mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik

1 (1998), Nr.3/Dezember

3. Schönbergs Rhythmik - Opus 9. (A) Theorie. Dank für vielfältige guidance an Frau Mag. Therese Muxeneder, Leiterin des Archivs des Arnold Schönberg Center/Wien (http://www.schoenberg.at), und Dr. Gunther Schneider für das Gespräch. Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung unpublizierter Stellen aus "Der musikalische Gedanke" durch das Arnold Schönberg Center. 21847 Zeichen.

Motto: "A threat was uttered that the Chamber Symphony would be played twice in successsion" (Slonimsky 1953)

Das Problem mit dem Rhythmus ist, daß es ihn nicht gibt. Genauer gesagt, löst sich die musikalische Organisation kurzer und gleicher Zeiten in die Bestimmungen von Metrum, Takt und den Gestaltungsraum innerhalb von diesen: eben dem Rhythmus auf. Zwar beruht der Rhtyhmus auf Metren, sie müssen aber nicht "metrisch", regelmäßig sein. Der Takt beruht auf dem Metrum, ist Metrum selber; aber er kann gewechselt werden, und zusätzlich mit Tempowechseln erweist sich das Metrum nicht als conditio sine qua non sondern als nahezu Akzidentelles. Hebt sich der Takt schon vom Metrum ab, so kann die rhythmische Gestalt ganz zu sich kommen, wenn - ja wenn sie als solche überhaupt identifizierbar ist, was Wiederholung (Loop) oder innere Regelmäßigkeit bzw. Wiederholung voraussetzt. Beide letztere erfordern kein konstantes Metrum, aus dieser Tatsache heraus also auch keinen Takt, der sich gegenüber den rhythmischen Gestalten als ganz äußerlich zeigt. Man könnte Rhythmik daher als den Raum der Gestaltung von Rhythmen bezeichnen, wobei sich ein verschieden festes Band zwischen den drei Größen knüpfen läßt. Historisch läßt sich damit die Entwicklung der abendländischen Musik als eine der immer stärkeren Durchdringung von Metrum, Takt und Rhythmus bezeichnen - , vorausgesetzt, man versteht den kompositorischen Begriff der Beherrschung des musikalischen Materials als einen, der von welchem Zentrum auch immer herkommend die zeitliche Gestaltung in die ideativ tonale Gestaltung integriert hält. Es ist keine Entdeckung, wenn gesagt wird, daß auf diese Art und Weise die Relationen von simultanen oder sukzessiven Tönen aus einem primär tonalen Raum gedacht wurde, der aus einem immer schon vorgegebenen musikalisch vollen, geordneten und das heißt: harmonischen Raum konzipiert wurde. Schönberg liefert nur den ersten letzten Stein, wenn er dieses System für erfüllbar, und das heißt auch erschöpfbar hält UND zu beweisen anschickt.

Demgegenüber hat die artikulierte Empfindung der Körperrhythmen, - die populäre ebenmäßige oder steigernde Musik der Riten, der Arbeit, der Unterhaltung, der Paarung, des Trainings, des Krieges: die Tänze (oder Tanzähnliches) und der Marsch - das Zentrum der musikalischen Integration als vorgegeben verstanden. Der Körper ist in die Rhythmen seiner selbst und in seine nachahmenden, ausdrückenden Relationen zu den Rhythmen der Natur vom Puls bis zur Olympiade so involviert, daß sich die Töne als fördernde oder (auch bewußt) mindernde Mittler und Verstärker dieses Sachverhalts darstellen. Es zeigt sich jedoch auch beim tonal-harmonischen Verständnis in ihrer späten, konzentrierten Phase, daß der Rhythmus nicht in den Hintergrund rückt, sondern schon vor seiner "befreienden" Entlassung aus dem sich lösenden und auflösenden harmonischen System (Varèse) einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Gemeint ist der Expressionismus, der in der Konzentration des mehr und mehr an den Körper gebundenen Ausdrucks über seine emotionellen Gehalte zu rhythmisch-expressiver Prägnanz findet. Es ist aber nicht nur die verstärkte, auf das immer mehr materiell aufgefaßte Individuum (und nicht Kollektiv) gerichtete affektive Basis, die die Zeit des Körpers (wieder?) in Erinnerung ruft. Es ist auch der Zug zum Kürzel, zur notizhaften Mitteilung im Zeitalter der Beschleunigung seit Chopin, der die tonalen Zeitgestalten zu räumlich übersehbaren, komprimierten Gebilden führt, deren rhythmische Gültigkeit nun auch in den Vordergrund rückt. Und schließlich ist die mit der extremen, partikularisierten Expression einhergehende Notwendigkeit der musikalischen Konturiertheit (bei der Brücke der Holzschnitt) - oder auch: Härte - auch ein härterer, und das heißt "tonloserer" Klang angesagt. Das wird sich auch bei Schönberg noch zeigen. Es geht also nicht nur darum, daß mit der vom Rhythmus und anderen traditionellen Konstituenten wie Formen entfesselten tonalen Struktur der "frei" gewordene Rhythmus "verschwiegen" werden kann wie bei Weberns Sechs Stücken für Orchester 1909 (Dahlhaus). Und es ist nicht nur die Dynamik, der "nach der Verabschiedung des inneren und äußeren Taktmetrums" eine gesteigerte Bedeutung zukommt, wie Wilhelm Seidel in seinem Artikel über "Rhythmus, Metrum, Takt" an Schönbergs Suite für Klavier von 1923 demonstriert (Seidel 1998).

Seidel hat keine Definition von Rhythmus oder Rhythmik oder Metrum oder Metrik oder Takt oder Taktvollem gegeben. Er hält sich in dieser nominalistischen Tradition auch des alten MGG (Dürr/Gerstenberg 1963), die von einer begriffsgeschichtlich versierten Musikgeschichte gestützt wird. Rhythmus ist gegenüber der Tonordnung der Harmonie die Ordnung der zeitlichen Bewegung, wie sie in der Klassik den Höhepunkt erfährt und im 20. Jahrhundert als Disziplin immer weniger beachtet wird: 'Rhythmus' kann heute Bild- und Raumbewegungen meinen. Es geht daher beim Begriff des Rhythmus, der bei Seidel die leitende Rolle in seiner Definition einnimmt, um "musikalische Temporalstrukturen und Geschehnisabläufe" (258), deren Konzept der Zeit seit der Antike theretisch und praktisch vergewissert werden muß. Seidel definiert die Zeit, wenn er sagt: "Rhythmus bezeichnete die Ordnung der Bewegung oder der Zeiten, die dem menschlichen Sinn unmittelbar und deutlich faßlich ist und deren Wahrnehmung sich mit den Gefühl des Wohlgefallens verbindet. ... ein normativer Begriff ... im Sinne von Zeiteinheiten oder Zählzeiten ... im Blick auf ihr Verhältnis zu den menschlichen Sinnen" (ebd.). Daran ändern die Entwicklungen von Rhythmus/numerus, Metrum und Takt, wie sie von Musiké, Metrik, Proportion, metrischen Dispositionen, Akzent, Taktschlag, Taktarten, metrische Bewegung, Dynamik bis zum Rhythmus der Melodie reichen, nichts. Die Fülle der historisch errungenen Bestimmungen können, nach Seidel, die Abkehr etwa Schönbergs vom Metrum, die Zuwendung zur musikalischen (unlyrisch-unmetrischen) Prosa nicht verhindern.

