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[An Oskar Pollak]
[Prag, 4. Februar 1902; Dienstag]

Als ich Samstag mit Dir ging, da ist es mir klar geworden, was wir brauchen. Doch schreibe ich Dir erst heute, denn solche Dinge müssen liegen und sich ausstrecken. Wenn wir miteinander reden: die Worte sind hart, man geht über sie wie über schlechtes Pflaster. Die feinsten Dinge bekommen plumpe Füße und wir können nicht dafür. Wir sind einander fast im Wege, ich stoße mich an Dir und Du - ich wage nicht, und Du - . Wenn wir zu Dingen kommen, die nicht gerade Straßensteine oder "Kunstwart" sind, sehn wir plötzlich, dass wir Maskenkleider mit Gesichtslarven haben, mit eckigen Gesten agieren (ich vor allem, ja) und dann werden wir plötzlich traurig und müde. Warst Du schon mit jemandem so müde wie mit mir? Du wirst oft erst recht krank. Dann kommt mein Mitleid und ich kann nichts tun und nichts sagen und es kommen krampfhafte, läppische Worte heraus, die Du beim nächsten besten bekommst und besser bekommst, dann schweige ich und Du schweigst und Du wirst müde und ich werde müde und alles ist ein dummer Katzenjammer und es lohnt nicht, die Hand zu rühren. Aber keiner will es dem andern sagen aus Scham oder Furcht oder - Du siehst, wir fürchten einander, oder ich -.
Ich verstehe es ja, wenn man jahrelang vor einer häßlichen Mauer steht und sie so gar nicht abbröckeln will, dann wird man müde. Ja aber sie fürchtet für sich, für den Garten (wenn einer), Du aber wirst ärgerlich, gähnst, bekommst Kopfschmerzen, kennst Dich nicht aus.
Du mußt doch gemerkt haben, immer wenn wir nach längerer Zeit einander sehn, sind wir enttäuscht, verdrießlich, bis wir uns an die Verdrießlichkeit gewöhnt haben. Wir müssen dann Worte vorhalten, damit man das Gähnen nicht sieht.

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Ich habe Angst bekommen, dass Du den ganzen Brief nicht verstehst, was will er? Ohne Schnörkel und Schleier und Warzen: Wenn wir miteinander reden, sind wir behindert durch Dinge, die wir sagen wollen und nicht so sagen können, sondern so herausbringen, dass wir einander mißverstehen, gar überhören, gar auslachen (ich sage: der Honig ist süß, aber ich sage es leise oder dumm oder schlecht stilisiert und Du sagst: Heute ist schönes Wetter. Das ist schon eine schlechte Gesprächswendung), da wir das fortwährend versuchen und es niemals gelingt, so werden wir müde, unzufrieden, hartmäulig. Wenn wir es zu schreiben versuchten, würden wir leichter sein, als wenn wir miteinander reden, - wir könnten ganz ohne Scham von Straßensteinen und "Kunstwart" reden, denn das Bessere wäre in Sicherheit. Das will der Brief. Ist das ein Einfall der Eifersucht?

Ich konnte nicht wissen, dass Du auch die letzte Seite lesen wirst und so habe ich dieses Eigentümliche hergekritzelt, obwohl es nicht zum Brief gehört.
Wir reden drei Jahre miteinander, da unterscheidet man bei manchen Dingen nicht mehr das Mein und Dein. Ich könnte oft nicht sagen, was aus mir oder aus Dir ist, und Dir wird es vielleicht auch so gehn.
Nun bin ich wunderbar froh, dass Du mit dem Mädchen umgehst. Deinetwegen, mir ist sie gleichgültig. Aber Du sprichst oft mit ihr, nicht nur des Sprechens wegen. Da kann es geschehn, Du gehst mit ihr irgendwo da oder dort oder in Rostok und ich sitze am Schreibtisch zu Hause. Du sprichst mit ihr und mitten im Satz springt einer auf und macht eine Verbeugung. Das bin ich mit meinen unbehauenen Worten und viereckigen Mienen. Das dauert einen Augenblick und schon sprichst Du weiter. Ich sitze am Schreibtisch zu Hause und gähne. Mir ist es schon so gegangen. Kämen wir da nicht von einander los? Ist das nicht seltsam? Sind wir Feinde? Ich habe Dich sehr lieb.


Oskar Pollak: Oskar Pollak war Franz Kafkas Mitschüler im Gymnasium. Die Freundschaft setzte sich auch noch in den Jahren des Hochschulstudiums eine Zeitlang fort. - Oskar Pollak, 1883 in Prag geboren, studierte zuerst Chemie, dann Philosophie, Archäologie und endgültig Kunstwissenschaft, ging als Kunsthistoriker nach Rom, arbeitete vor allem über römisches Barock. Aus seinem Nachlaß erschien in den "Quellenschriften zur Geschichte der Barockkunst in Rom" ein Werk "Die Kunsttätigkeit unter Urban VIII." (Wien, 1928 - 31). Bei Kriegsausbruch meldete er sich als Freiwilliger und fiel als Fähnrich am 11. Juni 1915 am Isonzo. Die hier veröffentlichen Briefe Kafkas fanden sich im Nachlaß Oskar Pollaks, wo Max Brod sie im Einvernehmen mit der Witwe Pollaks studieren konnte: "Einiges Unwesentliche, dem Umfang nach sehr wenig, habe ich bei der ersten Publikation der Briefe Kafkas 1937 weggelassen und kann es leider jetzt nicht mehr ergänzen, da die Originalbriefe während der Besetzung Prags wahrscheinlich verlorengegangen sind."
Kunstwart: Kunstwart - Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben. Herausgegeben von Ferdinand Avenarius. 1887 ff.
Rostok: Villenort in der Nähe Prags.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at