mahr´svierteljahrsschriftfürästhetik

2 (1999), Nr.2/Juli

Commented Criticism

7. Colette, third way. 19147 Zeichen.

In diesem Namen resonieren die Semantik von karitativer Kollekte, elitärem Collège, das entsprechende Zusammengehörigkeitsgefühl von KollegInnen, das geschlechterdifferenzierende Collier nicht weit. Das alles bildet den Stoff, mit dem die zukünftige Gesellschaft collagiert werden soll.

In der gut 450 wohlfeile Dünndruckbände zählenden repräsentativen Bibliothèque de la Pléiade gibt es gerade einmal zwölf von Madame de Sévigné, George Sand, Nathalie Sarraute, Marguerite Yourcenar und, vornamenlos, Colette. Die französische Schriftstellerin Sidonie Gabrielle Colette (1873-1954) trat mit einer Romanserie in die literarische Öffentlichkeit. In diesen, zunächst mit dem Pseudonym ihres ersten Mannes versehenen Befreiungsromanen ging es Colette, die parallel im Variété auftrat, um die Darstellung der Befreiung und Selbständigkeit der Frau, die Verträglichkeit von Kunst und Ehe, die Erotik: Claudine à l'école 1900, Claudine à Paris 1901, Claudine en ménage 1902, Claudien s'en va 1903, La Retraite sentimentale 1907 und La Maison de Claudine 1923. Zu den psychologischen Romanen der Zwischenkriegszeit zählen Mitsou ou Comment l'esprit vient aux filles 1919 und die Chérie-Romane. Jean Cocteau schrieb "Colette. Discours". Leo Spitzer bezog Mitsou auf die Lettres portugaises. Roland Barthes ließ sich von La Chambre éclairée zumindest im Titel seines Photographie-Buches inspirieren. Julia Kristeva wird einen Band ihrer Trilogie, deren erster Band über Hannah Arendt eben erschienen ist, Colette widmen.

Bei der vor zwei Jahren eröffneten colette. styledesignartfood (213, rue Saint Honoré, 75001 Paris; www.colette.tm.fr ist die Adresse der rundum enttäuschenden, geradezu mickrigen Website) handelt es sich um eine "erweiterte" Boutique. colette führt Mode, Design, Kunstwerke, Kunstbücher, Design-, Mode- und Lifestylemagazine, Getränke, kleine Gerichte sowie diverse Dinge des alltäglichen Gebrauchs.

Die Bezeichnung "konzeptuelle Boutique" (Elle, 22. 2. 1999) ist wohl nicht gänzlich falsch, führt aber in die Irre der Simulakren der post-80ies. Konzeptuell wäre eine Boutique - kleines Modegeschäft mit ausgewählten Waren - dann, wenn sie mit den ihr eigenen Mitteln der Darstellung zu thematisieren imstande wäre, was sie konzeptuell ist. Sie wäre es dann, wenn die konzeptuelle, das heißt begriffliche Analyse der ästhetischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte dieser speziellen Art von Unternehmen wiederum als Boutique verkörpert werden würde. Allenfalls ließe sich hier über die Hereinnahme affirmativ-inhaltlicher Aspekte des Neo-/Postkonzeptualismus der späteren 80er Jahre diskutieren.

Der erste Eindruck ist der eines Supermarkts. Viele Kunden, Neugierige, Touristen, Schaulustige, hauptsächlich early twens. Das Erdgeschoß hell, mit offenen Fensterfronten. Der Boden mit wenig kostbaren, wie schmutzig erscheinenden Steinplatten, grau wie die niedrigen, quadratischflächigen Konsolen. Wenige Regale, oft mit Glas versperrt. Dann der für Paris obligate, wie bei den Clubs afroeuropäische Aufpasser bei der Türe. Er scheint mehr auf allfällige Diebstähle zu achten als das zahlreiche junge Bedienungspersonal und die zwei Chefinnen reiferen Alters. Die Waren auf den Konsolen sind wie in kleine, orthogonal angeordnete Stilleben angeordnet, können aber jederzeit in die Hand genommen werden. Daneben die ordentlich aufgelegten, in Plexiglasgefaßten Preisschilder, die in ihrem Informationsgehalt an Gemäldedaten heranreichen.

