Entstehungsbedingungen und "Leistung" raumbezogener Identität

Raumbezogene
Identität

24 Juni 2002

RegId03


Exzerpte aus dem Aufsatz

"Heimatbindung und Weltverantwortung. Widersprüchliche oder komplementäre Motivkonstellationen menschlichen Handelns?"

In: geographie heute, Band 100, 1992, S. 30-33 und 43-44.
 



© Peter Weichhart,
2002


"Heimatbindung", "emotionale Ortsbezogenheit" oder "place identity" ist ein Ergebnis sehr komplexer psychosozialer Prozesse.   Diese Prozesse sind Bestandteile oder Folgen kognitiver Operationen, die im Rahmen der Sozialisation des Menschen und seiner personalen "Aneignung von Welt" als sozial vermittelte und emotional mitbestimmte Bewusstseinsakte ablaufen. Den Schlüssel für das Verständnis dieser Prozesse liefern uns verschiedene Erklärungsmodelle der Umwelt- und Persönlichkeitspsychologie (vergl. dazu z.B. G. P. Stone, 1962 und C.F. Graumann, 1983; eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei P. Weichhart, 1990). Kern dieser Begründungen ist das Konzeptpaar "Identifikation" und "Identität".

Der Aspekt der "Bindung" bezieht sich in durchaus ambivalenter Weise sowohl auf positive als auch auf negative Auswirkungen personaler Beziehungen zur sozialen und physischen Umwelt. "Heimat" kann für das Individuum also nicht nur die Sicherheit, Geborgenheit und emotionale Zuneigung bedeuten, die ein bestimmter Lebensraum vermittelt, sondern auch als Enge, Zwang und Gefangensein erlebt werden.
 


Psychische und soziale Hinter-
gründe

 


"Identifikation" bezeichnet in einer ersten Bedeutung des Wortes die kognitive Erfassung und Repräsentation von Objekten oder sozialen Interaktionspartnern durch ein wahrnehmendes und erkennendes Subjekt. In der Auseinandersetzung mit unserer Umwelt erkennen wir bestimmte Gegenstände oder komplexere Gruppen von Objekten, wir identifizieren sie als diese bestimmten Objekte, benennen sie und schreiben ihnen dabei in der Regel auch gleichzeitig bestimmte Eigenschaften zu. Eine Gruppe von Häusern wird als "Dorf" oder als "Dorf X" identifiziert, ein Mensch als die "Person Y", eine Gruppe von Menschen als "Familie Z". Die betreffenden Gegenstände oder Personen werden also in Bewusstseinsprozessen des Wahrnehmenden als kognitive Strukturen repräsentiert.

Auf dem Weg über abstrahierende Denkvorgänge beziehen sich derartige Identifikationen auch auf "Gegenstände" der Umwelt, die einer direkten und unmittelbaren Wahrnehmung gar nicht zugänglich sind - etwa auf "die Deutschen", "die Türken" oder "die Stadt München". Das letzte Beispiel verdeutlicht, dass diese in unserem Lebensvollzug allgegenwärtigen Identifikationen natürlich auch "räumliche Objekte" betreffen: Siedlungen, Stadtteile, Städte, Regionen, Länder etc. Sie sind problemlos handhabbare Elemente unserer alltäglichen Kommunikation. Unsere Interaktionspartner können in der Regel mit den Namen der identifizierten "räumlichen Objekte" etwas anfangen, sie verstehen, was damit bezeichnet wird, und teilen zumindest in groben Zügen die mit dem Objekt verknüpften Bedeutungs- und Inhaltszuschreibungen - denn ansonsten könnte unsere Alltagskommunikation gar nicht funktionieren.

Der Prozess der Identifikation bezieht sich hier also auf die Identität des betreffenden Gegenstandes, die zumindest durch die Position dieses Objekts in einem definierten Bezugssystem (z.B. dem physischen Raum), seine Grenzen gegenüber anderen Objekten und seine (auch emotional relevanten) Eigenschaften umschrieben ist. In diesem Sinne meint der Begriff "raumbezogene Identität" die kognitiv-emotionale Repräsentation von räumlichen Objekten im Bewusstsein eines Individuums bzw. im kollektiven Urteil einer Gruppe.
 


