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An Hedwig W.

[Prag, Anfang September 1907]
 

Liebste,

sie haben mir die Tinte genommen und schlafen schon. Erlaube es dem Bleistift, dass er Dir schreibt, damit alles, was ich habe, irgendwie Teil an Dir hat. Wärst Du nur hier in diesem leeren Zimmer, in dem nur zwei Fliegen oben Lärm machen und ein wenig das Glas, könnte ich Dir ganz nahe sein und meinen Hals an Deinen legen.

So aber bin ich unglücklich bis in Verwirrung hinein. Ein paar kleine Krankheiten, ein wenig Fieber, ein wenig gestörte Erwartung hatten mich für zwei Tage ins Bett gelegt, da habe ich einen niedlichen Fieberbrief an Dich geschrieben, den ich freilich an diesem schönen Sonntag über der Fensterbrüstung zerrissen habe, denn Du Arme, Liebe hast Aufregungen genug. Nicht wahr, Du hast viel geweint in vielen Stunden in der Nacht, während ich bei Sternenlicht in den Gassen herumgelaufen bin, um alles für Dich vorzubereiten (bei Tag mußte ich lernen), da ist es am Ende gleichgültig, ob man eine Gasse weit von einander wohnt oder eine Provinz. Wie verschieden war alles um uns. Da bin ich sicher Donnerstag früh am Bahnhof gestanden, dann Donnerstag nachmittag (der Zug kommt nicht um ½3, erst um 3 und hatte ¼h Verspätung) und Du hast in Triesch gezittert und dann jenen Brief geschrieben, den ich Freitag bekommen habe, worauf ich nichts Besseres zu tun wußte, als mich ins Bett zu legen. Das ist nicht schlimm, denn ohne mich aufrechtzusetzen sehe ich vom Bett aus das Belvedere, grüne Abhänge.

Nun am Ende ist nichts anderes geschehn, als dass wir ein bischen zwischen Prag und Wien eine Quadrillefigur getanzt haben, bei der man vor lauter Verbeugungen nicht zu einander kommt, wenn man es auch noch so wollte. Aber endlich müssen auch die Rundtänze kommen.

Mir geht es gar nicht gut. Ich weiß nicht, wie es werden wird. Wenn man jetzt früh aufsteht und einen schönen Tag beginnen sieht, dann ist es zu ertragen, aber später -

Ich schließe die Augen und küsse Dich

Dein Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at