Jasper Morrisons Stuhl "Fly" aus den späten 80er Jahren. Ingo Maurers 3400 F teurer "Ange". Der "Engel" auf einer weiß bemalten Scheibe besteht aus einem drahtführenden, verbogenen, dünnen Messingrohr und einem rot isolierten Stromdraht, welch beide, 40 cm hoch, eine nackte Glühbirne in metallener Standardfassung mit kleinen, weißgefiederten Amor-Flügeln tragen. Irgendwo ein rotes Mouse Pad in der Größe eines Tellerunterlegers mit der Aufschrift "Design is a good Idea. w.w.w.emigre.com", daneben ein Notizblock, mehrere große, ungefärbte Glasschüsseln, Vasen, Kaffeetassen und das neueste Booklet "Facts of Life", Mainz: Hermann Schmidt 1999, vom Grafikdesigner Pippo Lionni, dessen Cartoons Konzeptuelles und menschliche Grundsituationen im Stil der Isotype von Gerd Arntz und Otto Neuraths behandeln. Zwischen die teuren Markenartikel mischt sich Nippes, etwa die Miniaturisierungen von standardisierten "großen" Produkten wie die Stühle "B3, Wassily" (1925) von Marcel Breuer oder Jasper Morrisons "Fly".

Ebenso im Erdgeschoß ein sehr selektiertes Angebot von Avantgarde-Illustrierten. Die jeweils aktuellen Ausgaben sind im eigenen Regal schräg aufgelegt in Brusthöhe dem Blick feilgeboten: i-D, * surface, THE FACE, nest, DUTCH, wobei bei letzterem das T der senkrecht angeordneten Buchstaben als tattoo-artiges Schwert in das H hineinreicht. Fünf Titel als aktuelle Weltanschaung? Und dann immer wieder Spiegel, in ein Aluminium gefaßt, wie es zur Fassung von Pop-Art-Gemälden in den 60er Jahren aufkam. Sind sie erwerbbar? Stammen sie von namhaftem Design wie der Kalender hinter dem großen, von der Wand schräg abgerückten Kontortisch? Eine zwei Meter breite Metallschiene zeigt dort mit einem manuell verschiebbaren Index die bequem lesbaren Tageszahlen des Monats an. Der rote Index erinnert mehr an eine Waage, einen Tachometer, ja sogar an die Uhrzeit, auf deren Geschwindigkeit wohl nur angespielt werden darf. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Samstag von 10 Uhr 30 bis 19 Uhr 30.

Einiges an Textilien ist exemplarisch auf Kleiderbüsten präsentiert. Etwa ein ungebügeltes, einfaches, rotes, kurzärmliges Hemd von Comme des Garçons um 2710 F. Das etwas höhere Obergeschoß - schmucklose, geweißelte Wände, in der obersten Zone unverputzt - bringt dann nur Mode und Accessoires. Die Farben sind kaki und zyklamrot vor schwarz/weiß als Hintergrund. Oder soll man statt Zyklamrot Magenta sagen und jene Farbe meinen, die aus dem Druck kommend das gewöhnliche Rot abgelöst hat und die Helmut Lang als die Farbe von 1999 prophezeite? (Ines Mitterer, Der österreichische Modestar Helmut Lang, in: Diagonal. Radio für Zeitgenossen, auf: Kanal Ö1, Österreichischer Rundfunk, 3. 10. 1998, 15 Min.) Magenta - für die Damen, wohlgemerkt, den Herren bleibt einmal mehr s/w vorbehalten. Ausnahme sind Slips mit rot(nicht magenta)/kaki-gestreifter Elastik. Die Kleiderstücke sind schlicht, gerade und markant geschnitten. Elegante Einfachheit wie seit langem, die Stoffe einfallsreich. Auch in diesem Stock einige wenige, freistehende Kleiderbüsten. In einem der Vitrinenregale liegt, in geschmackvollem blaßgrünem, kakigetupftem Papier verpackt, pendant soap. Sie wird "Tea Thymes. Green Tea & Gingko Leaves" genannt. Unterhalb schwarzes, hauchzartes Dessous, "Prada Lingerie". Zu haben um "nicht mehr" als 600 F. Noch immer im Regal versperrt das Armband "Love" von Sarah Schwartz, ein pinkfarbenes bracelet élastique aus gummiartigem Plastik und mit silbrigem "LOVE", dessen Buchstabendesign wie vom Kartoffeldruck, 3 F der Preis. Ein ganzer Berg davon. Das ist nicht dereinzige spottbillige Artikel im Geschäft. Heute, 1999, läßt sich sagen, daß es sich dabei weniger um das direkte Mittel zum Kundenfang geht, sondern um die Nutzung eines distinkten Informationsparameters, der über das Kaufverhalten soviel Auskunft gibt, wie viele Artikel zusammengenommen nicht, zum Beispiel über Menge, sofortige Nachahmung vorangeganger KäuferInnen, Kombinationen etc. Vielleicht muß in die Kasse schon das Geschlecht der Kundin oder des eingetippt werden, wenn nicht überhaupt schon bald, freiwilligerweise, über Personaldaten via Scheckkarte verfügt werden kann? - Einerseits erkennen wir die Intelligenz des Verkaufs und damit unsere Rolle als Opfer, andererseits gilt es, sich von Verschwörungsphantasien freizuhalten und am Spiel teilzunehmen. Warenästhetik, so neu auch wieder nicht!

