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Als ich Samstag mit Dir ging, da ist es mir klar geworden, was
wir brauchen. Doch schreibe ich Dir erst heute, denn solche Dinge
müssen liegen und sich ausstrecken. Wenn wir miteinander
reden: die Worte sind hart, man geht über sie wie über
schlechtes Pflaster. Die feinsten Dinge bekommen plumpe
Füße und wir können nicht dafür. Wir sind
einander fast im Wege, ich stoße mich an Dir und Du - ich
wage nicht, und Du - . Wenn wir zu Dingen kommen, die nicht gerade
Straßensteine oder "Kunstwart" sind, sehn wir
plötzlich, dass wir Maskenkleider mit Gesichtslarven
haben, mit eckigen Gesten agieren (ich vor allem, ja) und dann
werden wir plötzlich traurig und müde. Warst Du schon
mit jemandem so müde wie mit mir? Du wirst oft erst recht
krank. Dann kommt mein Mitleid und ich kann nichts tun und nichts
sagen und es kommen krampfhafte, läppische Worte heraus, die
Du beim nächsten besten bekommst und besser bekommst, dann
schweige ich und Du schweigst und Du wirst müde und ich werde
müde und alles ist ein dummer Katzenjammer und es lohnt
nicht, die Hand zu rühren. Aber keiner will es dem andern
sagen aus Scham oder Furcht oder - Du siehst, wir fürchten
einander, oder ich -.
Ich verstehe es ja, wenn man jahrelang vor einer häßlichen Mauer steht und sie so gar nicht
abbröckeln will, dann wird man müde. Ja aber sie
fürchtet für sich, für den Garten (wenn einer), Du
aber wirst ärgerlich, gähnst, bekommst Kopfschmerzen,
kennst Dich nicht aus.
Du mußt doch gemerkt haben, immer wenn wir nach längerer
Zeit einander sehn, sind wir enttäuscht, verdrießlich,
bis wir uns an die Verdrießlichkeit gewöhnt haben. Wir
müssen dann Worte vorhalten, damit man das Gähnen nicht
sieht.
Ich konnte nicht wissen, dass Du auch die letzte Seite lesen
wirst und so habe ich dieses Eigentümliche hergekritzelt,
obwohl es nicht zum Brief gehört.
Wir reden drei Jahre miteinander, da unterscheidet man bei manchen
Dingen nicht mehr das Mein und Dein. Ich könnte oft nicht
sagen, was aus mir oder aus Dir ist, und Dir wird es vielleicht
auch so gehn.
Nun bin ich wunderbar froh, dass Du mit dem Mädchen
umgehst. Deinetwegen, mir ist sie gleichgültig. Aber Du
sprichst oft mit ihr, nicht nur des Sprechens wegen. Da kann es
geschehn, Du gehst mit ihr irgendwo da oder dort oder in Rostok
und ich sitze am Schreibtisch zu Hause. Du sprichst mit ihr und
mitten im Satz springt einer auf und macht eine Verbeugung. Das
bin ich mit meinen unbehauenen Worten und viereckigen Mienen. Das
dauert einen Augenblick und schon sprichst Du weiter. Ich sitze am
Schreibtisch zu Hause und gähne. Mir ist es schon so
gegangen. Kämen wir da nicht von einander los? Ist das nicht
seltsam? Sind wir Feinde? Ich habe Dich sehr lieb.
Oskar Pollak: Oskar Pollak war Franz Kafkas Mitschüler im Gymnasium. Die Freundschaft setzte sich auch noch in den Jahren des
Hochschulstudiums eine Zeitlang fort. - Oskar Pollak, 1883 in Prag
geboren, studierte zuerst Chemie, dann Philosophie,
Archäologie und endgültig Kunstwissenschaft, ging als
Kunsthistoriker nach Rom, arbeitete vor allem über
römisches Barock. Aus seinem Nachlaß erschien in den
"Quellenschriften zur Geschichte der Barockkunst in Rom" ein Werk
"Die Kunsttätigkeit unter Urban VIII." (Wien, 1928 - 31). Bei
Kriegsausbruch meldete er sich als Freiwilliger und fiel als
Fähnrich am 11. Juni 1915 am Isonzo. Die hier
veröffentlichen Briefe Kafkas fanden sich im Nachlaß
Oskar Pollaks, wo Max Brod sie im Einvernehmen mit der Witwe Pollaks
studieren konnte: "Einiges Unwesentliche, dem Umfang nach sehr
wenig, habe ich bei der ersten Publikation der Briefe Kafkas 1937
weggelassen und kann es leider jetzt nicht mehr ergänzen, da
die Originalbriefe während der Besetzung Prags wahrscheinlich
verlorengegangen sind."
Kunstwart: Kunstwart - Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben.
Herausgegeben von Ferdinand Avenarius. 1887 ff.
Rostok: Villenort in der Nähe Prags.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |