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An Felice Bauer

vom 11. zum 12. III. [1913]
 


Das ist traurig, Felice, Du klagst, und ich maß es anhören wie einer, der blind und stumm ist und außerdem seine Glieder nicht bewegen kann und nur gerade das Gehör noch hat. Das Ärgste ist für mich, dass ich Dir dabei Unrecht tue oder wenigstens getan habe, denn da Du von dieser Sache nicht mehr schriebst, ja deren Erwähnung einmal abwehrtest, dachte ich, durch Deine Reise und die Reise Deiner Schwester wäre entweder alles geordnet oder wenigstens so weit gebracht, dass keine Verschlimmerung und keine neue Aufregung eintreten könnte. In dieser Meinung schrieb ich meine letzten Briefe und verlangte von Dir, ohne es bös zu meinen, Interesse für meine Dinge, während Du immerfort noch - freilich ohne es auch nur mit einem offenen Worte ahnen zu lassen - an dem alten Leide würgtest. Ich will es ja nicht erfahren, Liebste, denn es ist ja nicht Dein Geheimnis sondern das Geheimnis Deiner Schwester, aber wissen will ich immer, wenn Du "am Ende Deiner Kräften bist, damit ich nicht noch zu der mir eingeborenen Roheit in der Behandlung eines Wesens, wie Du es bist, noch Roheit aus Unkenntnis Deiner Lage hinzufüge. Möchtest Du mir für 2 Tage ein Bild Deiner Schwester borgen, damit ich weiß, um wen Du Dich sorgst? Du bist die einzige, die von dem Unglück weiß? Toni z.B. weiß gar nichts?

Wie traurig das ist! Und wie hilflos ich bin! Das beste wäre doch, nach Berlin zu gehn, Dich in die Arme zu nehmen und hierherzutragen. Aber wenn ich es könnte, hätte ich es ja schon längst getan. Schon einige Zeit denke ich daran: Darf ich Dich "Fe" nennen? Du unterschriebst Dich früher manchmal so, dann erinnert es auch an "Fee" und an das schöne China, endlich ist es auch ein geeignetes Wort, um ins Ohr gesagt zu werden. Also? Fe? Nur wenn es Dir gefällt, stimm zu, Du bist mir unter allen Namen lieb.

Was für ein sonderbares Selbstbekenntnis steht heute in Deinem Brief! Ein schwacher Mensch wärest Du, der mit sich selbst schon in ruhigen Zeiten nichts anzufangen weiß. Höre, Du willst Dich doch nicht verkleiden und mich mit mir selbst schrecken? Gern wußte ich, worauf die Bemerkung zurückgeht und wie sich ihre Entwicklung über die Samstagnacht hinweg in Dir verliert. Das soll Dir erspart bleiben, wenigstens für die Dauer, "mit sich nichts anzufangen wissen", vertraue mir; der darin Erfahrung hat, solche Menschen sehn anders aus als Du und haben einen andern Blick. Die Ursache Deines gegenwärtigen Zustandes kann nur die sein, dass Du fremdes Leid schwerer trägst als eigenes und so von außen her in eine Verwirrung gebracht wirst, in die Du von innen her nie kommen könntest.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at