Einige geschmackvolle, wildwiesenartige, große Blumen-/Gräsersträuße am Boden. Sie korrespondieren mit dem ungerahmten Landschaftsfoto von Kaucyila Brooke oberhalb des Stiegenaufgangs. Die Musik etwas lauter, keine Berieselung, gehobenere Popmusik. "Abracadabra" von der Steve Miller Band, langsamer Reggae, dann längere Zeit mexikanische Lieder und Popmusik, passend zur Ausstellung. Ein stimmungsvolles Environment, Unterhaltung für den Tag. Morgen schon scheint alles anders aussehen, klingen zu können. Oder nächsten Monat, wie in einer Galerie.

Das hintere Ende des Mode-Stockwerks teilt sich denn auch in einen sehr niederen, oberen Bereich und einen etwas weniger niedrigen unteren Bereich, in die durch Scheinwerfer schmerzhaft quer beleuchtete Galerie mit aus der Wand geschobener Säule und Lederbank und unter Inaspruchnahme eines Teils des Volumens der Büroräume im Erdgeschoß den Kunstshop. Obwohl im Galerieteil an Gehraum gespart, ist das Betrachten der Fotoarbeiten nicht unbehaglich - mag man auch sich gegenüber den Neugierigen wie auf dem Präsentierteller oder gar auf einer Bühne fühlen.

Kuratorin Susanna Howe versammelt unter "IHeartLosAngeles" mit rotem Herz einen Monat lang Fotoarbeiten von Sofia Coppola, Amy Steiner, Howe selbst und der schon gesehenen Brooke. Einmal viel- und kleinteilig lomographisch, dann gravitätisch ausgebleichter tummeln sich hier Teile eines weltzugewandten Südkaliforniens. Man kann sich kaum des Gedankens erwehren, daß hier eine Jugend Nahrung füs kalifornische Träumen erhält, das durch die gegenwärtig skadalös niedrigen Flugpreise in den Bereich der Erfüllung gerückt wird. Es gibt einen Waschzettel von der Kuratorin. Nach dem einen wortassoziierenden Absatz über LA-Vorurteile lautet der andere: "This show was conceived when I moved to LA after living all of my previous 27 years in New York. People have such strong negative opinions about the city. I wanted to see another perspective, anything besides the obvious Hollywood rigamaroll. The photographers in this exhibition all have a personal connection to their work, a different way of seeing Los Angeles." Demgemäß liegen die Preise zwischen drei- und sechstausend Francs. Für die Bilder der etwas arrivierteren Steiner scheinen 3000 F bei einer Auflage von 5 etwas wenig.

Das hängt wohl mit der Politik der extrem gemischten Preise und den damit zusammenhängenden Bildungs- wie Bindungsambitionen von colette zusammen. Der über einige gut belüftete Stufen erreichbare untere Halbstock mit dem Kunstshop enthält das übliche Inventar eines Museums-Shops, Kataloge etwa von der jüngsten Personale Wolfgang Laibs in Südfrankreich, ausgewählte Zeitschriften nicht nur über Kunst, Postkarten, Schnickschnack, einige wenige Audio-CDs und einen Schafskopf. Sie stammt von einem Engländer - Dolly, schauoba! - namens Adrian Lee, wurde für eine Auflage von 410 Stück entworfen, auf stärkerer Transparentfolie kopiert und ist zum Zusammenstecken und An-die-Wand-hängen ausgeschnitten. colette wird wissen, daß mit diesem Sortiment wenig Geld zu machen ist. Das Publikum, die Kundschaft, scheint allgemein zu wenig informiert beziehungsweise zu wenig an High Art interessiert. Aber es blättern genügend Kids in den Hochglanzpublikationen. Und neben dem momentanen Kaufentlastungsmoment stellt sich der Chic des Dazugehörens ein, der auf die Besonderheit der übrigen Waren symbolisch und darauf hin auch ästhetisch abfärbt. Bindung durch Bildung ist die Devise.