Identifikation und Identität


Nun ist jeder Mensch im Rahmen sozialer Interaktionen auch selbst ein Gegenstand von Identifikation, er wird identifiziert. Auch in dieser passiven Form ist Identifikation mit einer Klassifizierung und Attribuierung verknüpft, sie bedeutet die Zuschreibung von bestimmten Merkmalen und Eigenschaften. Mit dem Identifiziert-Werden sind gleichsam Rollenerwartungen der sozialen Umwelt verbunden. Auch hier kommen - neben vielen anderen Merkmalskategorien - raumbezogene Klassifikationskriterien vor. Wer etwa als "Norddeutscher", "Ossi", "Münchner" oder "Schwabinger" identifiziert ist, der wird damit in einen ganz bestimmten soziokulturellen Kontext eingeordnet, ja es werden ihm sogar bestimmte (angeblich) typische Charaktereigenschaften zugeschrieben. Ein Wiener hat einfach charmant, ein Tiroler gefälligst stur zu sein.
 


"Identifiziert werden"
bedeutet auch Rollenzu-
schreibung


"Identifikation" hat aber noch eine sehr wichtige dritte Bedeutung. Man kann nicht nur ein bestimmtes Objekt als eben diesen Gegenstand wahrnehmen, man kann sich auch mit einem bestimmten Objekt identifizieren. "Gegenstände" dieser Form von Identifikation sind vor allem andere Menschen oder Gruppen von Menschen. Man kann sich aber natürlich auch mit abstrakten Ideen, Werten oder gar materiellen Dingen identifizieren. In diesem Sinne bedeutet der Begriff, dass man sich das betreffende Objekt gleichsam zu eigen macht, es in irgendeiner Form auf die eigene personale Identität bezieht.
 


"Sich mit etwas identifizieren"


Personale Identität oder Ich-Identität ist eine reflexive Bewusstseinsleistung menschlicher Individuen, bei der Erfahrungen über die eigene Existenz verarbeitet werden. Dabei steht die Wahrnehmung der zeitlichen Konstanz und der Entwicklung des "Selbst" im Mittelpunkt. Diese Selbsterfahrung und Selbstbeschreibung - also die Suche nach Antworten auf die Frage "Wer bin ich?" - kann auf eine fast unerschöpfliche Menge von Merkmalen oder Selbstkonzept-Kategorien zurückgreifen. Zu den wichtigsten dieser Dimensionen zählen etwa Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Lebensgeschichte, Kulturkreis, Beruf, soziale Bezugsgruppe, Weltanschauung oder Freizeit. In der einschlägigen Fachliteratur der Psychologie wird dabei ausdrücklich auch auf die Bedeutung des physisch-materiellen Raumes verwiesen. Für die Beschreibung des eigenen Selbst kann das Individuum unter anderem also auch Merkmale heranziehen, die sich aus seiner Position im physischen Raum ergeben: Gebürtigkeit, Wohnstandort, räumliche Schwerpunkte der sozialen Interaktion etc. (vergl. z.B. H.-P. Frey und K. Haußer, 1987).

Ich-Identität steht immer auch in Zusammenhang mit Gruppenbewusstsein oder sozialer Identität. Das Individuum identifiziert sich mit einer bestimmten sozialen Gruppe (oder wird von außenstehenden Beobachtern einer Gruppe zugeordnet). Es kann sich aber auch von anderen Gruppen bewusst abgrenzen. Derartige Zugehörigkeiten, die sich in einem "Wir-Bewusstsein" äußern, sind natürlich im Selbst-Konzept der betreffenden Person verankert. Auch bei der Gruppenidentität können raumbezogene Definitions- und Abgrenzungskriterien bedeutsam werden. So wird das Wir-Bewusstsein einer Gruppe häufig durch einen bestimmten Territorialanspruch mitbestimmt.

