peter.mahr

 
<2017.2.> Wolfgang Kos und der Niedergang von Ö1. 581.580 Zeichen. Online 28. 6. 2017, mit einer Stellungnahme von Bertl Mütter (29.06.2017 13:14, online 31. 7. 2017, modifiziert 21.09.2017 17:14, 1.343 Zeichen), einem Schluss (98.321 Zeichen online 30. 9. 2017) und einem in diesen, vor "Zusatz A", integrierten Absatz (3.539 Zeichen online 16.12.2017) .html



a. Geld

b. "Ö1 bis zwei" - vorbei! Tell Danzinger the News

c. Wolfgang Kos' Ö3-Museum auf Ö1

d. Pink Floyd, Eela Craig und die Regression

e. drei Zwischenfragen: Spielen Ö3 und FM4 klassische Musik? Axiom

f. die Ö1-Musikchefin: Avantgarde-Leitung und James-Last-Laudatio?

g. Marriner? „Halt eben ohne ihn.“ Woher der Hass auf die Klassik?

h. Abgewatscht von Oliver Baier: Markus Hinterhäuser im Café Sonntag

i. Anti-Schönberg – zum Hintergrund der zeitgenössischen E-Musik in Ö1

j. die Musikfünftelstunde und die zeitgenössische Musik. Ö1 pro Kitsch

k. Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet?

l. Dylan, Jelinek, Nöstlinger

m. "Musik aus allen Richtungen" der Welt?

n. die Musikinstrumente von Ö1 und die Musikschulen Österreichs

o. derstandard.at, zum opinion leading missbraucht

p. Darf ich ein paar Minuten wegknabbern? 10.080 Minuten, Werbeanteil

q. Doris Appel antwortet. Das Bild des Menschen

r. Any time, any time! Das Nachrichtenjournalwetter und seine Knechte

s. die Signations und der Niedergang der Hörqualität

t. "Was uns ausmacht." Eine Leistungsschau...Objekt 100: Zwölftontechnik

u. Radiohundtheorie I: Kant, Cavell, Goodman, Knilli

v. Radiohundtheorie II: Wrabetz 2016, permanente Reform, visual radio

w. zur Ö1-Präsenz im Internet, das naturgemäß primär visuell ist

x. eine Sendung als Modell der Zukunft. Das Nichtbild

y. soziologische Bemerkung

z. Hörspiel

Adressaten, editorische Bemerkung

Stellungnahme von Bertl Mütter 29.06.2017 13:14, online 31. 7. 2017, modifiziert 21.09.2017 17:14

Schluss

Biblio-/Diskographie


a. Geld



"Sehr geehrter Herr Peter Mahr, zur Klarstellung: ich habe Sie ersucht, darüber nachzudenken, ob Sie einmal persönlicher Gast in einer Ö1-internen Diskussion sein möchten. Diese ö1-internen Inhaltsdiskussionen mit 'Machern' der Ö1-Journale veranstalten wir in unregelmäßiger Reihenfolge mit ö1-HörerInnen, von denen wir annehmen, dass sie daran Interesse habe und dass sie inhaltlich etwas beitragen können. Wir haben solche Foren bisher mit ExpertInnen aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Publizistik abgehalten. Diese ExpertInnen sind jeweils gerne und unentgeltlich für eine ungefähr ein-einhalb-stündige Diskussion zur Verfügung gestanden." (E-Mail von Ex-ORF-Hörfunkdirektor Karl Amon an Peter Mahr am 20.03.2006 11:08, unredigiert)

"Der General kommt, um zehn Prozent aufgestockt, auf 410.000 Euro im Jahr. Die übrigen Direktoren auf 300.000. Radiodirektor Karl Amon erhält 314.000 Euro." (fid, Was die ORF-Chefs verdienen. Und warum 2012 bei manchen nach oben ausschlug: Systemwechsel und letzte Boni http://derstandard.at/1388651026553/Was-die-ORF-Chefs-verdienen 14. Jänner 2014, 21:09)

"Wrabetz ... Sein Vertrag ab Jänner dürfte nun fix sein. Kolportiert werden nun etwa nur maximal zwei statt bis zu fünf Jahre Gehaltsfortzahlung bei vorzeitiger Ablöse." (fid, ORF: 6,5 Prozent mehr GIS, weniger Formel 1 und Fußball http://derstandard.at/2000049363467/6-5-Prozent-mehr-GIS-weniger-Formel-1-und-Fussball 15. Dezember 2016, 17:09)

ZiB2-Moderator Armin Wolf ist in die höchste Gehaltsstufe des ORF-Kollektivvertrags aufgestiegen: 18 Stufen gibt es, wer in die höchste fällt, erhält rund 140.000 Euro brutto pro Jahr.“ (Anna Maria Wallner, Gehaltsposse um ORF-Aushängeschild Armin Wolf http://diepresse.com/home/kultur/medien/643647/Gehaltsposse-um-ORFAushaengeschild-Armin-Wolf 21.03.2011 | 18:23)

"Dem Rechnungshof zufolge liegt das durchschnittliche, jährliche Bruttogehalt der ORF-Angestellten bei knapp 75.000 Euro." (Michael Fiedler/Julia Gindl/Johann Groiss/Mark Hammer/Tanja Malle/Anna Masoner/Alexandra Augustin/Sonja Bettel/Daniela Derntl/Nicole Dietrich/Ulla Ebner/Isabelle Engels/Benjamin Feichter/Bettina Figl/Raffael Fritz/Johanna Jaufer/Monika Kalcsics/Barbara Kaufmann/Nora Kirchschlager/Natasa Konopitzky/Christoph Kobza/Barbara Köppel/Michael Köppel/Cornelia Lee/Christian Lerch/Ute von Maurnboeck-Mosser/Lisa Mayr/Uschi Mürling-Darrer/Marlene Nowotny/Christian Pausch/Tina Plasil/Sylvia Sammer/Christine Scheucher/Georg Schrodt/Astrid Schwarz/Katharina Seidler/Beatrix Therese Sommersguter/Anna Soucek/Mariann Unterluggauer/Sonja Watzka/Simon Welebil/Irmgard Wutscher, Randnotiz aus dem Prekariat. Kommentar der anderen. Keine Traumjobs für die freien ORF-Mitarbeiter http://derstandard.at/1325485794297/Freie-ORF-Mitarbeiter-Randnotiz-aus-dem-Prekariat 6. Jänner 2012, 19:10)

"Der ORF ... wenn er Qualitätsjournalismus um 2,30 Euro pro Stunde will, okay, aber dann soll er es sagen." (Oliver Mark, Ö1: "Schmerzgrenze" bei freien Mitarbeitern erreicht. Sendungen um zwei Euro/Stunde, Überlastung und Demütigung - Freie Ö1-Journalisten über Prekariat und Qualitätsanspruch. Interview mit Ursula Scheidle, Monika Kalcsics, Isabelle Engels und Arno Aschauer http://derstandard.at/1338558702910/ORF-Prekariat-Oe1-Schmerzgrenze-bei-freien-Mitarbeitern-erreicht 5. Juni 2012, 18:40)

Das Jahresbudget für die Ö1-Religionsabteilung wurde von 2000 bis 2012 um zwei Drittel gekürzt. (unbenannte Quelle)

"Die Budgetverhandlungen des ORF für 2017 sind angelaufen, und wie gewohnt mit hohen Sparvorgaben zur Eröffnung. Kolportiert werden da 700.000 Euro Sparvorgabe für Ö1 und weitere 700.000 Euro Sparvorgabe für die Radio-Information." (red, Aufregung um Sparvorgaben für Ö1 und Radioinformation. ORF-Radiodirektor: Beginn der Budgetverhandlungen, Vorgaben "niedriger" als kolportierte 700.000 weniger für Ö1 und 700.000 für Radio-Info http://derstandard.at/2000045487410/Aufregung-um-Sparvorgaben-fuer-Oe1-und-Radioinformation 6. Oktober 2016, 16:02)

"Wrabetz: Wir haben das Budget von ORF 3 heuer schon von sieben auf 13 Millionen Euro erhöht. Aber wir brauchen gerade hier einen weiteren Investitionsschub. Ich will von den 13 Millionen in den nächsten drei Jahren auf 20 Millionen Euro Jahresbudget für ORF 3 kommen – und von 35 Mitarbeitern in einem Stufenplan auf 60." (Harald Fidler, Interview ORF-General Wrabetz: Redakteure sollen ihre Chefs abwählen können. Mehr Rechte für Redakteure, mehr Millionen für ORF 3, mehr Rechte für ORF-Direktoren – und real gesunkene Rundfunkgebühren, http://derstandard.at/2000036857098/ORF-General-Wrabetz-Redakteure-sollen-ihre-Chefs-abwaehlen-koennen?_articlePage=8 13. Mai 2016, 08:47)




b. "Ö1 bis zwei" - vorbei! Tell Danzinger the News



You know my temperature's risin'

The jukebox's blowin' a fuse

My heart beatin' rhythm

And my soul keep-a singing the blues

Roll over Beethoven

And tell Tchaikovsky the news

(Chuck Berry and his Combo 1956)



Man kann die Intervention des heute de facto Kulturchefs Wolfgang Popps in ihrer symbolischen Bedeutung nicht hoch genug einschätzen. Das gewaltsame, von Musik-Chefin Elke Tschaikner offensichtlich geduldete, wenn nicht sogar angeordnete Eindringen der Nachricht von der Nobelpreisverleihung an Bob Dylan am 13. Oktober 2016 in die Klassiksendung "Ö1 bis zwei" zusammen mit der Abspielung von dessen "Rainy Day Woman" war nichts anderes als ein "tell Tchaikovsky the news". Es war die News, dass es mit "Ö1 bis zwei" vorbei sein würde. Die Reform, die "Ö1 bis zwei" das Leben kostete, war wohl zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache, umzusetzen zum 1. Mai 2017. Gustav Danzingers Anrede "Herr Popp", wobei Danzinger zwischen "Herr" und "Popp" eine kurze, aber merkliche Pause setzte und "Popp" eigens betonte, machte klar, was Danzinger von Popps Intervention hielt.

Aber es war nicht das erste Mal, dass die beste Musiksendung auf Ö1 so schlecht behandelt wurde. Nicht nur die Programmierung und die Moderation, sondern auch die Technik musste in den letzten Jahren von den ModeratorInnen von "Ö1 bis zwei" allein bewältigt werden - ganz im Unterschied zu "Guten Morgen Österreich", wo die ModeratorIn von einer ProgrammerstellerIn und einem Tontechniker unterstützt wird. Mehr als einmal in den letzten Monaten von "Ö1 bis zwei" kamen Danzinger und seine KollegInnen nicht mit dem CD-Player oder was auch immer sonst von den Geräten zurecht.

Dabei bewährte sich der Sendungsverantwortliche Gustav Danzinger, der über Mahlers Zweite dissertierte, auch als ein Meister in der technischen Panne. (Mit solchen hatten sich auch herumzuschlagen Peter Kislinger am 6. 10. 2017 und schon Mirjam Jessa am 1. 10. 2013.) In bewundernswerter Weise brachte Danzinger am 7. März 2017 ebenso Contenance wie Ironie auf: "da ist leider irgend etwas ...", und nach der erzwungenen Pause von 1:01:50 Uhr bis 01:02:55 Uhr inklusive 12 Sekunden Stille mit Hantiergeräuschen etwas später von 1:09:25 Uhr bis 1:09:35 Uhr: "Zum Glück haben wir noch ein paar Technikerinnen und Techniker im Funkhaus, die mir da jetzt geholfen haben und auch noch weiterhin helfen werden." Die Sendung selbst stellte Jamina Gerl in den Mittelpunkt, ihre CD des Tages "Wanderer", mit Klavierwerken von Schubert, Liszt, Mendelssohn, Debussy, Schostakowitsch, eine Kostbarkeit nach der anderen enthaltend. Danzinger war gezwungen, ein Stück vorzuziehen, ohne dass er es in der hereingebrochenen Verwirrung ankündigen konnte. Vielleicht auch nur zufällig im zweiten CD-Player liegend oder in diesen umgewechselt, kam gleich zu Beginn ein sehr schönes, langsames, ruhiges Stück zu Gehör aus Franz Schuberts Zyklus Der Wanderer, bearbeitet von Franz Liszt und gespielt von Jamina Gerl am Klavier. Mit viel Affinität zur Musik, zur Musikerin Gerl und zur CD-Produktion - ein Wunder, dass die Ö1-bis-zwei-MacherInnen sich mit derart viel Empathie auf die Flut an Neuerscheinungen über viele Jahre einließen - hatte Danzinger seinen Plan souverän umgestoßen. Nun kam Schuberts Die Nacht, DV 983 C op.17 Nr.4 "Wie schön bist du, freundliche Stille, himmlische Ruh" in einer Bearbeitung für Hörner. Es folgte, eingeschoben, Mendelssohn-Bartholdys Fantasie fis-moll op.28, das Con moto agitato - 1.Teil, von Gerl schön gefasst und gut gespielt. Danzinger brachte wieder eine (Selbst-?)Ironie fein auf, die zu Ö1 passen würde: "Da ist auch ein Wanderer unterwegs und weiß nicht, wo's hingehen soll." (1:20:05 Uhr bis 1:20:10 Uhr) Auf das überraschende Lied The Wanderer aus Haydns Londoner frühromantischer oder besser bereits spätklassischer Zeit - wenn dieser Begriff hier überhaupt Sinn macht (Hob.XXVIa/32) - ließ Danzinger entgegen dem Plan zwei der Drei phantastische Tänze aus Schostakowitschs opus 5 von der Hand Gerls folgen. Dann kam eine Mahler-Bearbeitung für gemischten Chor an die Reihe, wohl besser passend die Nummer Vier und nicht Zwei aus den Lieder eines fahrenden Gesellen. Dieser Einsatz von Chormusik, der auf "Ö1 bis zwei" so wie auch Orchestral-Symphonisches eher problematisch war und daher meist unterblieb, passte hier gut, nach den eher sparsamen Klavierstücken. Gekonnt setzte Danzinger darauf hin mit einer Wende zum "steiermärkischen Großvater" der Pianistin Gerl, Chabrier und dessen Bourrée fantasque, dem effektvoll sieben Minuten spätromantisches Symphonisches mit Mezzosopran von Richard Strauss aus dessen Vier letzten Liedern folgte. Langer Ausklang, beinahe Pause. Nun konnte Danzinger mit dem beinahe ohrwurmenden Allegro von Schuberts "Wanderer-Fantasie" Gerl das musikalische Schlusswort erteilen und sein berechtigtes, beinah überschwängliches Lob im Blick auf "die zu vielen Aufnahmen" verkünden. Nach der überaus gelungenen Sendung, aus einem Mißgeschick heraus, schloss Danzinger von 1:52:20 Uhr bis 1:54:00 Uhr mit einer langen Absage inklusive Ankündigung souverän.

Hier die Liste, in der Reihenfolge fett die umgestellten, durchgestrichen die ursprünglich vorgesehen Tracks:

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Bearbeiter/Bearbeiterin: Franz Liszt

Titel: Der Wanderer D489, bearbeitet von Franz Liszt

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:30 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Franz Schubert/1797 - 1828

Bearbeiter/Bearbeiterin: Josef Reif /Arrangement

Titel: Die Nacht, DV 983 C op.17 Nr.4 "Wie schön bist du, freundliche Stille, himmlische Ruh" - Quartett für Männerstimmen / Bearbeitung für 5 Wiener Hörner

Ausführende: Vienna Horns /auf Wiener Hörnern

Leitung: Alois Glaßner

Länge: 03:12 min

Label: ORF Radio Österreich 1 CD 483

Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn-Bartholdy

Titel: Fantasie fis-moll op.28

* Con moto agitato - 1.Teil

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 05:26 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Joseph Haydn/1732 - 1809

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Anne Hunter/1742 - 1821

Titel: The Wanderer, Hob.XXVIa/32

Solist/Solistin: Arleen Augér /Sopran

Solist/Solistin: Walter Olbertz /Klavier

Länge: 05:04 min

Label: Berlin Classics 0090442BC

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch

Titel: Drei phantastische Tänze op.5

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:52 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Gustav Mahler

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Gustav Mahler

Bearbeiter/Bearbeiterin: Clytus Gottwald

Titel: Die zwei blauen Augen - Nr.2(4!) aus "Lieder eines fahrenden Gesellen" / Bearbeitung für gemischten Chor a cappella

Chor: Concentus Vocalis

Choreinstudierung: Herbert Böck

Länge: 05:00 min

Label: ORF Radio Österreich 1 CD 315

Komponist/Komponistin: Emmanuel Chabrier

Titel: Bouree fantasque

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:04 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Richard Strauss/1864 - 1949

Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Joseph von Eichendorff/1788 - 1857

Titel: VIER LETZTE LIEDER

* Nr.4 Im Abendrot 00:07:02

Solist/Solistin: Gundula Janowitz /Sopran

Orchester: Berliner Philharmoniker

Leitung: Herbert von Karajan

Länge: 07:14 min

Label: Decca 4679102

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Bearbeiter/Bearbeiterin: Franz Liszt

Titel: Der Wanderer D489, bearbeitet von Franz Liszt

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:30 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Felix Mendelssohn-Bartholdy

Titel: Fantasie fis-moll op.28

* Con moto agitato - 1.Teil

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 05:26 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Dimitri Schostakowitsch

Titel: Drei phantastische Tänze op.5

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:52 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Emmanuel Chabrier

Titel: Bouree fantasque

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 06:04 min

Label: TXA16082

Komponist/Komponistin: Franz Schubert

Titel: Fantasie C-Dur D 760 ("Wanderer-Fantasie")

* Finale: Allegro

Solist/Solistin: Jamina Gerl/Klavier

Länge: 03:43 min

Auch von Renate Burtscher, Mirjam Jessa und Albert Hosp sowie aufgrund von Besetzungsproblemen unter dem Jahr fallweise deren VertreterInnen - Scheib, Brusatti, Elstner, Kislinger, Vogel, Kayali (neben den großartigen Sommervertretungen vor einigen Jahren) - wurde das Niveau generell hoch gehalten: ausgespielte Teile oder Ganzes von Stücken, kein Drübersprechen über die Musik, keine Ein- und Ausblendungen der Stücke, sorgfältig ausgeschriebene Moderationstexte, ein deutlicher Blick aufs Ganze der Sendung, deren Konzept durch die 21 Jahre ihrer Existenz nicht dasselbe blieb. Dennoch kann durch die Praxis vom Kern eines Konzepts gesprochen werden: "CD des Tages", aber nie nur sie, sodann nichts Mehrsätziges in einem Stück durchgespielt, verbal wenig Hintergrund und dieser pointiert, entlegene Musik gut eingebettet, Gesang und Orchestrales eher selten und dosiert (die Vielstimmmigkeit des Mittagsjournals als Hypothek), keine CD-Sampler, keine Neupressungen, kein Applaus und Titelansagen oder Titelandeutungen/Titelhinführungen vor der gespielten Musik. Vorbereitet und hindurchgegagen durch die Mixes von "Pasticcio", die heute mitunter in Potpourris abgleiten, entwickelte sich "Ö1 bis zwei" zu einem musikalischen Essay, in dem seine GestalterInnen all ihr Können und Wissen sowie all ihren Geschmack aufboten, um die "CD des Tages" ohne billige Werbemethodik zugleich herauszustreichen und zu transzendieren.

Hier das Programm der letzten acht Monate bis zum 28. April 2017:

5.-9.9.16 Burtscher:

Schöne Welt, wo bist du? Streichquintett und Liedbearbeitungen

"Flabbergasting" - frühe Aufnahmen für den Rundfunk: Martha Argerich

Es lebe Carl Philipp Emanuel

Cappella Gabetta: Habsburger Hof Karls VI.

Goldbergvariationen-Bearbeitungen

12.-16.9.16 Jessa:

Gershwin in Hollywood. John Wilson rekonstruiert

Glasharmonika Duo + Haydn Jahreszeiten, Jephtha, Mozart Klavierkonzert

Anna Prohaska und Il Giardino Armonico: Kleopatra und Dido

Brahms vom Belcea Quartet + Telemann, Brahms-Trio, Larcher Klavierkz.

Kleiber Orchesteraufnahmen + Wiener Lied, gesungen von Oskar Werner

19.-23.9.16 Danzinger:

Haydn-, Mozart-Lieder mit Anne Cambier + Weller Quartett

Männerchöre von Franz Schubert + Weller Quartett

Lars Vogt spielt Larcher, Schumann und Bartok + Weller Quartett

Nicola Benedetti: Violinkz. Schostakowitsch, Glasunow + Weller Quartett

Geistliche Chorwerke von Tschaikowsky + Weller Quartett

26.-30.9.16 Hosp:

Novus String Quartet: Webern 1905, Beethov., Isang Yun + Bruckner, Bach

Ramsch&rosen + Chopin, Muffat, Joseph Strauß, CPE Bach

Antoine Forqueray: Gamben-Suiten + Maurice Ravel, Gaspar Sanz

Daniel Harding dirig. Berlioz und Rameau + Mozart, Gossec-Quartett

Message from G.<ulda> + Straw.L'histoire du soldat, Bach/Moz. Streichqu.

3.-7.10.16 Kislinger:

Vilde Frang Violinkonzerte Korngold, Britten + Hermann Prey

Matthias Kirschnereit: Händels Klavierkonzerte op. 7 + Bach, Bartoli

Minnesota Orchestra/Osmo Vänskä: Sibelius 3, 6, 7 + Melartin/Isokoski

Raff für Cello + Raff

Manze/Royal Liverpool Philharmonic: Vaughan Williams 2, 8 + Britten

10.-14.10.16 Danzinger:

Kirill Gerstein: Franz Liszt Etüden + Berlioz, Mahler 8, Debussy, Haydn

Haydn Streichquartette op. 50 + Barber, Gal, Ligeti, Rota

"Sophie und der gute <Hugo> Wolf. Lieder nach Goethe..."+Haydn, Beeth.

Geiger Jan Mracek und Dvorak + Haydn 85, Dylan Rainy Day Women

Heinrich Isaacs Messe für Kaiser und Papst + Haydn Jahreszeiten, Brahms

17.-21.10.16 Burtscher:

Neue Hofkapelle Graz spielt Johann Joseph Fux

Bachs Orgelwerk digit. auffris.: Cameron Carpenter + Piazzolla, Rathgeber

Kristian Bezuidenhout: Mozart auf Hammerklavier + Kremerata Baltica

Pianist Lucas Debargue: Scarlatti und andere + Mozart, Schostakowitsch

Masaaki Suzuki: Strawinski Pulcinella-Suite + Bach, Crusell Klarin.konz.

24.-28.10.16 Jessa:

Haydns erstes Cellokonzert Clem. Hagen + Ligeti, L. Vogt, Jupiter-Symph.

Christina Pluhars Singspiel "Orfeo Chamán" + Sartorio, Gluck, Monteverdi

(Feiertag)

Duo Chasot + Piazolla, Pärt, Schostakowitsch

Jean-Guihen Queyras mit anderen: "Thrace", Dvorak, Schubert, Monn

31.10.-4.11.16 Danzinger:

Murray Perahia: Bach Franz. Suiten + Debussy, Symph. Britten Haydn

(Feiertag)

Choir of Clare College Cambridge + Kammermusik Haydn, Schubert

Andris Nelsons dir. Schostakowitsch + Haydn 96 u. 98, Beethoven-Messe

Benjamin Grosvenor Klav.-Hommagen + Offenbach Haydn Kammermus.

7.-11.11.16 Hosp:

Zoltán Kocsis 1952-2016

Liedsänger Benjamin Appl + Wiener Lieder, Schuberts Bläseroktett

Cellistin Camille Thomas/Pianist Julien Libeer: Francks A-Dur-Son, Ysaye

Federspiel <VolksmBläs>: Smaragd + Zoltán Kocsis' Bartok Mikrokosmos

Le Concert de la Loge Symph: Haydn Rigel + Nachruf Flötist Eugen Bertel

14.-18.11.16 Kislinger:

Klavierquartette v. Helvi Leiviskä, Ilmari Hannikainen + Schreker, Bartok

Honeck: Elektra-, Rosenkavalier-Orchestersuiten + Elektra

Franz Schmidt: Quintett A-Dur + Prokofieff, Weill

Schumann: Konzert für Violoncello & Symphonie Nr. 2 (1., 4.Satz)

Lenaerts/Grammenos: Harfe/Klarinette v. Schumann u. Schubert + Mahler

21.-25.11.16 Danzinger:

Weilerstein: Schostakowitsch Cellokonz. + Mahler,Rossini,Wagner,Haydn

Monteverdi geistliche Chormusik: Sixteen + Wolf-Ferrari, Liszt, Haydn

Schnabel: Beethoven + Schönb. Pierrot Lunaire Nr.20, Haydn-Lied, Ravel

Suzi Digbys <Vokal->Ensemble Ora: Musik nach Savonarola + Sonaten

Erik Bosgraaf: Telemann Blockflöten-Doppelkonzerte + Symphon. etc.

28.11-2.12.16 Burtscher:

Mendelssohn-B., Schumann: Widmann/Chamber Orchestra of Europe +

2 Schubert Klaviertrios mit Staier, Sepec u. Dieltiens

Alexandre Tharaud: Rachmaninow + Philidor, Couperin

Delian Quartett: Schostakowitsch + Klavier: Chopin, Poulenc

Mitsuko Uchida und Cleveland Orchestra: Mozart Klavierkonzerte

5.-9.12.16 Jessa:

Michelangeli: Schumann, Chopin, Brahms, Galuppi, Beethoven, Debussy

P. Kopatchinskaja: D.Tod u.d.Mädchen + Ravel,Dowland,Gesualdo,Kurtag

A. Pärt Kanon Pokajanen: Cappella Amsterdam + Janácek,Enescu,Schubert

(Feiertag)

Vokalsextett Slixs swingt Bach + Larsen, Costa

12.-16.12.16 Danzinger:

Chor Voces 8: In the bleak midwinter + Diverses

A. Ibragimova/C. Tiberghien: Violinsnt. v.Mozart + Bach, Britten, Haydn

Bach-Motetten Arnold Schoenberg Chor + Hindemith, Haydn

Maurice Steger und Ensemble: Hasse, Porpora, Piani, Sammartini

Louis Spohrs dreichörige Messe + Haydn, Beethoven, Bach

(2.-6.1.17 Das Popmuseum)

9.-13.1.17 Burtscher (Mi: Danzinger):

Ysaÿe Violinfuge + Prokofiew-Sonate, Mahler-Lied

Flötenkonzerte für Friedrich II + Haydns Feuersbrunst

Allegro Vivo+: Dvorak, Valle-Lattanzio, Gershwin, Barber, Bernstein, Rota

Michael Korstick: Ginastera Klavierwerk; + Vivanco, anon., Piazolla

K.Kashkashian/LeraAuerbach:Schostakowitsch,Auerb.+Bruckner, Mozart

16.-20.1.17 Jessa (Do, Fr: Danzinger):

Tetzlaff u.a.: Streichquartette Verdi, Dvorak + Arien/Lieder Verdi, Dvorak...

Carmignola/Beyer Vivaldi Doppelviolinkonz.e+Délibes;Netrebko,Previdi...

Andras Schiff Zugaben: Bach, Schubert, Haydn, Mozart +Rial singt Händel

Schwestern Erb: Vokalduette Mendelssohn-Barth./Fanny Hensel + Haydn

Yutaka Sado und Tonkünstler: Bruckner 4; + Bernstein, Mahler, Haydn

23.-27.1.17 Danzinger (Do, Fr: Jessa):

Haydn, Luther, Schütz, Mendelss.-Bartholdy, Bach, Wagner + Meyerbeer

Ehnes Streichquartett: J. Ehnes, Schubert, Sibelius+Haydn 98, Beethoven 7

Alexander Melnikov: Prokofjew Klaviersonaten + Mossolow, Haydn 101

P. Kopatchinskaja/Anima eterna: Tschaikowsky Violinkonzert + Strawinski

Joshua Bell/Steven Isserlis: Brahms' Klaviertrio u.a. + Schubert, Schumann

30.1.-3.2.17 Hosp:

Eggner Trio: Pirchner + Vokalmusik v. Schubert, Bruckner, Puccini

Simone Vallerotonda, Laute: Zamboni, Vallerotonda +Händel, Rascel, Bach

Sol Gabetta: Konzerte Elgar, Martinu + Theophil Ensemble Wien

Pauline Sachse/Viola: Schubert-Lieder, Schostakowitsch + Wunderlich...

Josef Hader zu Gast: Il Giardino Armonico, Quatuor Mosaiques, G. Gabler

6.-10.2.17 Elstner:

Stadtfeld: Bach, Chopin, Stadtfeld + Fellner; Oratorium Paulus, Schiff ...

Mozart + Bach

De Wert Motetten; Harnoncourt: Purcell Gambenfantasien + Williams...

1917: Respighi, Bartok, La Rocca, Akst, Debussy, Paderewski, Ravel, Satie

Neukomm: Requiem Louis XVI + Mozart, Neukomm

13.-17.2.17 Danzinger:

Busch Trio: Dvorak + Smetana, Beethoven, Dvorák, Haydn

Cappella Murensis: Georg Muffat "Missa in labore requies"+ Kammermus.

Olivier Latry, Rieger-Orgel: Debussy, Saint-Saens, Rimsky-Korssakow...

Goldmund-Quartett: Haydn-Quartette + J. Strauß S., Krenek, Fabich

P. Anderszewski/Klav.: Mozart, Schumann + Haydn, R. Strauss, Williams

20.-24.2.17 Burtscher (Mi: Danzinger):

Trio Wanderer: Beethoven,Dvorak+Babinsky/Wykydal: Schulhoff, Piazolla

Emmanuelle Bertrand/Cello: Philidor, Saint-Saens + Gulda/Gulda

A. Ottensamer/Klarinette: Stamitz, Danzi + Beethoven, Schumann, Gade...

Gunilla Süssmann/Klav: Brahms, Mendelssohn-Barth., Grieg + Couperin...

TrioVanBeethoven: Beethoven + Jürgen Steiner, Dowland, L'Orfeo Barock

27.2.-3.3.17 Jessa:

Gid. Kremer: Schnittke, Weinberg, Rachmaninoff, Bach, Haydn, Prokofieff

Cyprien Katsaris/Klav.: Wladigeroff, Gershwin, Fontana, Liszt, J. Strauß S.

Zender/Schubert, Müller, Janacek, Schubert 8

Boris Giltburg/Klav.: Schostakowitsch + Bach,Weill,Beethoven,Schumann

Prégardiens/Gees: Schuberts Winterreise + Scarlatti, Mendelssohn-Barth.

6.-10.3.17 Danzinger (Do: Burtscher):

Heinrich Schütz Symphoniae sacrae I + Wagner, Messiaen, Haydn, Strauss

Jamina Gerl/Klav. "Wanderer" + Schubert, Haydn,Mahler,Strauss, Chabrier

Orchestrales aus Opern mit Riccardo Chailly + Concentus Vocalis

Grigory Sokolov/Klav.: Mozart,Rachmaninoff,Brahms +Café Zimmermann

Artis-Quartett: Kreisler,Schulhoff,Zemlinsky+Schubert, J. Strauß S., Haydn

13.-17.3.17 Kislinger:

Honeck/Wiener Symphoniker "Frühling in Wien" + Mahler 4/2. Satz

Carl Maria von Weber: Konzerte etc. f. Klarinette + Freischütz/Janowitz

Englund Violinkonzerte/B. Schmid + Ravel, Klami

Howard Shelley: Kozeluch-Klavierkonzerte + Mozart, Haydn

"Music For My Love" Yodit Tekle (1978-2015) + Strauss, Brahms, Gal...

20.-24.3.17 Kayali (Mi, Do, Fr: Elstner):

La Rêveuse: Buxtehudes Triosonaten + Mozart, Holst, Liszt, D. Becker

Brandenburg. Staatsorch. Frankfurt: Röntgen + Lachner, Grainger, Grieg

Günther Groissböck: Schubert + Scott, Schumann, Berkeley

K. Buniatishvili: Rachmaninoff + Rachmaninoff, Ravel

Pergolesi "Stabat Mater" + Pergoles,Händel,Tschaikowski,Bach,Beethoven

27.-31.3.17 Danzinger:

Mariss Jansons dirig. Strauss + Haydn, Isaac

Jubiläum Wiener Philharmoniker 175: Haydn, Bruckner, Brahms, Mahler

Mendelss.-Barth.: Sommernachtstraum + Grieg, Janacek, Liszt, Wagner

JE Gardiner: Bachs Matthäus-Passion + Mozart Sinfonia conc., Haydn 49

Sixteen: Poulenc Chormusik + Haydn (Batik, Gulda), Nielsen

3.-7.4.17 Kislinger:

Brahms: "Vier Ernste Gesänge", (Glanert) Klarinettensonate + Bach

Henning Kraggerud: Violinkonzerte Halvorsen und Nielsen + Grieg

Simon Van Holen: Fagottenkonzerte + Chopin, Prokofjew

Ralph Vaughan Williams: Job, Symphonie 9 + Schlee, Britten

Segerstam: "The Loudest Classical Music of all Time" + Rangström...

(10.-14.4.17 Das Popmuseum)

17.-21.4.17 Danzinger:

(Feiertag)

Staier/Melnikov: Schubert Vierhändiges + Beethoven 7, Schubert, Haydn

Christiane Karg: Französische Orchesterlieder + Schumann, Haydn, Bach

A Ibragimova/C. Tiberghien: Mozart Violinsonaten+Bruckner,Berg,Strauss

Krassimira Stoyanova: Puccini-Lieder + Mozart KV527,Copland,Haydn 97

24.-28.4.17 Hosp (Fr: + Burtscher, Jessa, Danzinger):

LesSiècles:RavelsDaphnis etChloé + Berlioz,VillaLobos(ClassicsMeetPop)

Florian Boesch:Krenek,Reisebuchösterr.Alpen + Schumann 2, Zemlinsky

Trio LaFlamme: Trios für Flöte, Cello & Klavier+Schumann/Caine, Bach

A.Gerhardt/M.Becker: Rostropovich Encores + Haydn, Strawinski, Sousa

Bach, Mozart, Milhaud, traditional, Haydn, Händel

Dass Albert Hosp wie seine drei "Ö1 bis zwei"-KollegInnen über großes musikalisches Wissen und wie kaum jemand sonst auf Ö1 über einen ebenso breiten wie sicheren Geschmack verfügt, ließ Hosp jedoch nicht davor zurückschrecken, "Ö1 bis zwei" großen Belastungsproben auszusetzen. Das war über die Jahre nur möglich, indem die anderen drei - Burtscher, Jessa, Danzinger - das Sendungskonzept pflegten: keine Bezüge auf aktuelle Anlässe (dagegen Hosp am 7. 11. 2016 anläßlich des Ablebens von Zoltan Kocsis), keine Werbung außer zur "CD des Tages" laut zentralem Sendungsbestandteil (dagegen Hosp am 3. Feber 2017 Werbung für Josef Haders Film "Wilde Maus"), keine Vermischung mit anderen Sendungen (dagegen Hosps Interviews am 2. Juli 2015 mit Marino Formenti und am 3. Feber 2017 mit Josef Hader), Barock/Klassik/Romantik von 1600 bis 1950 (dagegen Hosp am 26. und 28. April 2016 mit Musik von The Gloaming und Timo Alakotila, die eigentlich Hosps "Spielräumen" dienstags um 17 Uhr 30 vorbehalten gewesen wäre).

Ein Grenzfall diesbezüglich war Hosps „Einfühlsame Spurensuche. Ramsch & Rosen machen viel mehr als 'Neue Volksmusik'“ am 27. September 2016. (http://oe1.orf.at/programm/20160927/443482) Natürlich, bei kurzen, selbst komponierten, neuen Nummern will man gleich zur Sache kommen, was den gestalterischen Spielraum mindert. Die Sendung beginnt mit „Sturm vor der Ruhe“, dann kommt gleich noch eine 'Nummer'. Da lässt sich gleich viel lockerer um die Musik herum reden. Und dann: Schock! Ohne die HörerInnen vorzubereiten, kontrastiert Hosp filmmontagemäßig Klaviermusik von Carl Philipp Emanuel Bach. Danach für alle beleidigten Leberwürschte die prinzipielle Warnung: „Und das werde ich in dieser Sendung noch öfter machen, nämlich von der CD des Tages direkt zu einer anderen hingehen und darauf bauen, dass Sie diese Brückenschläge nachvollziehen wollen.“ (8:28 bis 8:41) Also zum Beispiel: Polska fran Alvdalen & Idea pa Svenska von Ramsch & Rosen mit Chopins Mazurka op.67 Nr.2 in g-moll für Klavier, gespielt von Arturo Benedetti Michelangeli. Zugegeben, Hosp montierte dieses Mal eine lange Pause zwischen die beiden Stücke hinein. Besser noch wäre gewesen - wenn schon - , beide Stücke im voraus anzusagen. Aber so ging es halt dahin: Muffat (Laute), Ramsch & Rosen (auch schon 'mal jazzig, mit overdub), Joseph Strauß' Libelle (dirigiert legendär von Carlos Kleiber 1989 mit stimmungs- und sendungsunnötigem Applaus), Bela Bartok arrangiert von Ramsch & Rosen (interessant, wenn auch für popularisierende Arrangements in "Ö1 bis zwei" kein Platz), Ramsch & Rosen, Mahler 3 (2. Satz minus sechs Sekunden, wieso? gottseidank mit kurzer Pause davor, Hosp erbarmt sich unser), Ramsch & Rosen (mit Viechtwangerische Tanz aus dem 18. Jahrhundert). Hosp, versichernd: „Und Mahler hätte seine Freude daran.“ Ja, wirklich? Andererseits, Ramsch & Rosen wären vor Jahren ein klarer Fall für Wolfgang Schlags Freitag-"Spielräume" über neue, auch europäische Volksmusik gewesen. Aber diese Sendung gibt es leider schon lange nicht mehr, zum Bedauern vieler noch heute.

Dass Hosp mehr kann, zeigte die Sendung am 28. September 2016. Sie war Antoine Forquerays äußerst interessanten Fünf Suiten für Viola da Gamba und Cembalo gewidmet, 1733 herausgekommen. (http://oe1.orf.at/programm/20160928/443537) Hosp spielt nur jeweils einen der fünf bis sieben 'Tänze'. Sehr schön die Langsamkeit, die auf Danzingers Serie der Woche vorher mit Liedern der Wiener Klassik, Männerchöre von Franz Schubert, Kinderliedern, Violinkonzerten von Schostakowitsch und Glasunow und geistlichen Chorwerken von Tschaikowsky antwortete. Ohne etwas über seine Auswahl zu sagen: Das timing in Bezug auf die anderen Stücke der Sendung ist gut, der Kontrast zum Couperin-bezogenen Ravel und zu einem Barockgitarrenstück geht auf. Hosp entrückt uns gehaltvoll aus einer Zeit – die unsere – , die das eigentlich kaum zulässt. Zur Biographie Forqueray kommt Interessantes. Nur, auf Rameau kann sich Forqueray, weil früher lebend, nicht bezogen haben (Minute 10:16). Hosp räumt etwas später den Anteil von Forquerays Sohn ein – das geht sich historisch aus – , indem er mitteilt, dass der Sohn die Improvisationen des Vaters notierte. Die Information, dass er mit dem Kollegen am Cembalo "jazzte", ist treffend. Dass KEIN Jazzbeispiel gebracht wird, nicht weniger. Oder der Hinweis, dass Forqueray seine Frau betrog, den Sohn als Konkurrenten empfand. Erhellend der Vergleich des "engelsgleichen" Marais und des "diabolischen" Forqueray. Mit einer Gitarren-Zarabanda aus 1674 wurde noch ein kleines Gegengewicht eingesetzt, dann Rameau durch Sokolov eingeschoben - wenn auch mit störendem Applaus, insofern es eben nicht um den viel berühmteren Zeitgenossen Rameau ging (in der Vorbereitung hätte Hosp den Zeitpunkt des Einsetzens des Applauses notieren und die Wiedergabe rechtzeitig stoppen können). Dafür bot Hosp seinen Humor zum Schluss mit einem Kommentar zu den seltsamen Geräuschen im Hintergrund der Musik auf: „Unbestätigten Gerüchten zufolge wurden bei den Aufnahmen mehrere Gamben zersägt.“

Auch einen Tag später Interessantes von Hosp (http://oe1.orf.at/programm/20160929). Zuerst eine schöne Einleitung von der Überlagerung des Verdi-Walzers durch den Berlioz-Walzer der Symphonie Phantastique, 2. Satz, der, wie Hosp hinweist, in Il Gattopardo 1963 eingesetzt wird. Doch dann für viele wohl eine irreführende, nicht wirklich durchgeführte Verlagerung hin zu Rameau und damit zur "CD des Tages" von Daniel Harding, Swedish Radio Symphony Orchestra mit Berlioz' Symphonie Phantastique und Rameaus Suite de Hyppolite et Aricie. Die Gegenüberstellung, dass beide "weniger als ein Jahrhundert" auseinander sind, funktioniert. Kurze wichtige Informationen werden eingefügt. Eine gute Pause gibt es zwischen Rameaus Air en rondeau pour les amours. Gracieusement aus Hipployte et Aricie und Berlioz' erstem Satz der Symphonie Phantastique. Im Fortgang der Sendung wird vielleicht ein bisschen zu viel auf die historische Mitte zwischen Berlioz und Rameau abgehoben. Gewiss, gewiss! Das soll den Einsatz für die Sendungsmitte durch Mozarts Serenade Nr. 11 für Bläser vorbereiten. Vielleicht wäre hier etwas Orchestrales besser gewesen. So wirkt es ein bisschen naseweis, besser: ich, Mozart, dreh' euch beiden eine Nase. Gossec kommt noch herein (1734-1829) mit einer schönen Einleitung durch Hosp über die Reihenfolge der Sätze des Streichquartetts. Insgesamt schöne Musik.

Qualitativ ganz anders der 3. Februar 2017. Josef Hader live in der Sendung "La Follia und die Hochschaubahn. Josef Hader zu Gast in Ö1 bis Zwei". (http://oe1.orf.at/programm/20170203/459698) Werbegroßmanöver für Haders Film "Wilde Maus". Aus diesem Film bleibt nicht so sehr die von der Hauptfigur des Musikkritikers im Film kritisierte klassische Musik im Gedächtnis (DAS wäre "Ö1 bis zwei"!), sondern mindestens so sehr der Tingel-Tangel-Hintergrund des Wurschtel-Praters, in den es den Musikkritiker wenig motiviert treibt. Offensichtlich war die Promotion-Offensive für Haders Film zu spät dran, sodass Hosp Hader nicht mehr im "Klassik-Treffpunkt"-Interview am Samstag um 10 Uhr 06 bringen konnte. Hosp: "Meinen Gast begrüße ich gleich." Wie in Ö1 wochentags in der früh - "Guten Morgen Österreich" - kommt nun viel Prestallegro-Musik. Es wird, sendungsuntypisch, gleich viel geredet und wie Musik gespielt. Eigentlich ein "Klassik-Treffpunkt", nur eben nicht am Samstag und eine halbe Stunde kürzer. Irgendwann eine Blende in den Schluss des ersten Satzes der Eroica 1:04. Hader habe eine bissige Aufnahme gewollt, "dass mo plötzlich vü mehr heat, <als> was do sonst drunter glegn is früher", "zum Beispiel Paukn, genau". Dann wird geredet im Vorbeigehen über die "gefährdete Spezies" wie Journalisten und Musikkritiker, den "Richter von Beruf, Inquisitor", der der Musikkritiker generell sei. Wie wenig Bewusstsein unter Radiojournalisten darüber besteht, dass auch sie Kritiker allein durch den Vorgang der Auswahl sind, zeigte in der selben Woche auch Katherina Menhofer kurz: "Zwei Tage später werden die Kritiken erscheinen. Das ist immer oft so eine Sache. Wenn man erwähnt wird, wenn der Chor erwähnt wird, wenn die Bühnenmusik erwähnt wird, dann meistens in einem Nebensatz. Es gibt von Seiten der Kritik auch nicht wirklich so eine differenzierte Auseiandersetzung so mit der künstlerischen Darbietung. Ist das etwas, was Sie stört?" (Katherina Menhofer mit Thomas Lang, Leiter des Wiener Staatsopernchores, und Witolf Werner, Leiter der Bühnenmusik, zur Neuinszenierung von Verdis Il trovatore an der Staatsoper, So 5. 2. 2017, Intermezzo 11 Uhr 54.) Wenn es Menhofer stört, könnte sie und ihre KollegInnen etwas dagegen in Hauptsätzen tun - eine Tradition auf Ö1 dafür gibt es, angefangen mit Karl Löbl. Jedenfalls wird das Problem der Musikkritik von Hosp und auch Hader nicht angesprochen. Der vermeintliche Hass der Kritik in Person des Kritikers wird vielmehr von Hosp mit dem "zornigen" Thema aus Vivaldis La Follia illustriert. Darauf wird "direkt draufgeschnitten" (Hosp) das Schimpfen am Lenkrad aus dem Film. Nein, das kommt doch nicht (unentschuldigt). Die Anspielung auf den einst gefürchteten Musikkritiker von Die Presse, Franz Endler, durch die Hauptrolle "Ender" wird von Hader nicht zugegeben. Dann wird Disco aus dem Prater angespielt. Hosp, selbst aufgedreht, zum Film: "So, jetzt gibt es eine Fülle von Assoziationen", "Großkritiker" (gibt es doch in Österreich schon lange nicht mehr!), und so weiter, mehr als sechs Minuten Gespräch. Hosp: "Jetzt muss ein Stück Vergangenheit her", und es kommt eine Ausschnitt aus Haders "Atonales Lied", 80er Jahre, und die überaus interessante Frage: "Haben Sie lernen müssen, über die eigene Arbeit zu sprechen?" Hosp weist auf Haders Filmarbeit hin (gähn!), dann ein Ausschnitt aus einem Schubert-Satz ... "das war eines der meistgepielten Kabarettprogramme" ... "weil ich's so lange gespielt hab" ... "die schlechtest besuchte Aufführung haben Sie auf die Webseite gestellt". Hosp: "zwei Menschen führen diese Partitur aus <wovon redet Hosp?>, und man hat das Gefühl, es sind völlig unterschiedliche Musikstücke". Hader: "ja" "ja". Hosp: "bin bald 53", und Hosp meint von sich, er sollte die Garagenrocker White Stripes kennen, "Seven Nation Army", der Vergleich mit Bruckners 5. hinkt aber, weil dessen bekanntes Thema deutlich länger ist. Hader erfahren, wird geduldig, leise: "Des is a bissl a Quiz über das eigene Leben!?" Es wird eingeräumt ein "etwas abgerissener Applaus bei diesem Mitschnitt...", Hosp: "jaa, geboren in ... demnächst im Stadtsaal, bevor Sie nach Berlin zur Berlinale fahren". Hader stapelt tief, dass er nicht Klavier spielen kann. Das Gespräch geht munter weiter, darunter wird ein langes Musikbett gelegt mit Strawinsky - Hosp: "gleich lassen wir's voll hochfahren" ... "und dann kommt noch einmal La Follia". Dieses Mal: Keine "CD des Tages", sondern "Film des Tages", mit Kraut und Rüben von Christian Sinding, Beethoven, Vivaldi, Georg Gabler, Schubert, Josef Hader, White Stripes, Bruckner, Josef Hader, Strawinski. Man möchte den Kopf schütteln.

Schon am 2. Juli 2015 passierte Ähnliches, allerdings ruhiger, gehaltvoller, mit Marino Formenti, "Sensibler Brückenbauer, live zu Gast im Studio" (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/408223). Dass in der Sendung für gewöhnlich keine zeitgenössischen E-Musik-Komponisten gespielt wurden, denen der Pianist Formenti seine Arbeit für gewöhnlich widmet, hatte wohl nicht mit dem Unwillen von Albert Hosp zu tun, sondern eher mit seinem weitgehenden Desinteresse an zeitgenössischer E-Musik oder ganz einfach nur mit der fehlenden Zeit, sich auf Formenti gründlich vorzubereiten (http://www.oegzm.at/?). Moderiert doch Hosp "Spielräume" (30'/Woche), den "Klassik-Treffpunkt" (durchschnittlich 30'/Woche), "Ö1 bis zwei" (durchschnittlich 55'/Woche) und ist als Producer verantwortlich für alle Spielräume und auch noch programmatisch für die "Musikviertelstunde" wochentags um 9 Uhr 45. Nun, an diesem Mittag des 2. Juli 2015: „Erst einmal durchatmen mit der CD des Tages“. So Hosp zurecht, wie auch sonst öfters im Anschluss des Mittagsjournals. Formenti tritt für Mischungen wie etwa von „Rock mit zeitgenössischer Musik“ oder John Adams mit Liszt im Sinn von „Minimalismus bei Liszt“ ein, der „auch der Erfinder des Minimalismus“ gewesen sei. Diese Behauptung bleibt unbelegt. Musikalisch folgt auf Adams eine lange Pause, dann Volksmusik mit dem Cymbal Duo, in die Hosp gnadenlos hineinspricht. Das tut dann auch Formenti (zwei Minuten lang!). „Wir hören jetzt noch ein bisschen das Cymbal Duo“, die virtuosest spielen, und Formenti spricht dann in die Fermate des Schlusses von Liszts „Ungarisches Volkslied“ hinein, obwohl der Schluss noch gar nicht da ist. Wie kann das passieren? Hosp wiederum, zu Liszts „Bagatelle sans tonalité“: „Da würde jeder sagen: <ja was?> – klingt aber gar nicht so.“ Formenti nimmt das Hölzl auf: „Klingt gar nicht so oarg“, Liszt sei „der Urkomponist“, „modern, postmodern … “. Und so weiter? Nein, denn nun kommt erst einmal die „Bagatelle“. Formenti über Liszt: „Er ist wirklich der größte Modernist, den es je gegeben hat.“ Selbstredend gibt es eigentlich wenig und ungenaue Information zu „Liszt Inspections“. Ach ja, die "CD des Tages"!

Und doch, Hosp kann anders. 30. September 2016. Die "CD des Tages" ist "Message from G", 4 CDs von Friedrich Gulda aus dem Großen Musikvereinssaal 1978. (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/449410) Dass es eine Neuauflage von 6 LPs ist, sagt Hosp nicht. Dafür aber: „Bei Gulda … muss ich Wiener Musik spielen“. Gewiss. In Vorwegnahme der Knopferlharmonika der "Musikviertelstunde" der kommenden Woche bringt Hosp „Bauern-Tänze“, dargeboten von Martina Rittmannsberger und Walther Soyka, sang doch Gulda selbst Wiener Lieder. Den kurzen Sendeausfall, Minute 4:07 bis 4:10, begründet Hosp so: „Verzeihen Sie den kurzen Unterbrecher, geschuldet einer inkorrekten Zeitangabe.“ (??) Es folgt ein schöner Kontrast mit Mozart durch dessen Bearbeitung für Streichquartett aus Bachs Wohltemperiertem Klavier - hier passt die Bearbeitung, aber nur, weil sie von einem Komponisten allerersten Rangs stammt. Sonst könnte das essayistische Mithören die Doppelkodierung in der Stimmung der ganzen Sendung kaum verarbeiten. Hier geht der Applaus o.k. Leider ist der Gesprächsgesang Guldas auf der Bühne kaum zu hören. (Es wird einem klar: Josef Hader musikalisch klingt ein bisschen wie Gulda.) Hosp liest und kommentiert effektvoll: „Es steht hier, 'Gulda spürt seinen ewigen Meistern nach, deren Werke er spielt und in seinen eigensten Stücken um unterschiedlichste Einflüsse erweitert, lange bevor sich die Klassik für andere Stile öffnete.' Zitatende, 1978. Da muss man sagen: Das stimmt nicht! Hier ist zum Beispiel Musik aus der Klassik, die sich definitiv geöffnet hatte, damals im Kompositionsjahr 1918. Tango, Walzer und Ragtime.“ (Minute 33:40-34:15) Es kommen sieben Minuten Strawinski aus dessen "Geschichte des Soldaten". Dass es ein bisschen drunter und drüber geht - Hosp kündigt den Applaus an nach dem Ende von Guldas Aufführung des Andante aus Mozarts Fantasie in d-moll (Minute 47:50). Der kommt aber dann nicht. Stille. Stattdessen kommt der erste Satz von Anfang an, ohne Applaus, zum Ende Applaus, ja, aber nur „zaghaft“ (47:56), wie Hosp wenigstens eingesteht. Wichtig: Wenn schon eine derart umfangreiche Neupressung vorgestellt wird, sollte auch Zeit sein für einige Worte über die umfangreiche Dokumentation, die in der CD-Box enthalten ist.

