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An Hedwig W.
Du, Liebe, ich bin müde und vielleicht bin ich ein wenig krank.
Jetzt habe ich das Geschäft aufgemacht und versuche dadurch, dass
ich im Bureau Dir schreibe, dieses Bureau ein bischen freundlicher zu machen.
Und alles, was um mich ist, unterliegt Dir. Der Tisch preßt sich
fast verliebt an das Papier, die Feder liegt in der Senkung zwischen Daumen
und Zeigefinger, wie ein bereitwilliges Kind, und die Uhr schlägt
wie ein Vogel.
Ich aber glaube, ich schreibe Dir aus einem Krieg oder sonst woher aus
Ereignissen, die man sich nicht gut vorstellen kann, weil ihre Zusammensetzung
zu ungewöhnlich und ihr Tempo das unbeständigste ist. Verwickelt
in die peinlichsten Arbeiten trage ich so abend
11 Uhr
jetzt ist der lange Tag vergangen und er hat, trotzdem er dessen nicht
würdig ist, diesen Anfang und dieses Ende. Aber im Grunde hat sich,
seitdem man mich unterbrochen hat, nichts geändert, und trotzdem jetzt
links von mir die Sterne des offenen Fensters sind, läßt sich
der beabsichtigte Satz vollenden.
- - trage ich so von dem einen festen Entschluß meine Kopfschmerzen
zum andern, ebenso festen, aber entgegengesetzten. Und alle diese Entschlüsse
beleben sich, bekommen Ausbrüche der Hoffnung und eines zufriedenen
Lebens, diese Verwirrung der Folgen ist noch ärger, als die Verwirrung
der Entschlüsse. Wie Flintenkugeln fliege ich aus einem ins andere
und die versammelte Aufregung, die in meinem Kampf Soldaten, Zuschauer,
Flintenkugeln und Generäle unter einander verteilen, bringt mich allein
ins Zittern.
Du aber willst, ich soll Dich gar nicht entbehren, ich soll durch einen
großen Spaziergang meiner Gefühle sie ermüden und zufrieden
machen, während Du Dich fortwährend aufstörst und im Sommer
Dir den Pelz anziehst nur deshalb, weil im Winter Kälte möglich
ist.
Übrigens habe ich keine Geselligkeit, keine Zerstreuung; die Abende
über bin ich im kleinen Balkon über dem Fluß, ich lese
nicht einmal die Arbeiterzeitung und ich bin kein guter Mensch. Vorjahren
habe ich einmal dieses Gedicht geschrieben.
Und die Menschen gehn in Kleidern
Und so habe ich nicht einmal jenes Interesse an den Menschen, welches Du
verlangst.
Du siehst, ich bin ein lächerlicher Mensch; wenn Du mich ein wenig
lieb hast, so ist es Erbarmen, mein Anteil ist die Furcht. Wie wenig nützt
die Begegnung im Brief, es ist wie ein Plätschern am Ufer, zweier
durch eine See Getrennter. Über die vielen Abhänge aller Buchstaben
ist die Feder geglitten und es ist zu Ende, es ist kühl und ich muß
in mein leeres Bett.
Dein Franz
Hedwig(Br) Kafka lernte das Mädchen, Hedwig
Weiler, in Triesch (tschechisch: Trešt), einem kleinen Landstädtchen
bei Iglau (Jihlava) im Mähren kennen, wo er bei seinem Onkel Dr. Siegfried
Löwy, dem "Landarzt", zur Sommerfrische weilte.
(BKB) Die damals 19jährige Hedwig Weiler (1887-1953), die in Wien
studierte, hielt sich in Triesch bei Verwandten auf. Über die Beziehung,
die sich zwischen den beiden entspann und bis Ende 1908 dauerte, geben
Kafkas Briefe an sie Auskunft (Br 39-65). Sie hat sich später - als
Dr. Hedwig Herzka - vor allem der Förderung der zionistischen Jugend
in Österreich gewidmet.
sitzen wir gebeugten Rückens
auf den Bänken in dem Grünen.
Unsere Arme hängen nieder,
unsere Augen blinzeln traurig.
schwankend auf dem Kies spazieren
unter diesem großen Himmel,
der von Hügeln in der Ferne
sich zu fernen Hügeln breitet.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at