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[Tagebuch, 14. November 1911; Dienstag]

14 XI 11 Dienstag. Gestern bei Max, der von seiner Brünner Vorlesung zurückkam.

Nachmittag beim Einschlafen. Als hätte sich die feste Schädeldecke, die den schmerzlosen Schädel umfaßt tiefer ins Innere gezogen und einen Teil des Gehirnes draußen gelassen im freien Spiel der Lichter und Muskeln.

Erwachen an einem kalten Herbstmorgen mit gelblichem Licht. Durch das fast geschlossene Fenster dringen und noch vor den Scheiben, ehe man fällt, schweben, die Arme ausgebreitet mit gewölbtem Bauch rückwärtsgebogenen Beinen wie die Figuren auf dem Vorderbug der Schiffe in alter Zeit.

Vor dem Einschlafen. Es scheint so arg, Junggeselle zu sein, als alter Mann unter schwerer Wahrung der Würde um Aufnahme zu bitten, wenn man einen Abend mit Menschen verbringen will, sein Essen in einer Hand sich nachhause zu tragen, niemanden mit ruhiger Zuversicht faul erwarten können, nur mit Mühe oder Ärger jemanden beschenken, vor dem Haustor Abschied nehmen, niemals mit seiner Frau sich die Treppen hinaufdrängen zu können, kranksein und nur den Trost der Aussicht aus seinem Fenster haben wenn man sich aufsetzen kann, in seinem Zimmer nur Seitentüren haben die in fremde Wohnungen führen, die Fremdheit seiner Verwandten zu spüren bekommen, mit denen man nur durch das Mittel der Ehe befreundet bleiben kann, zuerst durch die Ehe seiner Eltern, dann wenn deren Wirkung vergeht durch die eigene, fremde Kinder anstaunen müssen und nicht immerfort wiederholen dürfen: Ich habe keine, da keine Familie mit einem wächst ein unveränderliches Altersgefühl haben, sich im Aussehn und Benehmen nach den ein oder zwei Junggesellen unserer Jugenderinnerungen ausbilden. Das alles ist wahr, nur begeht man leicht dabei den Fehler die künftigen Leiden so sehr vor sich auszubreiten, dass der Blick weit über sie hinweggehn muß und nicht mehr zurückkommt, während man doch in Wirklichkeit heute und später selbst dastehen wird, mit einem wirklichen Körper und einem wirklichen Kopf also auch einer Stirn um mit der Hand an sie zu schlagen.

Jetzt eine Skizze zur Einleitung für Richard und Samuel versuchen.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at