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An Felice Bauer

vom 5. zum 6. 1. 13 [vermutlich in der Nacht vom 4. zum 5.Januar]
 


Wieder einmal schlecht, ganz schlecht gearbeitet, Liebste! dass es sich nicht ständig halten läßt, sondern sich einem eben wie ein Lebendiges unter den Händen windet!

Denke nur, jetzt kann man sich nicht einmal auf Expreßbriefe mehr verlassen, Dein Expreßbrief kam gestern erst am Abend ins Bureau und ich bekam ihn also erst heute morgen. Wie einem ein solcher Brief das Treppensteigen beschleunigt, wie man sich oben mit ihm ans Fenster drückt (um ¼9 ist es noch recht dunkel), wie man für alle Fragenden, die ein solches Brieflesen als ein Zeichen zum Zusammenströmen ansehn, in den unsichersten Angelegenheiten ein zustimmendes, von allen Sorgen befreites Kopfnicken hat.

Und dann kam der zweite Brief und wir waren in Frankfurt zusammen und umarmten einander, statt wie bisher die Leere des Zimmers. Aber meiner Frage hast Du, Liebste, doch die schlimme Spitze ein wenig abgebogen. Wenn wir mit ihr spielen, spielen wir mit ihr bis zum Ende, Du mußt mich ja sehn, wie ich im Schlechten und im Guten bin, ich habe es leichter, Du unveränderlich Liebe und Gute!

Gerade augenblicklich, um die Wahrheit zu sagen, bin ich in einer unleidlichen Verfassung und das einzige Gute an mir ist der Ärger über mich. Ich habe schlecht geschrieben und die Folge dessen ist eine Art Erstarrung, die mich erfaßt. Ich bin nicht müde, nicht schläfrig, nicht traurig, nicht lustig, ich habe nicht die Kraft, Dich mit meinen Wünschen herzuholen, trotzdem zufällig rechts von mir ein leerer Sessel wie vorbereitet steht, ich bin in einer Umklammerung und kann mich nicht losmachen.

So wäre es auch z. B. in unserer Frankfurter Geschichte. Mir wäre nichts passiert, wie Du annimmst, gar nichts wäre mir passiert, ich würde nur still in meinem Bett liegen, während nach der Uhr auf dem Sessel neben dem Bett der Augenblick unserer Verabredung sich nähern, kommen und vorübergehen würde. Ich hätte keine Entschuldigung, ich hätte gar nichts zu erzählen, nur schuldbewußt wäre ich. Der Eindruck, den ich in einem solchen Zustand auf Dich machte, wäre ähnlich jenem, den manche meiner Briefe auf Dich machen, bei deren Beantwortung Du z.B. mit der Frage beginnst: "Franz, was soll ich nun mit Dir anfangen?"

Quäle ich Dich mit meinem Eigensinn? Aber wie anders als durch Eigensinn kann sich der Eigensinnige von dem Besitz eines unglaublichen, vom Himmel herab ihm gereichten, an einem Augustabend ihm erschienenen Glückes überzeugen?

Franz


Ich weiß nicht, ob Du am Dreikönigstag ins Bureau gehst, darum schicke ich diesen Brief in Deine Wohnung und schreibe morgen noch einen zweiten in Dein Bureau.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at