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An Felice Bauer
Heute Liebste, heute nur paar Worte, es ist spät, ich bin
müde,
war nachmittag gestört und werde es wohl weiterhin paar Tage sein.
Das Schreiben, das ich von keiner Störung angegriffen wissen will
(es leidet ja von innern Störungen übergenug) werde ich ein Woche,
vielleicht noch länger lassen, die einzige Entschädigung wird
längeres Schlafen sein, genügen wird sie mir nicht, aber was
ich heute schreibe gilt überhaupt nicht, denn ich gehöre jetzt
urbedingt ins Bett, außerdem aber gehöre ich unbedingt auch
zu Dir, und so schwanke ich zwischen Euch beiden.
Die arme Liebste schreibt Offertbriefe! Bekomme ich auch einen, trotzdem
ich kein Käufer bin, trotzdem ich mich vielmehr grundsätzlich
vor Parlographen fürchte. Eine Maschine mit ihrer stillen, ernsten
Anforderung scheint mir auf die Arbeitskraft einen viel stärkern,
grausamern Zwang auszuüben als ein Mensch. Wie geringfügig, leicht
zu beherrschen, wegzuschicken, niederzuschreien, auszuschimpfen, zu befragen,
anzustaunen ist ein lebendiger Schreibmaschinist, der Diktierende ist der
Herr, aber vor dem Parlographen ist er entwürdigt und ein Fabriksarbeiter,
der mit seinem Gehirn eine schnurrende Maschine bedienen muß. Wie
werden dem armen, von Natur aus langsam arbeitenden Verstand die Gedanken
in einer langen Schnur abgezwungen! Sei froh, Liebste, dass Du auf
diesen Einwand in Deinem Offertbrief nicht antworten mußt, er ist
unwiderlegbar; dass der Gang der Maschine leicht zu regulieren ist,
dass man sie wegstellen kann, wenn man keine Lust zu diktieren hat
u.s.w., das sind keine Widerlegungen jenes Einwands, denn zum Charakter
des Menschen, der jenen Einwand macht, gehört es ja, dass ihm
das alles nicht helfen kann. An Deinem Prospekt ist mir auf [gefallen],
dass er so schön stolz gehalten ist, nirgends wird gebettelt
wie man das wenigstens in derartigen Prospekten österreich. Fabriken
tut, und es findet sich eigentlich auch kein übermäßiges
Lob. Es ist kein Spaß, dass es mich natürlich weder durch
seinen Wortlaut noch durch seinen Gegenstand, noch durch sein[en] Stil
an Strindberg erinnert hat, den ich fast gar nicht kenne und seit jeher
in einer ganz bestimmten Weise liebe; sonderbar, dass ich Dich mit
meinen ersten Briefen gerade unter dem Eindruck des Totentanzes und der
Gotischen Zimmer angetroffen habe. Warte, nächstens muß ich
Dir einmal etwas über die Erinnerungen an Strindberg
schreiben, die letzthin in der Neuen Rundschau erschienen sind und mich
an einem Sonntag vormittag unter ihrem Eindruck ganz verrückt in meinem
Zimmer haben herum laufenlassen.
Morgen oder übermorgen bekommst Du den Kalender und Flaubert. Der
Kalender, den ich erst jetzt bekommen habe, ist leider bei weitem nicht
so schön, als ich mir ihn gedacht habe, und wollte ich nun jeden Tag
ein Blatt abreißen, zusammenlegen und Dir schicken, wäre es
gar nichts Rechtes mehr. Da nun aber der Kalender einmal da ist und ich
etwas, was für Dich bestimmt war, niemandem andern geben und niemanden
andern sehen lassen will, schicke ich Dir ihn doch. Häng ihn in einen
Winkel! Die ausgleichende Schönheit zu seiner Häßlichkeit
bildet der Flaubert, den ich eigentlich (unnötige Beteuerung!) gern
selbst zwischen Deine Hände legen wollte.
So, nun gehe ich aber im Sturmschritt schlafen, das Wort ist an Dich gerichtet,
Deine Gedanken zu mir herübergezogen, ich bin zufrieden.
Plagst Du Dich nicht zu sehr mit Schreiben an mich, Liebste? Eine Zeile
von Dir macht mir so viel Freude, dass mir fünf Zeilen nicht
mehr Freude machen können.
Franz
Erinnerungen an Strindberg: Ola Hansson, "Erinnerungen
an Strindberg", Die Neue Rundschau, 1912, Nr. Ir, S. 1536
ff. und Nr. 12, S. 1724ff.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at