mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

1 (1998), Nr.3/Dezember

Commented Criticism

8. Das Sein sucht sich Rameau's Neffen aus. Review-Essay zu: Der Zauber der Medusa. Europäische Manierismen (Kurator: Werner Hofmann), Ausstellung der Wiener Festwochen 1987, für Artscribe International geschrieben im Sommer 1987. Mit einem Kommentar 1998. 20714 Zeichen.

1986 präsentierten McDermott&McGough in der Galleria Lucio Amelio/Neapel ihre Hudson River Landscapes. Das Environment bestand aus einer Wanddekoration auf Leinwand, 9 Ölbildern zwischen Rokoko-Kandelabern und einem Tisch mit Früchten.

Die Dekoration zeigte zwischen einer Wandvertäfelung unten und einem ornamentalen Früchteband oben in kindlicher Zeichnung Meer, Hügel, Flüsse, ausgedorrte, umgebogene und frische Bäume, sonderbare Palmen, eine Windmühle, ein rotes Haus und Segelschiffe, deren eines auf einem Fluß schwimmt, dessen Seitenarm in einem Berg verschwindet und wieder erscheint. Die Bilder zeigen "The Primeval Visitation of Jesus and the Apostles of America":

Das christliche Europa besucht ein Amerika ohnegleichen: die nackten Jünglinge betreten paradiesische Landschaften ohne menschliches Artefakt, die unversehrt scheinen. Sie baden, sonnen sich, schauen Wasserfällen zu und nehmen merkwürdige Posen ein. Aber manche Bäume sind wiederum verdorrt, eine Palme läßt einmal ein Blatt hängen, Simon badet in einer braunen Suppe, einmal ist der Himmel gefährlich rot. Bedrohliche Akzente mischen sich in die Idylle ein, zweifelhafte Posen werden eingenommen. Die Bilder erhalten eine Geschichte: Sie sind von 1825, wurden 1845-48 auf einer Messe das erste Mal ausgestellt. 1863 wurden einige der Serie auf einer Auktion angekauft. Die von ihnen übrig gebliebenen neun Stück waren dann noch 1899 in der Christian Art Society ausgestellt. Wir wissen: bei dieser Serie handelt es sich um die Fiktion einer Appropriation in ironischem Anschluß an die Hudson River School, die die beiden Künstler ausgeschlossen haben soll.

Heute ist die romantische Sehnsucht nach Natur die Kehrseite der drohenden Vernichtung des Erdbiotops. Die konservative Moderne des 19. Jahrhunderts geht bruchlos in die neokonservativen Bedürfnisse über, die McDermott&McGough in beißender Ironie karikieren. Das ist wohl einer der Gründe, die Kunst aus der christlich-modernen Zeitrichtung zu befreien, den modernen Zeitindex aufzugeben und der Kunst selbst eine poetische Kunstgeschichte zu verleihen - auf diesen Manierismus postmoderner Bestimmung ist noch zurückzukommen. Sodann haben wir es mit narrativer Konzept-Kunst zu tun, die der amerikanischen Propaganda ihren Spiegel vorhält.(1) Und schließlich entspräche des Künstlerduos Arbeit in Stilmischung (Naivismus, Akademizismus), verschiedenen Realitätsgraden (ornamentale Dekoration, perspektivische Gemälde, Kandelaber), Variation (9 x nackte Männer in Natur) und Multimaterialität (Öl, Acryl, Metall, Holz, Früchte) jenem Manierismusbegriff, der dem jüngsten ausstellerischen Großversuch in Sachen Manierismus zugrunde liegt.

