mahr'svierteljahrsschriftfürästhetik 

1 (1998), Nr.1/Juni

 

Miszelle

Miszelle zu O.M.Theater und museum in progress

 

Josef Ortner war in den 70er Jahren neben eigenen künstlerischen Aktivitäten Medium bei Aktionen von Hermann Nitschs Orgien- und Mysterientheater. Die so genannten Medien sind meistens Männer - in der 1. Aktion 1962 Nitsc h selbst, dann etwa Rudolf Schwarzkogler oder Heinz Cibulka. Sie treten nackt, selten weiß gekleidet in Erscheinung. Bewegungslos sind sie auf Bahren, Tröge gelegt, an Kreuze, Pfähle gebunden, ihre Körpersymmetrie wird herausgestriche n. Sie werden mit Farbe, Blut, Eingeweiden, Binden, Lebensmitteln belegt, begossen, angeschüttet, beworfen. So soll, von den parapsychischen Gefilden ins Irdische zurückgeholt, der Körper Medium für ein "Urexzeßerlebnis" (Hermann Nitsch, Fest des Psycho-physischen Naturalismus, 1963) sein, das für die Person des Körpers selbst wie für die teilnehmenden Betrachter erfahrbar wird.

Man könnte sagen, daß Ortner seine Kunstaktivitäten zu Beginn der 80er Jahre nur vorübergehend aufgab. Mit Kathrin Messner, deren buchhändlerische Tätigkeiten in der Wiener Sonnenfelsgasse von Ortners Schw ester Judith übernommen wurden, pachtete er gleich nebenan einen Raum: Die Bar sollte zum gastwirtschaftlichen Zentrum der Künstler Wiens der mittleren 80er Jahre werden, ihre Kunst aufgehängt/aufgestellt (der damalige Kellner Amer A . Abbas entwickelte Sammlungsaktivitäten, die zur Gründung einer eigenen, kurzzeitig bedeutenden Galerie führten). 1988 kam es zu einer zweiten Lokalgründung, die Disco und Restaurant vereinigen sollte. MAVO stellte Kunst weniger aus, als es sie in das Gesamtdesign einschloß. Auch sollte ein Clubraum Videos in einer intimeren Atmosphäre präsentieren, und in einem zusätzlichen Raum wurde eine Kunstagentur angeschlossen.

Robert Fleck, der 1992 neben Cathrin Pichler von Bundesminister für Unterricht und Kunst Rudolf Scholten zum Kurator für zeitgenössische Kunst bestellt wurde, fand in der von MAVO zum museum in progress (mip) gewandelten Agentur ein ideales Vehikel für die Initiierung von Kunstprojekten. Scholtens Idee bestand darin, Unternehmungen anzuregen, die direkt von Künstlern kommen sollten. Nicht aber Galerien oder auch Museen und Kunsträume sollten das Geld geben und das begleitende Management durchführen, der Kurator/die Kuratorin sollte über ein gewisses Budget direkt verfügen und aus diesem quasi ortlosen wie institutionslosen Raum für Innovationen sorgen. Da der Kurator nur Geld an Projekte vergeben darf (nicht aber an Künstler ohne Projektwidmung), war schnell klar, daß die Form eines die Künstler betreuenden Managements die größten Chancen auf Erfolg hatte.

Während MAVO Agentur eher im Hintergrund gearbeitet hatte, verschmolz mip nun so sehr mit der Öffentlichkeit, daß es einen nahezu virtuellen Charakter annahm. Wenn es auch eine Adresse gibt, so finden keine bodenstä ndigen Aktivitäten statt wie Ausstellungen oder andere Veranstaltungen mit Kunstobjekten. museum in progress - klein geschrieben wie in den traditionskritischen 70er Jahren - ist zuvörderst ein Logo. Weder bedeutet es ein Museum im herkömml ichen Sinn (auch fragt sich, wo und woraus das Archiv des Museums besteht), noch gibt es einen Fortschritt, es sei denn denjenigen, den sich in den 90er Jahren jene Menschen in Österreich wünschen, der zu dem seit Jahrzehnten geplanten Museumsko mplex im ehemaligen Messepalastgelände des 1. Wiener Gemeindebezirks führen soll. Bestimmt bedeutet mip dies aus der ironischen Distanz eines Anti-Museums mit. Wenn mip weder Museum, noch Galerie, aber auch kein wie immer gearteter Veranstaltung sraum ist, was ist mip dann?

Hier muß der Zusammenhang der Kunstwelt eingeblendet werden, denn nicht nur in Österreich führte der Zusammenbruch der galerienorientierten Kunststruktur zu einer verstärkten Aufmerksamkeit auf eine Kunst im öf fentlichen Raum. Nach einem gewissen Abschied vom politisch als öffentlich bestimmten dreidimensional-physikalischen Raum haben sich in den 90er Jahren erneut die Massenmedien in der Kunst Geltung verschafft. Wenn aber mip wie in den 60er/70er Jahren die Verwendung von Fernsehen und Printmedien einschließlich Werbeplakatflächen aufnimmt, so ist weniger auf die auffällige Ausklammerung digitaler Öffentlichkeit wie Internet hinzuweisen als auf die grundlegend veränderte Organi sationsstruktur, in der sich das museum in progress bewegt.

Es könnte nämlich sein, daß zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst Massenmedien das Objekt der Kunst sind, und zwar Massenmedien, wie sie als in die Organisation politischer Verwaltung transformiert erscheinen. Die p olitische Verwaltung selbst ist medial - das heißt in den Massenmedien - transparent, sodaß die Kunst sich nun im Medium der Kunstpolitik abspielt. Damit werden die Künstler selbst zum Material, die Organisatoren zu den Künstlern. Di e Behauptung lautet daher: zu den wichtigsten österreichischen Künstlern der 90er Jahre zählen Rudolf Scholten, Robert Fleck, Stella Rollig und mip, wie immer sie auf die Leistung derjenigen Projektanten verweisen werden, an denen sie forme ll Aufträge vergeben haben.

Anders gesagt: Die erneute Politisierung der Kunst seit den späten 80er Jahren läuft - durchaus im Sog der dramatisch sich entwickelnden digital-medialen Integration auch innerhalb ästhetischer Kommunikation - auf eine Me diatisierung der Politik hinaus, wie sie in einer zumindest symbolisch verformbar werdenden konzeptuellen Institution Gestalt annimmt (vgl. Robert Fleck, Museum und Concept Art, 1992). Hiermit gilt aber auch, daß die kuratorischen Partizipienten der Kunstpolitik ästhetische Bedeutung erlangen, die einer Kritik der Kunst zugänglich wird. Trabanten des Ministeriums werden selbst zum Medium. Und die Magie dieser medialen Erfahrung erscheint nun seltsam rückgekoppelt an die Anonymitä t des Mediums reiner Rezeption, wie es innerhalb des synästhetischen O.M.Theaters eine christologische Mitte zu verkörpern hatte. Medium ist daher auch soziale, juristische Person und nicht mehr nur psychologisch "im Okkultismus und Spiritismus die Person, die die angebliche Vermittlung zwischen der 'Geisteswelt' und den Menschen übernimmt, die etwas von den 'Geistern' wissen wollen." (Johannes Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1955)

 

(c) Peter Mahr, mit freundlicher Genehmigung des Kunsthistoriker aktuell.

 

 

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