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An Felice Bauer

1. IV. 13
 


Meine eigentliche Furcht - es kann wohl nichts Schlimmeres gesagt und angehört werden - ist die, daß ich Dich niemals werde besitzen können. Daß ich im günstigsten Falle darauf beschränkt bleiben werde, wie ein besinnungslos treuer Hund Deine zerstreut mir überlassene Hand zu küssen, was kein Liebeszeichen sein wird, sondern nur ein Zeichen der Verzweiflung des zur Stummheit und ewigen Entfernung verurteilten Tieres. Daß ich neben Dir sitzen werde und, wie es schon geschehen ist, das Ahnen und Leben Deines Leibes an meiner Seite fühlen werde und im Grunde entfernter von Dir sein werde als jetzt in meinem Zimmer. Daß ich nie imstande sein werde, Deinen Blick zu lenken, und daß er für mich wirklich verloren sein wird, wenn Du aus dem Fenster schaust oder das Gesicht in die Hände legst. Daß ich mit Dir Hand in Hand scheinbar verbunden an der ganzen Welt vorüberfahre und daß nichts davon wahr ist. Kurz, daß ich für immer von Dir ausgeschlossen bleibe, ob Du Dich auch so tief zu mir herunterbeugst, dass es Dich in Gefahr bringt.

Wenn das wahr ist, Felice, - und es scheint mir vollständig zweifellos -dann hatte ich doch guten Grund, vor etwa schon einem halben Jahr mit aller Gewalt Abschied von Dir nehmen zu wollen und hatte auch guten Grund, jede äußerliche Verbindung mit Dir zu fürchten, da die Folge einer solchen Verbindung nur die wäre, dass mein Verlangen nach Dir von allen jenen schwachen Kräften losgekettet würde, die mich, einen für diese Erde Unfähigen, heute noch auf dieser Erde halten.

Ich höre auf, Felice, ich habe heute genug geschrieben.

Franz


Gerade wollte ich mich ausziehn, da kam die Mutter wegen einer Kleinigkeit herein und bot mir dann beim Weggehn einen Gute-Nachtkuß an, was schon viele Jahre nicht geschehen ist. "So ist es recht", sagte ich. "Ich habe es niemals gewagt",sagte die Mutter, "ich dachte, Du hast es nicht gern. Aber wenn Du es gern hast, habe ich es auch sehr gern."




Kurz ... in Gefahr bringt. : Vgl. Brief an Max Brod vom 3. April 1913: "Gestern habe ich nach Berlin das große Geständnis geschrieben, sie ist eine wirkliche Märtyrerin und ich untergrabe ganz deutlich den Boden, auf dem sie früher glücklich und in Übereinstimmung mit der ganzen Welt gelebt hat." Briefe, S. 115.


Letzte Änderung: 8.6.2016werner.haas@univie.ac.at