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An Felice Bauer
Nur paar Worte, Liebste, denn es ist schon spät, und ich will noch
ein wenig an die Luft kommen, ehe ich dann zu Max gehe. Ich habe den Tag,
wie es sich gebührt (denn ich gehörte entweder ins Bett oder
nach Dresden), zum größten Teil im Bett verbracht und meine
zwei einzigen, allerdings schrecklichen Abenteuer bestanden darin, dass
mich der Vater aus dem Vormittagsschlaf durch ein wahnsinniges, einförmiges,
ununterbrochenes, immer wieder mit frischer Kraft einsetzendes Geschrei
und Singen und Händeklatschen, mit dem er einen Großneffen belustigte,
allmählich und trotz alles Widerstandes unbedingt in diese trostlose
Welt herausschleppte, während er am Nachmittag das gleiche zur Unterhaltung
seines Enkels ausführte. Du Liebste, es gehört Tugend dazu, um
ein solches Treiben, wenn es einem zwar begreiflich (es ist des Vaters
einzige Freude), im Innersten aber ganz unverständlich ist (die Tänze
der Neger sind mir verständlicher), ohne unkindliche Flüche auszuhalten.
So auf einem zu trommeln! Besonders am Nachmittag, war mir jeder Schrei
wie ein Faustschlag ins Auge. Und dabei zu denken, dass ich vor vielen
Jahren auf die gleiche Weise unterhalten worden bin. Allerdings lag damals
niemand im Nebenzimmer und litt darunter. Und doch, es ist ja vielleicht
gar nicht das Geschrei, das mich so angreift, es gehört überhaupt
Kraft dazu, Kinder in der Wohnung zu ertragen. Ich kann es nicht, ich kann
nicht an mich vergessen, mein Blut will nicht weiter strömen, es ist
ganz verstockt, und dieses Verlangen des Blutes stellt sich ja als Liebe
zu Kindern dar. Ich denke nach, ob ich mir wegen der zeitweiligen Anwesenheit
meines Neffen und meiner Nichte, die ja heranwachsen und immer lauter werden,
nicht irgendwo ein eigenes Zimmer nehmen und von zuhause auswandern soll.
Einmal vor Jahren war ich schon, allerdings aus andern Gründen, ganz
nahe daran, schließlich habe ich mich doch zurückhalten lassen.
Wo bist Du, Liebste, heute? Ich habe Dich ja aus den Augen verloren. Bleibst
Du in Dresden oder fährst Du schon abend zurück? Es war eile
schöner Tag, und im Halbschlaf bin ich oft in Dresden herumgegangen.
In dem darauf folgenden Erwachen habe ich dann aber meine augenblicklichen,
wirklichen oder eingebildeten Leiden (in der Wirkung ist bei genügender
Kraft der Einbildung natürlich kein Unterschied) zusammengezählt
und bin bis zur Zahl 6 gekommen, was genügender Grund zur Verdrießlichkeit
und Kopfhängerei wäre, wenn nicht auf der andern Seite Du, Liebste,
wärest, die Du diesen Leidenskomplex doch ausstehen kannst, wofür
der Dank und gleichzeitig die Strafe nur ein unendlicher Regen von Küssen
sein könnte.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at