So, wie low und high oder billig und teuer nicht weit auseinanderzuliegen scheinen, so sind die verschiedenen Stöcke und Ebenen der nicht allzugroßen Lokalität leicht zu überwinden. Hellgrau, wie momentan die Kugelschreiber, die Polaroid-Kameras oder die Podeste ist das matt gestrichene Stiegengeländer, das Ober-, Erd- und Untergeschoß verbindet. Unprätentiös im momentan verbindlichen Stil: Die flachen, schmalen Balken, die wie Aluminium aussehen, sind mit Stahlschnüren festgezurrt. Über die geräumige Stiege geht es auf grob aus- und aufgestanzten Blechstufen in den Keller. "Bei uns ist es nicht gefährlich!", so die Ironie auf eine junge Generation zu befestigenden Schritts.

Unten im Keller sind in einer hohen Vitrine vier Flaschen Wattwiller eingeschlossen. Eine in Bodenhöhe eingesetzte, weit in die s-förmig geschwungene Wand hineinreichende Vitrine enthält endlos viele Mineralwasserflaschen Saint Armand - auch eine Anspielung auf den Pariser House-Music-Superstar der Stunde Armand van Helden? Doch als ob noch immer zu wenig gesund getrunken werden würde, gibt es, erneut in eine Vitrine gezwängt, Staatl. Fachingen Heilwasser. Die 6 Flaschen versperren beabsichtigterweise die Durchgabe zur Küche. Die Küche ist offen, vom Service direkt vom Gastraum erreichbar. Eine längliche, niedere Vitrine bietet wie ein Bild 4 runde Süßspeisen und ein schmales Tortenstück an Auf der "Water-Bar" liegen wieder Zeitschriften, deren Covers wie zufällig in den Lokalfarben gehalten sind: grau, braun, weiß, schwarz, ein wenig blau. Das unverputzte Lichtleitungssystem kontrastiert mit dem sehr gepflegten, niederen Raum, in dem auf Holzboden eine Doppelreihe Vierertische einem 2 x 3 Meter großen Tisch mit edelgefertigten Bänken à la Bierhalle gegenüberstehen. Die nur wenig abgesetzte Garderobe enthält auch einen Feuerlöscher. Das Schild beim Abgang bringt es, ohne Fragezeichen (!), schelmisch auf den Punkt: "'Le fooding menace-t-il le night-clubbing.' A. Cambas. LUNCH ALL-DAY". Im Keller soll mehr und Gesünderes konsumiert werden als auf den selbstverwalteten Raves. Aber bedroht es die Clubszene. JA! Denn wir tanzen nicht erst nach dem Essen (Bloch), sondern ohne Essen. Daher: kein ironisches Nein! Hier geht es nur mehr um eines: die permanente Ekstase des ökonomischen Mittags.

Die Warenwelt, wenn sie nur clever präsentiert ist, übt Reize aus, denen man schwer sich entziehen kann. Die Kritik liegt auf der Hand. Das Für-Anderes-Sein steht einer der Wahrheit verpflichteten Ästhetik entgegen. Der Schein der Ware verdeckt die Wahrheit der Ware im Tauschwert. Das Feiern der trügerischen Illusion als Substanzielles ist in der ökonomischen Sphäre nicht möglich. Die Ästhetik der Verführung ist ökonomisch pervertiert. Das alles ist oft gesagt worden und trifft weiterhin zu.

Kommen wir auf den sozialen Typ der Veranstaltung zu sprechen. Die Mischform von zwischen halb privater, und par distance halb öffentlicher Galerie - derenÖffentlichkeitsdimension durch den Museums-Shop nicht extra unterstrichen werden müßte, weil eine Galerie von vornherein diskursträchtig ist - und einem diskurslosen Geschäft zwischen Supermarkt des Nippes und Boutique der ausgewählten Markenartikel, dessen Bekanntheitsform die Werbung ist, kann zumindest das kunsttheoretische und das soziologische Auge in uns wachrufen. Soziologisch bedeutet diese Mischform den Versuch einer Entgrenzung sowohl der öffentlichen Institution oder eines Teils von ihr - dem Geschmacksurteilsstreit über Werke, deren Besonderheit mit vergleichbaren konkurriert - und dem Unternehmen, das die partikulären Interessen über die Anpreisung von Marken ohne Wettstreit und ohne den Anspruch des öffentlichen Interesses durchzusetzen versucht.

