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An Hedwig W.
Liebe, einmal im Bureau bei Schreibmaschinenmusik, in Eile und mit graziösen
Fehlern. Ich hätte Dir ja längst schon für Deinen Brief
danken sollen und jetzt ist es wieder schon so spät. Aber ich glaube,
Du hast mir schon für immer in solchen Dingen verziehen, denn wenn
es mir gut geht, dann schreibe ich schon - es ist schon lange her und ich
hatte es damals nicht nötig - sonst langsam. Und wie gut Du mich auch
in Deinem Brief behandelt hast, so hast Du doch versäumt, mir ein
Kompliment zu machen, wegen der Energie, mit der ich meinen Kopf so gerne
in irgend einen Straßenboden graben und nicht wieder herausziehen
wollte. Ich habe bisher, wenn auch in Pausen, doch rechtmäßig
gelebt, denn es ist in gewöhnlicher Zeit nicht zu schwer, sich eine
Sänfte zu konstruieren, die man von guten Geistern über die Straße
getragen werden fühlt. Bricht dann, (so wollte ich weiterschreiben,
aber es war schon 8¼ und ich ging nachhause) bricht dann aber ein
Hölzchen, gar bei schlechterem Wetter, so steht man auf der Landstraße,
kann nichts mehr zusammenbringen und ist noch weitvon der gespenstischen
Stadt, in die man wollte. Erlaube mir, solche Geschichten über mir
zusammenzuziehen, wie ein Kranker Tücher und Decken über sich
wirft.
Das war schon längst geschrieben, da kam heute Dein Brief, Liebe.
Mag jetzt die dritte Schrift anfangen, eine von dreien wird doch vielleicht
das aufgeregte überreizte Kind beruhigen können. Nicht wahr,
jetzt setzen wir uns unter diese Dreischriftfahne blau braun schwarz und
sagen zusammen dieses auf und geben acht, dass jedes Wort sich deckt:
"Das Leben ist ekelhaft". Gut, es ist ekelhaft, aber es ist
nicht mehr so arg, wenn man es zu zweien sagt, denn das Gefühl, das
einen zersprengt, stößt an den andern, wird durch ihn gehindert,
sich auszubreiten, und sicher sagt man: "Wie hübsch sie "ekelhaftes
Leben" sagt und mit dem Fuß aufstampft dabei". Die Welt ist
traurig, aber doch gerötet traurig, und ist lebhafte Trauer von Glück
so weht
Weißt Du, ich hatte eine abscheuliche Woche, im Bureau überaus
viel zu tun, vielleicht wird das jetzt immer so sein, ja man muß
sich sein Grab verdienen, und auch anderes kam noch dazu, was ich Dir später
einmal sagen werde, kurz man hat mich herumgejagt wie ein wildes Tier,
und da ich das gar nicht bin, wie müde mußte ich sein. Ich paßte
vorige Woche wirklich in diese Gasse, in der ich wohne und die ich nenne
"Anlaufstrasse für Selbstmörder", denn diese Straße
führt breit zum Fluß, da wird eine Brücke gebaut, und das
Belvedere auf dem andern Ufer, das sind Hügel und Gärten, wird
untertunelliert werden, damit man durch die Straße über die
Brücke, unter dem Belvedere spazieren kann. Vorläufig aber steht
nur das Gerüst der Brücke, die Straße führt nur zum
Fluß. Aber das ist alles nur Spaß, denn es wird immer schöner
bleiben, über die Brücke auf das Belvedere zu gehn, als durch
den Fluß in den Himmel.
Deine Lage verstehe ich; es ist ja närrisch, was Du zu lernen hast
und Du darfst nervös werden, ohne dass man Dir jemals nur mit
einem Wort einen Vorwurf machen dürfte. Aber schau, immerhin Du kommst
doch sichtbar vorwärts, Du hast ein Ziel, das Dir nicht entlaufen
kann wie ein Mädchen und das Dich doch jedenfalls, auch wenn Du Dich
wehren wirst, glücklich machen wird; ich aber werde ein ewiger Brummkreisel
bleiben und ein paar Leuten, die mir vielleicht nahe kommen werden, das
Trommelfell ein Weilchen quälen, sonst nichts.
Es hat mich sehr gefreut, dass in Deinem Brief ein offenbarer Fehler
vorkommt, den Du selbst gleich zugeben mußt, denn diese Woche ist
nur ein Feiertag bei uns, der andere muß ein niederösterreichisches
Glück sein; in diesen Sachen darfst Du mit mir nicht streiten, denn
ich kenne alle Feiertage schon auswendig bis Anfang Mai. In allem andern
darfst Du mit mir streiten oder noch ärger, Du kannst mir sogar den
Streit verweigern, aber ich bitte Dich noch hier am Rande, tue es nicht.
Dein Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at