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An Felice Bauer

vom 18- zum 19. II. 13
 


Hilf mir, Liebste, ich bitte Dich, das was ich in den letzten Tagen angerichtet habe, wieder in Ordnung zu bringen. Vielleicht ist gar nichts Eigentliches geschehn und Du hättest ohne mein Geschrei nichts davon bemerkt, aber diese Unruhe, mitten in meine Stumpfheit hineingesteckt, treibt mich herum und ich schreibe Unverantwortliches oder fürchte, es jeden Augenblick zu tun. Die falschen Sätze umlauern meine Feder, schlingen sich um ihre Spitze und werden in die Briefe mitgeschleift. Ich bin nicht der Meinung, dass einem jemals die Kraft fehlen kann, das, was man sagen oder schreiben will, auch vollkommen auszudrücken. Hinweise auf die Schwäche der Sprache und Vergleiche zwischen der Begrenztheit der Worte und der Unendlichkeit des Gefühls sind ganz verfehlt. Das unendliche Gefühl bleibt in den Worten genau so unendlich, wie es im Herzen war. Das was im Innern klar ist, wird es auch unweigerlich in Worten. Deshalb muß man niemals um die Sprache Sorge haben, aber im Anblick der Worte oft Sorge um sich selbst. Wer weiß denn aus sich selbst heraus, wie es um einen steht. Dieses stürmische oder sich wälzende oder sumpfige Innere sind ja wir selbst, aber auf dem im geheimen sich vollziehenden Weg, auf dem die Worte aus uns hervorgetrieben werden, wird die Selbsterkenntnis an den Tag gebracht, und wenn sie auch noch immer verhüllt ist, so ist sie doch vor uns und ein herrlicher oder schrecklicher Anblick. Nimm mich also, Liebste, in Schutz vor diesen widerlichen Worten, die ich da in der letzten Zeit aus mir herausbefördert habe. Sag, dass Du alles einsiehst und doch mich lieb behältst. Ich schrieb da letzthin Beleidigendes über die Lasker-Schüler und Schnitzler. Wie sehr hatte ich recht! Aber beide fliegen noch als Engel dahin über die Tiefe, in der ich auf dem Boden liege. Und Maxens Lob! Er lobt ja nicht eigentlich mein Buch, dieses Buch liegt ja vor, das Urteil wäre nachzuprüfen, wenn einer Lust dazu haben sollte; aber er lobt vor allem mich, und das ist das Lächerlichste von allem. Wo bin ich denn? Wer kann mich nachprüfen? Ich wünschte mir eine kräftige Hand nur zu dem Zweck, um in diese unzusammenhängende Konstruktion, die ich bin, ordentlich hineinzufahren. Und dabei ist das, was ich da sage, nicht einmal ganz genau meine Meinung, nicht einmal ganz genau meine augenblickliche Meinung. Wenn ich in mich hineinschaue, sehe ich soviel Undeutliches noch durcheinandergehn, dass ich nicht einmal meinen Widerwillen gegen mich genau begründen und vollständig übernehmen kann.

Liebste, was sagst Du, wenn Du so vor dieser Verwirrung stehst. Ist es nicht für den Zuschauer trauriger und abstoßender als für den, der es erlebt? Unvergleichlich trauriger und abstoßender gewiß. Ich kann mir denken, wie viel Kraft dazu gehört, davor nicht wegzulaufen. Während ich, wie ich eingestehe, dieses alles ganz ruhig niederschreibe.

Franz




Deshalb . . selbst : Vgl. Kafkas Zweifel an der Berechtigung dieses Vertrauens im Brief vom 17.-18. März 1913, S. 341.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at