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An Felice Bauer
Es hat mit einem Klecks begonnen, ich habe das Papier nicht gewechselt,
vielleicht kommt selbst dadurch ein wenig Wirklichkeit in mein immer unwirklicher
werdendes (merkst Du es denn nicht, Liebste?), aus den Lüften herbeigezogenes
Schreiben. - Sonst nur paar Worte, es ist wieder spät, ich war mit
Felix bei dem "Anderen" im Kinematographen und dann spazieren.
Ich will deshalb nicht länger schreiben, damit sich nicht ein Vormittag
wie der heutige war, morgen wiederholt. Weißt Du Liebste, mein Chef
im Bureau in seiner unbedingten Festigkeit gibt mir Kraft, ich kann ihm
nicht folgen aber bis zu einer gewissen Grenze ihn bewußt, bis zu
einer weitem Grenze unbewußt nachahmen und weiterhin ihm wenigstens
nachsehn und daran mich halten; heute war er krank. Wenn er nicht im Bureau
ist, habe ich früh und mittag die Verteilung der allgemeinen Post
an seinem Tische vorzunehmen. Nun ich lag in diesem Lehnstuhl wie aufgelöst,
Leute, die kamen, sah ich nicht und hörte ich nicht, in gleichgültige
Briefe starrte ich hinein, ich dachte, dass ich nachhause, ins Bett
gehören würde, aber-überleg das nurnicht einmal vom Bett,
nicht einmal vom ruhigen Liegen erhoffte ich mir Besserung. Nun ist es
ja zum Teil einfach zu erklären, ich schlafe wenig, unordentlich und
schlecht, gehe wenig herum, bin von vornherein ganz und gar mit mir unzufrieden,
dann legt es mich eben einmal so hilflos in den Lehnstuhl hinein. Daß
Dein Brief heute nicht gekommen war, konnte ich kaum begreifen, ich war
viel zu schwach, um darüber unglücklich oder unruhig zu sein
(und ich wiederhole noch einmal, es hat nicht die geringste Bedeutung,
wenn Du einmal, Liebste, keine Zeit zum Schreiben hast), ich begriff es
nur nicht recht und ohne besonders daran zu denken, wird es doch auch ein
Grund vielen nutzlosen Dasitzens gewesen sein. Und während des ganzen
Vormittags hat es sich nicht viel gebessert. Wie ein Kränker bin ich
nachhause gegangen, immer schwebte mir die Vorstellung der Länge des
Weges vor, die noch zurückzulegen war. Aber krank bin ich nicht, man
sieht mir eigentlich nichts an, nur eine Falte über der Nase habe
ich und eine immer größer werdende, schon ganz auffällige
Menge weißen Haares.
Heute abend, nachdem ich ein wenig geschlafen hatte und Bassermann mich
ein wenig verwandelt hatte, war mir sogar manchmal sehr wohl und wir-ich
und Felix-haben heute gut zueinander gepaßt. Von Bassermann könnte
ich Dir sehr viel erzählen, so elend das Stück ist, und so sehr
Bassermann darin mißbraucht wird und sich selbst mißbraucht.
- Gute Nacht, Liebste, und schönen Sonntag. Ich lege Grüße
für Deinen Papa in Deine Augen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at