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An Felice Bauer
Ich setze mich ein wenig verwirrt zum Schreiben hin, ich habe manches durcheinander
gelesen, es geht ineinander über, und wenn man durch solches Lesen
einen Ausweg für sich zu finden hofft, so täuscht man sich; man
steht an einer Mauer und kann nicht weiter. Dein Leben ist so ganz anders,
Liebste. Hast Du jemals, außer wenn es auf Beziehungen zu Nebenmenschen
ankam, Unsicherheit gekannt, gesehn, wie sich für Dich allein, ohne
Rücksicht auf andere, verschiedene Möglichkeiten hierhin und
dorthin eröffnen und damit eigentlich ein Verbot entsteht, Dich überhaupt
zu rühren. Warst Du jemals, ohne dass Dir nur der flüchtigste
Gedanke an irgendeinen andern gekommen wäre, einfach über Dich
verzweifelt? Verzweifelt um Dich hinzuwerfen und so liegenzubleiben über
alle Weltgerichte hinaus? Wie ist Deine Frömmigkeit? Du gehst in den
Tempel; aber in der letzten Zeit bist Du wohl nicht hingegangen. Und was
hält Dich, der Gedanke an das Judentum oder an Gott? Fühlst Du
- was die Hauptsache ist - ununterbrochene Beziehungen zwischen Dir und
einer beruhigend fernen, womöglich unendlichen Höhe oder Tiefe?
Wer das immer fühlt, der muß nicht wie ein verlorener Hund herumlaufen
und bittend aber stumm herumschaun, der muß nicht das Verlangen haben,
in das Grab zu schlüpfen, als sei es ein warmer Schlafsack und das
Leben eine kalte Winternacht, der muß nicht, wenn er die Treppen
in sein Bureau hinaufgeht, zu sehen glauben, dass er gleichzeitig
von oben, flimmernd im unsichern Licht, sich drehend in der Eile der Bewegung,
kopfschüttelnd vor Ungeduld, durch das ganze Treppenhaus hinunterfällt.
Manchmal, Liebste, glaube ich wirklich, dass ich für den Verkehr
mit Menschen verloren bin. Ich habe doch meine Schwester gewiß lieb,
ich war auch im Augenblick der Einladung ehrlich froh, dass sie mit
mir nach Leitmeritz fahren wollte, ich freute mich, ihr mit der Reise ein
Vergnügen zu machen und für sie ordentlich sorgen zu können,
denn für, jemanden sorgen zu können, ist mein geheimer, ewiger,
vielleicht von niemandem in meiner Umgebung erkannter oder geglaubter Wunsch
- aber als ich mich in Leitmeritz nach 3 oder 4 Stunden gemeinsamer Reise,
gemeinsamer Wagenfahrt, gemeinsamen Frühstücks von ihr verabschiedete,
um zu Gericht zu gehn, war ich glücklich, ich schnappte förmlich
nach Luft, im Alleinsein wurde mir behaglich, wie es mir bei meiner Schwester
niemals gewesen war. Warum Liebste, warum? Ist Dir etwas nur entfernt Ähnliches
mit einem Menschen, den Du liebtest, schon geschehn? Bei durchaus nicht
außergewöhnlichen Umständen, denn wir gingen freundlich
auseinander und kamen dann nach 6 Stunden freundlich wieder zusammen. Und
es war nicht etwas Einmaliges; morgen, übermorgen, wann es sich nur
trifft, wiederholt sich das gleiche. - Liebste, zu Deinen Füßen
liegen und still sein, das wäre das beste.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at