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An Felice Bauer

vom 14. zum 15. III. 12 [1913]
 


Es hat mit einem Klecks begonnen, ich habe das Papier nicht gewechselt, vielleicht kommt selbst dadurch ein wenig Wirklichkeit in mein immer unwirklicher werdendes (merkst Du es denn nicht, Liebste?), aus den Lüften herbeigezogenes Schreiben. - Sonst nur paar Worte, es ist wieder spät, ich war mit Felix bei dem "Anderen" im Kinematographen und dann spazieren. Ich will deshalb nicht länger schreiben, damit sich nicht ein Vormittag wie der heutige war, morgen wiederholt. Weißt Du Liebste, mein Chef im Bureau in seiner unbedingten Festigkeit gibt mir Kraft, ich kann ihm nicht folgen aber bis zu einer gewissen Grenze ihn bewußt, bis zu einer weitem Grenze unbewußt nachahmen und weiterhin ihm wenigstens nachsehn und daran mich halten; heute war er krank. Wenn er nicht im Bureau ist, habe ich früh und mittag die Verteilung der allgemeinen Post an seinem Tische vorzunehmen. Nun ich lag in diesem Lehnstuhl wie aufgelöst, Leute, die kamen, sah ich nicht und hörte ich nicht, in gleichgültige Briefe starrte ich hinein, ich dachte, dass ich nachhause, ins Bett gehören würde, aber-überleg das nurnicht einmal vom Bett, nicht einmal vom ruhigen Liegen erhoffte ich mir Besserung. Nun ist es ja zum Teil einfach zu erklären, ich schlafe wenig, unordentlich und schlecht, gehe wenig herum, bin von vornherein ganz und gar mit mir unzufrieden, dann legt es mich eben einmal so hilflos in den Lehnstuhl hinein. Daß Dein Brief heute nicht gekommen war, konnte ich kaum begreifen, ich war viel zu schwach, um darüber unglücklich oder unruhig zu sein (und ich wiederhole noch einmal, es hat nicht die geringste Bedeutung, wenn Du einmal, Liebste, keine Zeit zum Schreiben hast), ich begriff es nur nicht recht und ohne besonders daran zu denken, wird es doch auch ein Grund vielen nutzlosen Dasitzens gewesen sein. Und während des ganzen Vormittags hat es sich nicht viel gebessert. Wie ein Kränker bin ich nachhause gegangen, immer schwebte mir die Vorstellung der Länge des Weges vor, die noch zurückzulegen war. Aber krank bin ich nicht, man sieht mir eigentlich nichts an, nur eine Falte über der Nase habe ich und eine immer größer werdende, schon ganz auffällige Menge weißen Haares.

Heute abend, nachdem ich ein wenig geschlafen hatte und Bassermann mich ein wenig verwandelt hatte, war mir sogar manchmal sehr wohl und wir-ich und Felix-haben heute gut zueinander gepaßt. Von Bassermann könnte ich Dir sehr viel erzählen, so elend das Stück ist, und so sehr Bassermann darin mißbraucht wird und sich selbst mißbraucht. - Gute Nacht, Liebste, und schönen Sonntag. Ich lege Grüße für Deinen Papa in Deine Augen.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at