"Zauber der Medusa. Europäische Manierismen" zeigt Kunst vom beginnenden 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart.(2) Mehr als die Hälfte der 800 Werke fällt in die Epoche des Manierismus von 1505 bis 1660. Hier, im ersten Hauptraum, greift die Metapher der ambivalenten Medusa am besten. Mars und Venus werden als Leitfiguren von Schrecken (Räume der Herrscher, Gewalttäter, Todeserfahrung) und Eros (Räume des Schönheitskultes, der Rollenspiele, des Ruhms der Künste) ausgegeben, um in der Wunderkammer, dem schiefen Haus von Bomarzo und den Irrgärten/Ruinen zu artistisch-skurrilen Raumsymbolen zu finden. Die manieristischen Architekturzeichnungen werden mit den Capricci und Häusern der Laune des 18. Jahrunderts über Boullées "Kenotaph" hinaus fortgesetzt. Malerei und Zeichnung finden eine meduseische Zwischenphase in der frühen Romantik von Füssli, Martin, Blake und Delacroix. Nach harmonisierenden Tendenzen bei Rossetti und Burne-Jones tritt das medusenhaft Symbolische in die Funktion, die nackte Wahrheit darzustellen. Dem Fin de siècle von Klinger, Rops, Moreau, von Stuck, Munch, Khnopff, Klimt, Kubin, Guimard, Beardsley wird daher viel Platz eingeräumt.

Aber wenden wir uns der Moderne ab 1914 zu, die durch ein Drittel der Werke breit repräsentiert ist. Bis 1945 dominiert fast ausschließlich der Surrealismus (incl. de Chirico, Duchamp, Picasso) - breit und gut dokumentiert - , dessen Spätwerke (nach 1945) erlaubt hätten, dem Phänomen manieristischer Erstarrung moderner Kunst einen eigenen Raum zu widmen.

Aus den 60er Jahren gibt es allerdings mehr Altsurrealistisches als amerikanische Kunst einer weit gefaßten Pop Art (Brecht, Cornell, Indiana, Kienholz, Oldenburg, Samaras), vom Nouveaux Réalisme gibt es zwei Spoerris und einen Arman, eine gute Übermalung von Asger Jorn ist da, ein Broodthaers. Den Schwerpunkt für dieses Jahrzehnt setzen aber die Deutschen mit einer selbst schon manieristischen Mischung: Richter und Wunderlich sind ebenso da wie Kriwet, Wewerka und Vostell oder Tübke. In den 70er Jahren gibt es noch immmer 10 Surrealisten (Dalí, de Chirico ...), es kommen Entwürfe postmoderner Architektur von Rossi, Catafora, Cook, Abraham, SITE, Venturi, Ungers und Rob Krier hinzu. Hollein und Archigram sind aus den 60er Jahren vorhanden. Wichtig ist Hockney's "Selbstproträt mit blauer Gitarre" von 1977. Ab 1980 wird es dürftig. Von 21 Werken - drei von Niki de Saint-Phalle und vier von den Poiriers werden wohl nur deswegen aufgenommen, weil sie direkte Bezüge zur Medusa-Problemtik aufnehmen - sind nur wenige Arbeiten bedeutend: Parmiggianis "Alchemie" von 1982, Pistolettos "Herbst" 1983-85, Polkes "Zweite Niederländische Reise" 1985, Byars's "Plato's Kopf" von 1986 und das brillante Treppenhaus von Haus-Rucker&Co aus 1986/87, das leider auch den einzigen Architekturbeitrag seit 1981 darstellt.

Obwohl sie Hofmanns Manierismusbegriff massiv unterstützen würden, fehlen die lediglich im Katalog erwähnten Dadaisten. Manches aus dem Kubismus, manches von Klee, Escher und Lichtenstein hätte den Kriterien entsprochen. Kolâ_, der Prager Manierist, darf von einem Phantastischen Realisten lediglich zitiert werden. Künstler der arte povera wie Kounellis, Paolini, M. Merz, Fabro, Boetti aber auch Gilbert&George sind nicht zu finden, auch die fast durchwegs manieristische Kunst der 80er Jahre: der Zeitgeist der transavanguardia und der Neuen Wilden (3), der italienische Neomanierismus (4), der amerikanische Supermanierismus(5), die Künstlichen Paradiese der Salvo, Condo, Teusch, Bowes, Schulze und des arcimboldesken Kunc(6), aber auch Künstler wie Salle, Schnabel, Koons, Haring, Schuyff, Taaffe, Dimitrijevic und der equipo cronica.(7) Statt dessen gibt es erstaunlicherweise Variationen von Max Bill (warum nicht auch von Sol Lewitt?), einen Agam, einen Klauke - hier scheint der Manierismus bereits an den Haaren herbeigezogen.

