Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

30. III. 13
 


Ich fange noch immer nicht an ich bin zu unruhig, ich liebe Dich zu sehr. Ich wäre Dir unentbehrlich geworden, sagst Du? Gebe es Gott, schreit es aus mir, und ich soll diesen Schrei mit der Hand ersticken ?

Mein ganzer heutiger Schlaf war in den verschiedensten Beziehungen von dem Gedanken daran erfüllt, dass ich heute keinen Brief bekomme. Er kam auch nicht, und ich spürte es früher in der Kehle, eile ich die Worte des Dienstmädchens verstand. Dispensieren soll ich Dich vom Briefeschreiben? Liebste, das wäre wenig. Aber von mir Dich befreien, das wäre eine gute Leistung. Aber ich kann ja eben nicht einmal auf die Briefe verzichten. Ich bin von dem Bedürfnis nach Nachrichten von Dir ganz durchsetzt. Zu den nebensächlichsten Lebensäußerungen bekomme ich nur durch Deine Briefe Fähigkeit. Um den kleinen Finger richtig zu rühren, brauche ich Deinen Brief.

Und wie soll ich nur auf Nachrichten verzichten, da ich höre, dass Dir nicht gut ist, dass Du noch immer hustest, dass Du Dich kaputt fühlst. Wenn es nur so wäre wie zur Zeit, da alles in mir gelöst war und ich richtig schreiben konnte! Da fühlte ich mich Dir beim Briefschreiben näher als sonst, heute wollte ich, wenn mir das möglich wäre, den Schreibtisch gar nicht verlassen, um keinen Augenblick dieses Beisammenseins zu verlieren. Manchmal in der Verzweiflung, wenn nichts anderes übrig bleibt, tröste ich mich noch mit solchen unbegründeten Hoffnungen. Wenn ich z. B. im Bureau auch finit der zweiten Post keinen Brief bekommen habe und nun gar nicht weiß, was anfangen und die Entschlußkraft auch zum geringsten Diktieren fehlt und die gesamte Unfallversicherung, so provisorisch sie in meinem Kopfe steckte, nun gänzlich sich aus mir entfernt und jeder kleine Aushilfsbeamte mehr weiß und besser auf seinem Platze ist als ich, dann sage ich mir manchmal: "Sei nicht traurig, Du wirst ihr nachmittag desto länger schreiben und desto länger Dich ihr ganz verbunden fühlen. Es liegt ja nur in Deiner Hand." Nun ist das aber leider völlig falsch. Wenn ich Dir nicht schreibe, bin ich Dir viel näher, wenn ich auf der Gasse gehe und überall und unaufhörlich mich etwas an Dich erinnert, wenn ich allein oder unter Leuten Deinen Brief an das Gesicht drücke und den Geruch einatme, der auch der Geruch Deines Halses ist, - dann halte ich Dich fester im Herzen als jemals. Ach Gott, es ist ja noch ärger und es ist die Hand meines Unglücks, die sich bis in die Tiefen durchtastet: Am Telephon des "Askanischen Hofes" war ich Dir näher, fühlte die Seligkeit einer Verbindung mehr als vorher auf dem Baumstamm im Grunewald.

Liebste! Liebste! Liebste! Wie versinkt demgegenüber

der Name Franz!


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at