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[Tagebuch, 10. Oktober 1911; Dienstag]

10. X 11 Einen sophistischen Artikel für und gegen die Anstalt in die Tetschner-Bodenbacher Zeitung geschrieben.

Gestern abend auf dem Graben. Mir entgegen drei Schauspielerinnen, die aus der Probe kamen. Es ist so schwer, sich in der Schönheit von 3 Frauen rasch auszukennen, wenn man auch noch 2 Schauspieler ansehn will, die hinter ihnen in dem allzu schwingenden und auch noch beschwingten Schauspielerschritt herankommen. Die zwei, von denen der linke mit seinem jugendlich fetten Gesicht, dem offenen um die starke Gestalt schlagenden Überzieher genug charakteristisch für beide ist, überholen die Damen, der linke auf dem Trottoir, der rechte in der Fahrbahn unten. Der linke faßt seinen Hut hoch oben, greift mit allen 5 Fingern hinein, hebt ihn hoch und ruft (jetzt erst erinnert sich der rechte): Auf Wiedersehn! Gute Nacht! Während aber dieses Überholen und Grüßen die Herren auseinandergebracht hat, gehn die gegrüßten Frauen, wie geführt von der zur Fahrbahn nächsten, die die schwächste und längste, aber auch jüngste und schönste zu sein scheint, ganz unbeirrt mit leichtem ihr abgestimmtes Gespräch kaum unterbrechendem Gruß ihren Weg weiter. Das Ganze schien mir im Augenblick ein starker Beweis dafür zu sein, dass die hiesigen Teaterverhältnisse geordnet und gut geführt sind.

Vorgestern bei den Juden im Cafe Savoy. Die "Sejdernacht" von Feimann. Zu Zeiten griffen wir (im Augenblick durchflog mich das Bewußtsein dessen) nur deshalb in die Handlung nicht ein, weil wir zu erregt, nicht deshalb weil wir bloß Zuschauer waren.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at