Die Anordnung der Werke ist halbherzig und langweilig. Man merkt, der Kunsthistoriker ist am Werk. Die wenigen Gegenüberstellungen durch die Zeiten hindurch verlieren sich in der Masse. Im ersten Stockwerk des Künstlerhauses, der dem Manierismus des 16. und 17. Jahrhunderts gewidmet ist, verschwinden Max Ernsts winzige "Mikrobe" (1949), Giacomettis Objektentwurf (1932) und Oelzes "Gefährlicher Wunsch" (1936) ebenso, wie Messerschmidts verzerrte Köpfe und Rainers Paraphrase auf sie oder Janssens Füssli-Interpretationen plötzlich und beliebig erscheinen. Stattdessen hätte Parmigianinos Selbstporträt von 1524 neben Anzingers "Priapus hat einen langen Schweif" (1984) die Sachlage blitzartig erhellt. Warhols verschiedenfarbige Monroe-Variationen zu Zanettis Holzschnitten nach Parmigianino eröffnen im Eingangsraum des ersten Stocks ein großes Versprechen, lösen es aber nicht ein.

Interessanter ist es, wenn Warhols "Hector und Andromache" (nach einem de Chirico) - wenn auch durch Polkes Riesenbild getrennt - neben den "Dioskuren" des Italieners Platz findet und die ganze Remake-Problematik erhellt, oder wenn Klaphecks Schreibmaschine "Medusa" oberhalb von Magrittes Plastik "Madame Récamier von David" aufgehängt ist - eine superbe Angelegenheit. Aber dies geht dann im großen Raum des Erdgeschoßes unter, der sich eher als Rumpel- denn als Wunderkammer aufdrängt: Architekturphantasien, Jugendstilglas, eine Flut von Zeichnungen werden von Spoerris "Krieger der Nacht", der "Chicago Tribune Column" von Loos und dem "Unstabilen Gleichgewicht" der Poiriers einer ungeheuren Disturbation ausgesetzt, die dem Betrachter weniger Genuß verschafft, als ihn erschlägt. Auch die zarte Symmetrieachse von Holleins zu Pichlers Schrein - eine Ausstellung in der Ausstellung, die, so möchte man es hoffen, den Architekten in seinem großen Österreich-Debut unterstützen will - vermag daran nichts zu ändern. Stellen wir die Frage: Warum hat Hofmann den Manierismus nur bis zur Moderne von Pop Art und Nouveau Réalisme geführt und die "sogenante Postmoderne" (8) abgelehnt?

Die Antwort liegt in Hofmanns Begriff der avantgardistischen Moderne, die er mit Kandinskys Position von 1912 beginnen läßt.(9) Kandinskys Unterscheidung zwischen der großen Realistik und der großen Abstraktion wird mit der klassizistischen Skizze "Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil" von Goethe parallelisiert.(10) Zwischen den beiden Polen Realistik und Abstraktion beziehungsweise Nachahmung und Stil eröffnet sich das Reich unendlicher Wahlfreiheit, sich der Vorratskammer der verschiedensten Formen zu bedienen und in jeweils eigenen Sprachen eine subjektiv bezeichnende Form zu schaffen.

Für die Manier fallen also per definitionem die geometrische und die informelle Gegenstandslosigkeit genauso aus wie Neue Sachlichkeit und Photographischer Realismus. Die Wahlfreiheit der Formen wird nun formell als eine Wahlfreiheit der Stile, der Realitätsgrade, der Variation, der Materialien und ihre jeweiligen Mischungen bestimmt.

Zwei Probleme ergeben sich aus diesem Formalismus. So kann die magische Ambivalenz der manieristischen Epoche, auf die die vier Kriterien in sehr beliebiger Weise zutreffen, überwiegend nur durch Bezug auf die dargestellten Inhalte (Androgynie, Mars-Venus, Todeserfahrung, Verführungen, Kopulationsstellungen)(11) und auf deren Formstörung (überlange Finger und Gliedmaßen, Porträtverzerrung durch Spiegel und Anamorphosen) erhellt werden. Die Kunst ab 1912 hingegen, die der Bevorzugung bestimmter Inhalte verlustig gegangen ist, muß virtuell vom einen Ende der Skala her, nämlich als Repräsentation der gemischten Realitäten verstanden werden. Surrealismus, Phantastischer Realismus, Nouveaux Réalisme und deren Derivate sind letztlich Realismen.

Nähern wir uns dem, was aus der "Identitätskrise der Avantgarden" resultiere, was durch Kandinskys Begriff der Wahlfreiheit vorweggenommen worden sei, was überhaupt ein "Scheinproblem" sei: die Postmoderne.(12)

Duchamp, der von Hofmann bruchlos den Surrealisten zugeordnet wird, hat sich in bemerkenswerter Weise gegen die Kunst und ihren Werkanspruch, dem auch die manieristische Moderne über weite Strecken verpflichtet ist, gewendet. Duchamp setzt die Kunst einer grundlegenden Negation aus und legt sie als Kunst bloß. Das Kunstwerk entzieht sich dem repräsentierenden Augenblick, es ist bereits gemacht und entzieht sich damit partiell dem Moment unserer Wahrnehmung. Nicht länger ist der Sinn der Creation mit dem Sinn der Betrachtung verwandt. Sie unterscheiden sich und folgen aufeinander. Damit bekommt die Entblößung, der Akt der schönen Kunst den Wert des Nicht-Re-Präsentierbaren. Der Augenblick - so Lyotard (13) - wird durch das Noch-Nicht der "Braut, von ihren Junggesellen entkleidet" und des Bereits-Nicht-Mehr" von "Étants donnés" sabotiert. Hofmann zu letzterem Werk: das Geschlecht der nackten Frau sei nicht zu sehen, Duchamp kehre von der Anti-Kunst der Ready-Mades zur idealisierenden Sublimation zurück.(14)

Hegel hat als Übergangssyndrom zwischen Mittelalter und Neuzeit (Aufklärung vs. Gegenreformation) das geistreiche/witty und in sich zerrissene Bewußtsein angegeben (15). Es resultiert aus einer Störung von Herrschaftsverhältnissen, aus der heraus das edelmütige und das niederträchtige Bewußtsein (beide unterworfen) zu einem vorläufig entfesselten Selbstbewußtsein verschmelzen (etwa in der Autonomie des Künstlers). Die gebildete Welt wird in ihm zerrissen, alles wird in sein Gegenteil verkehrt und selbst diese Verkehrung als Betrug ausgespielt: "dreißig Arien, italienische, französische, tragische, komische von aller Art Charakter" singt der manieristische Neffe von Rameau, mit dem der aufgeklärte Diderot einen vergeblichen Dialog führt (16), und der vom Sein ebenso ausgesucht worden sein könnte wie ein Aquarell von Cézanne oder eine Photographie von Man Ray.(17) In "La condition postmoderne" hat Lyotard indirekt die Kunst einbezogen.(18) Mit den modernen Legitimationserzählungen etwa der Dialektik des Geistes oder der Emanzipation des vernünftigen Subjekts ist auch - so könnte man mit Lyotard sagen - der messianisch-radikale Augenblick zerbrochen, auf den hin die avantgardistische Kontemporaneität hinsteuern zu können glaubte. Mit der Aushöhlung hegemonialer Sprachspiele wie De Stijl, Surrealismus oder Abstrakter Epressionismus eröffnet sich eine Diversität von Sprachspielen, die die Erfindung neuer Spielzüge erlaubt.

