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[An Oskar Pollak]
[Liboch, vermutlich August 1902]
Gerade gegenüber dem Weinberg an der Landstraße tief im Tal steht ein kleines Häuschen, das erste und letzte vom Dorf. Nicht viel ist daran. Unter Brüdern ist es allerhöchstens 1000 miserable Gulden wert. Und was vielleicht noch schlimmer ist, nicht einmal Schultze-Naumburg könnte es brauchen, höchstens als abschreckendes Beispiel. Wahrscheinlich bin ich, den Besitzer mit eingeschlossen, der einzige, der es lieb hat und seine Träume darum zieht. Klein ist es und niedrig. Ja nicht einmal alt. Ja im Gegenteil, fünf bis zehn Jährchen zu höchst. Ein Ziegeldach. Eine kleine Tür, durch die man wohl nur kriechen kann, und zu Seite zwei Fenster. Alles symmetrisch, wie aus einem Lehrbuch gekrochen. Aber - die Tür ist aus schwerem Holz, braun angestrichen, die Fensterläden sind braun angestrichen und stets zu, ob Sonne oder Regen. Und dabei ist das Haus doch bewohnt. Und vor der Tür ist eine schwere breite Steinbank, die scheint fast alt zu sein. Und kommen nun einmal drei Handwerksburschen des Wegs mit Stöcken in der Hand und dem allzuleichten Ränzel auf dem Rücken und setzen sich dort nieder um auszuruhn und wischen sich den Schweiß von der Stirn und stecken dann die Köpfe zusammen - das alles kann ich ganz gut von oben sehn - dann ist es wie ein liebes altes stilles deutsches Märchen.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |