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An Felice Bauer
Ich bin lange über Hebbels Briefen gesessen, und
nun ist es spät geworden. Das war ein Mensch, der Leid zu ertragen
und Wahrheit auszusprechen verstand, weil er sich eben im Innersten gehalten
fühlte. Keine Linie seines Wesens verschwimmt, er zittert nicht, und
dabei lebte er von seinem 30ten Jahr ab zwischen 2 Frauen hatte zwei Familien,
Tote hier und dort. Er konnte immer wieder den Bericht über irgendetwas,
was er getan hatte, mit den Worten einleiten: "Wenn die Ruhe des
Gewissens die Probe des Handelns ist,...", wie weit bin ich von solchen
Menschen entfernt! Wollte ich auch nur einmal diese Gewissensprobe machen,
ich müßte mein Leben mit dem Anblick der Schwankungen dieses
Gewissens verbringen. So kehre ich mich lieber weg, will nichts von Überprüfung
wissen und nur, wenn die Ahnung dessen, was hinter meinem Rücken vorgeht,
zu groß wird, reißt es mich ein wenig nieder.
Natürlich bin ich infolgedessen überall der Schuldige, auch in
meinem Verhältnis zu Max. Ich bin aus Liebe, Schwachheit, Feigheit
und aus vielen andern zum Teil unkenntlichen Gründen nicht immer ehrlich
ihm gegenüber gewesen, in kleinen Dingen war ich es nicht auf Schritt
und Tritt, aber selbst in großen Dingen war ich es nicht immer. -
Aber es widerstrebt mir, darüber zu schreiben, ich kann nicht, Liebste,
heute nicht, sei nicht böse darüber und begreife es.
Sorgen um unser beiderseitiges Verhältnis mußt Du Dir aber gar
keine machen, Du hättest uns nur gestern abend, wir waren allein zusammen
im Kaffeehaus, lachen sehen sollen, seine Freundschaft zu mir ist unwandelbar,
auch meine zu ihm, nur dass der Schwerpunkt dieser Freundschaft
in mir allein liegt, so dass ich allein weiß, wenn sie schwankt,
und so mit dem Leid, das ich allein daraus erfahre, die Schuld abtragen
kann, die ebenso mir allein gehört. Die Bemerkung Maxens, die
ich Dir schrieb und die Dir Sorgen machte, war ganz nebenbei gesagt, wie
er überhaupt die Gewohnheit hat, vielerlei, was mit ihm gar nicht
eigentlich zusammenhängt, ohne Bedenken und dauerndes Verantwortlichkeitsgefühl
zu sagen. Du kennst ihn nicht genug und kennst mein übertreibendes,
unbeherrschtes Schreiben nicht genug und erschrickst. Ach, es würde
mir gebühren, den Schrecken, den ich verursacht habe, mit Küssen
aufzulösen!
Franz
Hebbels Briefen:Hebbels Briefe. Ausgewählt
und biographisch verbunden von Kurt Küchler. Jena 1908.
Letzte Änderung: 4.5.2016 werner.haas@univie.ac.at