Bislang haben Firmen oder Privatpersonen mehr oder weniger erfolgreich beziehungsweise überzeugend sich mit und in Museen oder Galerien zu bewähren versucht. Der Richtung verlief von außen zur Sphäre des Museums oder der Galerie hin. colette - ihr Besitzer gilt als unbekannt - geht von der Sphäre der Privatwirtschaft aus (wie sehr auch immer eine national beschränkte öffentliche Institution etwa als Investor aktiv ist, ironisch gesagt: etwa durch einen primär von der Ölproduktion lebenden arabischen Staat) und versucht von innen heraus Formen öffentlicher Institutionen zu adaptieren.

Schon lange betreibt das Marketing die homogene Durchgestaltung eines Unternehmens bis zu den ästhetischen Fragen. Daß daher Fragen des Ausstellungsdesigns früher oder später den Einkäufer zum Kurator wandeln würden, war daher abzusehen. Genau genommen, läuft dies nicht de facto ergo de nomine, sondern über eine supponierte symbolische Übertragung. Wenn es bei colette für die "Ausstellung" im Galerienbereich eine Kuratorin gibt - , wieso könnte dies nicht auch für die Modeabteilung gelten, die ja ebenso klein und fein gehalten ist? Preisökonomisch in der Verdrehung von "teuer" und "billig": Wenn die Kunst von den kuratierten Objekten bis zum Angebot des Museums-Shops so erschwinglich, wenn auch realiter teuer genug ist, wieso muß dann die Mode und das Designerangebot noch teuer sein, wenn auch realiter so teuer wie kaum woanders? Und wenn die Werke der Hochkultur und die Editionen der Populärkultur sich so trefflich gegenseitig verklären, wieso können Einzelstück und Massenware nicht ebenso von einander profitieren, indem ihre Warencharakteristik aufeinander abfärben?

Colette könnte nicht ein Zeitschriftenname sein, das würde das Namensrecht nicht gestatten. Bei einer Boutique geht das noch einmal durch. Dennoch kalkuliert das Unternehmen mit Ruf und Reputation der Schriftstellerin, Variétékünstlerin und öffentlichen Person. Sie wird nicht noch mehr Teil des kulturellen Gedächtnisses - Editionen, Diskurse, Bildbände, Ausstellungen, Radio- und Fernsehsendungen - , sie wird zum Zeichenbezug für eine halb bewußte Erinnerung an die Großmutter, ihre unwiederbringliche Jugend und Selbstbestimmung, deren Erkämpftheit nur mehr von ferne klingt, wie politisch aktuell auch immer der Kampf heute sein mag.

Genau genommen ist auch der Diskurs vorhanden. Die Frage, die gestellt und nicht gestellt wird: das Essen bedroht das Nightclubbing (?); die Galerieausstellung mit Begleittext; der Kalender, der nicht die vergehende, sondern die wiederkehrende Zeit anzeigt - komm doch, wie die Menstruation, in einem Monat wieder! - : sie alle enthalten nicht nur die bloß symbolische Form eines gedanklichen Austauschs. Nicht nur geht es darum, die Probleme der Adoleszenz zu adressieren, deren Virulenz plakativen Raum zu geben.Schlauerweise bleibt die Bildungsaufgabe nicht nur Hintergrund. Die Sorge um die Jugend wird angesprochen, so wie auch die Eltern im real life länger denn je eine tragende Rolle spielen.