Was in "Ö1 bis zwei" möglich war, haben alle vier Stamm-ModeratorInnen demonstriert. Ein Meisterstück lieferte Mirjam Jessa am Donnerstag, den 30. Juni 2016, ab. Titel: "Frappierend und ziemlich genial! Klavierduos und Vierhändiges von Strawinsky und Satie auf historischen Instrumenten". (http://oe1.orf.at/programm/20160630/435535) Das klingt nach gleich mehreren CDs und Interpreten. Aber es handelt sich "nur" um Alexei Lubimovs Klavierduett-Album "Paris joyeux et triste", von Slava Poprugin bestritten. Jessa brachte Teile aus Lubimovs Bearbeitungen von zwei Strawinski-Konzerten, dann John Cages Bearbeitung von Erik Saties Oper Socrate und Milhauds Bearbeitung von Saties "Cinema - symphonisches Zwischenspiel aus dem Ballett Relâche". Ihre Charakterisierung von Lubimov, der ihr „wie Professor Pnim“ bei Nabokov vorkomme, war auf hohem Niveau ebenso unterhaltsam wie die der frühen Nachmittagsstunde angemessene Kammermusik, herrlich zerstreuend. Kein Gesang, kein Interview, kein schnelles Stück am Beginn der Sendung, kein ganz kurzes Stück am Beginn der Sendung, mit kompetenten Bemerkungen zur Musik und Aufführung, zur Einspielung selbst, in wohl bedachter Differenz zur Sendung "Pasticcio", mit Schwerpunkt Klassik, jedoch in guter Verträglichkeit mit der klassischen Moderne (die etwa Hosp problemlos bis zu Rühm und Ligeti weiterziehen kann). Damit meint Jessa nicht die romantische Moderne eines Schostakowitsch, Janáček oder des postexpressiven Strawinski, die auf Ö1 oft dazu aufgeboten werden, um die wirklich genuinen Leistungen des früheren 20. Jahrhunderts zu überlagern: Debussy, Satie, Wiener Schule, früher Strawinski, Varèse, Ives, Cage. Schön der Kontext - „atmet philosophischen Geist“ - und die Dithryambe des 5. Satzes von Strawinskis Konzert in Es für Kammerorchester "Dumbarton Oaks". Ebenso schön wird der Rückbezug auf 1748 charakterisiert „für all jene, denen der Strawinski vielleicht nicht so gut gefallen hat“, eine treffliche Rameau-Äußerung, eigentlich zum Lachen komisch. Dann die Musik: wunderbar. Wertvoll auch die anregenden Zusatzinformationen auf der Ö1-Webseite - bezieht sich "Une Symphonie imaginaire" auf die ganze CD oder nur auf die Ouvertüre, die Minkowski mit dem (seinem?) Titel interpretiert? Gewiß, eine Antwort darauf hätte den Rahmen der "CD des Tages" gesprengt. Sodann "Socrate", Saties Verarbeitung von Platons Symposion, die Cage, wie wir erfahren, schon 1944 transkribierte und 1968 fertigstellte als eine „cheap imitation“. Das alles zu wissen ist ebenso wichtig wie Jessas Hinweis auf Rameaus letzte Oper, die ein Vierteljahrhundert vor der französischen Revolution für „alle Menschen gleiche Rechte“ eingefordert habe, aber erst in den 1970er Jahren uraufgeführt wurde. Schließlich Saties "Cinema" 1909, mit Lubimov und Poprugin dem präpariertem Klavier von Cage nachempfunden, wäre es nicht Darius Milhaud gewesen, der die Bearbeitung anfertigte - eine wunderbar entschiedene wie schillernde Interpretation, „auf einem ziemlich genial präparierten Bechstein gespielt“ (Jessa). Keine Frage, weder die verwirrende Überblendung von Satie zu Rameau - noch "debrouillement de chaos"? - , noch die Konzilianz ans Konservative - „so jetzt aber - nach so viel Avantgarde von vor 100 Jahren haben wir uns zum Schluss ein bisschen Kitsch verdient. Stichwort cinéma“ konnte dem großen Moment der Sendung Einbuße hinzufügen. War doch Charles Chaplins "Smile" vom Quatuor Ébène entkitscht gespielt, in schönbergisch pierrot-lunairescher "Gesangsweise". Nicht zuletzt überzeugte Jessas in ihrer Vorführung der historischen Aufführungspraxis im 20. (!) Jahrhundert.

Nicht immer bleibt Jazz wie mit "Smile" am Rand. Am 14. September 2016 vergegenwärtigte Jessa zwar mit Anna Prohaska und Il Giardino Armonico die Schicksale zweier stolzer starker Frauen, jener von Kleopatra und Dido. Aber: „Wir machen jetzt kurz halt“ mit Duke Ellingtons "Harlem Speaks". Doch kam da noch Sidney Bechets "Egyptian Fantasy" hinzu, „in einer neuen Deutung unserer Tage“, nämlich durch Vincent Peirani's Akkordeon und Émile Parisien am Sopransaxophon. Und am 12. September 2016 dann "Gershwin in Hollywood. John Wilson rekonstruiert den Goldenen Klang von MGM". (http://oe1.orf.at/programm/20160912/442714) Die Sendung beginnt mit einem Jazz-Standard aus Artie Shaws "Symphony of Swing" von 1939 von George Gershwins "Oh Lady, be good!". „Sie hören schon, heute steht ein Live-Album im Mittelpunkt dieser Mittagsstunde“. Das war zwar irreführend, denn nicht um Artie Shaw geht es; und auch wird das Andantino von Debussys nicht selbst orchestrierter Petite Suite "En bateau" ohne Vorwarnung mit "Love is here to stay" montiert. Erst damit, mit der Filmmusik aus „An American in Paris“ ist Jessa in Minute 13 bei der CD des Tages „Gershwin in Hollywood“ angekommen. (So ein langer Sendungsauftakt wäre eigentlich passend für ein Spielräume extended, vielleicht einmal zur Abwechslung ohne Gäste, gewesen.) Sehr interessant nun Jessas Ausführung zur Rekonstruktion des Notenmaterials, vielleicht schon zu anspruchsvoll für diese Mittagsstunde. Das kritische Ohr würde gern wissen, ob die conductor books für John Wilsons Rekonstruktion der Filmmusik letztlich hilfreich waren. Das Folgende führt so gar nicht von der Mittagsjournal-Kurzatmigkeit weg: Wie unüblicherweise für "Ö1 bis zwei" setzt nun sehr schnell ein ohne Titelansage oder auch nur Titelandeutung oder Titelhinführung George und Ira Gershwins "Strike Up The Band", in typischer Hollywood-Atemlosigkeit, inklusive Applaus, wenigstens mit der Absage „so hieß auch das Broadway-Musical von 1927 und die Verfilmung von 1940“. Es folgt Jessas Ankündigung steirischer Pizza mit Käferbohnen (?), Debussy/Ravels „Danse (Tarantelle styrienne)“, zunächst nur für Klavier komponiert. Was für Hollywood suspekt war - „George und sein Bruder Ira hatten eben eine veritable Oper zusammen geschrieben: Porgy and Bess“ - , führt Jessa nun weiter zu Schubert: „Ich hab' mich, ehrlich gesagt, selbst auch damit überrascht. Eine wienerische Antwort auf 'Strike Up the Band'.“ Jessa legt Schuberts dritten der drei Marches militaires für Klavier zu vier Händen, Deutsch 733, auf. Leider schleicht sich wieder Musik herein unter den Worten „Steht zum Abschluß folgende Frage im Raum: Sollen wir tanzen?“ Das Wilson Orchestra ist dran, wird aber nicht zur Gänze ausgespielt, mit Applaus und Drüberreden. Fazit: Vier „Beispiele“ aus der CD des Tages mit 22 von insgesamt 54 Minuten, etwas wenig.

Renate Burtscher, die über Mozart, Arrigo Boito oder "Die Einwirkungen der Rhetorik auf die musikalische Gestaltung" (Hausarbeit am Mozarteum) und vieles mehr geschrieben hat, stellte den Montag ihrer Woche im September 2016 gekonnt unter das Motto "Schöne Welt, wo bist du?" Gegenstand ist Schuberts Streichquintett und Schubert-Liedbearbeitungen mit dem Quatuor Ebène, Matthias Goerne und Gautier Capuçon. Gehaltvollst. Wie immer in Burtschers "Ö1 bis zwei" ist es der unbedingte Wille und die stupende, reduziert vorgetragene Kenntnis der Musikwissenschaftlerin, die die HörerIn gefangen nehmen. In diesem Fall wird es auch leicht gemacht. Die Gruppe mit dem Quatuor Ebène hat ein Programm zusammengestellt, das schlüssig ist sowie makellos und intim dargeboten wird. Eigenartiges ereignet sich: Der lange erste Satz von Schuberts Streichquintett, gespielt von 13 Uhr 34 bis 13 Uhr 53, ist sehr leicht gekürzt. Wieso? Wie schon Danzinger ebenso zu Schubert in einem früheren "Ö1 bis zwei" entschuldigt sich auch Burtscher, dass das Stück Musik so lange ist. Wieso denn? Muss denn alles der Kürze geopfert werden, die die News-Abteilung diktiert? Aber, trotzdem wird um ganze fünf (!) Sekunden gekürzt (http://oe1.orf.at/programm/20160905/442359). Der Grund wird nicht angegeben.

Tags darauf frühe Aufnahmen für den Rundfunk der bedeutenden Martha Argerich unter dem Titel "Flabbergasting" (http://oe1.orf.at/programm/447282). Burtscher schreibt: „Diese frühen Rundfunkaufnahmen, die Martha Argerich jetzt erstmals zur Veröffentlichung freigegeben hat, enthalten tatsächlich noch Überraschungen. Zum Teil sind es Aufnahmen jener Stücke, mit denen Martha Argerich kurze Zeit später berühmt wurde und die bis heute zu den Höhepunkten ihrer Diskographie zählen: die Toccata op. 11 und die 7. Klaviersonate von Prokofjew, die Sonatine von Ravel und Ravels 'Gaspard de la nuit'. Daneben enthält das Album auch Stücke, die sie später nicht mehr eingespielt hat: so die Sonate Nr. 18 von Mozart und die Sonate Nr. 7 in D-Dur, op.10/3 von Ludwig van Beethoven. Repertoire, das sie für die großen Wettbewerbe mit ihren Lehrern Friedrich Gulda, Madeleine Lipatti, Nikita Magaloff einstudiert hat. Früh zeigt sich, was eine Meisterin werden wird!“ Könnte man es besser auf den Punkt bringen? Entsprechend ausgewogen moderiert Burtscher die Aufnahmen von Musik von Mozart, Beethoven, Ravel und Prokofieff in ausgewogen klassischer Wahl.

Am Mittwoch ruft Burtscher aus "Es lebe Carl Philipp Emanuel" und schreibt in einer Zusammenfassung, die auch ihre Moderation und die Abfolge der zu Gehör gebrachten Stücke widerspiegelt: „Wir hören Staunen Machendes in Sinfonias, einem Cellokonzert und in einer Sonate für Violoncello piccolo und Cembalo, bei der Ophélie Gaillard, die auf einem wunderbaren Instrument aus dem Hause des Francesco Gofriller (1737) spielt, von Francesco Corti begleitet wird. Corti hat auch einen brillanten Solopart im Concerto in d-moll. CPEs Musik - so wird Carl Philipp Emanuel heutzutage gerne verkürzt genannt - verlangt nach kundigen Interpret/innen, die sowohl den federnd leichten Ton, als auch die sangliche Grazie treffen, die plötzlichen Stimmungsumschwünge, die Rasanz der schnellen Sätze überzeugend und sprechend wiedergeben können.“ (http://oe1.orf.at/programm/20160907/442470)

Und schon ist der Donnerstag an der Reihe, der an die in aller Munde befindliche Sol Gabetta anknüpft, an die Cappella Gabetta mit ihrer CD "Musik am Habsburger Hof" von Karl VI. (http://oe1.orf.at/programm/20160908/442526) Hier ist Erlesenes und Seltenes von Umstatt, Vivaldi, Timmer versammelt und wird mühelos und kenntnisreich mit Stücken aus nicht gar so weit entfernten Zeiten kontrastiert, gespielt von I Fagiolini und vom Ensemble Baroque de Limoges. Der bei Burtscher fast schon obligate, aber entbehrliche Piazzolla, durch Christian Bakanic' contrabajeando drei Minuten gespielt, ist verschmerzbar.

Und schon neigt sich die "Ö1 bis zwei"-Woche dem Ende zu, mit Goldbergvariationen-Bearbeitungen. Wieder ist Burtschers Text aufschlußreich: „Das Aulos Quartett aus Zürich hat bei Josef Gabriel Rheinberger eine Fassung für zwei Klaviere, entstanden 1883, gefunden, und Oboist Martin Gebhardt hat sie zum Quartett für zwei Holzbläser und zwei Streicher umgeschrieben. / Die einzelnen Stimmfäden, die Bach so kunstvoll über und durcheinander laufen lässt, ineinander verknotet, um sie in allgemeiner Harmonie wieder aufzulösen all das lässt sich hier sehr gut heraushören: Dank der unterschiedlichen Klangfarben der Instrumente und der feinen, differenzierten Finger-und Zungenfertigkeit des schweizerischen Aulos Quartetts. Rheinberger war mit seiner Bearbeitung vor allem um eine Popularisierung, eine weitere Verbreitung des Werks für den großen Konzertsaal gegangen. Deshalb hat er zwei- und dreistimmige Passagen gleichermaßen behutsam wie kunstvoll ergänzt. Martin Gebhardt kam diese Rheinbergerfassung für seine Instrumentierung sehr entgegen. Er schreibt: 'Eine Verkörperung der Partitur durch vier Instrumente kommt der Durchhörbarkeit kontrapunktischer Strukturen namentlich in den neun Kanons besonders zugute. Das Instrumentarium des Aulos Quartetts ermöglicht zudem durch spezifische Mischklänge ein für diese Musik äußerst stimmiges Klangbild.'“ (http://oe1.orf.at/programm/20160909/442581) Also Cembalo umgeschrieben im 19. Jahrhundert für ein Quartett aus drei Frauen und einem Mann mit Violine, Tenor-Oboe, Violoncello und Oboe. Diese reizvollen Transkriptionen kontrastiert Burtscher geschmackssicher mit knapp 12 Minuten einer weltlichen Bach-Kantate und Conrad Steinmanns (geb. 1951) für das Quartett geschriebene "Neu imaginierte Musik der griechischen Antike", in der Einspielung durch Steinmanns eigenes Ensemble Melpomen. Das Ö1-Publikum kann substanziell gestärkt ins Wochenende gehen.

Im Monat darauf, am 21. Oktober, steht bei Burtscher geheimnisvoll "Fiktiver Barock mit Suzukis Strawinsky" auf dem Programm. Es geht um Igor Strawinskis Pulcinella Suite/Apollon musagète/Concerto for Strings in D Major als CD des Tages in der Einspielung der Tapiola Sinfonietta unter Masaaki Suzuki. Es mag wohl ein ganzer zweiter Satz sein, den Burtscher vorspielt. Aber dann sollte auch erklärt werden, wieso der letzte Takt mit einem Dreiklang nach oben hin "aufhört". Weil Strawinski einen nahtlosen Übergang in den dritten Satz komponierte? (ca. 13:24:40) Ähnlich Crusells Andante pastorale aus seinem Konzert für Klarinette und Orchester in f-moll, das auch keinen richtigen Schluss hat. Warum Crusells Concertino mit der CD des Tages gekoppelt ist, ist etwas unklar.

Die Qualitäten Burtschers sind unbestritten und werden nur selten getrübt. Etwa ihr Faible für Popmusik. Dieses lebt Burtscher, hier Vorreiterin, hin und wieder ganz persönlich in den Sonntags-Spielräumen aus, die seit 1. Mai 2017 wieder 45 Minuten dauern dürfen. Unvergesslich erfrischend Bruce Springsteen an einem heißen Sommertag. Nicht so überzeugend "Doris Day" am 16. 10. 2016, etwa wenn Day im O-Ton sentimental wird - "Terry was not only my son, he was my buddy" - oder sich entbehrliche über ihr spätes Leben äußert. Burtscher bringt "Too marvellous for words", angeblich aus dem Film "Ready, willing and able". Aber die Aufnahme in Burtschers Sendung ist etwas langsamer und schöner, wird also wohl etwas später produziert worden sein. Oder am 16. 12. 2012 dreißig Minuten mit der Popsängerin Petula Clark zu ihrem 80er, weil gute Arrangements waren in den 1950ern Standard“. Vielleicht wäre die Sendung überzeugender gewesen, wenn Burtscher nicht dauernd fade-outs vorgenommen und nicht fast jedes Mal in die letzten Töne hineingesprochen hätte. Dennoch, Burtscher betont zurecht die E-Gitarren-freie Musik Clarks in einer Zeit, als es mit diesen Gitarren bereits einen mächtigen Aufschwung über die Grenzen der Popmusik hinaus gab. Der Zusammenhang mit Glenn Gould wirkt haarsträubend, Clarks forcierte Stimme zu einem französischen Schlager geradezu hässlich. Vielleicht hätten Vergleichspunkte geholfen mit dem androgynen David Bowie oder zu Julie Driscoll, die etwas zum englischen Jazz zu sagen erlaubt hätte.

Peter Kislinger und Rainer Elstner - Teresa Vogel hat sich im Frühjahr 2016 leider auf den Küniglberg verabschiedet - sind die beiden Einspringer für "Ö1 bis zwei" in den letzten Monaten gewesen. Kislinger - "Einen schönen Tag noch und ein schönes Wochenende, vielleicht mit Österreich 1, wünscht Peter Kislingeraufwiederhören <wie ein Wort ausgesprochen>!" - liest anspruchsvolle, zu detaillierte Texte für den Lesenden selbst zu schnell und affektiert herunter. Seine Sendungen klangen mehr wie "A propos Musik" wochentags um 15 Uhr oder "Konzert am Vormittag". Dann sein indirektes Plädoyer für „Kuschel-CDs“ am 4. 10. 2016, fürSibelius: klassisch, introvertiert, klangprächtig und antimodern-modern“ (am 5. 10. 2016) und zu Ralph Vaughan Williams: „konservativ, altmodisch gekleidet, Tweed, ausgebeulte Schnürlsamthose“ und mit Tratsch zu Verlaine in London, „wo er mit Rimbaud eine Affaire hatte“. Den Vogel abgeschossen hat Kislinger jedoch am Freitag, dem 7. April 2017 mit "Earquake: The Loudest Classical Music of all Time" (Helsinki Philharmonic Orchestra unter Leif Segerstam mit dem Finnish Philharmonic Choir unter Juha Kuivanen, Neupressung). Der ausgebildete Anglist Kislinger zitiert, übersetzt und kommentiert: "'This is the way the world ends / Not with a bang but a whimper'. In T. S. Eliots Gedicht 'The Hollow Men' geht die Welt der hohlen Männer auf 'diese Art zugrund / Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer'. Die meisten auf dieser CD kompilierten Musikstücke enden nicht wimmernd, sondern mit einem 'bang'." (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/462746) Hier und durch die ganze Sendung hindurch blieb unklar, was Kislinger damit und mit dem Earquake sagen wollte. Einfach ein bissl böse sein? Oder einfach "das Gegenteil der berüchtigten Kuschelklassik-CDs" zeigen? Ginastera, Hanson, Rangström, Schostakowitsch, Bolcom, Leifs, zum Kontrast Rautavaara. Dann jedoch ein längerer Text Kislingers: zuerst war unklar, worauf er hinaus wollte, bald aber stellte sich heraus, dass Kislinger Ives und Cage eins auswischen wollte (was heißt eins?!): "Absolut coole Musik hat für manche Charles Ives geschrieben, auch laute. John Cage hat einmal gesagt, Ives hat um 1900 alles erfunden, was das 20. Jahrhundert musikalisch so ausmacht. Da hat er etwas übertrieben ... Musik von Cage nun ... (Rauschen eingeblendet) Einflüsse von Ives sind in dieser Aufnahme deutlich hörbar, wenn man nur richtig hinhört ... ein paar Sekunden lass' ich Sie mit dieser Musik allein <was Kislinger nicht tut> ... in der Fassung, ja, Cage-Kenner haben es natürlich erkannt, in der Fassung für Klavier, um einiges stringenter als die Streichquartett-Fassung ... ganz zu schweigen von jener mit Originalinstrumenten aus den 50er Jahren, aber das ist Geschmackssache ... am 16. März 1991 ist diese Aufnahme entstanden. Der Pianist ... Wayne Marshall hat mir in einem Exklusiv-Interview für Ö1 gestanden, er würde heute mit weniger Pedal arbeiten. ... Hm, sehr schön, ganz schön. Eine echte Gänsehautstelle, eiskalt, wie beim absoluten Gefrierpunkt, kann einem da werden. Das RSO Wien unter der Leitung von Cornelius Meister. Hm, John Cage, 4 Minuten 33, Stück für nicht spielendes Orchester, eine Aufnahme vom 11. Oktober 2012 aus dem Wiener Konzerthaus ... Ich habe meinen Kollegen und Kolleginnen in der Musikredaktion übrigens eine Chorfassung vorgeschlagen, schon vor einigen Jahren, bisher keine Reaktion erhalten, na ja, cum tacent clamant <keine Antwort ist auch eine Antwort>. Zurück zu meiner CD des Tages." (13:36:40 Uhr bis 13:41:15 Uhr) Dieses Lächerlichmachen von Cage, aber auch von Danzinger, dem Sendungsverantwortlichen von "Ö1 bis zwei", der sich bekanntermaßen in seiner Freizeit als Chorleiter engagiert, wird auf der Ö1-Webseite so dokumentiert:

Komponist/Komponistin: John Cage/1912-1992
Titel: four minutes thirty three seconds
* Tacet 3 - (Ausschnitt)
Solist/Solistin: Wayne Marshall / Klavier
Label: Floating Earth Limited

Komponist/Komponistin: John Cage/1912 - 1992
Album: CALIFORNIAN CONCERT: MUSIC OF EUROPEAN IMMIGRANTS AND THEIR AMERICAN CONTEMPORARIES - Susanne Kessel
Titel: 4'33''
Ausführender/Ausführende: Susanne Kessel /am Blüthner-Flügel Ernst Tochs sitzend, bei geöffneten Fenstern im Salon der Villa Aurora, Pacific Palisades, Los Angeles
Länge: 04:34 min
Label: Oehms Classics OC 534

Komponist/Komponistin: John Cage/1912-1992
Album: my RSO - GREATEST HITS FOR CONTEMPORARY ORCHESTRA (24 moderierte Hörreisen durch 300 Jahre Orchestermusik mit dem RSO Wien) / CD 24 : ALL THE WORLD. DIE GANZE WELT
Titel: 4'33 (Four minutes thirty-three seconds) - Stück für nicht spielendes Orchester
Populartitel: Tacet
Orchester: ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Cornelius Meister
Länge: 04:33 min
Label: ORF CD 3156 (Edition 24 CDs) /

