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An Felice Bauer

vom 10. zum 11.II.13
 


Heute abend war ich wieder bei Brod, und wenn es auch vielleicht ein Fehler war, so lange dort zu bleiben, statt nachhause zu gehn und etwas Vernünftiges zu machen oder mir irgend etwas Vernünftiges vorzutäuschen - so habe ich mich doch dort zu wohl gefühlt, als dass ich, der ich dieses Wohlgefühl bei Menschen so selten habe, mich hätte entschließen können, vom Kanapee aufzustehn und mich bald zu verabschieden. Übrigens war auch Weltsch da, wir haben sehr viel gelacht; jetzt, zwei Stunden später, verstehe ich gar nicht, wie ich lachen konnte, ich kann mich kreuz und quer durchsuchen und finde in mir nicht die Spur eines Anlasses zum Lachen. Worüber habe ich mich dort nur gefreut?

Sophie, die ja sehr liebenswürdig zu nur ist und seit jeher die Gewohnheit hat, während des Gespräches durch Streicheln ud Beider-Hand-Fassen mich, wenn auch ohne böse Absicht, in Verlegenheit zu bringen, hat heute gar nichts von Dir erzählt, da war immer nur die Rede von ihrem Mann, von Telegrammen, Expreßbriefen und Telephongesprächen. "Und Felice?", fragte ich mit den Augen, aber sie verstand mich nicht. Einmal nur wurde von Dir gesprochen, freilich ohne dass es jemand gemerkt hätte. Ich sagte nämlich mitten in einem andern Gespräch zu Sophie: "Was wollte ich Sie nur fragen?" Das wiederholte ich dann, es sah ein wenig blödsinnig aus, mehrere Male, aber ich schien mich wirklich nicht erinnern zu können. Aber was sollte ich auch tun? Ich könnte doch nicht plötzlich losschreien: "Jetzt also Schluß! Jetzt will ich nur noch von Felice hören, sonst nichts." Meine Meinung war es, glaube mir. Ich hatte ja heute Deinen großen Brief (freilich sah ich, während mir beim Lesen das Herz vor Freude und Behaglichkeit klopfte, das schöne Sonntagswetter vor Deinem Fenster und Dich drinnen im Zimmer über den Brief gebeugt) und dadurch war ich auch ein großer Herr, aber große Herren sind eben desto unersättlicher.

Liebste, der großen Frage bist Du ausgewichen. Das Glück der mit Dir gemeinsam zu verbringenden Stunden will ich ja mit keinem Gedanken noch anrühren. Wenn sich alles folgerichtig aus meinem Gefühl, das ich für Dich in meinen besten Stunden habe, ergeben würde, dann wäre Berlin, in dem wir nebeneinander sein werden, nicht in Berlin, sondern in den Wolken. Aber danach sollte ja das Frl. Lindner nicht fragen; sie sollte nur fragen, warum ich, der ich mich mit Briefen so zu Dir dränge, es nicht in Person tue. Und Du solltest ihr einen Teil der Antwort sagen und einen Teil vielleicht verschweigen. Es ist doch so leicht möglich, dass sie fragt. Wirst Du dann bloß sagen und denken: "Ich weiß nicht"?

Deine Schwester Toni habe ich mir nach dem Bild und nach dem, was ich sonst von ihr gehört habe, ganz anders gedacht, als Du sie jetzt beschreibst. Sie schien mir schläfrig, dumpf und traurig, und nun ist sie gar das. Gegenteil. Und ist auch schlagfertig, hat also eine Eigenschaft, die ich ebensosehr bewundere, wie ich vor ihr davonlaufe. Von Deiner Schwester Erna weiß ich noch wenig, nur die schönen Kindergeschichten. - Bitte Liebste, möchtest Du mir nicht für einen Tag Dein Bücherverzeichnis borgen? Dein Zimmer kenne ich jetzt beiläufig, da will ich nun auch ein wenig in Deinen Kasten kriechen.

Franz


[am Rande] Die Adresse auf dem heutigen Brief war undeutlich geschrieben, ich hatte noch nachträglich Angst.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at