In Schönbergs theoretischer Entwicklung lassen sich mindestens drei, wenn auch nicht völlig unterschiedliche Auffassungen von Rhythmus feststellen: die der Harmonielehre, des musikalischen Gedankens und die kompositorische der Phrase. Einer Harmonielehre stellt sich die Frage nach dem Rhythmus allenthalben als die nach der Takteinteilung, wenn überhaupt der Takt noch mehr als ein Zählmethode ist. "Die meisten rhythmischen Gesetze der alten Lehre sind Einschränkungen, sind niemals Aufmunterungen; zeigen nie, wie man kombinieren soll, sondern nur, wie man nicht soll. ... fort damit." (Schönberg 1997, 242) Takteinteilungen sind dem praktizierenden Theoretiker Schönberg - wohl in Anknüpfung an Adolf Loos - wie ornamentierende Maurermeister, die "Glattes und Grades nicht vertragen" (243), statt wahre Architekten mit einer "Phantasie der Meister" (243) zu sein. Die gewöhnliche Harmonieübung unterscheidet sich denn auch vom Komponieren "wie Errechnetes vom Erfundenen" (243), die wahren Harmonieübungen von Schülerübungen wie die vorbereitenden Grundrißskizzen gegenüber den schülerhaften sinnlosen Ornamentsetzungen im Raum. Es geht gegenüber der - hier rhythmischen - Verzierung um "die Triebkraft des Motivs" (243), das sich, so ließe sich ästhetisch präzisieren, unsublimiert auch in der entsprechenden puren, rhythmischen Energie und Form äußert. Dennoch: Fragen der Rhtyhmik gehörten in den Kontrapunkt, deren Lehrbücher fast ausschließlich sich nicht damit befassen, und nicht in die Harmonielehre. Schönberg ist auch in diesem Zusammenhang gegen "den Schein bewegter Stimmen" (243) durch (zusätzliche) Rhythmisierung, ist gegen das "Scheinleben" (244). Die alten Städte mit den gekurvten Gassen und die Straßen der neuen Städte im Raster sind beide praktisch und damit schön. Es geht Schönberg um die Fähigkeit, "das Sinnvolle zu vergessen und das Praktische schön zu finden" (244). Trotz all dem findet Schönberg keinen Beweggrund, das "Verhältnis zwischen Takt und Harmonie ausführlicher zu betrachten. Dazu kommt noch, daß die Musik sich im Rhythmischen auf demselben Weg befindet, wie im Harmonischen. Sie hat sich in den letzten 150 Jahren nicht damit begnügt, ihre Weisheit von der Vorsicht abstammen zu lassen, sondern vorgezogen, ihr Wissen durch kühne Entdeckungen zu erweitern."244f. Eine Theorie der Rhythmik hätte also den Wissensstand erst einmal einzuholen.

Dann folgt Schönbergs Credo, zunächst allgemein traditionell - wird in der dritten Auflage 1922 gestrichen - : "Man unterscheidet sowohl im zwei- als auch im dreiteiligen Takt gute (betonte) und schlechte (unbetonte) Taktteile. Betont, schwer, ist der erste; unbetont, leicht, der zweite, im dreiteiligen Takt auch der dritte." (Schönberg 1911, 225) Unmittelbar anschließend: "Die Takt-Einteilung entspricht Natürlichem, das künstlich weitergebildet ist. Am natürlichsten ist sie, soweit sie den Rhythmus der Sprache oder sonstiger natürlicher Geräusche nachahmt" (1997, 245). Künstlich ist die Takteinteilung, wenn sie aus dem System entwickelt ist, besonders wenn dieses System ein mathematisches reines, des "Scheinwesens Leben" ist (245). Wir messen die Zeit für die Musik, weil wir sie sonst nicht darstellen könnten - mit den diskreten, identischen Zeichen der Notation? Als Mittel für die wiederholbare Aufführung? Schönberg gibt zwei andere Funktionen an. Die für ihn offensichtlich transzendente Zeit wird gemessen, um sie uns anzueignen, um sie 1. uns ähnlicher zu machen und 2. sie zu begrenzen. "Wir können nur das Begrenzte wiedergeben." (245) Die Phantasie stellt sich aber Unbegrenztes vor, sodaß ein Unbegrenztes in der Kunst durch ein Begrenztes wiedergegebenwerden muß. Die musikalische Zeitmessung arbeitet mit dem "Augenmaß" (op.9 wird später mit Metronomzahlen versehen werden) - das ist ein zweiter Fehler, der den ersten, die Unzulänglichkeit in der Nachahmung (nicht die Nachahmung der Sprache und der Geräusche, sondern des Unbegrenzten) quasi korrigiert und sich, vielleicht gefühlsmäßig, der "Freiheit des Unmeßbaren" (245) nähert. Diese Quasi-Korrektur läßt sich konkret benennen: "Betonungen, Beschleunigungen, Verlangsamungen, Verschiebungen"245