Andere Baustelle. Am 8. 2. 2017 nimmt sich Rainer Elstner Nikolaus Harnoncourts als den Gambisten der Gamben-Fantasien von Henry Purcell an. Das geschieht gleich mit einer unangenehmen Spannung. Denn die "CD des Tages" ist nicht von Harnoncourt. Es handelt sich um "Divine Theatre - Geistliche Motetten" von Giaches De Wert, aufgeführt vom Ensemble Stile Antico. Elstner redet wie Peter Kislinger im Ton von "Konzert am Vormittag" oder "Pasticcio". Umso mehr ein Labsal der langsame, besinnliche, vollendet dargebotene Gesang mit Schlüssen wie Fragezeichen, auf den die gesungenen Worte inhaltlich hinführen, aber alles andere als einstimmen. "Als Ergänzung dazu, wie angekündicht <sic!>, noch etwas Besonderes, in 'Ö1 bis zwei', Nikolaus Harnoncourt nicht als Dirigent, sondern als ausübender Musiker <sagte Elstner schon vor wenigen Minuten> an der Gambe, noch dazu mit seiner eigenen Lieblingsaufnahme <das hätte Harnoncourt nie öffentlich gesagt>. Harnoncourt hat selten zu den eigenen CDs gegriffen oder zu den Platten anderer. Aber es gab da eine Ausnahme. In einem seiner letzten Interviews sagte Harnoncourt: 'Eine Aufnahme, die mir lieb ist, sind die Phantasien für drei bis sieben Gamben von Purcell. Das ist für mich <kurze Redepause Elstners> besonders kostbare Musik. Und wir haben daran ein Jahr lang geprobt.'" Frage: Interessiert diese oberflächliche Mitteilung jemanden, solange Elstner nicht vermittelt, dass Harnoncourt 1963 oder 1962 nichts anderes gemacht und nicht hauptberuflich als Cellist bei den Wiener Symphonikern und auch wenig Sonstiges für den Concentus Musicus probte und konzertierte? Irgendwie auch passen Giaches De Wert und Henry Purcell nicht zusammen. Elstner tut nichts, um die Paarung plausibel zu machen. "Übrigens, am 5. März, da begehen wir den ersten Todestag von Nikolaus Harnoncourt." Elstner befleißigt sich unnötigerweise öfters des pluralis majestatis. Er wählt aus und weist zurecht auf die ein-tönige Fantasia Nr. 1 hin. Hier könnte man, in einer anders angelegten essayistischeren Sendung mündlich auf andere One-note-Musik hinweisen, allerdings ohne sich verführen zu lassen, den One Note Samba zu spielen. Jazz hätte die ganze Sendereihe "Ö1 bis 2" in Frage gestellt. Dann, 13 Uhr 17, Harnoncourts Gambe nimmt schon beinahe den Rang der "CD des Tages" ein. Es folgt ein unpassender Hinweis auf den "Schluss dieser Sendung". Wenn die Konstruktion der Sendung nicht schon am Anfang vermittelt ist oder sich andeutet, reißt das den Zuhörer nur beschwerlicherweise auf die distanzierende Metaebene der Reflexion. Jetzt erst kommt (viel zu viel) Information zum Komponisten De Wert, nachdem Elstner schon viel zu Harnoncourt gesagt hat und damit indirekt Purcell übermäßiges Gewicht verleiht. Die Sendung gerät langsam aus dem Gleichgewicht. Dann, seltene Perle von einem Satz: "Aber zunächst hört man Jesus ins Schinakl einsteigen in dieser Melodie, mit noch etwas unsicherem Schritt." Was will uns Elstner da erzählen? Dann wird Stile Antico, der Ensemblename, musikgeschichtlich erklärt. Wieder müssen wir denken und lernen. Informationshäppchen werden hingeworfen. (Radiokolleg-Musikfünftelstunde?) Die etwas ruppig geratende Gegenüberstellung von De Wert und Purcell erinnert an die Ruppigkeit von Le Weekend, auch in der Diktion: "Ein Jahrhundert später in England. ... Seine Gambenphantasien sind ein großartiger Schlußpunkt einer Entwicklung." Jetzt kommt mit Musikgeschichte aber auch noch Information zu Purcell selbst. "Geniale Musik von Henry Purcell. Ab-solute <so betont von Elstner> Musik von großer Schönheit." Unverständlich, wieso der Begriff der absoluten Musik aus dem 19. Jahrhundert hier verwendet wird. So wie Elstner das sagt, ist bald schon jegliche Instrumentalmusik absolut. Dann ein scharfer turn: Elstner lenkt eigentlich unbegründet, aber in sehnsüchtigster Erwartung auf "Popmusik" um und das gerade mit Purcell, als ob dieser die "CD des Tages" lieferte. "Cold Song aus der Frostszene von der Semi-Opera King Arthur." Mit Fink. Wer ist Fink? Und warum soll dieser Sänger so besonders sein? Wende der Sendung mit Fink? "Eines der größten Vorurteile der Popmusik gegenüber ist ja <ja?>, dass sie zu einfach gestrickt sei. Das hat man, da hat man eine ihrer Qualitäten übersehen, den Klang, den Sound. An dem wird gefeilt. Mit dem kann man Referenzen herstellen. Er vermittelt kulturelle Identität und Zeitgenossenschaft." Was will uns hier Elstner verklickern? Ah ja: "Das gilt auch für die Filmmusik. Die muss ja in Sekundenbruchteilen Stimmung herstellen." Muss sie das? Haneke konsultieren! Peter Kubeka konsultieren! "Bekannte Popsongs kann man in nicht einmal einer Sekunde erkennen. Und bei Filmmusik geht das oft auch. So jedenfalls die These. Liebe Hörerinnen und Hörer, auf Sie wartet jetzt ein akustisches Rätsel. Erkennen Sie die dazugehörigen Filme zu den folgenden Ausschnitten und vielleicht auch noch die dazugehörigen Komponisten! Wir hören jetzt jeweils genau eine Sekunde von SEHR bekannter Filmmusik. ... Nun, zu schwierig? Darf ich vielleicht unseren Tonmeister bitten, dass man das noch einmal einspielt." Letzterer Satz wird nicht als Frage gemeint. "Die Auflösung:" - es ist alles von John Williams: "22 Grammies", "fünf Oscars". Ach ja, die Oscar-Verleihung, die jedes Jahr immer mehr mediale Aufmerksamkeit bekommt, droht ihre Ankunft in zwei Wochen an. "Heute wird er 85 Jahre alt." Wie alt ist Giaches De Wert geworden, Komponist der CD des Tages, um die es eigentlich geht? Nichts dazu. Vielmehr folgen wenig belangvolle biographische Informationen zu Williams. Aber es kommt noch abenteuerlicher. Die Kurve zurück wird nicht zu De Wert (oder Purcell, oder Hanrnoncourt) gekratzt, sondern zu Williams' angeblicher Referenz Erich Korngold - mit etwas von ihm und vier snippets von Williams, gefolgt von 5 Minuten und 24 Sekunden "Star Wars"-Musik. Und als ob von Harnoncourt und De Wert nie die Rede gewesen wäre: "John Williams hat auf der Arbeit von Korngold aufgebaut. <So kann man Abkupfern von der klassischen Tradition auch nennen!> Und er nutzt Wagners Leitmotivtechnik." Ah ja. So unfundiert kann perfekter Kommerz musikgeschichtlich nobilitiert werden! De Werts Lebensdaten sind noch immer nicht genannt, aber, wir haben's schon vergessen, daher noch einmal: "John Williams wird heute 85 Jahre alt. Und Ö1 gratuliert natürlich auf diesem Wege." Hat De Wert das Pech des Fehlens eines Jahrestags und dass er nicht so prominent ist? "Zum Abschluß noch einmal Nikolaus Harnoncourt an der Gambe." Übrigens, als ob Harnoncourt zugelassen hätte, von ihm an erster Stelle und nicht vom Ensemble Concentus Musicus zu sprechen! "Noch einen interessanten Tag mit Österreich Eins wünscht Rainer Elstner."

Auch in "Ö1 bis zwei" sechs Wochen später am 24. 3. 2017 kann Elstners Sendung zu Pergolesis "Stabat Mater" <1736!> in der Einspielung von Tim Mead und Lucy Crow mit La Nuova Muscia nicht überzeugen. "'Es ist das vollkommenste und bewegendste Ballett, das jemals aus der Feder eines Komponisten geflossen ist, um Schmerz fühlbar zu machen.'" So Elstner mit Jean-Jacques Rousseau über den Beginn von Pergolesis Stabat Mater. Aber, diese kulturgeschichtliche Perle dürfte man nicht gleich zu Beginn ausspielen und müsste sie auch gut verpacken. Es folgen zwei Arien. Elstner: "Wenn dann aber gegen Ende der Arie Geiseln, Dornen, Spott und Hohn geschildert werden, die auf Jesus niederprasseln, schlägt die Stimmung in den Streichern um - da fliegen die Bögen peitschend über die Seiten." Nichts davon zu hören. Es folgen zwei Arien. Elstner in der Sendung, ohne weitere Angaben zum Tonträger: "Unsere CD des Tages." Das ist gelogen, denn de facto macht Bach die andere Hälfte der CD aus, wie schon das CD-Foto erahnen ließ (http://oe1.orf.at/player/20170324/465161, inzwischen offline). Es folgen ein Stück Ouvertüre und ein Szenenausschnitt von Händels Oper "Il pastor fido". Das gibt Elstner den Anlaß, kurz auf den Buffonistenstreit 1752 bezüglich Pergolesis Intermezzo La serva padrona hinzuweisen. Es bleibt aber beim Anstoß, der nicht weiter ausgeführt wird und im Rahmen von "Ö1 bis zwei" auch nicht ausgeführt werden dürfte. Nur, der berühmte Streit (in dem Rousseau auch eine Rolle spielte), stiehlt dem Stabat Mater die Show, ganz zu schweigen, dass, vorwegnehmend, Bach jetzt überhaupt nicht mehr das nötige Gewicht der CD-des-Tages zukommen kann. Und doch wäre es Elstners Aufgabe gewesen, die Gegenüberstellung Pergolesi und Bach anzusprechen. Es folgen nun drei ein halb Minuten aus Pergolesis "La serva padrona" und dann noch einmal etwas aus dem Stabat Mater des Komponisten. Aber auch in dieser Sendung kommt auf die Zuhörer eine harte Kurve zu: "Wir bleiben bei einem Großen der italienischen Opernmusik<??>; morgen vor 150 Jahren wurde Arturo Toscanini in Parma geboren. 1896 dirigierte er die Uraufführung von La Bohème ... Der Antifaschist (Toscanini)". Und dabei haben wir noch das schöne 18. Jahrhundert in den Ohren! Der Pianist Horowitz rückt kurz in den Mittelpunkt. "Es gibt da mehrere Versionen. <von welchem Werk?> Wir haben uns für die Live-Version <von welchem Werk?> von 1941 entschieden." Wir werden sechs Minuten auf die Folter gespannt. Tschaikowski ist es. Aber nicht um ihn geht es: "Morgen vor 150 Jahren wurde Arturo Toscanini geboren." Das hatten wir schon ganz vergessen. Gut, dass es uns noch einmal gesagt wird. Jetzt aber: "Und da nehmen wir den Umweg über Johann Sebastian Bach. Auch er hat sich mit Pergolesi auseinandergesetzt" Na sowas?! Es folgt kein Wort darüber, wie sich Bach mit Pergolesi auseinandersetzte. Wie denn auch! Entstanden doch die beiden Bach-Kantaten vor dem Stabat Mater. Dass außerdem Elstner seinen Text zu schnell vorliest, zeigt der folgende, von Elstner erst gar nicht entschuldigte Versprecher: "Davon hat sich das Ensemble Na Nuo La Nuova Musica hat sich inspirieren lassen und hat für seine CD auch zwei frühe Bach-Kantaten eingespielt." Wie so oft bei Elstner wird dann über das Fade-In drübergesprochen. Egal, es ist ja nur geistliche Musik! Da kann man das ja machen! Checkt Elstner in der Kirche am Handy die neuesten Messages, wenn gerade gesungen wird? Dann tut Elstner so, als ob der erste von 5 Teilen der Bach-Kantate schon das ganze Werk BWV 170 wäre. Es folgt "Vergnügte Ruh! Beliebte Seelenlust", aber es sind nur 4 Minuten, nicht die ganze Arie (Nr. I), denn die dauert auf der CD 6:24. Deswegen Fade-In? So führt man das Publikum hinters Licht. Dann kommt endlich etwas Klarheit in die Zusammenstellung: "Diese Kantate von Johann Sebastian Bach findet sich auf unserer CD des Tages neben Pergolesis Stabat Mater." Wir müssen auch wissen: Pergolesi "starb an Tuberkulose". Stabat mater dolorosa, hallo! Es geht hier um den Tod Jesu, nicht um Tuberkulose. Dann nicht der Funken einer Ansage. Abrupter Einstieg in zarte Musik. Man darf vermuten: Pergolesis Stabat Mater. Auch die Absage bleibt ohne Werkverweis: "Diese <!> CD des Ensembles La Nuova Musica ist unsere CD der Woche." Alzheimer, schau oba - nicht der Woche, denn die gibt's nur im Klassik-Treffpunkt am Samstag. Macht sich Elstner schon auf die Übernahme einer Moderatorenstelle dieser Sendung Hoffnung? "Noch einmal zurück zu Toscanini." 'Zurück' oder 'noch einmal' - beides braucht es nicht! Wir springen also vom Stabat Mater ins Studio 8 H im Rockefeller Center in New York. Was für eine Verbindung! Es folgen unbeschrieben 13 Minuten und zwölf Sekunden Ludwig van Beethovens Ouvertüre "Leonore III". So wenig bereichernd und unpassend wie schon Tschaikowski für Pergolesi/Bach. "An den Reglern war für Sie heute Herta Werner Tschaschl. Aber das letzte Wort heute, das gehört Pergolesi und seinem Stabat Mater". Was für gehaltvolle letzte zwei Sätze in einer Sendung, deren Potenzial nicht nur nicht erkannt, sondern souverän verschenkt wurde! Bleibt zu erwähnen: Elstner hat (wie Kos) noch immer nicht gelernt, dass man "Ö1 bis zwei" mit Worten der Moderation ausklingen lassen muss. So kippt er uns unabgebremst vom Kontratenor und Sopran in die Ö1-Werbung, die mit dem Mezzosopran Isoldes aus Wagners Oper startet.

Die Musikchefredaktion unter der Leitung Tschaikners, aber auch bis zu einem gewissen Grad Danzingers als Sendungsverantwortlichem stellt sich leider ein schlechtes Zeugnis aus. Elstner wie auch Kislinger werden nicht auf ihre short-comings hingewiesen so wie auch Kos nicht auf die seinen. Das stimmt merkwürdig mit dem zunehmend diffusen Selbstbild überein, das "Ö1 bis zwei" von sich gab. Seit der neuesten Programmreform am 1. Mai 2017 gibt es auf der Ö1-Webseite keine Sendungsbeschreibungen mehr. Schon seit dem 10. Oktober 2016, mit der Einführung des ab diesem Tag neuen Webplayers (bereits sieben Monate später wieder ersetzt) gab es neue, im Vergleich zur Zeit davor merklich kürzere Sendungsbeschreibungen (http://oe1.orf.at/oe1biszwei, http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/O). Von Klassik war nun zu "Ö1 bis zwei" keine Rede mehr. Es klang schon gefährlich nach dem, was zum damaligen Zeitpunkt allein „Ö1 bis zwei - le week-end“ vorbehalten war: „Entspanntes Hören von Musik aller Richtungen und Epochen ist das Ziel von 'Ö1 bis Zwei'.“ "Ö1 bis zwei" war in Gefahr, in eine „Strecke“ von aufgelockertem Mittagsjournal wie auf FM4 nun (statt bis 13 Uhr) bis 14 Uhr aufgelöst zu werden, enthaltend, was nun "Des Cis" als Elemente enthält, nur in der halben Sendezeit. Und dann gibt es da noch den Druck mit der doppelten Forderung nach einem Newskanal und infolge einem abgespaltenen (Klassik?-)Musikkanal.

All dem gegenüber muss Ö1 weiter Vollprogramm sein. Popmusik sollte auf den Gegenstand der Erforschung und Reflexion (Radiokolleg, Freitagnacht) beschränkt bleiben, da es in der ORF-Radioflotte für Popmusik schon genug Sender, nämlich drei (!) gibt: Ö3 - die Radio gewordene Lüge für den Mainstream der Popmusik, FM4 - der alternative mainstream - und die ORF-Regionalradios, das regional akzentuierte Ö3 für die Erwachsenen.



c. Wolfgang Kos' Ö3-Museum auf Ö1



Ich meine nicht das gurgelnde Verschwinden

von Zeit im Abfluß des Radios

(Jelinek 1999)



Wie jede Radiosendung beginnt auch "Das Popmuseum" mit einer Signation. Man möchte meinen, jede Sendung eines Senders hat ihre eigene Signation, die nicht von einem anderen Sender übernommen wird. Nicht so beim "Popmuseum". Es nimmt seine Sendungskennung von Ö3 einfach mit. Seinerzeit auf einem guten Sender gelungen, erscheint die damalige akustische Ankündigung und ihre symbolischen Intros für die 50er bis 80er Jahre aus heutiger Sicht 2017 mehr als beschränkt. Hat die Geschichte der Popmusik nicht längst die 90er und Nuller Jahre erreicht? Müssten nicht inzwischen auch Jazzstandards oder Filmmusik akustisch geadelt werden, die inzwischen 'populär' geworden sind?

Als Seitenschiene der Sendung "Musicbox" auf Ö3 nachmittags, die die rasanten Entwicklungen in Rockmusik und Alternativkultur verfolgte, war das Ö3-„Popmuseum“ von und für Wolfgang Kos abends von 1970 bis 1972 eingerichtet, 1974 und dann wieder von 1987 bis 1997. Gründlich vorbereitet, gut recherchiert, Songs präzise etikettierend machte die Sendung seinerzeit dem Namen Museum im Kontext von Ö3 alle Ehre, auch wenn sie ungewöhnlichen Themen gewidmet war. Man konnte auf dem Kommerzsender Ö3 etwas lernen. Später machte Kos, als Direktor des städtischen Wien Museum von 2003 bis 2015 - von hier wurde am Sonntag, den 3. Juli mittags, die erste Sendung von zehn des Sommers 2016 live gesendet - unter dem Titel „Popmuseum“ im Wien Museum sporadisch DJing, auch mit Partnern im Dialog. Der Titel „Popmuseum“ machte auf Ö3 so wie die Jazzsendung „Vokal Instrumental International“ von 1967 bis 1987 im heute geschichtsvergessenen, dem „Neuen“ verschriebenen Sender Ö3 Sinn. Kos konnte den zahmeren Teil der Rockmusik und Benachbartes einem Publikum präsentieren, das bei der progressiven „Musicbox“ um- oder abschaltete.

Als Direktor des Wien Museums geradezu populär geworden, schrieb Kos 2016 in seinem Eigenporträt "Nostalgiefreie Zone" zur Geschichte des "Popmuseums" selbstverliebt: „Beim Versuch, die Kapitel einer langen Geschichte zu rekonstruieren, schlage ich besser bei Wikipedia nach.“ Und gegenüber den Ö3-Zeiten: „Was wird anders sein? Das weiß ich noch nicht genau, denn ich habe noch nie auf einem Kultur-, Wort- und E-Musik-Sender <Ö1> durch Ausstellungen mit Exponaten aus Pop, Folk, Blues, Punk, Reggae, Rock oder Hip-Hop geführt.“ (http://oe1.orf.at/artikel/443002) Das ist gelogen, denn in der Ö1-Sendung „Spielräume. Musik aus allen Richtungen“ wochentags von 17 Uhr 30 bis 18 Uhr, deren Titel Kos mitprägte und die er montags und noch in seiner Wien Museum-Zeit im August 2004 mittwochs moderierte, tat Kos nämlich genau das: Exponate servieren von Pop, Folk, Blues, Punk, Reggae, Rock oder Hip-Hop mundgerecht.

Das ist heute Geschichte. Pop ist inzwischen salonfähig in Cultural Studies ebenso wie im Museum, siehe David Bowie 2013 im Londoner Victoria & Albert Museum und in anderen Städten. Zudem ist es in den letzten Jahren schick geworden, „Pop“ als den sanfteren Teil des alternative mainstream durch die öffentliche Hand zu fördern, siehe das sommerliche Wiener Popfest seit 2010. Die Hoffnung ist wohl, dem österreichischen alternative mainstream als einem neuen Austropop auf die Sprünge zu helfen und sei es auch nur auf FM4, wenn das breitenwirksame Ö3 nicht anbeißen sollte.

Nun lebt nicht nur die ORF-"Hauptabteilung HD2 Wissenschaft, Bildung, Gesellschaft" (HD = Hörfunkdirektion; Hauptabteilung HD1 Information, Hauptabteilung HD3 Kultur, Hauptabteilung HD4 Religion, Hauptabteilung HRO Spezialprogramme), sondern auch ein Museum von der Forschung über seine Objekte und ihre Hintergründe. Das gilt auch noch für eine Sendung, die aus dem verbreiteten Verfall des historischen Sinns Aufwind gewinnen möchte. Hier mündet die Forschung in Exponatslisten und Kontextbeschreibungen von wie auch immer subjektiv angelegten Ausstellungen wie etwa bei Harald Szeemann, der einst Kos' Vorbild war. Kataloge dieser Art hat Kos tatsächlich als Ausstellungskurator seit 1980 erstellt, noch vor seiner Zeit im Wien Museum. Andererseits darf beim gebildeten Publikum von Ö1 vorausgesetzt werden, dass es mit 'Katalogen' und der in sie einfließenden Forschung umgehen kann.

Aber, um auf das "Das Popmuseum" von 2016 einzugehen, Kos bringt nur einen einzigen Hinweis auf verwendete Literatur, nämlich auf Simon Reynolds' Retromania von 2012. In der Sendung am 3. Juli 2016 wird auf das Buch en passant angespielt, kurz und auch nur für diejenigen erkennbar, die die Webseite zur Sendung lasen (http://oe1.orf.at/programm/20160703/435801). Schon keine Quelle mehr führt Kos an, wenn er für die Sendung am 17. Juli schreibt, dass die „Feministin Thulani Davis“ Aretha Franklin eine „'Mystikerin des sexual healing'“ nannte (http://oe1.orf.at/programm/20160717/436507). Ganz im Dunklen bleibt am 11. April 2017 der Hinweis auf die art schools, aus denen heraus Lennon, Keith Richards, Clapton, Ray Davis, Bowie, Brian Ferry und Syd Barrett ihre Kreativität entwickelten - beruht diese Beobachtung auf Kos' eigenen Forschungen, zieht er Information aus der inzwischen umfangreichen Forschungsliteratur heran, oder hat er einfach nur Rebecca Lovell/Elliot Smith/Will Hodgkinsons Artikel "Britain's art school pop stars" gelesen? (Source: Observer Saturday 18 April 2009 23.01 https://www.theguardian.com/theobserver/video/2009/apr/19/music-art; alternativer Titel und Erscheinungsort: Pop and rock. The Observer. So, what did you learn at school today? This country's art schools and colleges have famously produced our most inventive pop stars. But does the same still hold true today? Sunday 19 April 2009 00.01 https://www.theguardian.com/music/2009/apr/19/art-schools) Diese Unzulänglichkeiten sind der Ö1-Leitung wohl als vernachlässigbar erschienen, wenn sie ihr überhaupt auffielen.

Wie war die handwerkliche Qualität? Das Popmuseum strotzt nur so von Moderatorenfehlern:

- wie auf Ö3 werden die Nummern angesagt, während sie laufen (direktes Aufkleben der Angaben auf das Exponat),

- die Nummern werden mitunter gar nicht angesagt (Exponate hängen ohne akustische Beschriftung),

- die Nummern werden sehr oft dem Jahr der Veröffentlichung nicht zugeordnet (fehlende Datierung),

- die Nummern werden beinahe systematisch nicht ausgespielt (der Rahmen deckt einen Teil des Bildes ab) als Moderatorenkrankheit, etwa Falcos „Junge Römer“ 2:00 statt 4:37 Minuten, Bebel Gilbertos „Tanto Tempo“ 1:00 statt 2:25 Minuten, Ry Cooder/Flaco Jimenez' 0:30 statt 4:07 Minuten und El Komanders „El Regreso del Chapo Guzman“ nur mehr kurz angeteast statt 1:50 Minuten,

- Nummern werden gelistet, aber nicht gespielt (die Wand bleibt leer), etwa von Tim Buckley (http://oe1.orf.at/programm/442356 offline) oder Georg Danzer (http://oe1.orf.at/programm/443292 offline),

- der Ö1-Signation vor den Nachrichten um 14 Uhr wird erst ab der vierten Sendung soviel Zeit eingeräumt, dass sie die Schlussmoderation nicht abwürgt (statt "Museen der Stadt Wien" nur mehr "Museen der Sta"),

- Aussprachefehler, vier in einer Sendung der Karwoche, werden nicht einmal korrigiert, „Sänger“ statt „Sängerin“ zu Aretha Franklin, "Klaus Wienerroithner: Regie" statt "Klaus Wienerroither: Regie" (jedes Museum verfügt über Restauratoren und Korrektoren),

- Songlisten werden oft erst mit wochenlanger Verspätung nachgereicht (wie Kataloge nach Ausstellungsschluss). Diejenige zu Aretha Franklin fehlt bis heute (http://oe1.orf.at/programm/20160717/436507).

À propos Aretha Franklin.

(Es folgen nun Bemerkungen zu den Sendungen "Soul Sister Number One - Aretha Franklin und ihre Aufnahmen für Atlantic", Hinter Gittern", Rückimport - Wie Musik aus Amerika die Popkultur Afrikas beeinflusste, Black Power - Stolz und Zorn in der Soulmusik um 1970“, "Das typisch Englische", „Across the Borderline – Musikalischer Grenzverkehr zwischen den USA und Mexiko“, "Songs mit mehr als drei Städtenamen" und "Songwriter Randy Newman".)

Aufs Erste kommt die Sendung "Soul Sister Number One - Aretha Franklin und ihre Aufnahmen für Atlantic" am 17. Juli gut daher. Nur, von den vielen Songs, die Kos vor- und anspielt, hat einen einzigen Aretha Franklin selbst geschrieben. Über den musikindustriellen Hintergrund, der einen Star wie Franklin erst möglich machte, kommt von Kos kein Wort. Ob bei all den Zeitnöten, die die Sendung durch vorzeitige Fade-outs unnötig unruhig machen, die Nummer „Respect“ in zwei Aufnahmen gespielt werden muss, darf bezweifelt werden, zumal das Fade-out bei der zweiten mitten in den Gesang hinein erfolgt (wie das respektlose Drübersprechen mitten in den Gesang von „Do Right Woman, Do Right Man“). Stattdessen hätte Kos besser die substanzielle feministische Abänderung der gesamten Otis-Redding-Nummer durch die Sängerin und ihren Producer erläutert. Ist es Aretha Franklin wert, mehr als nur als Beispiel der Musikindustrie gehört zu werden (wie es Michael Jackson wäre)? Oder macht genau das den Unterschied etwa zu den musikalisch innovativen späteren Beatles aus? Während Franklin in den späteren 60er Jahren gerade einmal neue, emanzipierte Inhalte in die Songtexte einbrachte, ohne selbst Songs zu schreiben, brachten die Beatles eine musikalische Revolution zustande, die die cantautori über ihr solides Songwriting nach 1965 in Bereiche vorstießen ließ, von denen Franklin nicht einmal träumen konnte. Das - ! - und die Entfaltung dieses Gesichtspunkts würde Ö1 ausmachen! Aber Kos bleibt einer Hitmaschinerie verhaftet, wie es Ö3 heute ist.

Nicht hinreichend wird von Kos gezeigt, warum es „Hinter Gittern (Teil 1) - Mordgeschichten und Gefängnisleben“ und dann noch extra „Hinter Gittern (Teil 2) - Musiker im Gefängnis“ (24. und 31. Juli) braucht. Könnte man doch Teil 2 als in Teil 1 enthalten denken! Nehmen die Gefängniskonzerte, denen Teil 2 eigentlich gewidmet war, im Gefängnisleben tatsächlich eine zentrale Stellung ein? Das zu glauben, liefe auf blanken Zynismus gegenüber einer Musikindustrie hinaus, die die Häftlinge nur wahrnimmt, wenn sie von ihr in Schallplatten 'verarbeitet' werden kann. Ein einziger Häftling wirft hier schon ein Paradox auf, nämlich der weiße producer Phil Spector. Er musste den von ihm erfundenen Wall of Sound nach einem Mord mit lebenslänglichen Gefängniswänden tauschen. Was aber wäre die musikalische Bedeutung dieses Sachverhalts? Kos bleibt die Antwort schuldig. Oder andere (weiße) chief executive producers im teils schwer korrumpierten Business wie der weiße Lou Pearlman, der als Promotor von Boygroups spürbar musikalische Wirkung zeitigte (nicht bei Kos) - wäre deren Erörterung in einem Bildungsradio wie Ö1 tabu? Dagegen bemüht sich Kos, eine Reihe von eher armen schwarzen Musikern auftreten zu lassen, von denen nicht immer geklärt ist, was sie „Hinter Gittern“ brachte. Auch ging Kos nicht darauf ein, was Johnny Cash („mit den wunden Seelen auf Du und Du“, ach ja!) sonst noch für Inhaftierte getan hat. Cash setzte sich bekanntlich für Insassen über seine Konzerte hinaus auf eine politische Weise ein, wie das in den 70er Jahren Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault in Frankreich taten. Dann passten nicht alle von Kos Gespielten wie Chuck Berry oder Leadbelly in das Schema rassistisch Verfolgter. Und das politische Opfer Fela Kuti in eine lange Reihe mit mehr oder weniger kleinkriminellen Delinquenten zu stellen, ist für Kuti eine Beleidigung. B. B. King seinerseits, kein Insasse, war nur mehr business man, wenn er die Standard-Show im Gefängnis 300 Mal im Jahr spielte, was Kos redlicherweise selbst mitteilt.

