Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

vom 26. zum 27.1.13
 


Ich bin lange über Hebbels Briefen gesessen, und nun ist es spät geworden. Das war ein Mensch, der Leid zu ertragen und Wahrheit auszusprechen verstand, weil er sich eben im Innersten gehalten fühlte. Keine Linie seines Wesens verschwimmt, er zittert nicht, und dabei lebte er von seinem 30ten Jahr ab zwischen 2 Frauen hatte zwei Familien, Tote hier und dort. Er konnte immer wieder den Bericht über irgendetwas, was er getan hatte, mit den Worten einleiten: "Wenn die Ruhe des Gewissens die Probe des Handelns ist,...", wie weit bin ich von solchen Menschen entfernt! Wollte ich auch nur einmal diese Gewissensprobe machen, ich müßte mein Leben mit dem Anblick der Schwankungen dieses Gewissens verbringen. So kehre ich mich lieber weg, will nichts von Überprüfung wissen und nur, wenn die Ahnung dessen, was hinter meinem Rücken vorgeht, zu groß wird, reißt es mich ein wenig nieder.

Natürlich bin ich infolgedessen überall der Schuldige, auch in meinem Verhältnis zu Max. Ich bin aus Liebe, Schwachheit, Feigheit und aus vielen andern zum Teil unkenntlichen Gründen nicht immer ehrlich ihm gegenüber gewesen, in kleinen Dingen war ich es nicht auf Schritt und Tritt, aber selbst in großen Dingen war ich es nicht immer. - Aber es widerstrebt mir, darüber zu schreiben, ich kann nicht, Liebste, heute nicht, sei nicht böse darüber und begreife es.

Sorgen um unser beiderseitiges Verhältnis mußt Du Dir aber gar keine machen, Du hättest uns nur gestern abend, wir waren allein zusammen im Kaffeehaus, lachen sehen sollen, seine Freundschaft zu mir ist unwandelbar, auch meine zu ihm, nur dass der Schwerpunkt dieser Freundschaft in mir allein liegt, so dass ich allein weiß, wenn sie schwankt, und so mit dem Leid, das ich allein daraus erfahre, die Schuld abtragen kann, die ebenso mir allein gehört. Die Bemerkung Maxens, die ich Dir schrieb und die Dir Sorgen machte, war ganz nebenbei gesagt, wie er überhaupt die Gewohnheit hat, vielerlei, was mit ihm gar nicht eigentlich zusammenhängt, ohne Bedenken und dauerndes Verantwortlichkeitsgefühl zu sagen. Du kennst ihn nicht genug und kennst mein übertreibendes, unbeherrschtes Schreiben nicht genug und erschrickst. Ach, es würde mir gebühren, den Schrecken, den ich verursacht habe, mit Küssen aufzulösen!

Franz




Hebbels Briefen:Hebbels Briefe. Ausgewählt und biographisch verbunden von Kurt Küchler. Jena 1908.


Letzte Änderung: 4.5.2016werner.haas@univie.ac.at