In einem sehr klar und eingängig formulierten Einleitungskapitel
stellt der Autor die Zielsetzung seiner Literaturanalyse vor. Es geht
ihm darum, die aktuelle innergeographische Auseinandersetzung zum
Thema "raumbezogene Identität" auf den im Fach Geographie
erstaunlich unterbelichteten Hintergrund der persönlichkeitspsychologischen
Identitätstheorien zu beziehen.
Im ersten Hauptteil stellt der Autor
(unter Bezug auf seine einschlägige Diplomarbeit im Fach Psychologie)
zunächst Überlegungen zum Identitätsbegriff an. Er zeigt die
verwirrende Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit dieses
"schillernden" Begriffs auf und versucht dann, durch eine
analytische Differenzierung der verschiedenen Dimensionen und
Bedeutungsaspekte zu einer vorläufigen Abgrenzung des Konzepts zu
gelangen. Darauf wird eine genauere Analyse von vier prominenten
Identitätstheorien vorgenommen, wobei vor allem auch der Frage
nachgegangen werden sollte, welche Ansatzpunkte diese Theorien für
eine Einbeziehung der raumbezogenen Identitätsdimension bieten können.
Diskutiert werden die Identitätstheorien von W. JAMES, G. H. MEAD, E.
GOFFMAN und E. H. ERIKSON. Der relativ ausführlichen
zusammenfassenden Darstellung der Einzeltheorien folgt jeweils ein
eigener Abschnitt, in dem eine kritische Wertung vor dem Hintergrund
der eigenen Problemstellung vorgenommen wird. Dabei geht es unter
anderem auch um den Stellenwert, welcher der physisch-materiellen
Dingwelt in den besprochenen Theorien für die Entstehung und
Ausdifferenzierung von Identität zugeschrieben wird.
Dieser erste Hauptteil ist dicht und prägnant
formuliert, bezieht sehr geschickt wichtige Sekundärliteratur in die
eigenen Überlegungen und Wertungen ein und vermittelt insgesamt eine
pointierte und gut nachvollziehbare Darstellung der behandelten
Theorien. In einem ausführlichen Resümee (Kapitel 3) werden die
wichtigsten Ergebnisse der Analyse vor dem Hintergrund der
Fragestellung der möglichen "raumbezogenen" Aspekte von
Identität formuliert. Als Gemeinsamkeit der diskutierten Theorien
wird der zentrale Stellenwert der Identität für die Herstellung
einer Relation zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Psychischen
herausgestellt. Eine weitere Leistung von Identität sieht der Autor
in ihrer Funktionalität für die Integration verschiedener Rollen-
und Selbstbilder. Als generelles Defizit der psychologischen Identitätstheorien
moniert er die nur unzureichende Thematisierung der identitätsstiftenden
Wirkung räumlich-gegenständlicher Umwelten. Die zentralen
Bestimmungsmomente von Identität stellen nach seiner Auffassung die
Dimensionen Bindung/Autonomie, Konsistenz/Kohärenz und Kontinuität
dar.
Im zweiten Hauptteil setzt sich der
Autor mit zwei bedeutenden Vertretern der neueren Sozialgeographie (B.
WERLEN und J. POHL) auseinander und versucht, deren Zugang zum Thema
der "raumbezogenen Identät" zu rekonstruieren. Die
inhaltliche Argumentation ist dabei formal sehr geschickt aufgebaut.
In kürzeren Abschnitten werden wichtige Themenkomplexe aus dem Werk
von WERLEN und POHL in objektivierender Weise dargestellt. Auf diese
Rekonstruktion von Teilbereichen der referierten Konzeptionen folgen
"kritische Zwischenbemerkungen" des Autors, in denen
einzelne Kritikpunkte herausgearbeitet und ausführlich begründet
werden.
An der Grundkonzption der
handlungstheoretischen Sozialgeographie WERLENs, deren Bedeutung für
die Weiterentwicklung des Faches ausdrücklich hervorgehoben wird,
kritisiert der Autor die seiner Auffassung nach unzureichende Berücksichtigung
des Individuums und seiner emotionalen wie unbewußten Motivlagen.
Damit würde gleichsam das handelnde Subjekt abhanden kommen. Zur Begründung
seiner Kritik verweist der Autor auf Thesen der Symbolischen
Handlungstheorie von E. E. BOESCH. Bei der Besprechung der WERLENschen
Raumkonzeption (Abschnitt III.1.2.1) kann die Argumentation des Autors
nicht voll überzeugen. Hier sind Widersprüche in der Beurteilung
festzustellen: Einerseits wird die (unangemessene) Kritik von G. HARD
und G. BAHRENBERG anscheinend geteilt, andererseits beklagt der
Verfasser die ungenügende Thematisierung des "gelebten
Raumes". Der zentrale Punkt der Kritik an den Konzepten WERLENs
liegt für den Autor im zu unspezifischen Verständnis von Identität,
deren persönlichkeitspsychologisch beschreibbare Funktionalität
nicht ausreichend erfaßt und berücksichtigt werde. Es wird
aufgezeigt, daß das WERLENsche Konzept von sozialer und kultureller
Identität von der individuellen Erfahrungsbasis dieses Phänomens
allzu stark abstrahiert und damit auch die zentrale
"Leistung" von Identität verfehlt, nämlich die
Verkoppelung von sozialer und subjektiver Welt.
Auch an den Konzepten von J. POHL
kritisiert der Autor die unzureichende Thematisierung der personalen
Identität, die schon in der Präferenz für den Terminus "Regionalbewußtsein"
zum Ausdruck kommt. Damit sei auch eine unzulässige Reduktion auf
einen bestimmten, nämlich den regionalen Maßstabsbereich von
Identifikationsprozessen verbunden. Durch die damit vorgenommene
Entkoppelung der verschiedenen Maßstabsebenen raumbezogener Identität
würde dieser Ansatz wesentliche Erklärungsmomente des Phänomens in
reduktionistischer Weise unberücksichtigt lassen.
In einer "abschließenden
Bewertung" nimmt der Psychologe AINZ gegen die generelle
"Psychophobie" neuerer sozialgeographischer Theorieansätze
Stellung. Durch diese Grundhaltung, bei der psychische Prozesse
geradezu tabuisiert werden, blieben wesentliche Bereiche der
Mensch-Umwelt-Beziehungen ausgeblendet. Vor allem aber würde damit
die zentrale Bedeutung von Identität für die Klärung des Verhältnisses
von Individuum und Sozialsystem übersehen. Als Hinweis auf die Möglichkeit
einer sinnvollen Weiterentwicklung sozialgeographischer Theoriebildung
skizziert der Autor im letzten Abschnitt in sehr knapper, aber
inhaltlich adäquater Form einige Aspekte der "symbolischen
Handlungstheorie" von E. E. BOESCH.
Insgesamt muß aber festgehalten
werden, daß es dem Autor in dieser Arbeit gelungen ist, sehr komplexe
Theorieansätze sowohl im Fach Psychologie als auch im Fach Geographie
angemessen darzustellen, analytisch zu durchdringen, kritisch zu
bewerten und miteinander in Beziehung zu setzen. Auch wenn ihm - vor
allem bei der Besprechung der Thesen B. WERLENs - einige Fehleinschätzungen
unterlaufen sind und seine Kritik in Einzelaspekten etwas überpointiert
erscheint, kann dem Autor eine beeindruckend tiefgehende und kompetent
formulierte Problemdarstellung bescheinigt werden.