Der Sendungstitel „Rückimport - Wie Musik aus Amerika die Popkultur Afrikas beeinflusste“ führte in die Irre (http://oe1.orf.at/programm/444712). Einflüsse wurden keine aufgezeigt, geschweige denn angesprochen. Der in der Sendung nachgelieferte Titel trifft es besser: „Afrikanische Popmusik“, wenn das auch wieder keine historische Festigkeit in der Sendung erlaubt. Der Mangel verstärkt sich durch beinahe systematisches Verschweigen der Produktionsjahre und den Verzicht der Absteckung des historischen Felds. Als ob Kos einfach aus einer reichen Geschichte schöpft, die mit Benennung des Zusammenhangs beim besten Willen nicht in einer knappen Stunde zu bewältigen ist.

Recht gelungen dagegen „Black Power - Stolz und Zorn in der Soulmusik um 1970“ (http://oe1.orf.at/programm/445896), eine Sendung, die dem Publikum von Ö3 ebenso zu wünschen wäre wie die über "Das typisch Englische" (http://oe1.orf.at/programm/447020). Kos bringt hier ein soziologische Feingefühl auf, die genau diejenige denkerische Distanz zur Musik ermöglicht, die von einem Sender wie Ö1 gegenüber Popmusik zu erwarten ist. Dann aber fehlt wieder das Grundbesteck. Kos spricht hemmungslos mittendrin in Elton Johns' Saturday night's alright for fighting. Und wie viele Jahre sind Blur von Elton John voneinander entfernt? Dass Blur wie auch The Smiths mit Morissey an The Kinks anknüpfen, wird zwar suggeriert, aber nicht thematisiert. Auch eine amerikanische Studie über Englishness wird nur erwähnt, aber nicht benannt. Überhaupt ist eine Sendung über das Englische so eine Sache, wenn mit keinem Wort der Brexit zur Sprache kommt, mit dessen Vorgeschichte die Auswahl der gespielten Nummern und ihre sozialen Bedingungen wohl zu tun haben. Gut zum Ausdruck kommt, dass sozial ab den 80er Jahren nicht mehr von John Lennons Working Class Heroes, sondern von Sozialhilfeempfängern zu sprechen ist, etwa mit der farbig-weißen Band The Specials mit Ghost Town 1981, in welcher Nummer auch eines der wenigen Soli des ganzen "Popmuseums" vorkommt, ein Trompetensolo. Stimmt nicht ganz. Es kommt, etwas eigenartig versöhnlich, "eines der schönsten Beatles-Lieder als Finale einer Sendung über das typisch Englische", so Kos. Penny Lane. Das schöne, selten gespielte Englischhornsolo benennt und erklärt Kos nicht, auch nicht in http://oe1.orf.at/programm/20160904/442308 (keine Liste enthalten). Hallo? Popmuseum?

Schwach wiederum das sentimental gefasste Thema „Across the Borderline – Musikalischer Grenzverkehr zwischen den USA und Mexiko“ (http://oe1.orf.at/programm/20160710/436155). Es kamen nur US-amerikanische Musiker zum Zug. Die Gelegenheit, Carlos Santana auf Tijuana beziehen zu lasen, wo er einige Jahre lebte, blieb ungenutzt. Dann die mehr als entbehrliche Lustigkeit, ja selbst für Kinder vertrödelte Zeit der Sendung "Songs mit mehr als drei Städtenamen" (http://oe1.orf.at/programm/20160828/440266) - der Bundesbahnblues erschien unter all dem Amerikanischen seltsam verloren, und wenn Kos auf Bob Dylans Bezugnahme auf das Hochwasser im Mississippi-Delta anspielt, wo der Country-Blues erfunden worden sei: Was hat das mit drei oder mehr Städtenamen zu tun?

Bei der Sendung über den "Songwriter Randy Newman" endlich (http://oe1.orf.at/programm/445304) klappte nicht nur, dem Ö1-Prim-Quint-Oktav-Geigenton unmittelbar vor 14 Uhr seinen Zeit zu geben. Kos schöpft aus einer umfassenden Kenntnis und auch persönlichen Liebe zum Objekt der Sendung. Der immer adrette Newman, der sich erst in den frühen 70er Jahren im Alter von 30 etablierte, als allmählich Beruhigungsmittel gegen eine immer wildere und lautere Rock- und Jazzmusik gebraucht wurden - Kos brachte ihn andernorts gegen die seiner Meinung nach lyrics-unkundigen Drahdiwaberl in Stellung - , dieser Newman wird durchaus interessant präsentiert. Kos nimmt den Zugang vornehmlich über Songzeilen und demonstriert mit wenigen Strichen, dass da nicht nur ein gebildeter Musiker, sondern gebildeter Mensch überhaupt von Erfahrungen und Beobachtungen auf dem hohen lyrischen Niveau handelt, das von vielen Rockmusikern nicht einmal angestrebt wurde. Doch fehlt Kos die historische wie auch generell intellektuelle Distanz, die ihm erlauben würde, Newman in einen Bezug zu den Lyrics-Größen seiner Zeit zu setzen, etwa Bob Dylan, Leonard Cohen, Joni Mitchell, Neil Young und Patti Smith. Man könnte heute sagen, Newmans Lieder sind klassisch und daher museumswürdig. Aber was bedeutet diese Klassizität für einen Sender wie Ö1, dem eine eigene Art von Klassik aufgegeben ist? Dazu bleiben Kos' Kommentare zu sehr die eines Fans.

Ein dreiviertel Jahr später hat die Ö1-Leitung Kos noch immer nicht auf seine handwerklichen und konzeptuellen Probleme aufmerksam gemacht. 14. April 2017, "Popmusik am Karfreitag?". Auf Patti Smith's "Easter, La Resurrection" - "auch Psalme fließen ein" - folgt thematisch grundlos ein Ostersonntags-Jazzsong. "Geng<!>regrenzen". "Wie wird das Feiertagswetter?" Dann Johnny Cash's "When it's springtime in Alaska", was mit dem vorgenommenen Thema "Popmusik am Karfreitag?" oder Ostern (http://oe1.orf.at/programm/20170414) gar nichts zu tun hat, wie auch die Lyrics zeigen. Weiter zum nordirischen Karfreitagsabkommen mit Musik von The Chieftains: endlich einmal schön langsam und ohne Metrum - auch das gibt es in der Popmusik! Dafür dann wie die Faust aufs Aug' die Ö3-Band U2 mit dem nordirischen "Blood Sunday", dem 30. Jänner 1972 - Karfreitag? Ostern? Will Kos sagen, dass sich in diesem sinnlosen Bürgerkrieg jemand christlich aufgeopfert hat? Nächste Nummer: wieder ein ebenso inhaltlicher wie musikalischer Bruch: Judee Sill mit "Jesus was a crossmaker" und "The Donor", in welch letzterer Nummer ein gesungenes Kyrie eleison aber nichts mit der österlichen Dreitagesfeier zu tun hat. Und so weiter, und so weiter. Und zum Schluss wieder: weil die Zeit davon läuft, redet Kos plötzlich andauernd in die Musik - keine Abmoderation mehr - , das Ganze kippt in die Werbung für eine CD mit Händel's Joshua.

Resümee. Meist ist die Sendung nicht mehr das gründlich recherchierte "Popmuseum" von einst. Es kommt viel eher der Kos'schen Ausgabe montags der halbstündigen „Spielräume“ von 1995 bis 2003 gleich, bevor Kos selbst ins von ihm so benannte Wien Museum wechselte - tatsächlich gehört die Musikausstellung "Popmuseum" eher in ein städtisches Museum als in das Mumok oder Kunsthistorische Museum. Schon in jene „Spielräume“ rissen bei Kos Sorglosigkeiten ein. Seine „Spielräume“ waren zu sentimental und narrativ auf den Inhalt der Lyrics ausgerichtet, ohne dass das zu historischen Erkenntnissen gemünzt würde. Feelies, sagt Kos selbst im Schielen auf Sommer-Musik. Und dann fällt auf: Es kann für Kos im Pop nur Songs geben. Als ob im Pop, zu dem Rock und andere avanciertere Spielarten gehören, Instrumentales erst gar nicht vorgesehen ist - eine einzige lange Nummer, "Matti Groves" von Fairport Convention, in 23 Sendungen - ist zu wenig. Immerhin, Kos, einst ein sehr guter Journalist, hat Geschmack, wenn er sich nicht konzeptuell verheddert. Doch hätte es auf Ö1 der Wiedereinführung von "Das Popmuseum" überhaupt bedurft? Haben nicht die "Spielräume", auch nach dem Abwandern von Elke Tschaikner (die Kos' montägliche "Spielräume" seinerzeit übernahm) in die Ö1-Direktion, längst die Funktion eines Popmuseums übernommen, allen voran die Freitage, Montage und nun wieder die Freitage, die Wolfgang Schlag betreut? Von den Sonn- und Feiertagen seit dem 1. Mai 2017 nicht zu reden. Und ist nicht in weiteren Sinn die mission accomplished? Man höre "A Propos Musik" freitags (bis 30. April 2017), Scheib pro Pop, Hosp pro Pop, Kneihs pro Pop, Elstner pro Pop, Neuhauser pro Pop, Niedermayr pro Techno und Club-Musik, Zeit-Ton pro Jazz am Donnerstag und, seit 1. Mai 2017, "Anklang" pro Salonmusik.

Nein, selbst der Begriff der Popmusik müsste höher angesetzt werden - analog der Pop Art. Diese formierte und positionierte sich bekanntlich gegenüber dem abstrakten Expressionismus, besonders aber gegenüber der Minimal Art, dann auch der Konzeptkunst, Performance-Art, Land-Art und Postminimal Art. So war Pop Art von Anfang an Hochkultur. Das heißt, sie war nicht popkulturelle, kommerzielle Typographie, Plakatproduktion, Massenfotografie, Designproduktion. Pop Art bediente sich ihrer nur des Pop. Und sie verklärte sie in ihren Werken. Auch müsste der Begriff Popmusik breiter angesetzt werden - vokal und instrumental, kürzer und länger, mit Rock, Jazz und Klassik - , inkludierend „Heavy Weather“ von Weather Report, "Reich mir die Hand, mein leben" von Mozart, die Tritsch-Tratsch-Polka von Strauss und "In Memory of Elizabeth Reed" von den Allman Brothers. All dem trägt Kos, oder wer auch immer sonst ein Musikmuseum machen sollte, nicht Rechnung. Und selbst in der Popmusik fand Aufhebung statt: Es drangen klassikfreundlich - nach den Beatles, Cream und Miles Davis - anspruchsvolle Klangwelten, lange Kompositionen, ausgefeilte Konzepte, mehrteilige Stücke und multimediale Verfahren ein. Davon hält sich "Das Popmuseum" so weit entfernt, dass es sich den Vorwurf einer tiefgehenden Klassikfeindlichkeit auf Ö1 gefallen lassen muss. In der jetzigen Erscheinung sollte es wie seinerzeit auf Ö3 oder FM4 ausgestrahlt werden.

Wenn 'Das Popmuseum' Symbol für einen wie auch immer friendly gemeinten takeover von Österreich 1 ist, dann entstand die Eignung für diese symbolisch noch weiter greifende Übernahme nicht von heute auf morgen. Es ist das eine Eignung, die sich im Zeichen einer Konvergenz mit den anderen ORF-Radiosendern und einer gewissen Rekonvergenz mit Ö3 schon seit Längerem abzeichnete. Dabei ist die Radio-Ikone von Relevanz, zu der Kos spätestens mit der ehrenvollen Berufung zum Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien aufstieg und die noch stärker strahlte, indem er das Museum erfolgreich umbenannte, bespielte und vermarktete. Kos war, aus Baden bei Wien gebürtig, Symbol für die Wien-Zentriertheit von Ö1. Aber nicht nur. Kos ist auch Symbol für das Geschiebe und Verdrängen im Ö1-internen Wettbewerb und Machtkampf.

Wolfgang Kos, heute 68, arbeitete seit 1968 für die einstündige Musicbox auf Ö3 und war von 1980 bis 1984 ihr Leiter - es gibt übrigens über diese extrem bedeutende Sendung (gegründet 1967, 1995 eingestellt, Grundlage von FM4) so wie auch über Walter Richard Langers gleichermaßen bedeutende Jazzsendung Vokal Instrumental International (1967-1987) keine Forschungen (http://aleph23-prod-acc.obvsg.at/). 1984 stieg Kos in den Sender Ö1 ein als Mitbegründer und Leiter des zweistündigen samstäglichen Radiofeuilletons „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ zusammen mit Michael Schrott (bis 2012), der sich schon in der Musicbox mit der deutschen Klassik ins Verhältnis setzte durch seine vielteilige, autobiographische Serie "Italienische Reisen - Johann Wolfgang Goethe 1786 - Michael Schrott 1986". Kos war auch Co-Leiter des von 1983 bis 1991 zweijährlichen, mit Edek Bartz organisierten Festivals 'Töne und Gegentöne', das damals wenig Bekanntes der neuesten Avantgarde in E-Musik und New Wave, Jazz und Folk nach Wien brachte und substanzielle Begleitkataloge produzierte. Von 1995 bis zu seinem Abgang vom ORF 2003 war Kos Moderator der Montagssendung der "Spielräume", die er an Rockmusik orientierte.

Aber noch viele andere Musicbox-Mitarbeiter nahmen und nehmen Einfluss auf und arbeiten für Ö1: Nora Aschacher (Nova. Abenteuer, Perspektiven, Utopien, Leiterin des Radiokollegs bis 2007), Martin Blumenau (rechte Hand von FM4- und ab 2016 auch ORF-Radio-Direktorin Monika Eigensperger und Dylan-Experte in den Ö1-Sendungen Kulturjournal/Spielräume ab 17 Uhr 09 am 13. 10. 2016), Werner Geier (FM4-Gründer von Tribe Vibes, welche Sendung heute von Radiokolleg-Beitragsgestalter Stefan Trischler geleitet wird, der im Ö1-"Radiokolleg" zu hören ist), Hubert Gaisbauer (erster verantwortlicher Leiter der Musicbox), Walter Gellert (Im Künstlerzimmer, Leitung der Kulturredaktion bis 2003), Doris Glaser (gehört.gewusst, Contra, Kabarett direkt, Gedanken, Ö1-Kulturzelt), Richard Goll (ab 1973 regelmäßig Ö1-Features mit Treiber, ab 1987 Leiter der Feature-Redaktion, ab 1994 für das Ö1-Signations-Projekt mit Werner Pirchner zuständig, ab 1999 Stellvertreter des Ö1-Programmchefs Alfred Treiber), Walter Gröbchen (seit Jänner 2017 mitverantwortlich für Radiokolleg - Lexikon der österreichischen Popmusik), Alfred Hütter, Alfred Koch (Tonspuren, früher: Diagonal), Peter Lachnit (Leitung Diagonal seit 2011), Thomas Mießgang (freier Mitarbeiter für Diagonal und Radiokolleg), Rainer Rosenberg (Von Tag zu Tag, Menschenbilder, Nachtquartier 2011-2017, ab 2017 Punkt eins, Sonderprogramme), Wolfgang Schlag (ab 1987 bei Diagonal, dann Spielräume, Pasticcio), schließlich Alfred Treiber (Redakteur der „Musicbox“ der ersten Stunde, 1976 Durchsetzender des Radio-Features auf Ö3 und Ö1, 1987 bis 1995 Leiter der „Hauptabteilung Literatur und Feature“, lange Zeit zuständig für die Ö1-"Hörbilder", von 1995 bis zu seiner Pensionierung 2010 Ö1-Chef).

Dazu noch ein spezieller Aspekt dieser Einflussgeschichte. Das 'zeitgenössisch' von „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ war in der Gründungszeit der 80er Jahre mit E-Musik der Gegenwart konnotiert, genauer gesagt: zeitgenössische Musik, das hieß neue E-Musik, das "E" für ernste Musik stehend im Gegensatz zur U-Musik. Mit 'zeitgenössisch' war also nicht Pop, Jazz, Volksmusik und World Music gemeint, sondern ernste Musik im ideologischen Gegensatz zur vorgeblich allzu 'lustigen' Musik. Das von Rockmusikredakteuren konzipierte „Radio für Zeitgenossen“ war somit auch eine klammheimliche Kampfansage an die Zeitgenossen der E-Musik, so wie die neue wilde oder geometrische Malerei der frühen 80er Jahre eine Kampfansage an die Konzeptkunst der 70er Jahre oder die Literatur von Peter Handke oder Rolf Dieter Brinkmann eine an die Hochliteratur war. In diesem Sinn verstand Kos auch seine Abschiedsausstellung für das Wien Museum, eine Interpretation des Archivs der Galerie Pakesch. Jedenfalls kamen über „Diagonal – Radio für Zeitgenossen“ und deren Gründer Kos und Schrott Wolfgang Schlag, Elke Tschaikner und Johann Kneihs zur Musikmoderation. Fast von Anfang an, 1984, waren die früher 20 und heute 15 Minuten von „Diagonals Feiner Musiksalon“ in „Diagonal“ der Popmusik gewidmet. Das war für lange Zeit die einzige Popmusik auf Ö1. Ein trojanisches Pferd, mit der Tarnkappenbezeichnung „Feiner Musiksalon“ , wie sich heute herausstellt. Den avantgardistischen, wenn nicht wilden Inhalt des Salons nahm man hin als Abwechslung und weil Kos, Schrott und die anderen Ö3-Musicboxler auf Ö1 ihre Narrenfreiheit haben sollten.

Den montäglichen Pop-Sendeplatz der "Spielräume" von Kos übernahm 2003 Elke Tschaikner. Als Tschaikner im Oktober 2011 Ö1-Musikchefin wurde, übernahm ihren Platz wiederum Wolfgang Schlag (mit Ihrem Kultursender.“), der vor mehr als zehn Jahren die heute noch vielen unvergesslichen Freitags-Spielräume gestaltete, deren Musik damals wie heute an keinem anderen Ort zu hören war: einer qualitativ hochstehenden Volksmusik gewidmet, reichte sie weit ins europäische Ausland. Leider hat es Schlag irgendwann einmal nicht mehr gefreut, und er ging zur Popmusik über. Der Ö1-Leitung und dem damaligen Radiodirektor war es wurscht. Eine/n Ersatzmoderator/in wurde erst gar nicht gesucht, geschweige denn ausgeschrieben. Ausschreibungen, obwohl auf der Ebene der SendungsmacherInnen sinnvoll, werden im ORF bekanntlich höheren Ebenen vorbehalten.

Im spürbar von einer bestimmten Interessengruppe, vielleicht sogar von Wolfgang Kos mitverfassten Wikipedia-Artikel über „Österreich 1“: „Mit dem Ende des 'alten Ö3' <1995> – verkörpert durch den Umzug des Ö3-Studios aus dem früher vielen als 'Dollfußbunker' erscheinenden Funkhauses <sic!> in der Argentinierstraße nach Wien-Heiligenstadt 1996 – gingen Redakteure wie Wolfgang Kos, Wolfgang Schlag und andere daran, aus der Geschichte der populären Musik, dem 'alten' Kanon der Klassik einen 'neuen' Kanon der Popmusik gegenüberzustellen, der von Randy Newman und David Bowie bis hin zu Björk und Thom Yorke reicht.“

Natürlich wäre es unzutreffend, Kos die alleinige Ursache des Niedergangs zu unterstellen. Aber sein nicht zurückgehaltenes Jammern über den variablen Sendebeginn seiner Sendung im Sommer 2016 ist Symptom für die zunehmende Ungeduld und den Unwillen gegenüber zeitoffenen, zeiteigenen Sendungen wie die "Matinee" sonn- und feiertags um 11 Uhr, die der Klassik an den Kragen gehen.



d. Pink Floyd, Eela Craig und die Regression



Die Programme schrumpfen ein,

und der Schrumpfungsprozess scheidet nicht nur das mittlere Gut aus,

das die musikwissenschaftlichen Branchevertreter

den Hörern aufschwatzen möchten,

sondern die akzeptierten Klassiker selber unterliegen einer Selektion,

die mit der Qualität nichts zu tun hat

(Adorno 1938, 327f.)



Dass Rock-(und Pop-)Musik ein fester Bestandteil unserer Kultur ist, ist ein Faktum. Eine Tatsache ebenso sehr ist, dass das Schwungvolle, Kräftige, Rhythmische, zuweilen Schwere, das den Rock charakterisiert, schon in der Klassik realisiert wurde. Beethovens Grundmotiv in seiner Fünften (vom Electric Light Orchestra als "Roll Over Beethoven" mit Celli gegen Chuck Berry zurück zu Beethoven gewendet), das atemlos gewaltsam und doch federleicht vorwärts drängende Scherzo in Schumanns Zweiter (besonders in der schwungvollen Aufnahme von Giuseppe Sinopoli von 1984, erschienen bei Deutsche Grammophon), der Schwermetalleinsatz bei Berlioz und Wagner (Benvenuto Cellini, die 18 Hämmer auf 18 Ambossen in "Das Rheingold"), Bruckner wuchtige, repetitive Strukturen perkussiv unterlegt und das harte Pochen in Strawinskis "Frühlingsopfer": all dies Rockige (und was Musikkritik ist) konnte von 1968 bis 1996 in der Ö1-Sendung "Lieben sie Klassik?" sonntags um 16 Uhr kennen lernen, wer wollte und offen dafür war. Die Sendung war von Karl Löbl, dessen Selbstbeschreibung für seinen Premierenkommentar im ORF-Fernsehen von 1986 bis 1998 auch für seine Radiosendung über die unleichte Muse gelten könnte: "Ich wirke nicht ungeheuer locker. Da haben Sie vollkommen recht." (Löbl/Oberhuber 1995, 8) Löbl brauchte von den Anverwandlungen der klassischen, jugendlichen Heftigkeiten bei The Nice, Jethro Tull oder Procol Harum nicht zu reden.

Aber wie steht es mit der Reflexion über Rock-(und Pop-)Musik, die Ö1 wie über jede andere Musik aufgegeben ist?

Wolfgang Schlag, der Kos' "Spielräume"-Sendung bis zum heutigen Tag als de facto "Popmuseum" weiterführt, sprach im Pasticcio am 3. 3. 2012 wie ein Novize über sehr strenge formale Strukturen wie die Symphonie“, demgegenüber Franz Schubert Freiraum errungen habe. Mehr auf seinem Terrain, widmete er seine "Spielräume"-Sendung am 21. 10. 2016 "Roll over Beethoven. 90. Geburtstag von Chuck Berry" und sagte etwas schwammig, ohne das immer noch heiße Eisen Rock/Klassik in die Hand zu nehmen: "Berry soll zu einem Journalisten gesagt haben 'Roll Over Beethoven and tell Tchaikovsky the news'. Beethoven stand <bei Berry> für eine Generation, die die Jugend hinter sich lassen wollte." Wenn man auch einräumt, dass Berrys lyrics in "Roll over Beethoven" ansonsten gegenüber Beethoven zahm sind, so müsste Schlag doch klar sein, dass gerade die Beatles, die nach Schlag an Berry angeknüpft haben, mit George Martin keineswegs Gegner Beethovens waren, sondern ein vielschichtiges Bekenntnis zur Klassik dokumentierten. Kein Wort und Beispiel davon bei Schlag. Und das zeichnet alle seine Spielräume-Sendungen, die bekanntlich nicht schon immer, aber seit Langem der Rock- und Popmusik gelten. Auch ihr Reflexionsniveau.

Es lohnt aber, von den "Spielräumen" auf eine Sendung genauer einzugehen, um zu zeigen, was möglich wäre und was die Realität auf Ö1 ist. Am 24. 2. 2012 war die dreistündige "Spielräume Nachtausgabe" Pink Floyd gewidmet. Die Webseitenbeschreibung: Why Pink Floyd? Gestaltung: Michael Neuhauser und Klaus Wienerroither. Die einflussreiche englische Rockband Pink Floyd wiederveröffentlicht zwischen 2011 und 2012 unter dem Kampagnentitel 'Why Pink Floyd?' ihre gesamte Diskografie mit vielen bisher unveröffentlichten Demos und Liveaufnahmen. Heute, am 24. Februar, ist 'The Wall', das erfolgreichste Doppelalbum aller Zeiten, an der Reihe. Die Spielräume-Nachtausgabe beschäftigt sich mit der Historie der Band und der anhaltenden musikalischen Bedeutung Pink Floyds. Dabei werden altbekannte Klassiker ebenso zu hören sein wie Raritäten, einige Songs werden während der Sendung auch live interpretiert werden. Zwei 'Immersion' Box-Sets der Alben 'Dark Side Of The Moon' sowie 'Wish You Were Here' werden im Laufe der Sendung verlost. Zu Gast sind die Musiker Bernhard Eder und Andy Bartosh, der deutsche Soziologe Hartmut Rosa, der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der Visual Artist Fritz Fitzke sowie der Ö1-Musikredakteur Johann Kneihs.“ (http://oe1.orf.at/programm/20120224/262263)

Nun waren alle ins Studio Eingeladenen und wohl auch die meisten Radiohörenden in einem Alter, das erlaubt, reflexive und kritische Distanz einnehmen zu können und nicht mehr reine Fans sein zu müssen. Ö1, viel mehr als FM4 und Ö3, bildet Geschmack und Denken. Aber es beginnt schon mit dem kommerzieller Sendungsgrund, der inzwischen bestimmend ist für die "Spielräume" um 17 Uhr 30, die fast ausschließlich Neuerscheinungen und Nachrufe bringen, und reicht bis zum Klassik-Treffpunkt, zum seit Kurzem eingestellten „Café Sonntag“, zu seiner Nachfolge-Sendung "Gedanken" und sogar zum Teil für die von sich selbst erzählenden Personen der „Menschenbilder“.

