechischen Schriftsteller eine Bemerkung über unsern Nachbarn, die meine Vorstellung zumindest nicht widerlegte. Er sagte nämlich, dass natürlich nur etwas lächerliche erotische Romane herauskommen können, wenn sie ein Lehrer, ohne Welterfahrung, in trockener Manier, aus seinem kleinen Erdloch heraus schreibt. Jetzt bin ich gerade zum ersten Male mit ihm im Lift zusammengekommen. W as für ein prachtvoller, beneidenswerter Mensch! Weißt Du, die Tschechen streben ja sehr zum französischen Wesen hin, und wenn auch ein solches Streben gewöhnlich nachhinkt und alte Moden des geliebten Landes annimmt, weil nur das schon Durchlebte dein Wesensfremden erreichbar ist, - so ist das bei Nachahmern des Französischen gerade am wenigsten verletzend, denn Frankreich besteht aus Tradition und aller Fortschritt geht dort so allmählich in einem geradezu nichts ausscheidenden Flusse vor sich, dass der Nachahmer fast gleichen Schritt halten kann, ohne sich zu übernehmen, oder doch wenigstens immer noch liebenswert bleibt. Und da hat dieser Mensch einen so saftigen französischen Spitzbart und einen vom Montmartre geholten Schlapphut und einen fliegenden Überzieher über dem Arm und hübsche freundliche Bewegungen, frische Augen - es ist eine Lust, ihn anzusehn.

Und da stehe ich und bin wieder bei mir, Felice, liebste Felice, da bin ich und suche mich durch solche Geschichtchen fortzuhaspeln. Liebste, ich habe Dein Telegramm, zuerst schien es mir fast in einer Geheimschrift abgefaßt zu sein. Du hast Donnerstag den Brief von mir bekommen und telegraphierst mir so schön, lieb und ruhig, dass ich mich mit allen Kräften zurückhalten muß, um nicht an diese Worte zu glauben und mich auch beruhigen zu lassen, besonders da heute abend auch Max in anderer aber doch sehr naher Hinsicht mich zu beruhigen gesucht und für den Augenblick fast beruhigt hat. Liebste, dieser Brief, den Du Donnerstag bekommen hast, ist wahr gemeint bis in den Grund. Ich bin jetzt so fahrig, dass ich selbst jetzt an ihm zweifeln könnte und er mir wie zum Spaß zweifelhaft erscheint. Aber nein Liebste, Liebste er ist wahr, er enthält keine Bilder sondern Tatsachen. So ist es, ganz genau so.

Franz


[Am Rande unten] Und über alledem vergesse ich, zur neuen Wohnung Glück zu wünschen.




es ist eine Lust, ihn anzusehn: Der tschechische Schriftsteller Petr Dejmek (1870-1945). Der Roman, den Kafka meint, heißt Hry se srdcem (Spiele mit dem Herzen), Prag 1913. Das Titelblatt des Buches zeigt eine Dame, die mit vier brennenden Herzen jongliert. Dejmek wohnte damals im selben Haus wie Kafka: Prag I, Niklasstraße 36.


Letzte Änderung: 8.6.2016werner.haas@univie.ac.at