Ziehen wir eine Parallele zum Bereits-Nicht-Mehr der Moderne, das auch ein manieristisches "Davor" ermöglichen könnte. Wenn es die moderne Zeit in ihrer Geschichte, die auf die Ziele der großen Erzählungen ausgerichtet ist, nicht mehr gibt, - der zeitgenössische "Augenblick" ist nie existent, auch wenn die moderne Kunst, die surrealistische Malerei eingeschlossen, an ihn glaubte - dann hat dies mit dem Aufbrechen hegemonialer Sprachspiele (große Erzählung, moderne Wissenschaft ...) in eine Diversität von agonistischen Sprachspielen zu tun. Es geht aber hier nicht nur um die Pluralität von sich mischenden Kunstsprachen, sondern es geht um einen Manierismus, der sich der Zeit des nicht-repräsentierbaren Moments wie der Zeit der Transhistorizität aussetzt. Der nicht-repräsentationalen Dimension von Minimalismus und Konzeptualismus ist sich die Kunst des prinzipiellen Remaking - das freigesetzte Ready-Made - ebenso bewußt wie des dadurch eröffneten differenten Zeitindexes.

Ohne daß sich ein Amodernismus noch Epochalität zuschreiben könnte - auch eine Zeitphasierung ist noch modern (Datierung, Periodisierung, Zeitrechnung) - , befinden wir uns in einem Geflecht von parallelen und sukzedierenden Phasen der Kunst. Sie wird nicht mehr in Geschichte eingehen. Auf der Basis der Duchampschen Strategie eröffnet sich somit die grundsätzlich mögliche Gleichzeitigkeit metamanieristischer Kunst von Gerhard Richter, display art von Jeff Koons und posthistoristischer Malerei von McDermott&McGough.

Ziemlich am Anfang seines Films "Caravaggio" zeigt Derek Jarman das Kind Jerusaleme, wie es den Maler vor einem seiner Bilder, der "Medusa" eben, mit dem abzumalenden Medusenschild erschrickt. Im Fortgang des Geschehens wendet sich Caravaggio nicht nur vom 16. Jahrhundert ab, er tut dies vor allem "ohne Hoffnung, ohne Furcht", wie der auf seinem Messer eingeprägte Leitspruch lautet. Gilt auch für uns, daß, was immer auf uns zukomme, es nur mehr transmeduseische Manierismen geben werde?

Anm.:

