Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

vom 11. zum 12.1.13
 


Eben, Liebste, habe ich mir den Kopf zermartert, um, wenn schon nichts anderes, so doch drei Sätze wenigstens zur Begrüßung der Hochzeitsgäste zu finden. Endlich habe ich sie, sie sind trostlos. Ja, wenn ich eine Rede gegen die Gäste halten dürfte, ich müßte sie nicht vorbereiten, sie würde im eiligsten Zusammenhange fließen, und ich getraute mich, die Gäste in der Mehrzahl nicht durch Beschimpfungen, sondern durch Aussprechen meiner wahren und erschreckenden Gefühle aus dem Saal zu treiben. So aber bin ich dazu verurteilt, mich selbst zu vertreiben; nicht ich werde es sein, der dort am Tische sitzen, aufstehn, die drei Schülersätze sagen und das Glas heben wird, das alles wird nur durch meine traurige Gestalt verrichtet werden.

Aber das wollte ich Dir eigentlich nicht schreiben, ich schreibe Dir eigentlich aus Angst. Höre! Steht nicht in meinem gestrigen Brief etwas darin, das Dich stören, kränken oder gar beleidigen könnte? Der Gedanke daran würgt mich. Und dabei weiß ich es gar nicht bestimmt, denn da ich jetzt für mich nicht schreibe, ist mir, als hätte ich den Maßstab für solche Dinge aus der Hand gegeben. Vielleicht ist in der Stelle gar nichts Böses enthalten, immerhin schrieb ich sie schon mit schlechtem Gefühl nieder, und nun scheint es mir gleichzeitig roh und kalt und rücksichtslos und frech. Schicke mir, Liebste, auf jeden Fall zu meiner Beruhigung den Brief zurück, aber nein, schicke ihn nicht zurück. Ach, nun weiß ich gar nicht, was ich will; in was für Zustände bin ich hineingeraten! Ich werde lange zu klettern haben, ehe ich wieder herauskomme. Hätte ich nur Deine Antwort auf den letzten Brief, den Du Sonntag bekommen hast, und bei dessen einer Stelle Du vielleicht in Ärger über mich aus dem Bett gefahren bist. Solltest Du mir, Liebste, böse sein, so verzeihe mir - in meinem gegenwärtigen Zustand ist es keine Schande, das Mitleid anzurufen, mein Zustand ist eine Schande - solltest Du mir schon verziehen haben, nimm diesen Brief als eine verspätete Abbitte, solltest Du auf meiner Seite überhaupt keine Schuld gefunden haben, dann lache mich aus, nichts wird mir lieber sein.

Franz


Eine hübsche Bemerkung meiner jüngsten Schwester: Wie Du ja weißt, liebt sie mich sehr, hält unbesehen alles für gut, was ich sage, tue oder meine, hat aber so viel eigene witzige Vernunft außerdem, dass sie imstande ist, gleichzeitig mich und natürlich auch sich (denn sie ist immer auf meiner Seite) ein wenig auszulachen. Nun bin ich zweifellos und offenbar durch die Hochzeit traurig gemacht, die Schwester muß daher nach ihrer ganzen Stellung zu mir diese Trauer berechtigt finden, wenn sie sie natürlich auch nur zum kleinsten Teile mitfühlen kann. Nun hat heute Abend unsere Wirtschafterin beim Einpacken der Sachen für Valli (die heiratet) zu weinen angefangen und damit auch Valli zu Weinen gebracht. Die ist nun mit verweinten Augen ins Wohnzimmer gekommen; kaum sieht Ottla (das ist jene jüngste Schwester) diese verweinten Augen, ruft sie: "Die ist gescheit, sie weint auch!" Das war halb ernst halb lachend gemeint und sollte bedeuten, dass das Weinen am Platze ist, da es meinem Gefühle entspricht, und dass Valli also gescheit sein muß, wenn sie etwas meinem Gefühl so entsprechendes auch aus eigenem Gefühle tut.

Nun gehe ich aber schlafen, ich will morgen nicht noch zu allem auch verschlafen sein.

Über den Mann aus Cairo bin ich im ersten Augenblick fast erschrocken. Er ist ja gewiß ein guter Deutscher, aber ich sah ihn als Araber mit fliegendem Leintuch im leeren Bureau hinter Dir herjagen. Was nützt mir mein Platz an Deinem Schreibtisch! Besser Nachtwächter in Euerer Fabrik sein, als so ein ferner Liebhaber wie ich.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at