Damit ist eine zweite Bedeutung von "raumbezogener Identität" inhaltlich umschrieben. Vor dem Hintergrund der eben angesprochenen Identifikationsprozesse ist unter raumbezogener Identität die gedankliche Repräsentation und emotionale Bewertung jener räumlichen Ausschnitte der Umwelt zu verstehen, die ein Individuum in sein Selbstkonzept einbezieht. Auf der Ebene sozialer Systeme verweist der Begriff auf die Identität einer Gruppe, die einen bestimmten Raumausschnitt als Bestandteil des Zusammengehörigkeitsgefühls wahrnimmt und damit einen Teil ihres "Wir-Konzepts" darstellt. Raumausschnitte können aber auch Bestandteile der Wahrnehmung von Fremdgruppen-Identität sein und zur Repräsentation eines "Sie-Konzepts" beitragen. Aus bayerischer Sicht sind "die Preußen" eine auch durch Raumkoordinaten definierbare Fremdgruppe, gegen die man sich bewusst abgrenzt.
 


Ich-Identität und soziale Identität


Die drei besprochenen Prozesse der Identifikation stehen in einer wechselseitigen Beziehung. So ergeben sich aus der Identifikation von Umweltausschnitten einfach handhabbare kognitive Muster, auf die sich nun eine Identifikation mit eben diesen Umweltausschnitten beziehen kann. Der Prozess des Identifiziert-Werdens wird häufig dazu führen, dass das betreffende Individuum sich die von den "Rollensendern" vorgenommenen Zuschreibungen tatsächlich selbst zu eigen macht. Durch diese Internalisierung kann die Fremdzuschreibung also akzeptierend übernommen und zu einem Bestandteil der Ich-Identität werden.

Es leuchtet ein, daß die eben angesprochenen Prozesse vor allem auf der Maßstabsebene des engeren Lebensraumes eines Menschen wirksam sind und sich besonders im Bereich des lokalen und regionalen Zentrums unserer alltagsweltlichen Aktivitäten entfalten. In ihrem Zusammenwirken produzieren sie das, was umgangssprachlich als "Heimatgefühl" bezeichnet wird.
 

 


Was ist nun der Nutzen, der eigentliche Sinn oder Zweck von raumbezogener Identität? Welche Funktionen haben die besprochenen Identifikationsprozesse und die durch sie bewirkten Folgen für unsere Existenz und unseren alltagsweltlichen Lebensvollzug? Bei der Beantwortung dieser Fragen sollen aus analytischen Gründen die beiden Wirkungsbereiche des Einzelindividuums und sozialer Gruppierungen unterschieden werden, die faktisch aber natürlich sehr eng miteinander verknüpft sind.
 


Was ist der  "Nutzen" raumbezogener Identität?


Der erste offensichtliche Nutzen raumbezogener Identität ergibt sich aus ihrem Beitrag zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der personalen Einheit und Selbstidentität des Individuums. Die besprochenen Prozesse tragen (als eine Faktorengruppe unter anderen) dazu bei, dass das Individuum sich selbst als abgrenzbares, einzigartiges und selbständig agierendes lebendes System wahrnimmt und dass diese Einheit im Vollzug der Wahrnehmung ständig bestätigt und reproduziert wird. Diese Systemerhaltungsfunktionen raumbezogener Identität steht in Zusammenhang mit der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse.
 


Beitrag zur Entwicklung und Stärkung von Ich-Identität


Wir wissen aus zahreichen Untersuchungen der Psychologie und der Soziologie, dass der Mensch ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einem Abbau psychischer Spannungszustände besitzt. Wir haben ein Bedürfnis nach Ordnung, Sicherheit und Beständigkeit, wir suchen nach bewährten Regeln des Verhaltens und bemühen uns, Ungewissheit möglichst zu vermeiden oder zu beseitigen. All diese Charakteristika menschlicher Bewusstseinsprozesse sind durch die sogenannten Konsistenztheorien der Psychologie, etwa die "Theorie der kognitiven Dissonanz" (L. Festinger, 1957), sehr gut bestätigt. Raumbezogene Identität leistet nun einen sehr wesentlichen Beitrag zur Entstehung psychischer Sicherheit der Umwelterfahrung. Im Prozess der Identifikation von Elementen unserer Umwelt ergeben sich einfache, problemlos interpretierbare Muster, entsteht eine hohe Deutungsgewissheit und Konstanz der Wirklichkeit, in der wir leben. Die Zentrierung der Welterfahrung auf unsere unmittelbare Nahumgebung vermittelt uns jene Sicherheit und Vorhersehbarkeit, die eine Voraussetzung dafür sind, dass wir diese räumliche Umwelt nicht ständig neu bewerten und als potentiell bedrohlichen Stressfaktor analysieren müssen. Solche Konstanzerfahrungen sind eine wesentliche Vorbedingung für die Ausbildung und Festigung von Ich-Identität.
 


