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An Felice Bauer
Sehr spät, Liebste, und doch werde ich schlafen gehn, ohne es zu verdienen.
Nun, ich werde ja auch nicht schlafen, sondern nur träumen. Wie gestern
z. B., wo ich im Traum zu einer Brücke oder einem Quaigeländer
hinlief, zwei Telephonhörmuscheln, die dort zufällig auf der
Brüstung lagen, ergriff und an die Ohren hielt und nun immerfort nichts
anderes verlangte, als Nachrichten vom "Pontus" zu hören,
aber aus dem Telephon nichts und nichts zuhören bekam, als einen traurigen,
mächtigen, wortlosen Gesang und das Rauschen des Meeres. Ich begriff
wohl, dass es für Menschenstimmen nicht möglich war, sich
durch diese Töne zu drängen, aber ich ließ nicht ab und
ging nicht weg.
An meinem Roman schreibe ich seit 3 Tagen ganz wenig, und das wenige mit
Fähigkeiten, die vielleicht gerade zum Holzhacken genügen würden,
aber nicht einmal zum Holzhacken, höchstens zum Kartenspielen. Nun,
ich habe mich eben in letzter Zeit (das ist kein Selbstvorwurf, sondern
nur Selbsttrost) an den Füßen aus dem Schreiben herausgezogen
und muß mich nun wieder mit dem Kopf einbohren.
Liebste, Du weinst? Weißt Du, was das bedeutet? Das bedeutet, dass
Du an mir verzweifelst. Tust Du das wirklich? Nein, Liebste, tu das nicht.
Du hast doch schon die Erfahrung gemacht, dass es mit mir im Kreise
geht. An einer bestimmten, immer wiederkehrenden Stelle stolpere ich und
schreie. Spring nicht hinzu, (kannst Du eigentlich meine Schrift lesen?
Eine etwas verspätete Frage) bring Dich nicht in Verwirrung, ich stehe
schon wieder so aufrecht, als es mir gegeben ist. Nicht weinen, Liebste!
Ich hätte es ja gewußt, dass Du geweint hast, auch wenn
Du es nicht geschrieben hättest, ich plagte Dich ja, wie ein Indianer
seinen Feind, vielleicht auch noch mit meinem gestrigen Brief. Gnade, Liebste,
Gnade! Du meinst vielleicht im geheimen, Liebste, ich hätte mich in
meinen Launen Dir gegenüber, aus Liebe zu Dir, beherrschen können.
Ja, aber weißt Du denn, Liebste, ob ich es nicht doch vielleicht
getan habe und mit aller, freilich lächerlichen, Kraft?
Soll ich nun schlafen gehn oder Dir vorher meine geschäftlichen Einfälle
schreiben. Nein, ich schreibe sie doch noch, es ist um jeden Tag schade,
an dem sie nicht ausgeführt werden. Sieh nur, was für Fortschritte
ich auch darin mache. Letzthin machte ich den Vorschlag, einen Musiksalon
einzurichten, und nun zeigt sich, dass schon 2 seit Jahren in Berlin
bestehn. (dass es aber in jeder größern Stadt einen gibt,
ist wirklich nicht hübsch.) Dann gab ich Dir den Rat wegen der Hotels,
der nun, wie sich herausstellt, erstens schlecht und zweitens veraltet
ist. Immerhin hat man den Versuch erst vor einem ½ Jahr gemacht;
vielleicht sind meine heutigen Vorschläge erst vor einem ¼
Jahr ausgeführt worden, und so nähere ich mich allmählich
der Gegenwart.
Übrigens muß man wegen der Hotels die Hoffnung nicht aufgeben
und sollte es als eifriger Geschäftsmann heute nach Ablauf eines ½
Jahres von neuem versuchen. Haben einzelne Hotels den Parlographen doch
gekauft? Es wäre auch vielleicht gar nicht schlecht spekuliert, einzelnen
Hotels den Parlographen umsonst zur Verfügung zu stellen und dadurch
die andern zur Anschaffung zu zwingen. Die Hotels sind ja im allgemeinen
so konkurrenzwüthig.
