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An Felice Bauer

Sonntag, 19.1.13, nachmittag, schlechte Stunde
 


Liebste, nein, so sollst Du nicht schreiben wie in dem vorletzten Brief. Du streichst es ja in dem heutigen Brief durch, aber es steht nun doch einmal hier, und ich habe es 24 Stunden in mir herumgetragen. Weißt Du denn nicht, wie ich solche Dinge lesen muß? Weißt Du denn nicht, wie schwach und armselig und auf den Augenblick gestellt ich bin? Gar wenn ich, wie heute, schon den 4ten Tag nichts für mich geschrieben. habe. Du ahnst es, Liebste, gewiß, ich könnte mich Dir sonst nicht so nahe fühlen, aber ich schreibe es doch noch besonders auf: Als ich den gestrigen Brief gelesen hatte, sagte ich zu mir: "Also da steht es, nicht einmal für Felice, die dir doch gewiß viel mehr zugute hält als andere Menschen, genügst du an Beständigkeit und Selbstsicherheit. Wenn du aber ihr nicht genügst, wie sollst du auch nur irgendjemandem sonst genügen? Und das, was du damals schriebst und worauf dir Felice hier antwortet, kam dir ja wirklich aus dem Herzen. Du brauchst den Keller, wenn es dir auch z. B. heute scheint, dass nicht einmal der Keller dir nützen würde. Hat Felice diese Notwendigkeit nicht eingesehn? Kann sie sie nicht einsehn? Weiß sie nicht, zu welcher Überfülle von Dingen du unfähig bist? Und weiß sie nicht, dass, wenn du im Keller wohnst, auch dieser Keller bedingungslos ihr gehört? (Wobei man allerdings zugeben muß, dass ein Keller und nichts als ein Keller ein trauriger Besitz ist.)" Liebste, meine Liebste, weißt Du denn das alles nicht? Ja aber Liebste, wenn das so ist, was für Leid werde ich über Dich bringen müssen, selbst wenn alles noch so günstig wird, wie in manchen Träumen? Und je günstiger, desto mehr Leid. Darf ich das? Und selbst wenn die Selbsterhaltung es mir befiehlt? Manchmal fällt die Unmöglichkeit wie eine Welle über die Möglichkeit hin.

Unterschätze, Liebste, nicht die Standhaftigkeit jener chinesischen Frau! Bis zum frühen Morgen - ich weiß gerade nicht, ob die Stunde angegeben wird - wachte sie in ihrem Bett, der Schein der Studierlampe ließ sie nicht schlafen, sie verhielt sich aber ruhig, versuchte vielleicht durch Blicke den Gelehrten vom Buche abzuziehn, aber dieser traurige, ihr doch so ergebene Mann merkte es nicht, nur Gott weiß es, aus wieviel traurigen Gründen er es nicht merkte, über die er eben keine Herrschaft hatte, die aber alle insgesamt im höhern Sinn ihr, wieder nur ihr ergeben waren. Schließlich aber konnte sie sich nicht halten und nahm ihm doch die Lampe weg, was ja schließlich ganz richtig, seiner Gesundheit zuträglich, dem Studium hoffentlich nicht schädlich, der Liebe nützlich war, was ein schönes Gedicht hervorrief und doch alles in allem nur eine Selbsttäuschung der Frau gewesen ist.

Liebste, nimm mich zu Dir, halte mich, laß Dich nicht beirren, die Tage werfen mich hin und her, bringe Dir zum Bewußtsein, dass Du niemals reine Freude von mir haben wirst, reines Leid dagegen soviel man nur wünschen kann, und trotzdem - schick mich nicht fort. Mich verbindet nicht nur Liebe mit Dir, Liebe wäre wenig, Liebe fängt an, Liebe kommt, vergeht und kommt wieder, aber diese Notwendig(keit], mit der ich ganz und gar in Dein Wesen eingehakt bin, die bleibt. Bleibe auch, Liebste, bleibe! Und schreib solche Briefe -,vie den vorletzten nicht mehr.

Ich bin diese Tage von Donnerstag abend an nicht mehr zu meinem Roman gekommen und heute wird es auch nichts mehr werden. Ich werde nachmittag mit Max beisammen sein müssen und mit Werfel, der schon morgen wieder nach Leipzig fährt. Ich habe den Jungen täglich lieber. Gestern habe ich auch mit Buber gesprochen, der persönlich frisch und einfach und bedeutend ist und nichts mit den lauwarmen Sachen zu tun zu haben scheint, die er geschrieben hat. Die Russen endlich gestern abend waren prachtvoll. Der Nijinski und die Kyast sind zwei fehlerlose Menschen, im Innersten ihrer Kunst, und es geht von ihnen die Beherrschung aus wie von allen solchen Menschen.

Aber wie das alles auch sein mag, von morgen abend an rühre ich mich wieder für lange Zeit nicht von zu Hause weg. Ja vielleicht hat gerade dieses Herumbummeln Unruhe über meine Liebste gebracht. Gerade zu jener Zeit, als jener Brief geschrieben wurde, war ich in der Gesellschaft, die sich nach jenem Vortragsabend um Buber und die Eysoldt zusammengefundcn hatte, und benahm mich im Genuß der falschen Lust, einmal von zuhause fort zu sein, genug übertrieben und auffallend. Wenn ich nur schon wieder bei meiner Geschichte säße! Wenn nur die Liebste schon wieder ruhig wäre und entschlossen, das Unglück, das ich ihr verursache und das sie für einen Augenblick auf den Boden gestellt hat, wieder aufzunehmen!

Franz


Was hat die Mutter bei Übergabe des Briefes gesagt? Was schreibt der Vater? Wann übersiedele Ihr? Deine Fragte über die Betrachtung beantworte ich nächstens. Nicht Zwei Tage habe ich gut geschrieben, nur einen. Nur einen in der ganzen Woche! Und da verwehrst Du mir noch den Keller!




Keller:Vgl. Kafkas Brief vom 14. zum 15. Januar 1913, S. 250.


chinesischen Frau: Vgl. Kafkas Brief vom 24. November 1912, S. 119.


Geschichte :Vermutlich ist hier auch wieder der "Roman" der früheren Briefe, der Amerika-Roman, gemeint.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at