Reduktion von Komplexität, "Konstanz-
erfahrung"


Diese Wahrnehmungs- und Beurteilungssicherheit gegenüber den Gegebenheiten des vertrauten Lebensraumes ist eine wichtige Grundlage für eine weitere systemstabilisierende Funktion, zu der das Phänomen der raumbezogenen Identität einen Beitrag liefern kann: Heimat ist ein "Ort des leichten Handelns" (E. E. Boesch, 1983, S. 350). Der eigene engere Lebensraum wird vom Individuum als Ort relativer Autonomie und Handlungsfreiheit empfunden, bietet Stimulation und Anregung zur Aktivität. In seiner Bekanntheit und Vertrautheit vermittelt er zumindest das Gefühl von Selbstbestimmbarkeit und Kompetenz. Die Möglichkeiten der Einflussnahme, Nutzung und Gestaltung - und seien sie objektiv gesehen noch so bescheiden - tragen zur Weiterentwicklung und Stabilisierung von Ich-Identität bei. Heimatverlust, Entfremdung und damit zusammenhängende Identitätskrisen ergeben sich dagegen dann, wenn die selbstbestimmte Handlungskompetenz des Individuums durch zunehmende Fremdbestimmung eingeengt wird.
 


"Heimat" als "Ort des leichten Handelns"


Eine weitere "Leistung" bezieht sich auf die Funktion des physischen Raumes als Projektionsfläche von Werten und symbolische Repräsentation sozialer Beziehungen. Materielle Raumstrukturen sind Träger sozialer Botschaften, werden als Symbole sozialer Beziehungen verstanden. Sie repräsentieren damit für das Individuum eine dingliche Manifestation der eigenen sozialen Bindungen.

Der eigene Lebensraum ist aber nicht nur eine Bezugsebene sozialer Werte, sondern gleichermaßen eine Projektionsfläche für das personale Ich: Objekte und Ausschnitte des physischen Raumes werden direkt für die eigene Selbstdefinition nutzbar gemacht (vergl. H.M. Proshansky, A.K. Fabian und R. Kaminoff, 1983) und tragen so unmittelbar zur Festigung der Ich-Identität bei. Durch die Identifikation mit dem Lebensraum werden gleichsam Ich-Anteile nach außen projiziert und umgekehrt Außenweltelemente als Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses wahrgenommen. Dies gilt vor allem für den Kernbereich der Wohnung und ihrer unmittelbaren Nahumgebung. Neben der sozialen Symbolik kann dieser Bezug zur Ich-Identität als wichtigste Grundlage für die Ausbildung von Gefühlen der Zugehörigkeit zur Heimatregion und der emotionalen Bindung an sie angesehen werden.
 


Der physische Raum als Projektions-
fläche für das personale Ich


Ähnliche Stabilisierungsfunktionen leistet raumbezogene Identität auch für den Bereich sozialer Systeme. Die inhaltlichen Elemente raumbezogener Identität stellen einen allgemeinen Orientierungs- und Bezugsrahmen für soziale Interaktion und Kommunikation dar, repräsentieren ein "Jedermannswissen", auf das man sich im sozialen Umgang mit anderen Bewohnern des gleichen Raumes ständig und selbstverständlich beziehen kann. Aus dieser Kontextualisierung sozialer Aktivitäten resultiert ein gemeinsamer Erfahrungshintergrund für die Teilnahme am sozialen Leben, der Verhaltens- und Interaktionssicherheit gewährleistet. Gleichzeitig wird dadurch die Kommunikation und Präsentation von Aspekten der sozialen Identität ermöglicht. Das Wissen um den Lebensraum einer Person, die Kenntnis ihrer Wohnumgebung ermöglicht es dem Interaktionspartner, diese Person gleichsam zu "klassifizieren", ihr bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, ihre Gruppenzugehörigkeit und ihre Position in der sozialen Rangordnung einzuschätzen.