Zudem stellt sich die Frage „Why Pink Floyd?“ gar nicht wirklich, konnte also im gegebenen Kontext nicht beantwortet werden. Denn „Why Pink Floyd?“ ist ein umfangreiches Wiederveröffentlichungsprogramm der Plattenfirma – skandalöserweise gab es darauf in der Sendung keinen einzigen Hinweis! Die Frage wäre, wenn schon, gewesen: Warum ist eine Neuauflage der alten Platten unter dem Titel „Why Pink Floyd?“ nötig? Haben wir nicht schon alles zur Genüge? Umschichtung der Frage: Wozu die Ö1-Werbeaktion, die hier billig als Kapitulation vor einem weltweiten Werbefeldzug ein/e Hörer/in das "Package" gewinnen lässt. Wie die Sendung zeigen sollte, machte sich keiner der Sendungsgestalter Gedanken darüber, was das Remastering der Aufnahmen und die anderen Teile des Pakets bringen. Und was hat der aktuelle kommerzielle und technische Stand der Unterhaltungselektronikindustrie mit den Pink-Floyd-Packages zu tun?

Dröhnende Stille.

Das Großaufgebot an Moderation - Neuhauser, Wienerroither, Kneihs - konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Eberhard Forcher in seiner Ö3-Sendung Solid Gold nicht anders macht, vielleicht hat er auch schon Gäste gehabt.

Hingerissen, wie die Moderatoren waren, vergaßen sie, dass vor 00.00 Uhr noch eine Minute Werbung automatisch ins Programm gespielt wird. Wie kann das passieren, die drei Herren und die im Einsatz gewesene Sendungsregisseurin Elke Tschaikner machen doch nicht das erste Mal Nachtschiene! Die Entschuldigung von Klaus Wienerroither gleich nach den langen News nach den 0.00-Uhr-Nachrichten in Ehren, aber die ausgefallene Minute der Bandperioden-Beschreibung nachzutragen, wäre auch nicht schlecht gewesen, zumal diese und die anderen - eine vierte hätte es noch gebraucht - kurzen Periodenbeschreibungen der Band wertvoll waren - wo blieb übrigens der dritte Teil der Story? (Dessen Fehlen machte umso spürbarer, dass in den ganzen drei Stunden niemand darauf einging, wie die Musik nach Dark Side of the Moon zu bewerten ist.)

Immerhin, die Musikauswahl der ersten Stunde war gelungen, sind doch die frühen Pink Floyd wenig bekannt! Die Nummer von More und der Kommentar von Klaus Wienerroither über eine mögliche Heavy-Metal-Zukunft, erhellend! Verzichtbar dagegen die wiedergekäute Syd-Barrett-Mythologie, derzufolge des ehemaligen Bandleader's psychisches Scheitern und seine Apotheose durch die Band in The Wall für den Erfolg von Pink Floyd verantwortlich gewesen sei. Das biographische Scheitern Barretts war für die Musik Pink Floyds so unerheblich wie vergeblich 2010 Renate Burtschers Beharren auf dem umstrittenen Schicksal von Yoko Ono für John Lennon in der Spielräume-Spezial-Sendung zum 30. Todestag Lennons (dieses Beharren wurde von ihrem Sendungsgast Burkhard Stangl mutig als Geschwätz kritisiert und in Kneihs' Interview mit Klaus Voormann geklärt). Viel wichtiger gewesen wäre ein Ausschnitt aus der jazzigen Improvisation von "Interstellar Overdrive" aus Peter Whiteheads Film Tonite Let's All Make Love in London (1968, CD 1990). Nebenbei: Leider wurden die wenigen Nummern, wie in vielen Sendungen auf Ö1 üblich, nicht ausgespielt.

Zur Erinnerung: Pink Floyd waren eine Band, die in den späten 60er Jahren zwischen Pop, Folk, psychedelischen Techniken und Jazz mit langen ausgetüftelten Rock-Songs inklusive Improvisation sich Anerkennung und kommerziellen Erfolg erspielten und dabei den traditionellen Werkbegriff mit Beginn und Schluss einer Komposition vertraten. Zudem sangen und spielten Gitarrist, Keyboarder, Bassist und Schlagzeuger wie kaum eine andere Band als Kollektiv. Sie erarbeiteten sich mit unkonventionellen Methoden ihre Nummern, von denen nur wenige aus den LPs und CDs ausgekoppelt wurden. Wie keine andere Band vorher und nachher produzierten Pink Floyd großteils Konzeptalben. Zum Einsatz kamen elektronische Klangerzeugungs-, -verzerrungs- und verstärkungsgeräte, GastsolistInnen, Chöre, Bläser und Arrangeure. Aufwendige Licht- und Filmshows begleiteten die erfolgreichen Konzerte von Beginn an. Der frühe Film Live at Pompeii (1972) im leeren Amphitheater – kein Wort darüber in der Sendung – verkaufte sich doppelt so oft wie der erfolgreiche Film The Wall. Ab Dark Side in the Moon (1973) gelang es Pink Floyd, eine ganze LP als kommerziellen Bestseller zu entwerfen, ohne den alternativen Touch von Rockmusik einzubüßen und auf klangtechnische Innovationen zu verzichten. Mit zunehmend industrieller Produktionsweise geriet die musikalische Qualität in die Diskussion. Das Produzieren von Ohrwürmern im großen Stil trug die allseits bekannten Defizite kommerzieller Musik ein: simple Verläufe, mangelnde oder zu langsame thematische Entwicklung (Arnold Schönberg in "Der musikalische Gedanke"), Ideologie in Wort und Komposition, Selbst-/Verwertung statt Gründung musikalischer Traditionen. Pink Floyd bedienten eine träumerische Innerlichkeit mit einer Mischung von Depression und Euphorik wie ein Trip ohne LSD. Alleine oder mit anderen konnten sich Heranwachsende in sich zurückziehen oder die Erfahrung mit Freunden oder im Konzert tänzerisch ausleben.

Es müsste eigentlich klar sein, dass eine Sendung in einem zeitlichen Abstand zu ihrem Gegenstand von 30 oder 40 Jahren nur gelingt, wenn diese Fakten wie im Fall Pink Floyds thematisiert und reflektiert werden. Die meisten der Sendungsgäste gaben sich jedoch, noch ermuntert von den Moderatoren, allein ihren sentimentalen Erinnerungen hin. Dabei sollte auf Ö1 doch über die Bewertung der Musik und ihre kulturelle Umgebung diskutiert werden. Es hätte also um Fragen gehen sollen wie die folgenden: Was genau fielen Pink Floyd und der Musikindustrie ein, um sich den brachliegenden Markt der psychischen Probleme Halbwüchsiger in der beginnenden postindustriellen Gesellschaft zu erschließen und damit ihre Intention auch wieder zu verraten? Worin besteht der musikhistorische Wert der Musik und Visualität Pink Floyds? Wie schneiden Pink Floyd im Vergleich zu anderem zeitgenössischen Rock wie Soft Machine, Moody Blues, Genesis, Yes, Emerson, Lake & Palmer, Van der Graaf Generator, Mike Oldfield, King Crimson oder den späteren Beatles ab? Gibt es Bezüge zur Avantgarde eines Stockhausen, Ligeti oder der Minimal Music? Wie haben Pink Floyd heutige Bands wie Sigur Rós oder Air beeinflusst? Welche Art der kommerziellen Distribution entdeckten Pink Floyd einschließlich der heutigen multimedialen Vermarktung à la „Why Pink Floyd?“? Wieso kamen die Packages gerade 2012 auf den Markt?

Fragen wie letztere sind nicht nur für die Schule und das Universitätsseminar. Und wenn schon! Wenn auch nur ein Drittel der Österreicher die Oberstufe und die Universität besuchten, dann darf man Ö1 mit 7,4 % Marktanteil (2016) auch bei Pink Floyd akademische Bildungsanteile zumuten. Außerdem muss sich ein öffentlich-rechtlicher, dem Bildungsauftrag verpflichteter „Kultursender“ wie Ö1 gegen die Kulturindustrie stellen. Er darf sich nicht der Regression des Hörens ausliefern, sondern sollte diese Regression musikalisch-kritisch thematisieren. Das heißt, die Sendungsmacher und ihre Gäste hätten mit ihren wohl etwas feineren Ohren und ihrer kritischen Erfahrung an klassischer und neuer E-Musik die Musik einer Band wie Pink Floyd auch abschätzen und bewerten können. Wozu sonst drei Stunden mit einer Musik auf einem Sender zubringen, der Alte Musik, Beethoven, Eric Dolphy und vier Mal pro Woche Untersuchungen zur Musik im „Radiokolleg“ bringt? Auch müsste ein Radiosender bei weithin verfügbar gewordener Soundtechnologie darüber sprechen, was ein VCS 3, die Klangmanipulationen aller vier Musiker und der quadrophonische Konzertaufwand damals bedeuteten. Nur die Quadrophonie wurde einmal en passant von „Visual Artist“ Fritz Fitzke erwähnt.

Auch die „Live-Kultur“ Pink Floyds, das Bootleggen, der Tourneenkult, die Studioeinspielung nach der Tournee-Erprobung, all das blieb unerörtert. Etwa Atom Heart Mother am 16. Juli 1970 live http://www.youtube.com/watch?v=fAiR5H2U01Q. (Youtube wird auf Ö1 als wichtige Audioquelle verschwiegen - eine der seltenen, wertvollen Ausnahmen war Elke Tschaikners Michael Gielen gewidmetes "Ö1 bis zwei" am 20. 7. 2012: Zu Gast beim SWR. Der Fußballreporter Günther Koch berichtet, auf seine ganz besondere Weise, von einem Konzert mit Michael Gielen. Beethovens Fünfte aus Sicht eines Sportreporters.“ https://www.youtube.com/watch?v=Vizi-uWbqAM) Die Aufnahme vom 10. Oktober 1970 wurde auf der LP veröffentlicht. Nur, die Atom-Heart-Mother-Suite zu spielen, wie Sendungsgast Andreas Mailath-Pokornys es sich wünschte: Abgelehnt! Wie Mailath-Pokorny selbst sagte, angeblich zu lang. Es mag zwar demokratiepolitisch beruhigend sein, dass einem einflussreichen Kulturpolitiker wie dem Wiener Kulturstadtrat ein Wunsch nicht erfüllt wird. Dass aber für dieses 24-minütige Rondo, in einer 3-Stunden-Sendung kein Platz ist, leuchtet nicht ein. Gerade für lange Strecken wurde doch die „Freitagnacht“ von 23 bis 2 Uhr erfunden! Vielleicht nur soviel dazu: Wenn Atom Heart Mother später von Musikkritik und Band abgelehnt wurde, dann doch nur, weil das Album wegen der hohen Investitionen in Chor, Bläsergruppe und eine der ersten Quadrophonie-Abmischungen die kommerziellen Erwartungen nicht einlöste. Hier griff übrigens Arrangeur und Mitkomponist Ron Geesin mit angehaucht mittelalterlich choraler Musik und Orgel ohne Schlagzeug noch stärker ein wie vielleicht George Martin bei den Beatles - Otto Brusatti, bitte kommen! (Neu und zu begrüßen war nach der Reform mit 1. 6. 2011 "Die Freitagnacht der Musik", dass Otto Brusatti das Ruder an einem fünften Freitag in die Hand nehmen durfte.) Ist die "Atom-Heart-Mother-Suite" in Pink Floyds Konzert in Ossiach 1971 mit Chor gespielt worden? Diese Frage anhand des ORF-Fernsehberichts von Ossiach zu klären, scheinen sich die Herren Neuhauser, Wienerroither und Kneihs gar nicht gestellt zu haben, wenn sie das überhaupt recherchierten. Nicht alles an der "Suite" ist akzeptabel. Kitschverdacht. Aber sie hat große Momente. Die Soundabmischung ist gelungen. Die vorgefertigten breiten Samples (Apocalypse Now!) zeigen die „filmische“ Eroberung der Imagination durch Pink Floyd. Und nicht zuletzt der unerwähnt gebliebene Cover, von dem uns eine Kuh den Kopf zurückwendend anblickt und auf dem sonst nichts, nicht einmal der Name der Band oder des Albums aufscheint. Gerade im Radio würden knappe visuelle Beschreibungen auflockern, wie ja überhaupt die Cover von Pink Floyd der Rede wert sind, gerade weil sie dem Konzept eines Albums oft entgegenstehen.

Experten waren keine eingeladen, als ob es in Österreich keine gäbe. Thomas Rabitsch, der 2012 in Wien lehrende Theoretiker des Musikstudios Tom Holert, Rockforscher Harald Huber oder Mitarbeiter von dessen Institut wie Philipp Brunner, Michael Huber, Günther Wildner, Lisa Leitich oder Harald Hanisch, die Musikwissenschaftler Alfred Smudits, Michele Calella, Rosa Reitsamer, Cornelia Szabó-Knotik, Franz Krieger, aber auch Eberhard Forcher. Stattdessen bot die Sendung die Gitarristen Eder, Bartosh und Wienerroither, Andreas Mailath-Pokorny, Visual Artist Fritz Fitzke. Immerhin: Mailath-Pokornys Hinweise auf das Britische und Pastorale (Beethovens Sechste?), auf den Soundtrack zu Zabriskie Point brachten Interessantes. Als Experte wurde der Soziologe Hartmut Rosa erst gar nicht gefordert. Sein Hinweis auf seinen Artikel über Pink Floyd und den kommunitaristischen Philosophen Charles Taylor – http://www.fr-online.de/kultur/zeitdiagnose-ist-da-draussen-jemand-,1472786,8569942.html (offline) blieb ungehört und wohl auch von den Redakteuren während der Sendungsvorbereitung ungelesen. So blieb auch Rosa zu Friedrich Kittler unbefragt, der den Romantizismus Pink Floyds prominent aus technologischen und nicht soziologischen Bedingungen ableitete.

Noch etwas zum verwirrenden Drunter- und Drüberreden der acht Personen am Studio-Tisch. Man hätte den geladenen Gästen mehr Zeit und Freiheit an Diskussion geben sollen. Fünf gut ausgewählte Gäste reichen, einen Moderator eingeschlossen, der Diskussionsleitung gelernt hat und das nicht wie öfters auf Ö1 in einem learning by doing übt. Acht männliche Stimmen können vokal und inhaltlich kaum mehr auseinandergehalten werden. Dass keine Frau teilnahm, ist nicht nur vor diesem Hintergrund unverzeihlich. Gerade bei einer Band wie Pink Floyd, deren Musik auf weiße Mittelschicht-Jungmänner abgestimmt war, wäre ein genderkritisches Herangehen erhellend. Der Umgang mit Frauen bei Pink Floyd legt das zusätzlich nahe, die immer wieder Frauenstimmen nutzten, etwa die der großartigen Clare Torry in "The Great Gig in the Sky" auf Dark Side of the Moon. Zahlten sie doch Torry gerade einmal £ 30, anstatt sie auch als die Ko-Autorin des Songs neben Richard Wright auf dem Album zu bedenken, als die Torry seit 2005 durch einen gerichtlichen Vergleich anerkannt ist. Und wäre nicht schließlich die seltene Tatsache, dass Österreich in den Album-Charts wie etwa in der englischen Wikipedia vorkommt, ein zusätzlicher Grund gewesen, beharrlich nach Pink-Floyd-KennerInnen zu suchen. Dazu hätte man auch Robert Rotifer befragen können, der im Juli 2006 auf FM4 eine großartige, erstklassig recherchierte zweistündige Sendung mit vielen Interviews zum Ableben Syd Barretts machte.

Allgemeine Anmerkung zur Sendung Spielräume Nachtausgabe. Allgemein muss man leider sagen, dass über die Jahre „Spielräume Nachtausgabe“ und „Zeitton Extended“ kein Sendungskonzept für die Nacht freitags auf samstags von 23 bis 2 Uhr ablesen haben lassen. Ist deswegen die Freitagnacht seit dem 1. Mai 2017 "zurechtgestutzt"? Erstens: Die Sendung sollte um eine Stunde vorgezogen werden! Wie wohltuend, dass die Spielräume - Nachtausgabe am 5. Mai 2017 schon um 22 Uhr 08 begann! Leider setzte sich gleich in der nächsten Woche "Saldo - das Ö1 Wirtschaftsmagazin" wieder als bloße Wiederholung am Freitag um 22 Uhr 08 durch und zieht damit die Sendung "Kontext - Sachbücher und Themen" mit, die gewiss nicht darauf bestand, am selben Tag abends wiederholt zu werden. Wiederholungen sind ohnehin überflüssig, seit es "7 Tage Ö1" im Streaming gibt, seit 2. 10. 2010. Aus Müdigkeit war die wie Otto Brusattis vier Stunden Symphonische Dichtungen von Franz Liszt an einem Feiertag bis 24 Uhr ebenso gehaltvolle und gründlich vorbereitete Sendung desselben über das Kronos Quartett nicht zur Gänze zu hören. Man wird wohl zu einer intellektuell anspruchsvolleren Nachtschiene - Diskussion! - eine über die ganzen drei Stunden volle Aufmerksamkeit erwarten dürfen. Noch einmal: Generell sollte gelten, dass Musik genau eingesetzt und bis zum Ende ausgespielt wird. Auch sollte alles getan werden, dass Reflexion und Expertise Platz haben, und dazu die Sendung finanziell besser ausstattet werden. "Spielräume Spezial" und "Zeitton Extended" hätten in eine einzige Sendung überführt werden sollen; es hätte die konzeptionelle Denkarbeit sicher einen überraschenden Sendungstyp ergeben. Dieser Wunsch ist mit der Reform zum 1. 5. 20917 obsolet. Allerdings: Von der Sendung "Zeit-Ton" über zeitgenössische E-Musik ist in "Zeitton Extended" ohnehin überraschend wenig übriggeblieben. Sorry, Herr Knessl (https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Knessl)! Ihre Nachfolge Christian Scheib – es tut mir weh, bei all seinen Verdiensten das feststellen zu müssen – hat sich als den zeitgenössischen E-Musikbegriff berechtigt erweiternd, von einem Konzept zu zeitgenössischer E-Musik aber nichts mehr wissen wollend erwiesen. Müssen wir als Folge einen inzwischen oft steuerlosen „Zeitton“ hinnehmen, auch wenn ihn der Fallweise-Moderator Reinhard Kager seit wenigen Jahren wieder deutlich aufwertet?

Schluss. Man kann schon anhand des Wikipedia-Eintrags die geringe Bedeutung ermessen, die der Linzer Rock-Band Eela Craig zukommt, war er doch 2016 seit 2006 keinem Update unterzogen gewesen (das Album Erdenklang scheint bis heute nicht in der Diskografie auf, 22. 6. 2017). Dennoch wurden drei Stunden Spielräume - Nachtausgabedieser zweit-, wenn nicht drittklassigen Band gewidmet. Wie herausgestrichen wurde (http://oe1.orf.at/programm/443149 offline), entsprach das einer Jugenderinnerung des gebürtigen Linzers "Ich war damals 15"-Christian-Scheib, der meinte, "Hats of Glass, Baujahr 1977" aus seiner Plattensammlung (Nr. 14) ausstellen und mitteilen zu müssen: "Das ist der Mann, dem Österreich seine bekannteste Mineralwasser-Kennmelodie verdankt: Harald Zuschrader spielte bei Eela Craig Gitarre, Flöte und Saxofon." Zu den in der Sendung gespielten vierzehn Stücken wurde eine Sentimentalität, Trivialität oder Unwichtigkeit nach der anderen verbraten. Band-Tontechniker Janetschko: "I hob heit an Tinnitus, oba wenn i des Gitarrnsolo hea, donn hob i kaan." Wienerroither: "Wenn man fragen darf, der Hubert Schnauer, macht der noch Musik?" Kein Kontext zu anderen Ö-Rockern. Kein Hinweis auf hörbarste Anleihen bei anderen Bands. Ko-Moderator Christian Bakonyi, der selten ein Wort einbrachte, weiß nicht, dass Janetschko erst ab 1972 bei der Band war, obwohl das sogar in Wikipedia stand. Von Ko-Moderator Klaus Wienerroither wissen wir jetzt endlich, dass er einen vier Jahre älteren Bruder hat. Vielleicht war nur eine unveröffentlichte Aufnahme aus dem Landesstudio Oberösterreich der Anstoß für die Sendung. Einmal spricht Scheib über ein halbwegs hörenswertes Stück drüber, das dann wieder nicht ausgespielt wird. Keine Information, wieso es nicht auf Platte gepresst wurde. Bei dieser Unambitioniertheit verwundert es nicht, dass das teilweise gelungene "christliche Konzeptalbum" Missa Universalis (Wikipedia), das eine Audienz beim Papst eintrug, nur gestreift und nicht zur Gänze gespielt wird. Als ob sich 40 Minuten in drei Stunden nie und nimmer ausgehen! Reflexion, Kontext, Einordnung, Bewertung? Problematisierung des Verhältnisses von Klassik und Rock auf Ö1? Fehlanzeige. Scheib setzt seinen über viele Jahre bei Zeitton erarbeiteten Ruf aufs Spiel. Eine radiophone Bankrotterklärung.



e. drei Zwischenfragen: Spielen Ö3 und FM4 klassische Musik? Axiom



Spielen Ö3, FM4 und die neun ORF-Regionalsender Klassikprogramme? Nein. Warum sollte dann Ö1 Pop- und alternative pop-Programme spielen?

Spielt FM4 Jazz? Nein. Warum sollte dann die Ö1-Jazzsendung "On Stage" Bluesrock à la Janis Joplin wie am 2. September 2014 bringen?

Spielt Miriam Jessa in den "Spielräumen" Schönberg, auch wenn sie das kurz in den Raum stellt? Nein. Warum spielt sie dann Duke Ellington in "Ö1 bis zwei"?

Axiom. Klassische und zeitgenössische E-Musik verhalten sich sätzig, stilistisch gattungsmäßig, instrumental und besetzungsmäßig zu Rock, Jazz und Weltmusik wie Rock, Jazz und Weltmusik zu Popmusik.



f. die Ö1-Musikchefin: Avantgarde-Leitung und James-Last-Laudatio?



Bei den Riesen-Raves wurden

DJs im Stundentakt durchgeheizt.

Alle waren auf Drogen, alles war

riesengroß. Als letztes Stück spielte ich

damals oft James Last. Als Gag - und Kritik.

Weil's die Leute eh gar nicht mehr gepeilt haben,

welche Musik da gerade lief.

(Pulsinger 2013, 340)



Als Leiterin der Ö1-Außenpolitikredaktion folgte Bettina Roither Ö1-Chef Alfred Treiber in seiner Funktion 2010 und blieb bis zum goldenen Händeschütteln im März 2014. Roither meinte sich als Ö1-Chefin öffentlich dazu bekennen zu müssen, in ihrer Freizeit den Easy-Listening-Sender Lounge FM zu hören. ("Ö1-Hörer glauben, sie besitzen ihren eigenen Sender". Ö1-Chefin Bettina Roither hat klare Vorstellungen von der Zukunft des Senders: Jegliche Veränderungen sind möglichst sachte vorzunehmen - Dem schwächelnden "Welt Ahoi!" setzt sie dennoch eine Frist bis Jahresende http://derstandard.at/1281829356830/Roither-Oe1-Hoerer-glauben-sie-besitzen-ihren-eigenen-Sender 17. August 2010, 18:28) Sie trieb mit teilweise seichter Popmusik die Erholung in der Nacht bis 1.00 Uhr sowie in der Talk-Show "Café Sonntag" aus: „Die Musikfarbe ist nicht klassisch, sondern modern.“ (Isabella Wallnöfer, Ö1: Neu am Sonntag und nach null Uhr. Ö1-Chefin Bettina Roither geht mit dem „Café Sonntag“ auf Nummer sicher und wagt mit einem Talk-Radio spät nachts ein Experiment für jüngeres Publikum http://diepresse.com/home/kultur/medien/664946/Oe1_Neu-am-Sonntag-und-nach-null-Uhr?from=suche.intern.portal 24.05.2011 | 18:18 <Print 25.5.2011>) Im Herbst 2016 übernahm der langjährige Literatur- und Hörspielchef Peter Klein die Leitung von Ö1, die er interimistisch inne hatte, offiziell. Seinen Bereich hatte Klein schon im September 2014 an Kurt Reissnegger abgegeben.

Leiterin der Ö1-Musikredaktion ist seit 2011 Elke Tschaikner. Geboren 1974, leitet sie seit 2013 das Grazer Festival musikprotokoll. Damit löste sie Christian Scheib ab, der bis 2009 Ö1-Musikchef war, von 1995 bis 2012 Leiter des musikprotokoll im steirischen herbst und von 2009 bis 2014 das RSO Wien künstlerisch und organisatorisch betreute. Diese Funktion hatte zuvor Christiane Goller inne, die ihrerseits 2009 Maria Rennhofer als Ö1-Kulturchefin abgelöst hatte und in dieser Position (bis 2014?) wirkte - eine Neubesetzung erfolgte bislang nicht.

Tschaikner ist seit 1995 für Ö1 tätig und fiel mit einem beeindruckenden zweistündigen "Diagonal" auf, in dem sie Joni Mitchell auf der Grundlage ihres Besuchs bei der Sängerin auf deren Wohnsitz an der kanadischen Westküste porträtierte. Nach Kos' Abgang von Ö1 im Jahr 2003 übernahm sie dessen montägliche "Spielräume"-Sendung und tat sich als Gestalterin und Moderatorin noch anderer Musik- und Kultursendungen hervor. Ein gewisser Hang zum Popmusikalischen fiel spätestens auf, als sie in Zeiten des US-Kriegs gegen Afghanistan die CD A Bigger Bang der Rolling Stones präsentierte, die den äußerlichen Anti-Bush-„Protest“-Song „Sweet Neo Con“ enthält. Seit 2010 bestreitet Tschaikner mit Scheib die samstägliche Sendung „Ö1 bis zwei. le week-end“, bis April 2017 auch die von ihr mitentwickelte und -produzierte "Jet Lag All Stars Radio Show", aus der ein neues Format für den berühmten Sendeplatz am Sonntag und 9 Uhr 05 hätte entwickelt werden können - mit der Ausbreitung der vormals feiertäglichen und sonntagsferialen "Gedanken" auf diesen Sendeplatz scheint eine satirisch-politkritische Sendung wie "Guglhupf", "Welt Ahoi" und auch noch teilweise "Café Sonntag" endgültig passé zu sein.

