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An Felice Bauer

vom 2. zum 3.1.1913
 


Sehr spät, meine arme, geplagte Liebste. Ich bin nach nicht allzu schlechter aber allzu kurzer Arbeit wieder lange in meinen Sessel zurückgelehnt dagesessen und nun ist es so spät geworden.

Ich weiß nicht, das Nichtankommen meiner Briefe kann ich gar nicht so ernst nehmen, wenn ich da auch Dein Telegramm vor mir habe und am liebsten mit meinen längsten Schritten nach Berlin gelaufen wäre, um die Sache rasch und mündlich aufzuklären. Aber die Briefe müssen doch noch im Laufe des Nachmittags gekommen sein. Wie wäre es denn möglich, dass zwei zweifellos richtig adressierte, übrigens auch mit Absenderadresse versehene Briefe am gleichen Tage, trotzdem sie in verschiedenen Postsäcken befördert werden mußten, verlorengehen konnten? Das kann ich mir gar nicht denken. Wenn das wirklich geschehen ist, dann ist keine Sicherheit mehr, dann fangen wieder alle Briefe an verlorenzugehn, auch dieser, und nur gerade ein Telegramm findet noch seinen Weg. Und es bleibt der einzige Ausweg, wir werfen die Federn weg und laufen zueinander.

Liebste, ich bitte Dich jedenfalls mit aufgehobenen Händen, sei nicht auf meinen Roman eifersüchtig. Wenn die Leute im Roman Deine Eifersucht merken, laufen sie mir weg, ich halte sie ja sowieso nur an den Zipfeln ihrer Kleidung fest. Und bedenke, wenn sie mir weglaufen, ich müßte ihnen nachlaufen und wenn es bis in die Unterwelt wäre, wo sie ja eigentlich zuhause sind. Der Roman bin ich, meine Geschichten sind ich, wo wäre da, ich bitte Dich, der geringste Platz für Eifersucht. Alle meine Menschen laufen ja, wenn alles sonst in Ordnung ist, Arm in Arm auf Dich zu, um letzten Endes Dir zu dienen. Gewiß würde ich mich auch in Deiner Gegenwart vom Roman nicht losmachen, es wäre arg, wenn ich es könnte, denn durch mein Schreiben halte ich mich ja am Leben, halte mich an jenem Boot, auf dem Du, Felice, stehst. Traurig genug, dass es mir nicht recht gelingen will, mich hinaufzuschwingen. Aber begreife nur, liebste Felice, dass ich Dich und alles verlieren muß, wenn ich einmal das Schreiben verliere.

Wegen meines Buches [Betrachtung] mache Dir keine Sorgen, mein Gerede letzthin war die traurige Laune eines traurigen Abends. Ich glaubte damals, die beste Methode mein Buch Dir angenehm zu machen sei die, Dir dumme Vorwürfe zu machen. Lies es nur bei Gelegenheit und in Ruhe. Wie könnte es Dir schließlich fremd bleiben! Selbst wenn Du Dich zurückhieltest, es müßte Dich an sich reißen, wenn es mein guter Abgesandter ist.

Franz


[Am Rande der Seiten]

Ich weiß gar nicht recht, welcher Brief verlorengegangen sein soll, der von Napoleon und den Kindern oder der von Frankfurt?

Wehe, Liebste, wenn Du einmal in der Nacht aufstehst, um zu schreiben. Wehe!

Mit welcher Kollegin bist Du am 30. nachhause gelaufen?

Frage der Eifersucht: Was sagte Dein Vater über [Brods] "Arnold Beer"?




Boot: Das Boot-Bild bezieht sich offenbar auf die in Kafkas Brief vom 3. Dezember 1912, S. 149f. beschriebene Photographie Felicens.


Buches: Vgl. Kafkas Brief vom 29.-30. Dezember 1912, S. 218 f.


Letzte Änderung: 4.5.2016werner.haas@univie.ac.at