(1) Diego Cortez im Katalog: Fine Art Pictorial Guide of the Hudson River Valley, Galleria Lucio Amelio/Napoli 1986 (2) Werner Hofmann, Der Zauber der Medusa. Europäische Manierismen, Wien 1987, p.16, hat den Titel der Ausstellung abgeleitet vom Titel des 1. Kapitels von Mario Praz' Liebe, Tod und Teufel. Schwarze Romantik, 1930. Es handelt sich um eine vornehmlich literaturgeschichtlichen Untersuchung. Ist es übertrieben, wenn man ein untergündiges Netz zwischen Renaissance/Manierismus, Klassik/Romantik, Moderne/Postmoderne annimmt (was Hofmann nicht tut)? (3) Klaus Honnef, Der neue Manierismus. Das Panorama des Zeitgeistes, in: Kunstforum International 10/82, Nr.56 (4) Giuseppe Gatt (ed.), The New Italian Mannerism (5) Klaus Ottmann, Supermannerism, Flash Art 4/86, Nr.127 (6) Künstliche Paradiese (Salvo, Schulze, Kunc, Condo, Bowes, Teusch), Museum Folkwang Essen/Kunstverein München 1985 (7) Die letzten beiden werden von Hofmann wenigstens im Katalog genannt, p.21 (8) ebd. (9) W. Kandinsky, Über die Formfrage, in: Blauer Reiter, 1912 (10) Goethe, Einfache Nachahmung, Manier, Stil, 1789. Die Parallelisierung hat Hofmann bereits früher vorgenommen: Manier und Stil in der Kunst des 20. Jahrhunderts, in: Studium Generale 8/1955; Grundlagen der modernen Kunst. Eine Einführung in ihre symbolischen Formen, Stuttgart 1966 (11) Bataille hätte das Konzept einer eingeschränkten mythologischen Metapher der Medusa nicht gelten lassen. Er hätte Liebe und Tod (Venus und Mars), Schönheit und Grauen weder einfach (räumlich) aufgeteilt, noch in einer symbolischen Dialektik ästhetisch sublimiert. Seine Kunstgeschichte des Erotismus, deren neuzeitliche Stationen sich zum größten Teil mit jenen der Ausstellung decken: G. Bataille, Les Larmes d'Eros, 1961, dt. 1981 (12) W. Hofmann, Zauber der Medusa ..., a.a.O., p.14, p.20f. - Michel Foucaults Ausführungen zur Zeit der späten Renaissance und den Rändern der Moderne verböten allerdings die Hereinnahme postmoderner Kunst. Er hat dem modernen Wissen der Humanwissenschaften die Grenze durch das postmoderne Verschwinden der Menschen zugewiesen. Diesem Wissen geht das Denken der Repräsentation durch Tableaux voraus (17., 18. Jahundert). Das perfekte Spiel der Repräsentation findet seinen künstlerischen Ausdruck in Velazquez' "Las Meñinas". Bevor jedoch Wörter und Dinge in einer rationalen Weise dieser Art aufeinanderbezogen werden, vermischen sich im 16. Jahrhundert Zeichen, Dinge, Wörter in einer unbegrenzten Wunderkammer von Analogien. Und in Anspielung auf diese Zeit meint Foucault, daß die entscheidende Differenz zwischen den Aspen, Abedissimonen, Amphisbänen im Speichel des Eusthenes (Rabelais, Gargantua und Pantagruel, 1534) und den Tieren des Jorge Luis Borges - einbalsamierte Tiere, sich wie Tolle gebärdende Tiere, mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gemalte Tiere - darin bestehe, daß die ersteren auf dem surrealistischen Operationstisch so Platz finden wie Lautréamont's Regenschirm und Nähmaschine, die letzteren aber keinem ihnen gemeinsamen Raum angehören können. Siehe: Michel Foucault, Les mots et les choses, (1966), dt. Fft./M. 1971, pp.462, 46-77, 17-19 (13) Jean-François Lyotard, L'instant, Newman, in: Michel Baudson (ed.), Zeit. Die vierte Dimension in der Kunst, Weinheim 1985 (14) W. Hofmann, Zauber der Medusa ..., a.a.O., p.512f. (15) Georg W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt 1970, Trsl. Charles Taylor (16) Denis Diderot, Rameaus Neffe, 1761-1774, trsl. Goethe 1806 (17) Jean-François Lyotard, La philosophie et la peinture à l'ère de leur expérimentation (1979) (18) Jean-François Lyotard, La condition postmoderne, Paris 1979

Abb.:

Adolf Loos, Chicago Tribune Column David Hockney, Selbstporträt Orsini, Haus von Bomarzo Parmigianino, Selbstporträt Siegfried Anzinger, Priapus hat einen langen Schweif McDermott&McGough, "The Primeval Visitation of Jesus and ..." Jeff Koons, Bunny Derek Jarman, Szene aus "Caravaggio"

