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An Felice Bauer
Was ist es, Liebste? Was treibt Dich durch die Gassen? Bist Du wirklich
das Mädchen auf dem heutigen Bild, das nicht zu viel und nicht zu
wenig lächelt, und das man in jeder Not anschauen wird, um ruhig zu
werden. Und Du weinst? Geh! Du behauptest, ich sei durch Dich gestört,
während einfach nichts anderes durchbricht als meine Unfähigkeit,
die gleiche, die Du schon an Dir erfahren hast, und die Du, Arme, ich fürchte,
noch oft genug erfahren wirst. Aber sag mir ganz offen, wie hat sich Dein
Leben verändert, seitdem Du mich kennst, sag mir ganz genau und gleich
im nächsten Brief, wann Du zuletzt, ehe ich Dir mit meinen Briefen
Tränen abzwang, je geweint hast, einzelne Fälle wie Ärger
über närrische Tanten, über prügelnswerte Reisende
u.s.w. natürlich ausgenommen. Aber was war denn am Freitag? Was war
denn das? Waren in meinem Brief versteckte Quälereien, von denen ich
selbst nicht weiß? Wirkte ein früherer Brief erst jetzt im bösen
Sinne nach? War ich vielleicht gar nicht der Grund? Was war es dann? Überarbeitung?
Du bist nicht das Mädchen, das sich ohne ganz bestimmten, augenblicklich
wirkenden Grund verwirren läßt. Liebste, sag es mir doch! Denke,
Du sprichst zu Dir!
Mein Roman! Ich erklärte mich vorgestern abend vollständig von
ihm besiegt. Er läuft mir auseinander, ich kann ihn nicht mehr umfassen,
ich schreibe wohl nichts, was ganz außer Zusammenhang mit mir wäre,
es hat sich aber in der letzten Zeit doch allzusehr gelockert, Falschheften
erscheinen und wollen nicht verschwinden, die Sache kommt in größere
Gefahr, wenn ich an ihr weiterarbeite, als wenn ich sie vorläufig
lasse. Außerdem schlafe ich seit einer Woche, wie wenn ich auf Wachposten
wäre, alle Augenblicke schreckt es mich auf. Die Kopfschmerzen sind
zu einer regelmäßigen Einrichtung geworden, und kleinere, wechselnde
Nervositäten hören auch nicht auf, an mir zu arbeiten: Kurz,
ich höre gänzlich mit dem Schreiben auf und werde vorläufig
nur eine Woche, tatsächlich vielleicht viel länger, nichts als
ruhn. Gestern abend habe ich nicht mehr geschrieben, und schon habe ich
unvergleichlich gut geschlafen. Wüßte ich, dass auch Du
Dich ausruhst, würde mir die Ruhe noch viel lieber sein.
Was ist das für ein schönes, leicht gearbeitetes Kleid, das Du
auf dem Bilde trägst, und wie verläuft es weiter? Wie stehst
Du oder sitzt Du auf dem Bild? Dein rechter Arm ist weg. Das glänzende
Ding, ist es das Medaillon? - Aber was helfen die Bilder, auf dem Bild
siehst Du frisch aus, hast runde Wangen, klare Augen, bist so wie Deine
Mutter und ich Dich haben wollen, und in Wirklichkeit bist Du noch spät
abend wach im Bett und weinst.
Von dem Buch "Die Frauen um Nap. [Napoleon]"
habe ich schon gehört. Derartig angelegten Büchern glaube ich
niemals gern, selbst wenn ich neben der unvermeidlichen Lust, sie zu lesen,
auch die Zeit dazu hätte. Solche Untersuchungen leben notwendig von
Übertreibungen. Napoleon hat gewiß mit Frauen weniger zu tun
gehabt, als ein Beobachter zu sehen glaubt, der sich ausschließlich
und für lange Zeit von dem Anblick Napoleons langsam aber sicher aus,
aller gewöhnlichen Menschenkenntnis und Welterfahrung in die Höhe
ziehen läßt. Ich habe einmal einen merkwürdigen Sektionsbefund
über die Leiche Napoleons gelesen, in dem seine Zurückhaltung
gegenüber Frauen in einem guten Zusammenhang als eine bekannte Tatsache
nur flüchtig erwähnt wird. Dafür spricht trotz des scheinbaren
Gegensatzes die Art seiner vor Liebe jammernden Briefe an Josephine, sowie
die Roheit seiner Aussprüche in sexuellen Dingen.
Warum denkst Du, dass ich mit Max nicht gut stehe? Wir waren, seit
wir einander kennen, das dürfte jetzt schon 10 Jahre her sein, niemals
miteinander böse. Schwankungen unterliegt ein solches Verhältnis
natürlich auch, wie alles Menschliche, besonders, wenn ich daran irgendwie
beteiligt bin. So habe ich mir ihm gegenüber im Laufe der Jahre vieles
vorzuwerfen gehabt, er dagegen ist vielleicht gänzlich ohne Schuld.
Aber darüber muß ich Dir noch einmal ausführlicher schreiben.
Heute nicht, ich würde es nicht richtig darstellen können.
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Gerade jetzt 4 Uhr nachmittag kommt Dein Expreßbrief. Liebste, Liebste,
keine unnützen Sorgen! Es geht mir immer 10 mal besser, als ich schreibe,
die Feder gleitet eben aus, das ist alles. Was mag ich nur schon wieder
für schreckliche Dinge geschrieben haben; da siehst Du, was für
ein großer Schriftsteller ich bin, ich will mein liebstes Mädchen
beruhigen und rege sie auf. Es ist ein Jammer mit mir, und ich verdiene
gar keinen Kuß.
Die Frauen um Nap. : Gertrude Kircheisen, Die
Frauen um Napoleon, München 1912.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at