Natürlich handelt es sich dabei um Vorurteile, um Klischees oder Urteilsstereotype, die oft zu einer höchst unangemessenen "Verurteilung" der klassifizierten Person führen, also im speziellen Fall absolut nicht zutreffend müssen. Sie haben aber den handlungspraktisch und "psychohygienisch" überaus nützlichen Vorteil, ohne erwähnenswerte Denkanstrengungen und ähnlichen Aufwand rasch eine vermeintlich eindeutige und klare Kategorisierung zu ermöglichen.

Ein Bewohner der Großwohnsiedlung Hasenbergl in München wird von seinen Interaktionspartnern allein durch die Angabe seiner Adresse einem ganz bestimmten sozialen Kontext oder Milieu zugeordnet werden.
 

 

Stabilisierung sozialer Systeme


Die wichtigste Nutzenfunktion raumbezogener Identität liegt in ihrem Einfluss auf sozialen Zusammenhalt, Integration und Gruppenbindung. In der Alltagserfahrung werden soziale Phänomene oft als sozialräumliche Gegebenheiten erlebt. Es gibt eine ganze Reihe empirischer Befunde (vergl. die Übersicht bei P. Weichhart, 1990, S. 52-59) die belegen, dass (neben anderen) auch räumlich definierte Sozialzusammenhänge wie Nachbarschaften, Stadtviertel, Gemeinden oder Regionen als Bezugsgrößen von Gruppenloyalität und Gruppenbindung wirksam sind. Die Bewohner solcher Raumeinheiten nehmen diese Gebiete als Referenzeinheiten für die Abgrenzung von Gruppenstrukturen wahr. Die daraus sich ergebenden sozialen Einheiten können meist nicht mit Primärgruppen verglichen werden. Wir finden weder eine Dominanz von binnenzentrierten sozialen Beziehungen noch weisen die innerhalb der Gruppe stattfindenden sozialen Kontakte ein größeres Maß von Ich-Betroffenheit und emotionaler Bedeutung auf. Der überwiegende Teil der Interaktionen reicht also über die Grenzen der sozialräumlichen Einheit hinaus, ihr binnenbezogener Anteil beschränkt sich meist auf eher unverbindliche und zeremonielle Interaktionen von geringer emotionaler Tiefe. Der evidente soziale Zusammenhalt und die bestehende Gruppensolidarität beziehen sich auf symbolische Gemeinschaften: die Mitglieder verhalten sich so, als ob es sich bei diesen räumlich definierten sozialen Einheiten tatsächlich um Primärgruppen handeln würde. Die Teilhabe an solchen symbolischen Gruppen bedeutet für das Individuum die Übernahme der spezifischen sozialen Rollen des "Nachbarn" bzw. des "Gemeindebürgers". Die dadurch entstehenden Bindungen und Loyalitätsgefühle beziehen sich nicht nur auf andere Mitbewohner der betreffenden Raumeinheit, sondern auch auf deren materielle Strukturen und Gestaltqualitäten: Man fühlt sich etwa mitverantwortlich für die Orts- oder Stadtbildpflege und zeigt Interesse an baulichen Wahrzeichen und symbolträchtigen Ensembles, die offensichtlich ein hohes Identifikationspotential besitzen. Aus dieser lockeren Einbindung des Individuums in den Zusammenhang einer räumlich definierten symbolischen Gemeinschaft ergibt sich ein sozialer Zusammenhalt, der dem einzelnen Mitglied weitgehende Autonomie und Handlungsfreiheit offen lässt, gleichzeitig aber die emotionale Geborgenheit der Zugehörigkeit zu einem größeren sozialen Ganzen vermittelt.
 


Gruppen-
solidarität bezogen auf symbolische Gemein-
schaften


Zusammenfassend können wir also festhalten, dass durch die verschiedenen Prozesse und Phänomene der raumbezogenen Identität eine Vereinfachung, Strukturierung und Schematisierung unserer alltagsweltlichen Realität produziert wird, die für den Einzelnen Sicherheit, Handhabbarkeit und Handlungskompetenz vermittelt. Dies geschieht auf dem Weg über die Entstehung spezifischer Formen von Gruppenzusammenhalt und räumlich definierter Gruppenloyalität sowie vor allem durch die Festigung von Ich-Identität.

 

     

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