Tschaikner schloss 2005 an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien ein Lehramtsstudium der Musik- und Instrumentalmusikerziehung (Klavier und klassischer Gesang) mit der Diplom-Arbeit "To make a lady out of jazz? Paul Whiteman und das Konzept Symphonic Jazz" ab. Das Schlusskapitel dieser Arbeit bringt „Einschätzungen von Franz Koglmann“ (S. 144-149), die Tschaikner in einem Interview mit Koglmann einholte. In den Ausschnitten daraus äußert Koglmann zart, aber deutlich seine Vorbehalte gegen die vorgespielten Aufnahmen „Three Shades of Blue“ und „Lonely Melody“ von Paul Whiteman. Dabei schneidet der Solist und Trompeter Bix Beiderbecke im Vergleich ausdrücklich besser ab als der Komponist Whiteman. - Man vergesse nicht: Paul Whiteman war so etwas zu seiner Zeit wie die Bigseller Michael Jackson und Quincy Jones in einem. "Whitemans musikalischer Stil ... stellte sich als sehr erfolgreich heraus, denn Whitemans erste Schallplattenaufnahme Whispering vom September 1920 verkaufte sich fast zwei Millionen Mal und avancierte damit zum ersten Millionenseller der Pop-Musik. Mit 3,4 Millionen Platten war sein im September 1922 veröffentlichter Three O’Clock in the Morning noch umsatzstärker." (https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Whiteman 17.5.2017)

Verträgt die Leadership für das Musikprogramm von Ö1 ein Eintreten für Paul Whiteman, noch mehr mit einer Laudatio auf James Last? Tschaikners Zu-Gehör-bringen des Jazz-Easy-Listenings von James Last, genanntHappy Sound“, ist nicht einfach ein faible, wie zunächst vermutet werden könnte. Darauf hätte man nach den Spielräumen am 17. 5. 2013 und ihrer Erinnerung an ihren Vater schließen können, der einmal für die Tochter wundersamerweise aus der „Plattenkiste“ ein Platte von James Last herauszog und auflegte. Nein, James Last wurde von Tschaikner schon eine Woche vorher in derJet Lag All Stars Radio Show“ in der Freitagnachtvom 10. auf den 11. Mai 2013 breit gewürdigt. Dem nicht genug, räumte Tschaikner auch einer verbalen Begründung des Stellenwerts der Musik von James Last breiten Platz ein wie nicht annähernd einem anderen Musiker oder Komponisten vor- und nachher. Hier Belege aus der Laudatio zur Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien 2013:

"Hunderte. Tausende. Millionen happy hearts. Auch jetzt glückliche Herzen hier in diesem wunderschönen Raum im Wiener Rathaus. Glückliche Herzen, weil wir einen Musiker und Menschen feiern dürfen, der seine Lebensaufgabe darin gefunden hat, mit seiner Musik den Menschen ganz sanft 'Happy Hearts' zu implantieren. Seit Jahrzehnten, auf allen Kontinenten dieser Erde." "James Last. Eine Trademark, die Sicherheit vermittelt dass - auch wenn James Last und sein Orchester sich verändern und auch älter werden -, dass das Lebensgefühl, das dahinter steckt, die Liebe zum Entertainment und zur Musik unverändert bleiben." "Und zur Familie zählen auch Fans, viele, viele Fans, und treue Fans, die ihn 'Hansi' nennen." Last "schreibt jede Stimme seiner tausenden Arrangements niemals abstrakt. Sondern immer für bestimmter Musikerinnen und Musiker. Seine Musikerinnern und Musiker." "Jeder Teil ist präzise aufeinander eingestellt. Und gerade deshalb ist dieses Orchester auch eine Emotionsmaschine. Eine, die sich auch umdeuten lässt: in ein schillerndes Kaleidoskop fast eines ganzen Jahrhunderts. Oder besser mehrerer Jahrhunderte: Bob Dylan, Rock 'n' Roll, Elvis Presley, The Beatles, Robert Stolz; Abba, 'Ännchen von Tharau', Freddy Quinn, 'Hair', 'Die Dreigroschenoper'; Barbara Streisand; Fettes Brot, Lady Gaga; Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, George Bizet, Joseph Haydn. Mozart; Japan, DDR, Sowjetunion, Kanada, Südafrika, China; Radiobigband, Schlagerhimmel, Walking Bass, Jazz; Royal Albert Hall, Ball der Wiener Philharmoniker; Flower Power, Mauerfall, Hip Hop,Remix; Quentin Tarantino." "'Musik ist Musik.' So lapidar formuliert es Alban Berg, als er 1928 von George Gershwin in Wien besucht wird. Berg lässt dem Gast aus Amerika seine 'Lyrische Suite' vorspielen. Jetzt hat Gershwin Hemmungen in diesem Umfeld am Klavier seine Lieder zu spielen. Alban Berg sagt nur: 'Mr. Gershwin. Musik ist Musik.' Hans Last ist 1929 geboren. Nur fünf Jahre zuvor 1924 wurde Gershwins 'Rhapsody in Blue' uraufgeführt. Es war das erste Mal in der Musikgeschichte, dass eine Jazzband in einem klassischen Konzertsaal auftreten darf. Das Paul Whiteman Orchestra." "James Last hat angeblich 83 Mal in der Royal Albert Hall gespielt. Hochkultur versus Popkultur? Diese Frage war also immer schon eine fragwürdige. James Last hat sie auf seine Art beantwortet. Und war dabei nicht immer unumstritten. Für meine Generation ist diese Frage obsolet. Wir wollen keinen Unterschied machen, weil wir ihn nicht spüren." "Es gibt nicht einen Hans oder James Last. Es gibt Tausende, es gibt Millionen. ... auch mein James Last ist inzwischen mehr als dieser eine." (alle Zitate aus: Elke Tschaikner, Laudatio "Happy Hearts - Glückliche Herzen", auf: http://oe1.orf.at/programm/406509 dl 16:22 12.06.2015, offline, wird inzwischen umgeleitet auf http://oe1.orf.at/programm/20150610/391924, wo nur mehr ein Bruchteil von http://oe1.orf.at/programm/406509, offline, enthalten ist, von welchem Link auf den voranstehenden Link umgeleitet wird. Vgl. http://wien.orf.at/news/stories/2579031/)

Tschaikner ist heute als Ko-Moderatorin von "Ö1 bis zwei - Le Weekend" präsent. Die Sendung wird seit der Abschaffung von "Ö1 bis zwei" seit 1. Mai 2017 nur mehr "Le Weekend" genannt. Sie gilt, die Erfahrung und Tradition des "Pasticcio" radikalisierend, der Gegenüberstellung von Musik quer durch die Genres unter dem Titel eines eher ikonographisch angelegten Themas. Diese Gegenüberstellungen fallen oft hart aus. Die essayistische Qualität von "Ö1 bis zwei" wird nur selten erreicht. Gelungen jedenfalls war die Sendung am 3. 9. 2016 mit dem Vokalensemble Nova, „Die Logik der Engel (Teil 2)(http://oe1.orf.at/programm/446945). Auf der Ö1-CD Die Logik der Engel“ beruhend, die für das Grazer musikprotokoll 2016 unter Mitarbeit von Fränk Zimmer entlang des mittelalterlichen Philosophen Ramon Llull gründlich recherchiert und produziert worden war, konfrontierten Tschaikner und Scheib geschickt Musik um 1300 und Musik der Gegenwart: Noël Akshoté, dann erstaunlich passend das ganz ausgespielte Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin (wenn auch nicht klar wurde, wieso laut Tschaikner der Sänger Robert Plant zuletzt einsam auf der Leiter ist, die er zuvor erklommen hat) und geschmackvoll George CrumbsBlack Angels. Thirteen Images from the Dark Land“, für "electric string quartet", untertitelt mit "Friday the Thirteenth, March 1970 (in tempore belli)". Da konnte das Vergnügen nicht getrübt werden, wenn das Ensemble Nova mit der hallenden und echoisierenden Elektrogitarrenimprovisation von Akshoté verschnitten wurde. Es bleibt festzuhalten, dass das Projekt Die Logik der Engel“ so substanziell war, dass auch "Alte Musik, neu interpretiert" vom 4. 10. 2016, die Freitagnacht vom 7. auf den 8. 10. 2016 und noch das Konzert am Freitag Abend 14.10.16 aus dieser Quelle bestritten werden konnte.

Anders "Le Weekend" am 22. 10. 2016 (http://oe1.orf.at/player/20161022/446382) mit dem Zusatztitel "Die Analytik des Bösen - Das gefährliche Rendezvous der beiden Multitalente und Songschreiber Georg Kreisler und Tom Lehrer". Es leuchtete nicht ein, wieso Scheib dem französichen Philosophen Jean-François Lyotard eins auswischen musste. Weil Lyotard für Scheib enttäuschenderweise einen Kommentar zu Kant für Experten geschrieben hat und diesen noch dazu nur zu den Paragraphen 23 bis 29 von Kants Kritik der Urteilskraft? Scheib: "1992 ist folgendes Buch auf deutsch erschienen: Jean-François Lyotard, Die Analytik des <im verächtlichen Tonfall> Erhabenen. <dann von Scheib das "K" und das "t" des Namen Kants sehr hart ausgesprochen:> Kant-Lektionen", die dann noch als "Bett-Philosophie" apostrophiert werden. Aber ja, es wurde auch ein schönes Lied von Georg Kreislers gespielt (LP Rette sich, wer kann, 1976/2014). Nicht klar wiederum war, wieso Lehrer als 'Löhrer' anstatt, wenn schon, mit einem englischen "a" ausgesprochen wurde. Auch blieb unklar, wieso ein seltsam hallendes "Schöne Donna, dies genaue Register", so Leporello in Mozarts "Don Giovanni", als einzige Klassik-Nummer in die Sendung hinein musste.

Dann ein "Le weekend" mit "Intime Briefe: Songs of Love and Hate" am 12. 11. 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20161112/450593) Hier wird Leonard Cohen wie die Faust aufs Aug von Leos Janácek gedrückt. Scheib: "Wir erinnern an seine Kunst". Ja, aber in der Wirkung bleiben Leonard Cohens "Crazy To Love You" und Leos Janáceks Kreutzer Sonate, der 3. Satz, merkwürdig dissonant. Wie nicht selten ist die Ansage von Tschaikner ungenau. Es ist nicht "Musik für Streichquartett", sondern das 2. Streichquartett, was erst verspätet gesagt wird. Im Vergleich zu Cohen kommt einem die Musik Janáceks wie the real thing vor. Keine Süßlichkeiten, keine verkitschte Psychologie. "Über 800 intime Briefe schrieb Leos Janácek" - entweder ist das schlüpfrig formuliert, oder Tschaikner weiß nicht, dass alle Briefe einfach nur privaten Inhalts sind. Kann man so formulieren: "und vier intime Briefe schrieb er als vier Sätze dieses gleichnamigen Streichquartetts"? Das wäre wohl ein Kunststück der besonderen Art gewesen, das Janácek da gelungen wäre. "Famous blue raincoat", der vielleicht schönste Brief der Popgeschichte, heißt es dann zum Song von Cohen. Na ja. Scheib, der uns zum Glauben an die Übereinstimmung von Cohen und Janácek geradezu zwingen will: "Intime Briefe. Songs of Love and Hate <LP-Titel von Cohen>. Leos Janácek". Dabei ist gerade das falsch: Janáceks Intime Briefe enthalten oder thematisieren keinen Hass. Cohens "Darkness" - poppig, Cohens "Different Sides" - poppig, Cohens "Ain't no cure for love" - überpoppig! Ungesagt bleibt, dass letzterer Song die Sexsucht der 80er Jahre behandelt. Außerdem ist das ein dummer, einfältiger Ohrwurm mit einem musikalisch noch einfältigeren Refrain. Scheib dazu: "Die conclusio dieser Stunde der heftigen Emotionen liefert the man with the golden voice", und Tschaikner im Echo, erläuternd und die Sendung absagend: "There ain't no cure for love". Danach, als ob die ganze Sendung Cohen gewidmet war, was ja auch letztlich stimmt, da es von der Netto-Sendezeit her primär um den eben verstorbenen Cohen geht, auch noch Scheib rezitierend: "There ain't no cure for love." Und Tschaikner gleich darauf: "Das finden auch Christian Scheib und Elke Tschaikner." Geht's noch peinlicher?

Kaum. Aber auch der Sendungsschluss von "Le Yachting. Musikalische Explorationen zu einem eleganten Sport" am 6. 8. 2016 hat es in sich. (http://oe1.orf.at/programm/20160806/439188) Zuerst wird Rod Stewarts Song nicht eingeleitet. Dann, nach zwei Minuten (1:58:08 Uhr), Tschaikner:Am Ende dieses Segelturns besucht uns jetzt einer, der nach vier Jahrzehnten mit stets gesetzten Segeln unterwegs ist. Und zwar besucht er uns mit typisch le-week-endisch ungewohnter Ausrüstung“. Und Scheib:Eine ursprünglich nicht zur Veröffentlichung gedachte Layout-Version des Songs hat er an Bord. Also eine alternative Studioversion, die im Arbeitsprozess bis zur fertigen, später legendären Aufnahme entstanden ist.“ Und Tschaikner: „Und endlich steht die wind- und wettergeeichte 'Themen'-Stimme des Rod Stewart ganz im Mittelpunkt.“ Da bleibt nichts anderes übrig, als erstarrend zu schmunzeln.

Die Sendung "le week-end", der aufgrund der Wichtigkeit ihrer Gestalterin und ihres Gestalters Symbol- und Signalwirkung in und außerhalb von Ö1 zukommt, hält im Zweifelsfall Pop hoch. Muss man sagen, dass Klassik und zeitgenössische E-Musik in den harten Vergleichen schlechter abschneiden, ja das Nachsehen haben? Sowohl punkto Kontext wie Dauer? Die Musikliste vom 14. 1. 2017 (Thema: Orpheus üben, Lektion 2 - Don't look back) bejaht das: Peter Tosh/Mick Jagger, Walk And Don't Look Back, mehr als 5 Minuten; Joh. Chr. Bach, Arie in Folge von Glucks Orpheus; Orfeo Negro, Ausschnitt aus der Karnevalszene; Orfeo Negro, Gitarrenlied+Gitarrenstückchen; Nick Cave, The Liar of Orfeo, 5 Minuten; Beat Furrer, Aus Orpheus Büchern, 2 Minuten; Antonin Dvorak, Zypressen, 3. von 12 Sätzen für Streichquartett, knapp 3 Minuten; Mahler, Ich bin der Welt abhanden gekommen, 8 Minuten; Bob Dylan, Like A Rolling Stone, 8 Minuten; Oasis, Don't Look Back in Anger, knapp 5 Minuten (Tschaikner: "Die vielleicht wichtigste Lektion ... aus Großbritannien").



g. Marriner? „Halt eben ohne ihn.“ Woher der Hass auf die Klassik?



Das akustische Beiwerk Applaus ...

Auf diesen Sockel stellt das Publikum

das aufgeführte Musikstück - oder auch nicht

(Mahr 2011)


Kos' Angriffslust, Roithers Gleichgültigkeit. 2012 gab sich Kos, damals 63, anläßlich eines Fests für die „Spielräume“ wochentags von 17 Uhr 30 bis 18 Uhr ausdrücklich antiklassisch: „Ich erinnere mich, dass es insgeheim Spaß machte <Kos war 45, als die Ö1-Spielräume 1995 eingeführt wurden>, ein elektrisches Gitarrensolo auf Ö1 dröhnen zu lassen.“ (http://oe1.orf.at/programm/302526, inzwischen offline) Und noch 2016 überlegt Kos, nicht ohne Scheinheiligkeit, „wie mit dem ehrenvollen Hintereinander von Symphonieorchester und Popmusik (getrennt lediglich durch die 13 Uhr-Nachrichten) umzugehen ist. Die Zäsur betonen und gleich wüste E-Gitarren losfetzen lassen? Oder Popverächter, die es unter den Klassikfans immer noch geben soll, mit hörfreundlicher Musik höflich dazu einzuladen, auch beim nachphilharmonischen Schnitzel Ö1 eine Chance zu geben?“ (http://oe1.orf.at/artikel/443002) Dass selbst für die Führungsspitze von Österreich 1 die klassische Musik nicht oberste Priorität geniesst, wäre schon im Privaten eigenartig. Öffentlich ist es jedenfalls intolerabel, weil senderschädigend, wenn eine Ö1-Chefin unbekümmert in einer namhaften Tageszeitung ihre Präferenz für die Popmusik eines kommerziellen Easy-Listening-Senders bekennt: "Akustische Auszeit nimmt die neue Ö1-Chefin am liebsten bei Lounge FM." (Doris Priesching, "Ö1-Hörer glauben, sie besitzen ihren eigenen Sender". Ö1-Chefin Bettina Roither hat klare Vorstellungen von der Zukunft des Senders: Jegliche Veränderungen sind möglichst sachte vorzunehmen - Dem schwächelnden "Welt Ahoi!" setzt sie dennoch eine Frist bis Jahresende http://derstandard.at/1281829356830/Roither-Oe1-Hoerer-glauben-sie-besitzen-ihren-eigenen-Sender Der Standard 17.8.2010, 18:28) Wen wundert's, dass die Klassik-Redakteure Chris Tina Tengel, Johannes Leopold Mayer, Bernhard Trebuch und Michael Blees wie verletzte Vögel in der Kirche Zuflucht suchen und zitternd den Pfarrer bitten, dass ihnen nichts getan werde.

Verbissen gegen die Klassik Freitag nachmittags. 2011 noch „Apropos Klassik“ genannt, hieß die Sendung von 2010 bis 30. 4. 2017 freitags um 15 Uhr 05 "Apropos Musik", nun mehr und mehr der leichten Muße den Auftritt bietend. (Ein ähnliche Identitätszertrümmerung oder -umwandlung spielte sich für die Samstagssendung ab - die Sendung, die ehemals "A Propos Klassik" hieß und das seit 1. Mai wieder tut, durfte während der letzten Jahre unter dem Titel "Apropos Musik" die klassische bis moderne Musik der Salzburger Festspiele und anderer Festivals bringen, wenn vermehrt Walzer und Messiaen gebracht wurden.) Freitags wurde seit Jahren, bis zur Reform seit Mai 2017, der Klassik der Garaus gemacht. So konnte Klaus Wienerroither (4. 10. 2013) am Ende von 'Nummern' new style-mäßig in die Musik hineinzureden beginnen. Die Sendung war der Gitarre von Les Paul gewidmet, ohne weitere Begründung, wieso die Les Paul Fender vorzuziehen ist (eine Sendung zur Fendergitarre wurde nicht angesetzt). Wiewohl Les Paul eher für Blues und Jazz (Wienerroither war und ist immer noch Jazz-Gitarrist) steht, kommt, als ob die Frequzenz eine Stunde lang auf FM4 gewechselt hätte, auch schon einmal ausschnittweise (ein Nogo auf Ö1!) ausschließlich Rockgitarrenmusik, ein Schlager, zwei Jazznummern. In die Tiefe gehende Information zu Les Paul war von Wienerroither auch nicht zu bekommen. Ähnlich verbissen – da müssen wir durch! – der Gitarrist Helmut Jasbar am 2. und 9. September 2016: „Die Jazzorgel ist gekommen, um zu bleiben.“ Wieder wird kein Kontext benannt, auch kein Bezug zur klassischen Orgel, wie es die Unterschiede und Ähnlichkeiten an Klang und Textur anböten. Eher geht es Jasbar um den „höllischen Siegeszug in einer eher profanen Musikwelt“, wie der Ö1-Jazzmoderator, früherer Kulturredakteur und Gehört-Gewusst-Rätsel-Mann Nikolaus Schauerhuber für die Sendung schrieb. (http://oe1.orf.at/programm/446873 offline) Und nicht weniger verbissen, als ob es die neue Linie „Rockmusik“ am Freitag nachmittags beim traditionellen Ö1-Publikum auf Biegen und Brechen durchzusetzen gilt, Michael Neuhauser Freitag, den 23. September 2016 mit "Hübsche Songs und weniger hübsche Urheberrechtsverletzungen (3)". Wieder ist es ausschließlich Pop- und Rockmusik, als ob es ein Publikum bei der Stange zu halten gälte, das längst zu Klassik, Jazz und allenfalls noch Chansons gewechselt ist, aber nun genau so in die Jugend regredieren soll, wie Wienerroither, Jasbar, Scheib und Tschaikner zumute ist. Wie fürs Seniorenheim bringt Neuhauser belehrend: „hier noch 'mal zur Erinnerung“ (15:23:53-15:23:55) das simple Riff der Red Hot Chili Peppers, um dann Tom Pettys 'Diebstahl' zu bringen (bei dem wiederum streckenweise von Steely Dan abgekupfert wurde, was Neuhauser nicht mehr sagt). Vom damit zum Vorschein kommenden Mangel an Kompetenz ist auch Albert Hosp nicht frei, der zu Anthony Banks am 6. Oktober 2015 in "Ö1 bis zwei" meinte, Banks sei der Gitarrist der Band Genesis gewesen, wo doch Banks tatsächlich der Keyboarder der Band war, der für manche LPs auch zur akustischen 12seitigen Gitarre griff.

Vospernik ad Marriner. Es sind aber nicht nur die in den letzten Jahren von Tschaikner herangezogenen Musik-Moderatoren, die eine Aversion gegen klassische Musik darstellen dürfen und damit antreiben. Auch Journal-ModeratorInnen sind auf Linie. Cornelia Vospernik: „Morgen hätte er mit seinem legendären Ensemble Academy of St.-Martin-in-the-Fields ein Konzert in Wien geben sollen, und dieses findet auch statt, aber jetzt wird es ein Konzert in memoriam“. Und nach dem Beitrag des Nachrufs auf Marriner: „Und wie gesagt, das Konzert findet doch statt. Halt eben ohne ihn.“ (Morgenjournal, 3.10.16, 07:24:10-07:24:20 und 07:27:30-07:27:33) Halt eben ohne ihn. Ist ja egal. Marriner? Kein Problem. Brauchen wir nicht, im Zweifelsfall. Wenn er nicht will, dann soll er's eben bleiben lassen! - Mit ein bisschen Erfahrung und dem Einholen von Auskunft bei Ö1-MusikredakteurInnen hätte Vospernik fragen können, was denn im Konzert passieren wird (Vgl. Walter Weidringer, Berührender Abschied von Sir Neville Marriner. Die Academy of St Martin in the Fields und Julia Fischer spielten im Musikverein ohne Dirigenten http://diepresse.com/home/kultur/klassik/5097057/Beruhrender-Abschied-von-Sir-Neville-Marriner?from=suche.intern.portal 05.10.2016 | 18:24) Vospernik ist nicht in der Lage, auch nur irgendwie die Verdienste Marriners einzuschätzen oder zumindest Respekt zum Ausdruck zu bringen. Genau das ist aber von einer/m Journal-ModeratorIn auf Österreich 1 zu erwarten. Man täusche sich nicht. Es geht nicht um eine Person, die einmal entgleist. Es ist nicht nur der akustische Habitus Ausdruck von jemandem, der wenig Affinität zur Hochkultur zu haben scheint. Dahinter lauert der Hass und die Unerbittlichkeit, die so wie der Kulturmaschine 'Kulturbetrieb' auch der Medienmaschine 'öffentlicher Rundfunk' innewohnen und die die Vermittler in den Medien ihrerseits nur gehorsam als Unbehagen der Kultur zu Gehör bringen. Kultur gehört gehört! Weil das im Sinne des österreichischen kategorischen Imperativs im Radio als selbstverständlich zugemutet wird, aber nicht ist, nehme ich, Cornelia Vospernik - so liesse sich vorstellen - , mir heraus, zu sagen, was ich mir so denke und sei es in Form einer Entgleisung.

