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An Felice Bauer

Sonntag, 26.1. 13
 


Was ist es, Liebste? Was treibt Dich durch die Gassen? Bist Du wirklich das Mädchen auf dem heutigen Bild, das nicht zu viel und nicht zu wenig lächelt, und das man in jeder Not anschauen wird, um ruhig zu werden. Und Du weinst? Geh! Du behauptest, ich sei durch Dich gestört, während einfach nichts anderes durchbricht als meine Unfähigkeit, die gleiche, die Du schon an Dir erfahren hast, und die Du, Arme, ich fürchte, noch oft genug erfahren wirst. Aber sag mir ganz offen, wie hat sich Dein Leben verändert, seitdem Du mich kennst, sag mir ganz genau und gleich im nächsten Brief, wann Du zuletzt, ehe ich Dir mit meinen Briefen Tränen abzwang, je geweint hast, einzelne Fälle wie Ärger über närrische Tanten, über prügelnswerte Reisende u.s.w. natürlich ausgenommen. Aber was war denn am Freitag? Was war denn das? Waren in meinem Brief versteckte Quälereien, von denen ich selbst nicht weiß? Wirkte ein früherer Brief erst jetzt im bösen Sinne nach? War ich vielleicht gar nicht der Grund? Was war es dann? Überarbeitung? Du bist nicht das Mädchen, das sich ohne ganz bestimmten, augenblicklich wirkenden Grund verwirren läßt. Liebste, sag es mir doch! Denke, Du sprichst zu Dir!

Mein Roman! Ich erklärte mich vorgestern abend vollständig von ihm besiegt. Er läuft mir auseinander, ich kann ihn nicht mehr umfassen, ich schreibe wohl nichts, was ganz außer Zusammenhang mit mir wäre, es hat sich aber in der letzten Zeit doch allzusehr gelockert, Falschheften erscheinen und wollen nicht verschwinden, die Sache kommt in größere Gefahr, wenn ich an ihr weiterarbeite, als wenn ich sie vorläufig lasse. Außerdem schlafe ich seit einer Woche, wie wenn ich auf Wachposten wäre, alle Augenblicke schreckt es mich auf. Die Kopfschmerzen sind zu einer regelmäßigen Einrichtung geworden, und kleinere, wechselnde Nervositäten hören auch nicht auf, an mir zu arbeiten: Kurz, ich höre gänzlich mit dem Schreiben auf und werde vorläufig nur eine Woche, tatsächlich vielleicht viel länger, nichts als ruhn. Gestern abend habe ich nicht mehr geschrieben, und schon habe ich unvergleichlich gut geschlafen. Wüßte ich, dass auch Du Dich ausruhst, würde mir die Ruhe noch viel lieber sein.

Was ist das für ein schönes, leicht gearbeitetes Kleid, das Du auf dem Bilde trägst, und wie verläuft es weiter? Wie stehst Du oder sitzt Du auf dem Bild? Dein rechter Arm ist weg. Das glänzende Ding, ist es das Medaillon? - Aber was helfen die Bilder, auf dem Bild siehst Du frisch aus, hast runde Wangen, klare Augen, bist so wie Deine Mutter und ich Dich haben wollen, und in Wirklichkeit bist Du noch spät abend wach im Bett und weinst.

Von dem Buch "Die Frauen um Nap. [Napoleon]" habe ich schon gehört. Derartig angelegten Büchern glaube ich niemals gern, selbst wenn ich neben der unvermeidlichen Lust, sie zu lesen, auch die Zeit dazu hätte. Solche Untersuchungen leben notwendig von Übertreibungen. Napoleon hat gewiß mit Frauen weniger zu tun gehabt, als ein Beobachter zu sehen glaubt, der sich ausschließlich und für lange Zeit von dem Anblick Napoleons langsam aber sicher aus, aller gewöhnlichen Menschenkenntnis und Welterfahrung in die Höhe ziehen läßt. Ich habe einmal einen merkwürdigen Sektionsbefund über die Leiche Napoleons gelesen, in dem seine Zurückhaltung gegenüber Frauen in einem guten Zusammenhang als eine bekannte Tatsache nur flüchtig erwähnt wird. Dafür spricht trotz des scheinbaren Gegensatzes die Art seiner vor Liebe jammernden Briefe an Josephine, sowie die Roheit seiner Aussprüche in sexuellen Dingen.

Warum denkst Du, dass ich mit Max nicht gut stehe? Wir waren, seit wir einander kennen, das dürfte jetzt schon 10 Jahre her sein, niemals miteinander böse. Schwankungen unterliegt ein solches Verhältnis natürlich auch, wie alles Menschliche, besonders, wenn ich daran irgendwie beteiligt bin. So habe ich mir ihm gegenüber im Laufe der Jahre vieles vorzuwerfen gehabt, er dagegen ist vielleicht gänzlich ohne Schuld. Aber darüber muß ich Dir noch einmal ausführlicher schreiben. Heute nicht, ich würde es nicht richtig darstellen können.

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Gerade jetzt 4 Uhr nachmittag kommt Dein Expreßbrief. Liebste, Liebste, keine unnützen Sorgen! Es geht mir immer 10 mal besser, als ich schreibe, die Feder gleitet eben aus, das ist alles. Was mag ich nur schon wieder für schreckliche Dinge geschrieben haben; da siehst Du, was für ein großer Schriftsteller ich bin, ich will mein liebstes Mädchen beruhigen und rege sie auf. Es ist ein Jammer mit mir, und ich verdiene gar keinen Kuß.

Franz




Die Frauen um Nap. : Gertrude Kircheisen, Die Frauen um Napoleon, München 1912.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at