Es soll also nicht zu sehr an "die starre Linie"245 des Maßstabs geglaubt werden, denn einerseits geht es um den freien, natürlichen Rhythmus, andererseits um die komplizierte, nach höheren Zahlengesetzen zusammengesetzte Regelmäßigkeit. Die Kombination nach einfachen Zahlenverhältnisses kommt sogar dem freiem Rhythmus näher - kann aber nach Schönberg nicht die allgemeine Grundlage liefern. Denn die Kombination "enthält nur Vielfache der Zahlen 2 und 3. Es ist noch gar nicht lange her, daß die 5 aufgenommen wurde, und die 7 ist uns noch vollkommen fremd." (1911, S.226) Kompliziertere Kombination aus einfacheren Zahlenverhältnisse "bliebe im Verhältnis zu ihren Vorbildern primitiv ..., "da ihr bis vor kurzem noch Vielfache von 2 und 3 zur Kombination genügten. Denn daß die 5 und 7 vorkommen, ist nicht lange her und die 11 und 13 gibts noch nicht. ... Aber die Verwendung ungewöhnlicher Taktarten ... <kann> den Nimbus von Originalität" (1997, 246) zwar hervorrufen, muß aber nicht über den "abgebrauchten Gedanken"246 hinausgehen; "rhythmische Originalität dagegen kann im gewöhnlichen Viervierteltakt bestehen."246 Schönberg konstatiert einen Fortschritt des Maßgefühls bei Spielern und Hörern während der letzten Jahrzehnte: "Der produktive Geist begibt sich auch auf dem Gebiet des Rhythmus auf die Suche, bemüht sich darzustellen, was die Natur, seine Natur ihm an Vorbildern gibt. Darum genügen unsere Takteinteilungen, ihre primitive Naturnachahmung, ihre einfache Zählmethode unsern rhythmischen Bedürfnisses längst nicht mehr. Unsere Phantasie setzt sich über die Taktstriche hinweg: durch Betonungsverschiebungen, durch Aneinanderreihung verschiedener Taktarten und dergleichen mehr." (246) Die Zukunft werde ein neues, unkomplizierteres System der Darstellung bringen. Von den Gesetzen des Rhythmischen bringt Schönberg nur zwei aufs Harmonische bezogene Gesetze aus dem 19. Jahrhundert betreffs des Orgelpunkts und des 6/4-Akkords inder Kadenz.

Gleich nach der Ankunft in Amerika hat Schönberg eine Schrift "Der musikalische Gedanke" entworfen. Aus dem "Gedanke Manuscript" wird im folgenden nach Alexander Goehr's Mitteilungen (Schönberg 1977) und dem Konvolut im Arnold Schönberg Center (Schönberg 1934) referiert.

Entsprechend der eigenen Entwicklung und der der Wissenschaft rückt nun der Begriff der Gestalt in den Vordergrund. "Eine Gestalt besteht in der Regel aus mehr als einer Anführung des Motivs. Oft sind es auch verschiedene Formen des Motivs (z.B. Umkehrung oder Vergrößerung oder Verkleinerung des Intervalls oder auch beides, rhythmische Erweiterung oder Kontraktion). Oft aber besteht sie auch bloss aus einer Motivkette. Jedenfalls wird eine Gestalt charakteristische Eigenschaft haben müssen um ihren Namen zu rechtfertigen: Ein auffallendes Intervall, oder eine Intervallfolge, oder einen auffallenden Rhythmus, oder eine Rhythmusfolge. Eine Gestalt muss nicht notwendigerweise mehr als eine lokale Bedeutung haben." (Schönberg 1977, 11f.) Der Rhythmus wird aus Eigenschaften des Tones abgeleitet: "So wie die Töne ungleich hoch sein müssen, so muss die Dauer verschieden sein. Aber auch die Stärke der Töne muss aus demselben Grund verschieden sein, denn der Rhythmus und die Tonfolge sind aus Ungleichem zusammengesetzt, ungleiche Tonhöhe, ungleiche Tondauer entspricht ungleiche Tonstärke, welche sich als Betonung kundgibt." (14)

Doch das Bemerkenswerte ist, daß weder die Orientierung am Motiv, noch am Ton ausschließlich sind. Das Medium des musikalischen Gedankens können rhythmische Gefühle sein. "Wie man einen Gedanken nicht unbedingt in Worten denken muss, sondern es auch in Komplexen, Vorstellungen, ja vielleicht sogar in Gefühlen davon tun kann, so muss ein musikalischer Gedanke nicht unbedingt in Tönen gedacht werden, sondern kann in Raum und Klang, in dynamischen Komplexen, in rhythmischen, ja in vielleicht sonstigen Gefühlen konzipiert werden." (Schönberg 1934, a <S.> 1)