Der Veranstalter ist Unternehmer. Das versteht sich nicht von selbst. Denn das Veranstalten trägt sich nicht, sondern ist nur Seiteneffekt, äußeres Gepräge - auch wenn die Boutique wirkt, als ob sie wie eine Veranstaltung schon am nächsten Tag vorbei und zugesperrt sein könnte. Die Eintrittskarte ist nicht der personal chip, der durch Drehkreuze hindurch Schleusen öffnet und Information abnimmt. Die Legitimation ist nach wie vor die Austrittskarte namens Rechnung und Plastiksack. Der Austausch von Ware und Geld wird erweitert um den Austausch von Ware und Information. Aber nicht nur das. Der Austausch findet auch über die orale Kommunikation innerhalb und außerhalb des Geschäft statt (das auf der Straße kein Schild trägt). Das ist zugleich das Bedrohliche, das einen Aufpasser erklärt. Es könnte sich die Kundschaft zu einem Verhalten formieren, das eigene, geschäftsnonkonforme Zwecke verfolgt. Kleinversamlungsgeeignete Freiflächen bietet die Boutique einige an. Nicht zuletzt ist colette auch ein Jugendzentrum im stimmungsvoll, teurem Environment - nur diesmal nicht in anderswo gelegenen Vierteln der Stadt oder an der Peripherie, sondern im Zentrum der Metropole selbst, gleich beim Louvre ums Eck. Der Austausch überschreitet die Schwelle der Kommunikation zu den VerkäuferInnen. Sie sind so normal und model-haft schön, daß sie nicht nur die Waren zu tragen scheinen, sondern - ohne Uniform und Abzeichen - mit coolness zur Konversation einladen.

Corinne Cobson hat Kommentare von Stéphane Dekens und Samuel Lepastier in Elle (22. 2. 1999) unter dem Titel "Décryptage du temple du snobisme" präsentiert. Cobson spricht von einem ausgekochten Konzept, das bloßgestellt zu werden verdient. Für Dekens spielt der Name auf Nomaden ohne Exotismus an, während Lepastier in ihm die Zweideutigkeit einer französischen Literaturinstitution und ihre subversive, bisexuelle Exzentrik wiederfindet: die Boutique als himmlisch perversen Ort mit standardisierten Raritäten. Dekens sieht in den VerkäuferInnen, indem sie die Marken diskret akkumulieren, das ideale Publikum, Lepastier das das Prinzip des Snobismus realisiert: man kennt sich (und die Marken) und schließt damit die anderen aus. Der Psychoanalytiker vermutet in der Buchhandlung sowie der Ausstellung - den am wenigsten aufgesuchten Boutiqueteilen - die Entschuldigung für den Kaufakt am Werk. Daß keine Literatur, sondern nur Fotobücher angeboten werden, ohne daß damit die ästhetische Intention begriffen werden könnte (die aber anzunehmen Pflicht ist, ist für ihn "Zeichen" der Kultur, nicht die Kultur selbst. Auch für Dekens ist man im noch in der Erscheinung (Kuchen in der Vitrine, Wasser statt Wein), nicht im Sinnlichen selbst. Gerade am Wasser zeigt sich für Lepastier ein Grundwiderspruch: das Wasser wird als Symbol des Reinen und Wesentlichen vorgeführt, aber das Wasser in der "schönsten" Flasche wird am meisten verkauft.

Die Problematik von Kritik und Kommentar zeigt sich hier deutlich. Indem die Anthropologieprofessorin der Université de Paris 5 und der Psychoanalytiker - zu einem Besuch bei colette von Elle eingeladen - in mehr oder weniger aussagekräftig zu "Verkäufer", "Logo" "Kundschaft", "Sortiment" Beobachtungen mitteilen, steht der Status der Kurzantworten wie auch vorstehende Beschreibungen wie Überlegungen nicht fest. Daß es sich hinsichtlich des problematischen Unternehmenstyps von colette kaum um eine Kritik im Sinne der Kunstkritik handeln kann, deckt gerade die Sinnhaftigkeit der ästhetischenGestaltung sehr schnell auf. Aber auch die Kultur- und Gesellschaftskritik traditioneller Prägung - etwa an einem ausgekochten Konzept - bleibt wenig befriedigend, wenn sie nur das ökonomisch gestaltete, gesellschaftliche Unbewußte aufdeckt. Die intellektuelle Kritik geht ohnehin nahtlos aus der geschärften Beobachtung unforciert hervor. Doch das Erstaunliche ist, daß colette bei aller Perfidie und Berechnung einen Unternehmenstyp weniger ansteuert als verkörpert, der Einsichten in zukünftige Entwicklungen birgt. Die Krise sozialer wie privater Unternehmungen kann derart in einer Kritik abgebildet werden, die nicht mehr nur ästhetisch und moralisch wertende Aspekte, sondern auch, erkenntnisorientiert, Gehalte aufschließt.

Peter Mahr (c) 1999

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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