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An Felice Bauer
Nein, ein wie unvernünftiges, schlaffies Leben ich führe ! Ich
will gar nicht darüber reden. Wie ich diesen Sonntag heute verbracht
habe mit Kopfhängen, ohne unglücklich zu sein, mit Herumsitzen,
ohne mich übermäßig zu langweilen, mit Spazierengehn mit
Felix und dann (fast aufatmend) allein und wie doch bei allem irgendeine
Faust mir im Nacken saß!
"Das Gefühl, Du könntest mir genommen werden" -wie
sollte ich es nicht haben, Liebste, da ich mir das Recht abspreche (aber
"Rechte ist zu schwach, "abspreche" ist zu schwach!)
da ich mir das Recht abspreche, Dich zu halten. Täusche Dich nicht,.
Liebste, es ist nicht die Entfernung, die des Übels Grund ist, im
Gegenteil, gerade in der Entfernung ist mir wenigstens ein Schein des Rechtes
auf Dich gegeben und den halte ich ja fest, soweit sich Unsicheres mit
unsicheren Händen halten läßt.
Gestern abend habe ich übrigens eine Entdeckung gemacht, die schrecklich
sein sollte, die mich aber fast erleichtert hat. Ich kam spät von
Baums nachhause, Dir schreiben wollte ich nicht mehr, trotzdem innerhalb
meiner Launen eine zu geringe Abwechslung ist, als dass es einen Sinn
hätte, einzelne für die Briefe an Dich aufzusparen, und ich hätte
also gut an Dich schreiben und die Wohltat dessen genießen können,
aber ich schrieb nicht, schlafen gehn wollte ich auch nicht, dazu hatte
ich noch zu viel Unbehagen in mir von einem allerdings ganz kleinen Spaziergang
her, den ich gerade mit meinen Verwandten gemacht hatte, die ich nach allzu
frühem Abschied von Max, Frau und Felix im Kaffeehaus abgeholt hatte-und
so nahm ich, weil gerade die Hefte mit meinem Roman vor mir lagen (durch
irgendeinen Zufall waren die solange unbenutzten Hefte in die Höhe
gekommen), diese Hefte vor, las zuerst mit gleichgültigem Vertrauen,
als wüßte ich aus der Erinnerung genau die Reihenfolge des Guten,
Halbguten und Schlechten darin, wurde aber immer erstaunter und kam endlich
zu der unwiderlegbaren Überzeugung, dass als Ganzes nur das erste
Kapitel aus innerer Wahrheit herkommt, während alles andere, mit Ausnahme
einzelner kleinerer und größerer Stellen natürlich, gleichsam
in Erinnerung an ein großes aber durchaus abwesendes Gefühl
hingeschrieben und daher zu verwerfen ist, d.h. von etwa 400 großen
Heftseiten nur 56 (glaube ich) übrig bleiben. Rechnet man zu den 350
Seiten noch die etwa 200 einer gänzlich unbrauchbaren im vorigen Winter
und Frühjahr geschriebenen Fassung der Geschichte, dann habe ich für
diese Geschichte 550 nutzlose Seiten geschrieben. Aber jetzt Gute Nacht,
meine arme Liebste, träume von schönem Dingen als von Deinem
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at