Die Definition lautet trotzdem wie folgt: "Rhythmus [im Sinne des musikalischen Kunstwerkes <Einfügung Schönberg>] ist nicht <gestrichen: bloß eine> etwa jede beliebige Folge von betonten und unbetonten Anschlägen an sich <Sch.'s Zusatz am Rand mit *:> Eine einmalige rhythmische Erscheinung als Rhythmus anzusehen ist so falsch, wie einen einzelnen Ton 'schön' zu meinen. <Ende des Zusatzes>, sondern es ist dazu erforderlich, dass diese Folge sich wie ein Motiv gebärdet. D. h. dass sie eine bleibende Gestalt bildet, die zwar variiert, ja gänzlich ungebildet und aufgelöst werden kann, die aber, wie das Motiv, immer wieder (verändert oder unverändert, entwickelt oder liquidiert etc. etc.) wiederholt wird. Wie das Motiv der Töne in primitiven Formen unvariiert oder wenig variiert wiederholt wird, so auch der Rhythmus. Und wie in höheren Formen das Motiv sich entwickelt, so müsste sich auch ein Rhythmus entwickeln, auch wenn er nicht an Töne gebunden wäre, sondern bloss an Schritte." (Schönberg 1977, 17) Unmittelbar folgend: "Vielleicht zeigt sich darin, dass dieses Stadium von bloss schallenden Rhythmen nicht erreicht wurde, dass eine rein rhythmische Kunst einer höheren Entfaltung </> nicht fähig war. Dass sie aber in Verbindung mit den Tönen (die ihrer nicht entbehren können) sich zur höchsten Kunst entfalten können, in welcher die tiefsten Gedanken den tiefsten Ausdruck, die tiefste Darstellung und Konstruktion erhalten können." (Schönberg 1934, b <S.> 13f.)

Schönberg gibt dann die Bestandteile der von ihm so genannten rhythmischen Figuren an: 1. die Anzahl der Anschläge (mindestens 2), 2. der Abstand zwischen den Anschlägen (Pausen etc.; Pausen wirken rhythmisch als verschiegene Anschläge), 3. Betonung und Nichtbetonung der Anschläge, 4. das Verhältnis der drei ersten Momente im Verhältnis zu gleichbleibender Größe, dem Takt oder dem entsprechenden Maßstab. "Einmaligen Anschlag oder mehrere Anschläge in gleichem Abstand und gleicher Stärke würden wir als Ruhe oder Monotonie empfinden." (b <S.> 15) Es ist nicht neu, daß Schönberg die produktive Unruhe aus der Dynamik und anderen Mitteln des Vortrags heraus versteht. - Eine Bemerkung zum Tempo verdient mitgeteilt zu werden. Schönberg gibt unter dem Titel "Populäre Musik und Melodik" an, daß die Wirkung dieser Musik darauf beruht, daß Verständlichkeit durch "ein äußerst langsames Tempo der Darstellung'" erreicht werde. (c <S.> 129) - "Der Rhythmus kann sich verändern durch Vermehrung der Anschläge: a) durch gleichmäßige Spaltung (Teilung) einzelner oder aller Momente b) durch ungleichmässige Spaltung" (c <S.> 129)

Die "Einteilung der Rhythmen" nimmt Schönberg so vor: "I. Rh. welche innerhalb eines Taktes Platz finden und ihn umreissen helfen a) welche seine Betonungen markieren <hier folgen die Noten ¼ 2x 1/8 ¼ 2x1/8> b) welche teils seine Betonungen markieren teils die Unbetonungen nutzen c) bloss die Unbetonungen anschlagen d) die den Betonungsverhältnisses entgegenwirken durch Betonungsverlegung II. Rh. welche größeren Raum beanspruchen als einen Takt A) welche nach 2 oder mehreren Wiederholungen wieder auf den Taktteil des ersten Anschlages zurückgelangen a) einfache, aus gleichen Elementen bestehende <schräg darüber:> die einfache Figur ist kleiner als der Takt b) zusammengesetzte auis ungleichen Elementen <schräg darüber:> die Figur ist größer als der Takt B) welche in keinem rationalen Verhältnis zum Takt stehen III. Synkopierte Rh. beginnend mit einem gleich langen angebundenen beginnend mit einem längeren angebundenen beginnend mit einem kürzeren angebundenen angebunden am Ende an eine gleich lange angebunden am Ende an eine längere angebunden am Ende an eine kürzere" (c <S.> 184) "IV. Welche in den Takt Teilungen einmengt, welche durch einen anderen Nenner gebrochen sind als er: ... V. Welche anders gebrochene Teilungen mit Synkopen verbinden ... VI. Scheinbare Synkopierungen, welche anders gebrochene Teilungen schriftlich verständlicher darstellen ... VII. Rh welche in keinem gleichbleibenden Takt untergebracht sind (Taktwechsel) ... " (c <S.> 187)

