Vorwort

 

Menschliches Handeln, Verhalten, Wahrnehmen oder Denken kann wohl ohne Bezug auf seine komplementären Kontexte nicht adäquat erkannt, erfasst, beschrieben, begriffen oder interpretiert werden. Aus geographischer Perspektive nimmt hierbei der ambivalente Begriff der Umwelt – sei es als physische Lebenswelt, als soziale Mitwelt oder als kognitive Bedeutungswelt – eine zentrale Stellung ein. Sind bereits die beiden Seiten jeweils für sich genommen komplexe Untersuchungsphänomene, so potenziert sich jene Komplexität noch, wenn man ihre vielfältigen Relationen, wechselseitigen Bedingungs- und Verweisungszusammenhänge und Interaktionen mit berücksichtigt.

Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die ein Licht auf diese Trias Mensch-Umwelt-Interaktion werfen. Im Bild der Lichtmetapher bleibend, sind es gleichwohl zwei Bereiche, die ausgeleuchtet werden. Der theoretische Lichtstrahl nimmt spezifische Anschauungen einer systemtheoretischen Betrachtung der Kopplung von Mensch/Gesellschaft und Umwelt in den Blick, und geht auf ein weiteres Treffen des Gesprächskreises Integrative Projekte in der Geographie, welches im Juni 2008 in Salzburg stattfand, zurück. Dieser Gesprächskreis widmete sich der Frage, ob und in welchen Hinsichten der in der autopoietisch konzipierten Systemtheorie verwendete Begriff der Kopplung von Systemen einen Beitrag zu integrativ angelegten Forschungsbemühungen zu leisten vermag. Dabei zeigte sich, dass sowohl die mehrdeutigen Assoziationen des Begriffes selbst als auch die multiperspektivischen Ansätze geographischer Theorien Möglichkeit und Herausforderung für eine Zusammenführung des in den Blick zu nehmenden physisch- und humangeographischen Raumes bildet. Philipp Kersting, Andreas Koch, Joachim Rathmann, Peter Weichhart und Swen Zehetmair setzen sich in ihren Beiträgen mit diesem theoretischen Fokus auf Kopplung auseinander.

Im Unterschied dazu greift der methodische Lichtstrahl eine Diskussion auf, die sich dem Stellenwert quantitativer Analyse im methodologischen Kontext geographischer Erkenntnisgewinnung widmet. Die Beiträge zu diesem Themenfeld entstanden im Rahmen einer Sitzung des Arbeitskreises Theorie und Quantitative Methoden der Geographie, die im Februar 2008 ebenfalls in Salzburg stattfand. Der Stellenwert dieser Diskussion wiederum mag sich exemplarisch und aktuell daran bemessen, dass sich zwei aktuelle Ausgaben des Professional Geographer (August- und Novemberausgabe 2009) schwerpunktmäßig mit dem Thema eines quantitativen Turn (oder Return) in der Humangeographie befassen. Michael Bentlage, Holger Faby, Marco Helbich, Otti Margraf sowie Ulrich Schumacher und Nguyen Xuan Thinh thematisieren Facetten dieser wichtigen Debatte.

Beide Lichtstrahlen überlagern sich schließlich in der Wichtigkeit, theoretische wie methodische Blicknahmen im zeitlichen und räumlichen Maßstab zu differenzieren sowie epistemologisch die Komplexität von Konstruktion und Konstrukt explizit zu behandeln, um der Mensch-Umwelt-Interaktion-Thematik jene Ausdruckskraft zu verleihen, die angesichts der drängenden Probleme wie Klimawandel, Welthunger, Migration, Naturrisiken, sozialen und regionalen Disparitäten, etc. dringend und beständig erforderlich ist.

 

Andreas Koch                                                                Salzburg, im November 2009

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Michael Bentlage
Kausale  Zusammenhänge zwischen der Internetnutzung und der Raumstruktur

5

Holger Faby
Theorie & Praxis: Zwei Perspektiven auf das sozialgeographische Methodenspektrum

19

Marco Helbich
Räumliche Statistik zur Quantifizierung postsuburbaner Strukturen im Wiener Umland

29

Philippe Kersting
Sinn und Zweck einer `reflexiv-relationalen´ Physischen Geographie

39

Andreas Koch
Zur Komplementarität von struktureller Kopplung  und Emergenz. Ein Vorschlag zur systemtheoretischen Einbettung des Räumlichen für eine integrative Geographie

47

Otti Margraf
Qualitative vs. Quantitative Methoden in der Geographie - Konvergenz statt Divergenz

57

Joachim Rathmann
Kopplungen im Klimasystem:  Benguela Niños als Beispiel für Atmosphäre-Ozean-Kopplungen

69

Ulrich Schumacher und Nguyen Xuan Thinh
Ein empirischer Analyseansatz zum Zusammenhang von Siedlungsstruktur und Naturraum

81

Peter Weichhart
Ökologische Doktrin und Innovationen von Arbeitsprozessen als Medien der Kopplung von gesellschaftlichen und naturalen Systemen

93

Swen Zehetmair
Die Rolle struktureller Kopplungen bei der Evolution sozialer Systeme – dargestellt an Beispielen aus der Naturrisikoforschung

107

 

 

Gesamtverzeichnis der "Salzburger Geographischen Arbeiten"