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An Hedwig W.

[Prag.] 7.1.1909
 

Geehrtes Fräulein,

Hier sind die Briefe, ich lege auch die heutige Karte bei und habe keine Zeile mehr von Ihnen.

Deshalb darf ich Ihnen sagen, dass Sie mir eine Freude machen würden, durch die Erlaubnis, mit Ihnen zu reden. Es ist Ihr Recht, das für eine Lüge zu halten, doch wäre diese Lüge gewissermaßen zu groß, als dass Sie sie mir zutrauen dürften, ohne hiebei eine Art Freundlichkeit zu zeigen. Dazu kommt noch, dass gerade die Meinung, es handle sich um eine Lüge, Sie notwendig noch aufmuntern müßte, mit mir zu reden, ohne dass ich damit sagen will, meine mögliche Freude über die Erlaubnis könne Sie zu deren Verweigerung bewegen.

Im Übrigen kann Sie (ich hätte Freude, vergessen Sie das nicht) keine Überlegung zwingen. Sie können ja Ekel oder Langweile befürchten, vielleicht fahren Sie schon morgen weg, es ist auch möglich, dass Sie diesen Brief gar nicht gelesen haben.

Sie sind für morgen mittag bei uns eingeladen, ich bin kein Hindernis für die Annahme der Einladung, ich komme immer erst um ¼3 Uhr nach Hause; wenn ich höre, dass Sie kommen sollen, bleibe ich bis ½4 weg; es ist übrigens auch schon vorgekommen und man wird sich nicht wundern.

F. Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at