Zur grundlegenden Dimension von "Betonung und Unbetonung." hält Schönberg folgendes fest: "Es ist eine Rhythmik durchaus vorstellbar, welche aus lauter gleichgewichtigen, aus lauter gleichstarken also unbetonten Anschlägen besteht. Man kann sich davon überzeugen, wenn man ein Metronom für die Dauer eines oder mehrerer Schläge arretiert. Man vermag dann die Fortsetzung betont oder unbetont zu denken, auf mannigfaltige Art - aber in Wirklichkeit ist sie unbetont. Ob die Betonung natürliche Ursachen hat, ob sie der Betonung der Silben in Wort oder der des Sinnes im Satz entspricht oder anderen natürlichen Vorbildern folgt (unter Wassertropfen hat immer einer einen anderen Klang und die Länge der Meereswellen wechsselt ziemlich regelmäßig, unsere Woche hat einen betonten Sonntag und sechs unbetonte Werktage) jedenfalls ist unsere Rhythmik auf dem Wechsel von Betontem und Unbetontem aufgebaut und dieser Umstand macht einen ihrer größten Reize aus." (c <S.> 189) "In der Regel sind an eine betonte nicht mehr als 1 oder zwei Unbetonten gebunden gewesen. Aber die modernen Rhythmik mit ihren 5/8, 7/8, 11/8, 13/8, und ev. 15 und 17/8 bildet somit 4, 6, ja 10, 12, 14 und 16 unbetonten an eine betonte [Noch vor kurzem war ein 5/8 zusammengesetzt 3/8 + 2/8 oder 2/8 + 3/8 oder eventuell 1/8 + 4/8 ...]" (c <S.> 189f.)

Es zeigt sich klar: Für Schönberg ist der Takt aus der Betonung abgeleitet. Es zeigen sich ihm aber auch Mängel des Taktes beim Vorkommen vieler Taktwechsel und Betonungsverschiebungen ohne Taktwechsel, die schon in der Harmonielehre angesprochene Kompliziertheit des Darstellungssystems: "... dass aber doch jedwede rhythmische Feinheit zur Darstellung kommen kann. Es ist, wie wenn man nicht nur in £, sh u p zu rechnen hätte, sondern sie noch mit yards, foots, inches und pounds zu multiplizieren hätte. Denn die Betonung ist es, an welcher wir den Mangel des Taktes am meisten empfinden. Hat sich doch der Takt, der ein Diener des Musizierens sein sollte, zu seinem Herren aufgeworfen. Derart, dass eine dilletantische <!> Ueberbetonung der schweren Taktteile eingetreten ist, die jeder frei schwebenden, den Sinn hervorhebenden <darüber:> erfüllenden <gestrichen:> Betonung Phrasierung im Weg steht. Das ist der Grund, warum sowohl Pianisten und anderen Instrumentalisten als auch sogar Sängern der Sinn für ein <!> cantabilen Vortrag genau so abhanden gekommen ist, wie den Dirigenten. Ihre musikalische Unsicherheit nötigt sie, den Abstand von einem festen Punkt zum nächsten möglichst kurz zu machen. ... Sie gleichen darin Schwimmern, die sich nicht vom Ufer wegtrauen. <... Vergleich mit zuviel betonter Rede ...> ... Gewiß hat der erste Taktteil in jedem Takt eine gewisse Betonung." (c <S.> 191f.)

