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[Tagebuch, 31. Oktober 1911; Dienstag]

31. XI (Oktober 1911) Trotzdem ich heute im Fischerschen Katalog im Inselalmanach in der Rundschau hie und da gelesen habe, bin ich mir jetzt dessen ziemlich bewußt alles entweder fest in mich aufgenommen zu haben oder zwar flüchtig, aber unter Abwehr jeder Schädigung. Und ich würde mir für heute abend wenn ich nicht wieder mit Löwy ausgehn müßte, genug zutrauen.

Vor einer Heiratsvermittlerin, die heute mittag einer Schwester halber bei uns war fühlte ich eine die Augen niederdrückende Verlegenheit aus einigen durcheinander gehenden Gründen. Die Frau hatte ein Kleid, dem Alter, Abgenütztheit und Schmutz einen hellgrauen Schimmer gaben. Wenn sie aufstand, behielt sie die Hände im Schooß. Sie schielte, was scheinbar die Schwierigkeit vermehrte, sie bei seite zu lassen, wenn ich zu meinem Vater hinsehen mußte, der mich einiges über den ausgebotenen jungen Mann fragte. Dagegen verringerte sich meine Verlegenheit wieder dadurch, weil ich mein Mittagessen vor mir hatte und auch ohne Verlegenheit mit dem Herstellen der Mischungen aus meinen 3 Tellern genug beschäftigt gewesen wäre. Im Gesicht hatte sie, wie ich zuerst nur partienweise sah so tiefe Falten, dass ich an das verständnislose Staunen dachte, mit welchem Tiere solche Menschengesichter anschauen müßten. Auffallend körperlich war die kleine besonders im etwas gehobenen Abschluß kantige Nase aus dem Gesicht gesteckt.

Als ich Sonntag nachmittag drei Frauen knapp überholend in Maxens Haus trat dachte ich: Noch gibt es ein, zwei Häuser in denen ich etwas zu tun habe, noch können Frauen, die hinter mir gehn, mich an einem Sonntag nachmittag zu einer Arbeit, einem Gespräch zweckmäßig, eilig, nur ausnahmsweise es von dieser Seite schätzend, in ein Haustor einbiegen sehn. Lange muß das nicht mehr so sein.

Die Novellen von Wilhelm Schäfer lese ich besonders beim lauten Vorlesen mit dem ebenso aufmerksamen Genuß, wie wenn ich mir einen Bindfaden über die Zunge führen würde. Valli konnte ich gestern nachmittag zuerst nicht sehr gut leiden, als ich ihr aber die "Mißgeschickten" geborgt hatte, sie schon ein Weilchen darin las und schon ordentlich unter dem Einfluß der Geschichte sein mußte, liebte ich sie wegen dieses Einflusses und streichelte sie.

Um es nicht zu vergessen, für den Fall, dass mich mein Vater wieder einmal einen schlechten Sohn nennen sollte, schreibe ich mir auf, dass er vor einigen Verwandten ohne besondern Anlaß sei es nun um mich einfach zu drücken, sei es um mich vermeintlich zu retten Max einen "meschuggenen ritoch" nannte und dass er gestern als Löwy in meinem Zimmer war mit ironischem Körperschütteln und Mundverziehn von fremden Leuten sprach, die da in die Wohnung gelassen werden, was an einem fremden Menschen interessieren könne, wozu man so nutzlose Beziehungen anknüpfe u. s. w. - Ich hätte es doch nicht aufschreiben sollen, denn ich habe mich geradezu in Haß gegen meinen Vater hineingeschrieben, zu dem er doch heute keinen Anlaß gegeben hat und der wenigstens wegen Löwy unverhältnismäßig groß ist, im Vergleiche zu dem, was ich als Äußerung meines Vaters niedergeschrieben habe und der sich daran noch steigert, dass ich an das eigentlich Böse im gestrigen Benehmen des Vaters mich nicht erinnern kann.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at