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Brief an Max Brod

[Prag, etwa März/April 1908]


Mein lieber Max,

möchtest Du Dich nicht morgen, Mittwochabends, von mir abholen lassen; Du wirst Dich doch auch von Přibram verabschieden und so könntest Du es gut machen. Aus meiner Bewußtlosigkeit in der Nacht am Samstag bin ich schon herausgekommen, Du kennst das nicht, es ist natürlich auch das daran schuld, dass ich schon so lange nicht in Gesellschaft gewesen bin, aber nicht nur das, dem wäre zu helfen; genau so ist mir auch damals im "London" gewesen, bei der Josci und Maltschi. Sonntag aber war ich wieder hoch. Ich war beim "Vize admiral" und ich behaupte, dass man, wenn ein Stück geschrieben werden muß, nur bei Operetten lernen kann. Und selbst wenn es einmal oben gleichgültig und ohne Ausweg wird, fängt unten der Kapellmeister etwas an, hinter der Meerbucht schießen Kanonen aller Systeme ineinander, die Arme und Beine des Tenors sind Waffen und Fahnen und in den vier Winkeln lachen die Choristinnen, auch hübsche, die man als Seeleute angezogen hat.

    Übrigens werde ich auch, wenn Du morgen kommen willst und mir so schreibst, Dir meinen neuen Überzieher zeigen, wenn er fertig sein wird und wir Mondschein haben.

Dein Franz        
 



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


beim "Vice admiral": Der Vice-Admiral, Operette (1886) von Karl Millöcker.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at