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Briefkopf der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt
An Felice Bauer
Liebste, ich danke Dir vielmals für Deinen Brief. Ich war schon ohne
wahren Grund so traurig. Ich bin doch der wankelmütigste Mensch von
allen, die ich kenne, und liebte ich Dich nicht schon ein für allemal,
ich liebte Dich noch überdies deshalb, weil Du Dich vor solchem Wankelmut
nicht fürchtest. Das Beispiel Deiner Tante Klara ist heute gut am
Platz, so oder ähnlich bin auch ich. Nur dass ich keine Tante
bin, von der man solches schon leiden kann. Heute früh vor dem Aufstehn
war ich nach sehr unruhigem Schlaf so traurig, dass ich mich vor Traurigkeit
aus dem Fenster nicht werfen (das wäre für meine Traurigkeit
noch zu lebenslustig gewesen), aber ausgießen hätte wollen.
Nun habe ich aber Deinen Brief und mache Dir, Liebste, in Eile den Vorschlag,
dass wir uns niemals mehr etwas übel nehmen wollen, da wir beide
unverantwortlich sind. Die Entfernung ist so groß, ihr ewiges Überwinden
so quälend, man läßt eben manchmal nach und kann sich im
Augenblick nicht fassen. Und dazu kommt noch meine elende Natur, die nur
dreierlei kennt: Losspringen, zusammenfallen und hinsiechen. Der Wechsel
dieser drei Möglichkeiten macht mein Leben aus. Arme bewunderungswürdige
Liebste, die sich in ein solches Treiben wagt. Ich gehöre Dir ganz
und gar, das kann ich infolge des Überblickes sagen, den ich über
meid 30jähriges Leben habe.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at