Also meine neuen Ideen:
1. Es wird ein Schreibmaschinenbureau eingerichtet, in welchem alles, was
in Lindströms Parlographen diktiert ist, zum Selbstkostenpreis, oder
anfangs zur Einführung vielleicht etwas unter dem Selbstkostenpreis,
in Schreibmaschinenschrift übertragen wird. Das Ganze kann dadurch
vielleicht noch billiger werden, dass man sich mit einer Schreibmaschinenfabrik
zu diesem Zweck in Verbindung setzt, welche gewiß aus Reklame- und
Konkurrenzgründen günstige Bedingungen stellen wird.
2. Es wird ein Parlograph erfunden (kommandier, Liebste, die Werkmeister!),
der das Diktat erst nach Entwurf einer Geldmünze aufnimmt. Solche
Parlographen werden nun überall aufgestellt, wo gegenwärtig Automaten,
Mutoscope und dgl. stehn. Auf jedem solchen Parlographen
wird wie auf den Postkästen die Stunde verzeichnet sein, zu welcher
das Diktierte, in Schreibmaschinenschrift übertragen, der Post übergeben
-,werden wird. Ich sehe schon die kleinen Automobile der Lindström
A.-G., mit welchen die benutzten Walzen dieser Parlographen eingesammelt
und frische Walzen gebracht werden.
3. Man setzt sich mit dem Reichspostamt in Verbindung und stellt solche
Parlographen auf allen größern Postämtern auf.
4. Außerdem werden solche Apparate überall dort aufgestellt,
wo man zwar Zeit und Bedürfnis zum Schreiben, aber nicht die nötige
Ruhe und Bequemlichkeit hat, also in Eisenbahnwaggons, auf Schiffen, im
Zeppelin, in der Elektrischen (wenn man zum Professor fährt). Hast
Du bei Deiner Hotelrundfrage besonders an die Sommerfrischenhotels gedacht,
wo die vor Geschäftsunruhe zappelnden Kaufleute die Parlographen umlagern
würden?
5. Es wird eine Verbindung zwischen dem Telephon und dem Parlographen erfunden,
was doch wirklich nicht so schwer sein kann. Gewiß meldest Du mir
schon übermorgen, dass es gelungen ist. Das hätte natürlich
ungeheure Bedeutung für Redaktionen, Korrespondenzbureaus u.s.w..
Schwerer, aber wohl auch möglich, wäre eine Verbindung zwischen
Grammophon und Telephon. Schwerer deshalb, weil man ja das Grammophon überhaupt
nicht versteht, und ein Parlograph nicht um deutliche Aussprache bitten
kann. Eine Verbindung zwischen Grammoph. und Telephon hätte ja auch
keine so große allgemeine Bedeutung, nur für Leute, die, wie
ich, vor dem Telephon Angst haben, wäre es eine Erleichterung. Allerdings
haben Leute wie ich auch vor dem Grammophon Angst, und es ist ihnen überhaupt
nicht zu helfen. Übrigens ist die Vorstellung ganz hübsch, dass
in Berlin ein Parlograph zum Telephon geht und in Prag ein Grammophon,
und diese zwei eine kleine Unterhaltung miteinander führen. Aber Liebste,
die Verbindung zwischen Parlograph und Telephon muß unbedingt erfunden
werden.
Du, ist aber jetzt schon spät! Ich opfere meine Nächte für
Dein Geschäft. Antworte mir ausführlich, es muß nicht auf
einmal sein, sonst überströme ich von Ideen. Und nicht 2 Briefe
täglich, Liebste! Und ordentlich zu Mittag essen ! Und ruhig sein!
Nicht weinen! Nicht verzweifeln! Mich für einen Narren halten, dessen
Narrheit noch zur Not in Schwebe bleibt! Und nun ernstlich "Gute
Nacht!" und einen Kuß, hilflos vor Liebe.
Franz
Mutoscope: Guckkastenartiger Apparat, in dem Serienbilder
mittels einer Drehvorrichtung schnell durchblättert werden, so dass
der Eindruck entsteht, das abgebildete Objekt bewege sich.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at