Kommentar 1998. Der Titel des unverändert wiedergegebenen Essays ist gegenüber dem der Zeitschrift vorgeschlagenen um "Der Zauber der Medusa, oder:" verkürzt. Der Text wird ansonsten unverändert wiedergegeben - als Dokument für die schwierige Lage, in der sich art criticism schon in den 80er Jahren befand. Das Problem geht schon vom Gegenstand der Besprechung aus. Die an Exponaten und Aufbau grandiose Ausstellung im Wiener Künstlerhaus - eine Wunderkammer im ersten Stock des Wiener Künstlerhauses, zum Teil eine Rumpelkammer im Erdgeschoß - war mehreren Ansprüchen unterworfen, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Da ist einmal die Darstellung des Manierismus, so wie er mit dem 16. Jahrhundert seit geraumer Zeit verbunden wird. Ihre Beurteilung unterblieb mangels der Kenntnis des gegenwärtigen Forschungs- und Ausstellungsstands, aber auch wegen des Auftrags eines Magazins für zeitgenössische Kunst. Es wollte die Aktualität des Manierismus diskutieren und wissen, inwiefern Hofmann hierzu einen Beitrag lieferte. Aus dem Abstand heraus wird klar, daß Hofmann auf seine theoretische Arbeit in den 50er Jahren und seine Kenntnisse als Leiter des Wiener Museums des 20. Jahrhundert in den 60er und frühen 70er Jahren zurückgegriff. So gesehen, bildete Der Zauber der Medusa 1987 eine Reaktion auf die 80er Jahre, auf die Neue Malerei von Neuen Wilden und Transavanguardia (die sich gerade in der Delikatesse einer zweiten individuellen Mythologie manierierte: die hier ausführlich beschriebene Arbeit von McDermott & McGough wurde 1987 innerhalb von "New York Now I" in der Galerie Krinzinger in Wien gezeigt) und die Postmoderne in der Architektur (die sich gerade zum Dekonstruktivismus wendete). Hätte Hofmann die eindrucksvollen Beispiele der 60er und 70er Jahre systematisiert, dann wäre ihm vielleicht der Nachweis der für die Moderne mitkonstitutiven postmodernen Strömungen gelungen. So aber blieben aber die abwesenden Bilder eines Sandro Chia oder Hubert Schmalix nur um so mahnender im Hintergrund der Aufmerksamkeit des Betrachters in jener schrillen Zeit. Die Problematik der Kunst spiegelt sich in der Theorie wieder, ohne die spätestens seit Arnold Gehlens Diktum von der Kommentarbedürftigkeit der Kunst auch in der Kritik kein Staat mehr zu machen war. Zwar waren jene Jahre von der postmodernen Philosophie, im weitesten also von französischen Poststrukturalismus dominiert. Aber es begann sich die Gegenbewegung eines Modernismus abzuzeichnen, für die etwa der aus der Phänomenologie kommende und auf die Kritische Theorie sich beziehende Kunsthistoriker und -krititker Donald Kuspit in Artscribe International stand, das in jener Zeit seine Autoren aufforderte, nicht im damals wichtigsten Magazin zu publizieren, in Flash Art, das sich voll einer französisierenden Spielart der Kritik verschrieben hatte. Hofmann, ließ sich auf diese theoretische Konstellation im kurzen Katalogvorwort, wenn überhaupt, dann, zu meiner Enttäuschung, nur im Vorbeigehen polemisch ein. So war es meine Ambition, neben den teilweise korrektiven Vorschlägen für die zu erwartenden 6 bis 8 Illustrationen theoretisch zumindest jenes Defizit durch mehr eingestreute als argumentierte Hinweise auf Bataille, Foucault, Lyotard zu markieren. Konnte schon der Review-Teil nur auf die Gegenwartskunst eingehen, so blieb das Theoretische episodisch. Eine Konstruktion geht dem Artikel daher ab, der schlußendlich von Artscribe offiziell wegen redaktioneller Unverantwortlichkeit - personeller Wechsel, wie der Review-Editor mitteilte - nicht gedruckt, wenn auch mit einem Abschlagshonorar abgegolten wurde. Heute, nach 12 Jahren, sind die postmodernen oder manieristischen Züge der späten Moderne noch stärker sichtbar geworden. So ließe sich auch Michael Snows 1972-74 produzierter Film Rameau's Nephew by Diderot (Thanks to Dennis Young) by Wilma Schoen unter dem Blickwinkel dieser Thematik sehen. Nicht nur ist der Film mit 264 Minuten gelängt wie Parmigianinos Madonna dal collo lungo. Alle etwa 20 Studien zu Bild, Ton, deren Verknüpfung und die darin thematisierten anthropologischen Möglichkeiten unterliegen den Hofmannschen Kriterien für den Manierismus: Variation (etwa die Tonhöhe des Handgetrommels im ein- und auslaufendem Waschbecken), Stilmischung (Monochromie, Narration, Porträt, Theaterszene), verschiedene Realitätsgrade (Bild, Ton klar, verwischt), Multimaterialität (verschieden Kamaras). Aber es ist schließlich das romantisch-obsessive Schwelgen, Überborden der Darstellung, ja die aus dem Kalkül entwickelte Maßlosigkeit, die die Pfeifarien von Rameau's Nephew einer aus sich selbst kritischen Moderne annähern.

Peter Mahr (c) 1998

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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