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[Prag, Stempel: 15. 7. 09]

[An.] Herrn Dr. Max Brod Prag Schalengasse 1


Liebster Max, nicht weil es an und für sich unaufschieblich gesagt werden muß, aber weil es doch immerhin auf Deine Frage eine Antwort ist, für deren Gegenantwort der gestrige Weg schon zu kurz geworden war. (Nicht "gestrig", es ist nämlich ¼3 in der Nacht.) Du sagtest sie liebt mich. Warum das? War das Spaß oder Ernst des Verschlafenseins? Sie liebt mich und es fällt ihr nicht ein zu fragen mit wem ich in Stechowitz gewesen bin, was ich so mache, warum ich an einem Wochentag einen Ausflug nicht machen kann u.s.w. In der Bar war vielleicht nicht genug Zeit, aber auf dem Ausflug war Zeit und was Du willst und doch war ihr jede Antwort gut genug. Aber alles kann man scheinbar widerlegen, bei dem Folgenden aber kann man eine Widerlegung gar nicht versuchen: Ich hatte in D. Angst davor die Weltsch zu treffen und sagte es ihr, worauf sie sofort auch Angst hatte, für mich Angst hatte, die Weltsch zu treffen. Daraus ergibt sich eine einfache geometrische Zeichnung. Wie sie zu mir steht, das ist die größte Freundlichkeit, so entwicklungsunfähig als nur möglich und von der höchsten wie von der geringsten Liebe gleich weit entfernt, da sie etwas ganz anderes ist. Mich brauche ich natürlich gar nicht in die Zeichnung zu mischen, soll sie klar bleiben.

    Jetzt habe ich mir den Schlaf ganz verdient.

Dein Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


die Weltsch: Entweder Lise Weltsch (1889-1974) (später Frau Kaznelson), Schwester von Robert Weltsch, oder Betty Weltsch, Schwester von Kafkas engerem Freund Felix.


die Zeichnung: Diese zum Brief gehörige Zeichnung ist vom Briefbogen fast vollständig entfernt worden.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at