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An Felice Bauer
Neben uns wohnt schon seit 1 oder 2 Monaten ein tschechischer Schriftsteller.
Er ist Lehrer und schreibt erotische Romane, wenigstens hat sein letztes
Buch diesen Untertitel, und auf dem Titelblatt eist eine Dame abgebildet,
die mit brennenden Herzen jongliert. "Brennende Herzen" heißt
auch das Buch, glaube ich. Ich weiß nicht eigentlich, aus welchen
Gründen ich mir den Menschen, ohne mich irgendwie um ihn zu bekümmern,
als einen kleinen schwarzen Schleicher vorstellte. Letzthin hörte
ich allerdings von einem tschechischen Schriftsteller eine Bemerkung über
unsern Nachbarn, die meine Vorstellung zumindest nicht widerlegte. Er sagte
nämlich, dass natürlich nur etwas lächerliche erotische
Romane herauskommen können, wenn sie ein Lehrer, ohne Welterfahrung,
in trockener Manier, aus seinem kleinen Erdloch heraus schreibt. Jetzt
bin ich gerade zum ersten Male mit ihm im Lift zusammengekommen. W as für
ein prachtvoller, beneidenswerter Mensch! Weißt Du, die Tschechen
streben ja sehr zum französischen Wesen hin, und wenn auch ein solches
Streben gewöhnlich nachhinkt und alte Moden des geliebten Landes annimmt,
weil nur das schon Durchlebte dein Wesensfremden erreichbar ist, - so ist
das bei Nachahmern des Französischen gerade am wenigsten verletzend,
denn Frankreich besteht aus Tradition und aller Fortschritt geht dort so
allmählich in einem geradezu nichts ausscheidenden Flusse vor sich,
dass der Nachahmer fast gleichen Schritt halten kann, ohne sich zu
übernehmen, oder doch wenigstens immer noch liebenswert bleibt. Und
da hat dieser Mensch einen so saftigen französischen Spitzbart und
einen vom Montmartre geholten Schlapphut und einen fliegenden Überzieher
über dem Arm und hübsche freundliche Bewegungen, frische Augen
- es ist eine Lust, ihn anzusehn.
Und da stehe ich und bin wieder bei mir, Felice, liebste Felice, da bin
ich und suche mich durch solche Geschichtchen fortzuhaspeln. Liebste, ich
habe Dein Telegramm, zuerst schien es mir fast in einer Geheimschrift abgefaßt
zu sein. Du hast Donnerstag den Brief von mir bekommen und telegraphierst
mir so schön, lieb und ruhig, dass ich mich mit allen Kräften
zurückhalten muß, um nicht an diese Worte zu glauben und mich
auch beruhigen zu lassen, besonders da heute abend auch Max in anderer
aber doch sehr naher Hinsicht mich zu beruhigen gesucht und für den
Augenblick fast beruhigt hat. Liebste, dieser Brief, den Du Donnerstag
bekommen hast, ist wahr gemeint bis in den Grund. Ich bin jetzt so fahrig,
dass ich selbst jetzt an ihm zweifeln könnte und er mir wie zum
Spaß zweifelhaft erscheint. Aber nein Liebste, Liebste er ist wahr,
er enthält keine Bilder sondern Tatsachen. So ist es, ganz genau so.
Franz
[Am Rande unten] Und über alledem vergesse ich, zur neuen Wohnung
Glück zu wünschen.
es ist eine Lust, ihn anzusehn: Der tschechische
Schriftsteller Petr Dejmek (1870-1945). Der Roman, den Kafka meint, heißt
Hry se srdcem (Spiele mit dem Herzen), Prag 1913. Das Titelblatt
des Buches zeigt eine Dame, die mit vier brennenden Herzen jongliert. Dejmek
wohnte damals im selben Haus wie Kafka: Prag I, Niklasstraße 36.
Letzte Änderung: 8.6.2016 werner.haas@univie.ac.at