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Briefkopf der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt


An Felice Bauer

21.1.13 ½3 nachmittag
 


Liebste, ich danke Dir vielmals für Deinen Brief. Ich war schon ohne wahren Grund so traurig. Ich bin doch der wankelmütigste Mensch von allen, die ich kenne, und liebte ich Dich nicht schon ein für allemal, ich liebte Dich noch überdies deshalb, weil Du Dich vor solchem Wankelmut nicht fürchtest. Das Beispiel Deiner Tante Klara ist heute gut am Platz, so oder ähnlich bin auch ich. Nur dass ich keine Tante bin, von der man solches schon leiden kann. Heute früh vor dem Aufstehn war ich nach sehr unruhigem Schlaf so traurig, dass ich mich vor Traurigkeit aus dem Fenster nicht werfen (das wäre für meine Traurigkeit noch zu lebenslustig gewesen), aber ausgießen hätte wollen.

Nun habe ich aber Deinen Brief und mache Dir, Liebste, in Eile den Vorschlag, dass wir uns niemals mehr etwas übel nehmen wollen, da wir beide unverantwortlich sind. Die Entfernung ist so groß, ihr ewiges Überwinden so quälend, man läßt eben manchmal nach und kann sich im Augenblick nicht fassen. Und dazu kommt noch meine elende Natur, die nur dreierlei kennt: Losspringen, zusammenfallen und hinsiechen. Der Wechsel dieser drei Möglichkeiten macht mein Leben aus. Arme bewunderungswürdige Liebste, die sich in ein solches Treiben wagt. Ich gehöre Dir ganz und gar, das kann ich infolge des Überblickes sagen, den ich über meid 30jähriges Leben habe.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at