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An Felice Bauer
Eben, Liebste, habe ich mir den Kopf zermartert, um, wenn schon nichts
anderes, so doch drei Sätze wenigstens zur Begrüßung der
Hochzeitsgäste zu finden. Endlich habe ich sie, sie sind trostlos.
Ja, wenn ich eine Rede gegen die Gäste halten dürfte, ich müßte
sie nicht vorbereiten, sie würde im eiligsten Zusammenhange fließen,
und ich getraute mich, die Gäste in der Mehrzahl nicht durch Beschimpfungen,
sondern durch Aussprechen meiner wahren und erschreckenden Gefühle
aus dem Saal zu treiben. So aber bin ich dazu verurteilt, mich selbst zu
vertreiben; nicht ich werde es sein, der dort am Tische sitzen, aufstehn,
die drei Schülersätze sagen und das Glas heben wird, das alles
wird nur durch meine traurige Gestalt verrichtet werden.
Aber das wollte ich Dir eigentlich nicht schreiben, ich schreibe Dir eigentlich
aus Angst. Höre! Steht nicht in meinem gestrigen Brief etwas darin,
das Dich stören, kränken oder gar beleidigen könnte? Der
Gedanke daran würgt mich. Und dabei weiß ich es gar nicht bestimmt,
denn da ich jetzt für mich nicht schreibe, ist mir, als hätte
ich den Maßstab für solche Dinge aus der Hand gegeben. Vielleicht
ist in der Stelle gar nichts Böses enthalten, immerhin schrieb ich
sie schon mit schlechtem Gefühl nieder, und nun scheint es mir gleichzeitig
roh und kalt und rücksichtslos und frech. Schicke mir, Liebste, auf
jeden Fall zu meiner Beruhigung den Brief zurück, aber nein, schicke
ihn nicht zurück. Ach, nun weiß ich gar nicht, was ich will;
in was für Zustände bin ich hineingeraten! Ich werde lange zu
klettern haben, ehe ich wieder herauskomme. Hätte ich nur Deine Antwort
auf den letzten Brief, den Du Sonntag bekommen hast, und bei dessen einer
Stelle Du vielleicht in Ärger über mich aus dem Bett gefahren
bist. Solltest Du mir, Liebste, böse sein, so verzeihe mir - in meinem
gegenwärtigen Zustand ist es keine Schande, das Mitleid anzurufen,
mein Zustand ist eine Schande - solltest Du mir schon verziehen haben,
nimm diesen Brief als eine verspätete Abbitte, solltest Du auf meiner
Seite überhaupt keine Schuld gefunden haben, dann lache mich aus,
nichts wird mir lieber sein.
Franz
Eine hübsche Bemerkung meiner jüngsten Schwester: Wie Du ja weißt,
liebt sie mich sehr, hält unbesehen alles für gut, was ich sage,
tue oder meine, hat aber so viel eigene witzige Vernunft außerdem,
dass sie imstande ist, gleichzeitig mich und natürlich auch sich
(denn sie ist immer auf meiner Seite) ein wenig auszulachen. Nun bin ich
zweifellos und offenbar durch die Hochzeit traurig gemacht, die Schwester
muß daher nach ihrer ganzen Stellung zu mir diese Trauer berechtigt
finden, wenn sie sie natürlich auch nur zum kleinsten Teile mitfühlen
kann. Nun hat heute Abend unsere Wirtschafterin beim Einpacken der Sachen
für Valli (die heiratet) zu weinen angefangen und damit auch Valli
zu Weinen gebracht. Die ist nun mit verweinten Augen ins Wohnzimmer gekommen;
kaum sieht Ottla (das ist jene jüngste Schwester) diese verweinten
Augen, ruft sie: "Die ist gescheit, sie weint auch!" Das war
halb ernst halb lachend gemeint und sollte bedeuten, dass das Weinen
am Platze ist, da es meinem Gefühle entspricht, und dass Valli
also gescheit sein muß, wenn sie etwas meinem Gefühl so entsprechendes
auch aus eigenem Gefühle tut.
Nun gehe ich aber schlafen, ich will morgen nicht noch zu allem auch verschlafen
sein.
Über den Mann aus Cairo bin ich im ersten Augenblick fast erschrocken.
Er ist ja gewiß ein guter Deutscher, aber ich sah ihn als Araber
mit fliegendem Leintuch im leeren Bureau hinter Dir herjagen. Was nützt
mir mein Platz an Deinem Schreibtisch! Besser Nachtwächter in Euerer
Fabrik sein, als so ein ferner Liebhaber wie ich.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at