In den spät geschriebenen Fundamentals für die Komposition (Schönberg 1979a) übernimmt der Kompositionslehrer, nach Rudolph Stephan, Theodor Wiehmayers Auffasung der Phrase als die Einheit der Formenlehre. Sie gehört neben dem Motiv und anderen zu den musikalischen Bausteinen. Phrase - "was man in einem Atem singen kann" (13) - wird so definiert: "Die kleinste strukturelle Einheit ist die Phrase, eine Art musikalisches Molekül, aus eier Anzahl von integrierten musikalischen Eriegnissen bestehend, in sich bis zu einem gewissen Grad vollständig und sehr geeignet zur Verbindung mit ähnlichen Einheiten." (13) In ihr erst bekommt der Rhythmus seine Funktion. "Rhythmisierung ist besonders wichtig für die Gestaltung von Phrasen. Sie trägt zum Interesse und zur Abwechslung bei; auch bestimmt sie den Charakter und ist oft der entscheidende Umstand für die Herstellung der Einheit einer Phrase. Es wird im allgemeinen nötig sein, das Ende der Phrase zum Zwecke der Interpunktion rhythmisch zu differenzieren. Das Phrasenende kann durch eine Reihe von unterscheidenden Merkmale bezeichnet werden wie rhythmische Deduktion, melodische Entspannung durch Abwärts-Schritte, den Gebrauch von kleineren Intervallen und weniger Noten oder durch jede andere geeignete Differenzierung. Die Länge einer Phrase kann in weiten Grenzen variieren ... Taktart und Tempo haben einen großen Einfluß auf Phrasenlänge. In zusammengesetzten Taktarten können zwei Takte als Durchschnitt gelten; in einfachen Taktarten sind vier Takte die Norm. Jedoch in sehr langsamem Tempo kann die Phrase auf einen halben Takt reduziert werden; in sehr schnellem Tempo dagegen finden sich acht Takte oder mehr. Die Phrase ist selten ein genaues Vielfaches der Taktlänge; sie wird in der Regel durch einen oder mehrere Taktteile davon abweichen und beinahe immer wird die Phrase die metrischen Unterteilungen überschreiten, statt mit der Taktlänge zusammenzufallen. Es besteht keine innere Notwendigkeit, dien Phrase auf eine gerade Anzahl von Takten zu beschränken; aber die Konsequenzen der Unregelmäßigkeit sind so weitreichend, daß die Besprechung solcher Fälle für Kapitel XIV vorbehalten bleibt." (13f.) Erst später im Buch diskutiert Schönberg die Parameter des Rhythmus anhand seiner Veränderung: Tondauer, Tonwiederholung, Wiederholung rhythmischer Gestalten, rhythmische Gestalten im Übergang zu anderen Taktteilen, Taktarten oder den Auftakt.

Lassen sich diese Ansätze auf einen Nenner bringen, und wenn schon nicht - , was bedeuten sie in bezug auf Schönbergs Kammersymphonie opus 9 und deren Aktualität?

Walther Dürr/Walter Gerstenberg (1963), Rhythmus, Metrum, Takt, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd.11, 1963, S.383-419

Arnold Schönberg (1911), Harmonielehre, = U.-E. Nr. 3370, Leipzig/Wien: Verlagseigentum der Universal-Edition A.-G. 1911

Arnold Schönberg (1934), Der musikalische Gedanke, datiert "1934", unpubliziertes, von Schönberg handlinienschriftlich geschriebenes und paginiertes Notizbuch; davon Xerokopien in vier Mappen im Arnold Schönberg Center/Wien: Der musikalische Gedanke T 37.06 <a>; Der musikalische Gedanke. Folder I <b>; Der musikalische Gedanke II <c>; Der musikalische Gedanke music ex<ample>. Folder 4 <d>

Arnold Schönberg (1977), in: Alexander Goehr (1977), Schoenberg's Gedanke Manuscript, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute, Vol.II, No.1, October 1977, S.4-25 <S.20-25 Übersetzungen der in Goehr's Text verstreuten Passagen ins Englische>

Arnold Schönberg (1979a), Grundlagen der musikalischen Komposition, übers. v. Rudolf Kolisch, hg. v. Rudolf Stephan, 2 Bde., Wien: Universal Edition 1979 <Fundamentals in Musical Composition, 1967>

Arnold Schönberg (1997), Harmonielehre, wievielte? Aufl. <nach der 3. Aufl., 1922>, = UE 3370, Wien: Universal Edition 1997

Wilhelm Seidel (1998), Rhythmus, Metrum, Takt, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet durch Friedrich Blume, 2. Ausgabe, hg. v. Ludwig Finscher, Sachteil 8, Quer-Swi, Kassel .../Stuttgart- Weimar: Bärenreiter/Metzler 1998, Sp.257-317

Nicolas Slonimsky (1953), A Lexicon of Musical Invective, New York: Coleman Ross Co. 1953

mahr@h2hobel.phl.univie.ac.at

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