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An Felice Bauer

19.1.13
 


Nun bin ich, meine arme Liebste, (wenn es mir schlecht geht, sage ich "arme Liebste", so möchte ich mich am liebsten mit allem Unglück in Dich werfen, Du wahrhaftig arme Liebste, Du), müde wie ein Hühnchen nachhause gekommen, im Kopf nichts als diese Summen der Schläfrigkeit, da gibt es wieder Gesellschaft im Nebenzimmer und statt mich zu legen, um Mitternacht in der Stille aufzustehn, zu essen und Dir dann zu schreiben, irgendein gutes, abbittendes (habe ich etwas abzubitten, Liebste? Ich weiß es nie und glaube es fast immer) ganz und gar einigendes Wort zu schreiben, werde ich, da es nicht anders geht, den Lärm mit dem Nachtmahl verbinden und dann sehr bald, womöglich vor 10 Uhr schlafen gehn.

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So, nun habe ich mich wieder zu Dir gerettet. Noch reden nebenan die Schwester und eine Cousine von ihren Kindern, die Mutter und Ottla reden dazwischen,. der Vater, der Schwager und der Mann der Cousine spielen Karten, da gibt es Gelächter, Hohn, Schreie und Kartenniederschlagen, nur manchmal vom Vater unterbrochen, der seines Enkel imitiert; über allen aber singt der Kanarienvogel, der ganz jung ist, der Valli gehört, vorläufig bei uns lebt und noch Tag und Nacht nicht unterscheiden kann.

Ich habe den Sonntag schlecht verbracht, bin unzufrieden, und der Lärm nebenan ist ein passender Abschluß. Und morgen ist wieder das Bureau, in dem ich Samstag einige besondere Unannehmlichkeiten neben den allgemeinen und unaufhörlichen hatte, und die sich morgen gewiß fortsetzen werden, sobald ich ins Bureau trete. Und bis zum morgigen Abend ist noch so weit! Liebste, ich möchte so gerne Einzelheiten Deiner Bureauarbeit wissen. (Warum bekomme ich übrigens nicht einen Offertbrief? Und wie war das Ergebnis dieser Briefe?) Was will z.B. der Meister, der Dich in die Fabrikräume holt? Wegen welcher Angelegenheiten telephoniert man Dich an? Was fragen die Kleinen? Was für Geschäftswege hast Du? Wer ist der Herr Hartstein? Gibt es schon diesen öffentlichen Phonographensalon in der Friedrichstraße? Wenn nicht, wann wirst Du ihn einrichten? Ich habe übrigens noch einen geschäftlichen Einfall für Dich. In den Hotels sollte man für die Gäste, ebenso wie ein Telephon, auch einen Parlographen bereit halten. Glaubst Du nicht? Such das einmal einzuführen ! Wie wäre ich stolz, wenn das gelingen würde. Ich bekäme dann 1000 andere Einfälle. Und muß ich das nicht, da ich doch in Deinem Bureauzimmer sitzen darf. Ist es da etwas besonderes, wenn ich, nachdem ich den ganzen Tag den Kopf an Deiner Schulter hätte lehnen lassen, am Abend einen kleinen und wahrscheinlich lächerlichen oder längst durchgeführten Geschäftseinfall hätte?

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at