Klassik against Klassik: Oper und Last Night of the Proms 2016. Was Vospernik bezeichnet, stimmt jedoch mit der Gesamttendenz der Verdrängung der Klassik auf Ö1 überein, wie sie aus dem gebrachten Musik-Programm und seinen Umformungen in den letzten Jahren herauszuhören und -lesen ist. So wurde der „Oper am Samstag“ über Jahre, bis zum 30. April 2017, nicht einmal der Status einer eigenen Sendereihe zugestanden. Anders als alle anderen Sendungen bekamen ihre Ausgaben auf der Ö1-Webseite keine Programmnummer. Entsprechend hat „Oper am Samstag“ keine eigene Signation, sondern muss sich mit derjenigen von "Aus dem Konzertsaal" bescheiden, genau so wie die seit dem 1. Mai 2017 gestrichene "Oper in der Nacht" von Dienstag nach den 0.00-Uhr-Nachrichten auch. Sie war also fälschlicherweise dem „Konzertabend“ zugeordnet (http://oe1.orf.at/konzertabend). Leider entspricht diese Mauerblümchenbehandlung dem, was in der Sendung selber passiert. Die Beschreibungen der Handlung sind sicher präzise, mitunter aber etwas ältlich. Die Interviews in der Pause sind interessant, könnten aber bei Direktübertragungen auch mehr live sein. Besonders gehen - im Radio! - Beschreibungen von Bühnenbild, Inszenierung und Schauspiel ab. Und schließlich bleibt bei Live-Übertragungen die Chance ungenutzt, mit dem Publikum und MusikkritikerInnen nach der Aufführung zu diskutieren (man greife auf die Erfahrung der leider schon lange abgeschafften Sendung "Ö1 danach" nach den 0-Uhr-Nachrichten zurück, in der Susanna Dal Monte, Gernot Zimmermann oder Dorothee Frank noch vom selben Abend bravourös Publikumsstimmen zu Opern- und Theaterpremieren sowie Ausstellungseröffnungen zusammenstellten) - nur so kann man heute zeigen, dass es bei der Oper wirklich um etwas geht. Nicht nur bei der Oper. Die Oper bleibt wichtig, nicht nur weil Ö1 in einem Land sendet, in dem die Oper auch in der zeitgenössischen Kultur die kulturelle Institution Nummer Eins ist (Bernhard Langs jüngste Oper "Mondparzifal" zeigte es, und Dominique Meyer an der Staatsoper sollte Olga Neuwirths "Orlando" unbedingt 2019 herausbringen). Sie ist mit dem "Ö1 Konzert. Stimmen hören" am Donnerstag Nachmittag und "Apropos Oper" am Sonntag Nachmittag gut repräsentiert. Aber der aktuell brachliegende Samstag-Abend ist zu wertvoll, als dass nicht auch die Operette, das Musical und das Sprechtheater aus Graz, Klagenfurt, Innsbruck als Bühnen-Abend zum Zug kommen, um von den Festspielausnahmen vom Boden- bis zum Neusiedler See nicht zu sprechen. Außerdem könnten einmal im Monat - hier wäre Sparen gerechtfertigt - aus dem reichen Ö1-Archiv wertvolle Aufnahmen gebracht werden, wie sie bis zum 30. April 2017 auf die unsägliche Zeit am Dienstag ab 00.05 Uhr verbannt waren und jetzt komplett gestrichen sind. Und warum wurde die 90minütige feiertägliche "Opernwerkstatt" fallen gelassen, die von Volkmar Parschalk und Peter Dusek einst so engagiert betrieben wurde? Die knappen beeindruckenden Gesprächsteile zwischen Staatsoperndirektor Dominique Meyer und Michael Blees in "Apropos Oper" am 26. 6. 2017 (http://oe1.orf.at/programm/20170625) lassen die Erinnerung an diese Vorzeigesendung von Ö1 wehmütig aufkommen. Übrigens sollte Ö1 die Staatsoper dazu bewegen, die Übertragungstermine im Rahmen ihrer Premieren, die es mit der ablaufenden Saison vielleicht zum ersten Mal überhaupt regelmäßig auf Ö1 gibt, nicht am Sonntag anzusetzen und den Ö1-"Kunstsonntag" zu vertreiben, sondern am Samstag und damit mithelfen, Kulturveranstaltungen in das Wochenende zurückzuholen. Die Missachtung der Oper auf Ö1, angefangen mit der Sendungsbezeichnung und der Signation, entspricht der Tendenz der Radio- wie Fernsehmacher von heute, eine Programmschablone homogen für alle Tage der Woche durchzudrücken. Schlampigkeit kommt dazu. Man denke an den Kampf um "Diagonal" am Samstag 17 Uhr 05, welche Sendung Sendezeit für das Journal um 17 Uhr abtreten sollte, damit das 17-Uhr-Journal die sieben Tage die Woche komplett machen konnte. Wer aber braucht Nachrichtenjournalwetter, wenn es am Wochenende keine Nachrichten gibt und die Redakteure ohnehin schon jetzt auf yellow Meldungen zurückgreifen wie diejenige von einem Kind, das aus einem deutschen Hochhaus geworfen wurde. Wie schön, davon an einem entspannten Sonntag zu erfahren! Diese maßstabsmäßig geplante Homogenisierung von Sendeschienen wird aber auch von den Musikredakteuren übernommen, etwa wenn Gustav Danzinger am So 2. 10. 2014 vom täglichen Konzerttermin spricht, den es gar nicht gibt. Peter Kislinger jedenfalls moderiert ausnahmsweise am Sendeplatz des Samstagoperntermins, ausnahmsweise an einem Samstagabend und ausnahmsweise zur Fernsehzeit um 20 Uhr 15. Und ausnahmsweise ist es auch er, der sonst für Opern nicht zuständig ist. Die "Last Night of the Proms" 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20160910/445306) - eine Extrawurst der Briten am Samstag in Österreich - you got a problem with that? Nein, nein. Wenn nur die zwei Bearbeitungen von Brahms' Werken nicht wären und eine davon mit Trompete den letzten Ton verhauen würde. Wenn nur nicht das ganze Programm wie der behäbige Schlussmarsch im sommerlichen Waldbühne-Konzert der Berliner Philharmoniker klänge und so dürftig wie die Programmangaben wäre: konservativ, seicht, mit Arienrosinen, meist aus den Opernkuchen von Purcell bis Britten herausgepickt. So wie Kislinger die "Proms" präsentiert, würde man schlicht für unmöglich halten, dass auf diesem Festival auch Werke von KomponistInnen wie Steve Reich oder Galina Ustvolskaya aufgeführt werden, aber die "Last Night" ist ja am wichtigsten, oder? (http://www.bbc.co.uk/events/r938q9/series). Wie wär's einmal zur Abwechslung mit dem Lucerne Festival, mit interessanteren Dirigentinnen und einem Abend, der 2016 Olga Neuwirth gewidmet war? Oder ist das für den ORF zu teuer?

Wir treffen uns nicht mehr bei der Klassik. Ein prekärer Fall ist inzwischen der Klassik-Treffpunkt. Seit Karl Löbls und Heide Tenners Zeiten, welch letztere sich einmal vorbildlich gründlich auf eine sehr gehaltvolle Sendung mit Pierre-Laurent Aimard vorbereitete, sollte sie der Klassik dienen, damals wohl der Szene der klassischen Musik und der Welt des Burgtheaters. Jedenfalls ging es um eine musikalische Objektivität, eine Antisubjektivität, die das Epitheton "klassisch" verdient. Man könnte auch sagen, es gibt zwei Reihen von Eigenschaften, mit denen jeder Begriff der Klassik zurechtkommen muss - beliebt, berühmt, kanonisch, aber auch alt, zeitunabhängig, ewig. Das Musikrätsel, dessen Lösung über Telefon mit den Aspekten der CD als Grundlage des Rätsels mit einem ihrer Exemplare belohnt wird - und vor Jahren auch noch mit einem kurzen Wortwechsel mit dem Sendungsgast nach der Einladung "Möchten Sie noch mit unserem Gast sprechen?" - , diente dann der Bestätigung des Anrufers, stellvertretend für die ganz Zuhörerschaft, dass wir zur Klassik der Sendung durch unsere Bildung passen. Und dann ging es im Gespräch um moralische Standards, die die renommierten Gäste aus ihrer Lebenserfahrung auf aktuelle Phänomene anwandten. Dadurch wurden sie geschickt für eine Sendung in Intellektuelle verwandelt. Diese Zeiten sind perdu. 8. Dezember 2012. Der Klassik-Treffpunkt verkommt zur mehr oder weniger gehaltvollen Promotion. Nicht, dass Michael Haneke nichts zur klassischen Musik, ja überhaupt, zur klassischen Kultur zu sagen hätte! Aber Otto Brusatti frägt Haneke weder nach seinen musikalischen Vorlieben, noch nach dem Musikbetrieb, noch nach Filmen über Musik oder Musik in Filmen. Er beschränkt die ganzen 90 Minuten auf Hanekes Film L'Amour - ohne die moralische Frage des Mords in diesem Film adressiert zu haben - , um dann noch ein bisschen Hanekes künftige Regie von Cosí fan tutte zu streifen. Die Musikauswahl ist hit-lastig. Wen wundert es, dass auf diesem Niveau Haneke es zum Schluss nicht zu blöd ist, das Ö1-Publikum direkt mit L'Amour zu bewerben: „Schauen Sie sich den Film an!“ Promotion mit trivialem Music-Talk darf Klassik-Treffpunkt-Moderator Albert Hosp für seine eigene „Musik ohne Grenzen. 20 Jahre Glatt & Verkehrt“ am 17. Mai 2016 machen. (http://oe1.orf.at/artikel/438647) Das ist eine typische Unvereinbarkeit; der Ö1-Mitarbeiter dürfte nicht selbst auch noch sich als Produzenten eines Festivals bewerben. Auf diese Weisen wird der „Klassik-Treffpunkt“ systematisch zerstört, bis man ihn problemlos mit einer noch trivialeren Talk-Show wird ersetzen können. Ist es die Parteilichkeit für die Musik seines eigenen Festivals, die Hosp Mühe mit der Jazzerin Sabina Hank am 3. 9. 2016 bereitete? (https://oe1.orf.at/programm/446940) Auch hier wieder die Gewichtung auf ein Preview von Hanks CD, die in ein paar Wochen erscheinen würde. Hosp vermag nicht, der Jazzsängerin und -pianistin viele mehr zu entlocken als: „Mozart war auch ein Jazzmusiker.“ Nach einem Grund für diese Behauptung wird nicht gefragt. Vielmehr folgt unmittelbar darauf ein Ausschnitt aus ein paar Minuten Interview und Musik von Werner Pirchner. Wieso denn das? Es stellt sich heraus, Pirchner komponierte einst Jedermann-Musik für die Salzburger Festspiele, und Hank ist Salzburgerin. Hank meint später, dass man Karriere und Leben nicht planen kann. Ja und nein. Aber Hosp lässt sich darauf nicht ein. Es gelingt ihm nicht, sich auf Hank einzustellen. Er überfordert sie mit unspezifischen Fragen wie „Was macht ein gutes Jazzsolo aus?“ oder „Das ist ein guter Song?“ Dann werden meist englische Titelkompositionen von Hank und anderen gespielt. Hosp: „Miles Davis sagte: there are no mistakes“; oder: „Das nennt man Synästhesie … im limbischen System, eine anatomische <!> Tatsache.“ Dann konfrontiert er Hank mit András Schiffs Synästhesie. Es kommt nichts heraus. Viel zu langes, spannungsloses und (Hosp) selbstgefälliges Gerede. Nach mehr als einer Stunde der 90 Minuten kommt zum ersten Mal klassische Musik, ein Schubert-Lied, zum Musikrätsel. Aber nur wenige Takte. Oft, seit Suchmaschinen im Internet existieren, weiß es der erste Anruf. Hosps Frage „In welchem Schubert-Lied kommt ein kleiner Luchs vor?“ bleibt aber dieses Mal unbeantwortet. Leider meint Hosp dann zum Schluss der Sendung entgegen seiner ursprünglichen Absicht die Hörerfrage noch beantworten zu müssen. Wirkliche Schubertkenner hören den Klassik-Treffpunkt wohl nicht mehr. Spät kommt die Rede noch auf den Film „The Sound of Music“. Hank hat – eigentlich sensationellerweise, was Hosp aber übergeht – als Erste die Rechte für die Jazzbearbeitung der gesamten berühmten Filmmusik bekommen. Hank spielte dann auch gleich im Radiocafé im Funkhaus in Wien, dem Übertragungsort der Sendung, „My Favorite things“, welches Stück früher offensichtlich eine Einzelgenehmigung erforderte (John Coltrane hätte genannt werden können). Das erfahren wir weder von Hank noch von Hosp. Und Hosp, der offensichtlich kein guter Journalist ist, kommt gar nicht auf die Idee, Hank zu fragen, wie sie überhaupt die Rechte bekommen hat. Vielmehr soll Hank sagen: „Nennen Sie drei Ihrer favorite things!“ (Das soll wohl die drei Porträtfragen sein, Otto Brusatti in seinen Klassik-Treffpunkten mechanisch stellt). Aber Hosp lässt unhöflicherweise Hank gar nicht zum Reden kommen und spielt die von Hank gewünschte Streichermusik Schuberts zum Schluss der Sendung. So geht ein Klassik-Treffpunkt frustrierend zu Ende. Die wichtige Frage, warum Hank, aus einer Klassikerfamilie kommend, zwar bis 18 am Mozarteum studierte, dann aber beschloss, sich von der Klassik abzuwenden, bleibt während der ganzen Sendung ungefragt. Unterm Strich: ein einziges Schubertstück, und das von einer dezidierten Nichtklassikerin ausgewählt und nicht von Hosp! Diese Klassik-Geringschätzung zeigte auch Otto Brusatti am 1. Oktober 2016: „wir können nur einen Mittelausschnitt aus dem ersten Satz bringen, weil das Konzert dauert so gesehen 35 Minuten (10:53:05ff. Uhr) …Wir steigen jetzt ein, ah, in den Schluss der Exposition und lassen, in diese ganz besondere Durchführung, noch klingen, und wenn wir in der Reprise sind, müss' ma wieder hinaussteigen. Ich bitte!“ Und dann (10:56:56 bis 10:57:17 Uhr): „Und wie vorhin schon traurig festgestellt: Das Mozartkonzert ist so groß und daher auch so besonders, dass es sich eigentlich verbietet, drin zu blenden. Wir wollten vorspielen, was ein, eine, sagen wir, sehr besondere Auffassung eines unserer heutigen Gäste ist." Eine angenehme, beinahe schon seltene Ausnahme der Klassik-Treffpunkt am 22. 10. 2016 mit Renate Burtscher und ihrem Gast Philipp Hauß. Hauß versteht etwas von klassischer Musik, ist auch gescheit, wenn auch leider nicht unabhängig von kitschiger Popmusik, die bei Burtscher leider auch noch gut ankommt und auch gespielt wird. Aber, immerhin, das Wir-"schwindeln uns ein bisschen hinein" in Brahms, das gilt, weil es charmant ist. Nur ein Ausschnitt, ja, aber immerhin ganze sechs Minuten erklingt die schöne Ballade für Klavier in D-Dur opus 10, Nr. 2, in dem ein etwas schnellerer Teil einem wunderbar ausklingenden Andante vorangeht. Wehmütige Erinnerungen an die großen Zeiten des Klassiktreffpunkts kommen auf.

Gattungen klassischer Musik vor und nach 2012. Die Konfusion der Gattungen klassischer Musik und die Sorglosigkeit dieser Konfusion gegenüber hat seitens der Ö1-Leitung Methode. Vor 2012 gab es am Montag die Musikgalerie, am Dienstag Apropos Oper, am Mittwoch Abenteuer Interpretation, am Donnerstag Apropos Kammermusik, am Freitag Apropos Musik, am Sonntag Apropos Oper. Seither, bis zum 30. April 2017, durfte alles nur mehr Apropos Musik heißen. Bis zum Sommer 2016 durfte unter dem Sendungstitel "A Propos Musik" am Samstag wie seit vielen Jahren klassische E-Musik gebracht werden, die hauptsächlich aus den Archiven der Salzburger Festspiele gespeist war, etwa von Johannes Leopold Mayer. In letzter Zeit nahm der Druck Tschaikners in Richtung 'gehobener' U-Musik zu, vermehrt Walzer zu spielen. Heute heißt es bedrohlich: "'Apropos Musik' widmet sich verschiedenster <!> Musik und den sie umgebenden Themen; wissend und unterhaltend, mit Fachkenntnis und Leichtigkeit entlang möglicher Interpretationen oder historischer Kontexte, durch Kammermusik und Oper und selten zu hörende Genres." (http://oe1.orf.at/aproposmusik)

Mit der Klassik umspringen: Guten Morgen Österreich Gattungsprobleme scheint "Guten Morgen Österreich" keine zu haben. Möchte man meinen: "Die tägliche Ö1 Morgensendung mit klassischer Instrumentalmusik (alle Epochen, sämtliche Gattungen sowie Arrangements), dazu aktuelle Konzert-Tipps und Kulturhinweise". (http://oe1.orf.at/gutenmorgenoesterreich) Aber dann kommt schon einmal ein Tango, klassisch anmutender Jazz oder Popmusik, von Kammermusikensembles verklärt. Sehr langsam ist das über die Jahre mehr geworden. Unter der vor ein paar Monaten bestellten, von FM4 kommenden Chefin für alle ORF-Radioprogramme Monika Eigensperger wird dieser Trend an Fahrt aufnehmen, so ist zu befürchten. Dennoch, "Guten Morgen Österreich" - ohne Komma! - ist hörenswert und hat Qualität, auch wenn sich die Musikauswahl immer mehr auf ein Hitradio Ö1 zu bewegt mit den Hits der klassischen Musik, genauer: aus der klassischen Musik. Alle ModeratorInnen, früher Ilse Halsmayer, heute besonders Sonja Watzka, geben sich die größte Mühe und vermitteln die Musik oft mit wenigen Worten kenntnisreich in einer bewundernswerten Leichtigkeit und Anmut. Das ist Arbeit, die auf die Sekunde genau kommen muss, wenn etwa etwas passiert, eine Zwischenwerbung oder die Nachrichten länger dauern oder die Musikprogrammierung zeitlich knapp ist. Nicht die geringste Gefahr ist, dass, wie so viele Opernfans nur mehr ihre Arien, so die Musikauswählenden Stephanie Maderthaner, Gerhard Hafner, Friederike Raderer, Gerald Kolbe, Eva Teimel, Sibylle Norden und Beate Linke-Fischer oft sich auf die Zweihundert der ewigen Bestenliste verlassen, Ohrwürmer eingeschlossen. Zudem besteht die Gefahr, dass das Morgenprogramm klammheimlich zur Werbefläche mit immer kürzeren Stücken verkommt: Eigenwerbung und Veranstaltungswerbung nehmen seit 2016, 2017 zu. Auch sonst ist E-Musik in den letzten Jahren auf dem Rückzug, siehe die Musikviertelstunde unter anderem. Die vorletzte Programmreform, "Politur" genannt (diese Ö1-Eigenbeschreibung ist seit dem Herbst 2016 in oe1.orf.at nicht mehr zu finden) beweist das wie Bettina Roithers verächtliche Rede von der modernen, das ist antiklassischen Musikfarbe: Das "Nachtquartier ... ist der 'Versuch, ein jüngeres Publikum anzusprechen'. Die Musikfarbe ist nicht klassisch, sondern modern." (Isabella Wallnöfer, Ö1: Neu am Sonntag und nach null Uhr. Ö1-Chefin Roither geht mit dem „Café Sonntag“ auf Nummer sicher und wagt mit einem Talk-Radio spät nachts ein Experiment für jüngeres Publikum. http://diepresse.com/home/kultur/medien/664946/Oe1_Neu-am-Sonntag-und-nach-null-Uhr?from=suche.intern.portal Die 31 Mai 2011 09:59:58 CEST). Wie das "Nachtquartier" klingt, wissen wir: leichte U-Musik. Und mit modern meinte Roither definitiv nicht E-Musik des 20. Jahrhunderts und schon gar nicht - horribile dictu! - Musik wie die von Georg Friedrich Haas, wenn es ein Beispiel bräuchte. Die Phone-In-Sendung klingt denn auch wie FM4s von Elisabeth Scharang lange betreutes, legendäres Live-"Jugendzimmer", gesendet aus Kinderzimmern österreichweit, und hat, noch länger her, etwas vom Ö3-Nachtexpress der 90er Jahre. Aber wer will schon um 0 Uhr 05 auf Ö1 jung sein? Soll doch FM4 wochentags um Mitternacht talken. Nein, die Musikfarbe muss im Grundton die "Farbe" der klassischen Musik beibeihalten! Und weil bei "Guten Morgen Österreich" schon von "Die Ö1 Klassiknacht" die Rede ist - , die lobenswerten Musiklisten (via http://oe1.orf.at/gutenmorgenoesterreich und http://oe1.orf.at/klassiknacht) könnten auch - wenn schon nie angesagt, wie das vor 20, 30 Jahren noch üblich war: - on air das Jahr der Komposition enthalten, wie das nicht nur bei unbekannten Komponisten Orientierung gibt. Hier wäre Gelegenheit, wichtige Information zu geben und dem Verfall des historischen Sinns im Bildungsradio entgegenzuwirken: Musik von (musik-)gebildeten Menschen für gebildete Hörer. Wie gesagt, die Qualität dieser Sendung ist in Gefahr. So kam folgende Ansage Sonja Watzkas am 30. 9. 2016, von 6:39:04 bis 6:39:10 Uhr, denkend an Schulkinder, aber nicht nur: Ein kleiner musikalischer Schutzengel für den heutigen Tag <Absage von Händels Guardian angels, oh, protect me / Nr.31 Arie der Beauty, Oratorium in 3 Teilen "The triumph of Time and Truth">… 6 Uhr 49. Jetzt machen wir wieder etwas flotter weiter mit Musik von Johann Se<6:39:09->bastian Bach<-6:39:10>.“ Ja, aber durchaus irritierend blendete sich die Musik schon ab 6:39:09 Uhr ein. Es spielen Janine Jansen & Friends. 7:23 min sind angegeben. (http://oe1.orf.at/programm/20160930/443624) Und das wäre ziemlich genau die Länge dieses ersten Satzes auf Jansen & Friends's CD (https://www.youtube.com/watch?v=0vXokJPUFoA). Nur, in der Sendung werden lediglich 6:29 min gespielt. Was ist passiert? 54 Sekunden wurden wohl aus Zeitnot unterschlagen, genau die ersten 19 Takte Bachs (übrigens haben schon Jansen und ihr Ensemble auf ihrer des im Übrigen hervorragend gespielten Aufnahme, wie auch immer sie das begründen mögen, 70 Takte von 122 des vorgeschriebenen Da capo des ersten Satzes von Bachs Konzert in E-Dur für Violine, Streicher und Basso continuo BWV 1042 unterschlagen, vgl. http://imslp.nl/imglnks/usimg/d/d9/IMSLP56606-PMLP91905-Bach-BWV1042chFS.pdf). Ö1 steigt also an diesem Morgen ab Minute 0:52 der CD, genau gesagt ab Bachs vierten Achtel der 16 Achtel des Taktes 20 ein und spielt dann bis zum Schluß, Minute 45:38; das vorgeschriebene Da capo wird dann bis zum Takt 52 gespielt, den als Schluss zu hören man gedrängt wird. So drängt sich Argwohn auf: Warum wird eingeblendet, und nicht auch mitgeteilt, dass wir ein Drittel des ersten von drei Sätzen des Konzerts hören? Neun Monate später sind solche Manipulationen fast schon gängige Praxis. Die Schleusen zur Überflutung mit willkürlichem und unkontrolliertem Vorspielen vorbei am Willen der Komponisten sind geöffnet. Bernhard Fellinger sprach Ende April 2017 in die Pause eines Stücks unmittelbar vor der Sendung "Gedanken zum Tag", um zu bemerken, dass es noch nicht fertig war. Er hatte die Größe, sich mit den Worten zu entschuldigen: "Man soll sich nicht zu wichtig nehmen." Aber wie lange noch ist ein solches Bewusstsein gegeben? Zu befürchten ist eher, dass langsam eine Annäherung an "Klassik Radio" wie in Tirol und Salzburg vollzogen wird: Im Gegensatz dazu <zur ARD und zum Deutschlandradio> werden bei Klassik Radio <aus Hamburg> keine ganzen Sätze oder Werke gespielt, sondern lediglich Satzausschnitte. Diese sind bewusst so gewählt, dass insgesamt eine bessere Durchhörbarkeit des Programms entsteht.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Klassik_Radio 22.6.2017)

Watzkas Knechtung in Guten Morgen Österreich. Watzka und die anderen müssen seit dem Sommer 2016 das Wetter und die letzte Musikstrecke in der halben Stunde vor 8 Uhr ansagen, obwohl diese paradoxerweise erst nach dem Programmüberblick um 7 Uhr 33 beginnt (ein nunmehr verschwiegenes Ö1 heute“). Man lässt sie und die anderen also absurde, knechtische Dinge ausführen, wie die Wettervorhersage. Nur, die Wettervorhersage ist der Information rein logisch und nicht nur organisatorisch näher. Sollen es doch die Morgenjournal-ModeratorInnen selber machen! Oder sind sie sich zu gut dafür? Eigentlich geht es um etwas anderes. Es ist der zunehmende Druck zu spüren, dass Musik und Kultur durch das Wort der (politischen) Nachrichten verdrängt werden. Zweifellos geht der Druck von der News-Lobby des ORF aus, die immer schon einen guten Draht zum Küniglberg hilet. Gabi Waldner, Rainer Hazivar, Hanno Settele, Nadja Bernhard, Eugen Freund und andere kamen von Ö1 zum Fernsehen und in der Regel nicht umgekehrt, und die Doppelfunktion der Auslandskorrespondenten für Radio und Fernsehen verstärkt die Verbindung von Funkhaus und ORF-Fernsehen, wie auch die Chefitäten, oft dem News-Bereich nahestehend, dem Radio vom Küniglberg aus diktiert und implantiert werden. Der Druck der News-Lobby bringt mit sich, dass es in einigen Jahren ein News-Center am Küniglberg mit dem ORF-Fernsehen geben soll. Kein Wunder, dass sich Druck und Unruhe in verschiedener Form ausbreiten und die Klassik es ausbaden muss, die bekanntlich erst seit Kurzem umfangreicher im Fernsehen in Form von ORF III vorkommt. Wird das ORF-Fernsehen das werden oder übernehmen, was von Ö1 übrig bleibt?

ein E-Musik schätzender Zeitungsherausgeber. Am Sonntag, den 4. September 2016 um 9 Uhr 05 kommen die "Gedanken" von Armin Thurnher, "über den Begriff der Würde". Sendereihenverantwortliche Doris Glaser macht klar, dass die Sendung auch Werbung für Thurnhers nächstes Buch „Republik ohne Würde“ ist. Hat sich dafür Thurnher, bekennender Klassik-Fan und Vorstandsmitglied des Klangforum Wien, breitschlagen lassen für eine eines Thurnher unwürdige Liste an Musik zwischen den 'Gedanken'? Wie Glaser beinahe triumphierend festhält, sei die Musikabfolge in Abstimmung mit Thurnher entstanden: Bob Dylan (über dignity singend), Aretha Franklin, Des Ano, The Beatles, Van Morrison, Dusty Springfield und gerade noch 3 Minuten 45 Johann Sebastian Bach, 3 Minuten 23 Joseph Haydn und 2 Minuten 40 György Ligeti. Hat Armin Thurnher auch Ö1 gemeint, wenn er sagt:Rein kommerziell interessierte Medien … wollen nur noch die Aufmerksamkeit einer Zielgruppe kriegen, fast egal oder eigentlich egal, womit. Und das kann man sozusagen vom Gedruckten der Boulevardmedien bis zum Extrembeispiel des Formatradios betrachten, wo ja das Programm dann solange abgeglichen wird, bis genau jene Schlager gespielt werden, die die angepeilte Altersgruppe auch hören will. Das heißt radikaler Opportunismus eines Mediums. Im Gegensatz dazu das Qualitätsmedium, das eigentlich auf den Überlegungen der Produzenten beruht, auf den Entscheidungen, was wichtig wäre und was gesendet, was geschrieben, was gedruckt werden müsste. Die kommerziellen Medien haben viel Geld, aber die können auch affektiv die Leute zu Dingen bringen, bei denen sie sehr leicht ihre Würde verlieren, sei es, dass sie zu populistischen Exzessen ermutigt werden, sei es aber, dass sie sich selber zum Affen machen, um nur sozusagen diese mediale Aufmerksamkeit zu bekommen von Casting-Shows bis zur Teilnahme an irgendwelchen Foren auf der einen Seite und andererseits von Kommentatoren, die dann so Dinge schreiben wie: 'Wer alt genug zum Stehlen ist, ist alt genug zum Sterben' <so Michael Jeannée am 7. August 2009 in „Die Kronenzeitung“ zur Erschießung eines jugendlichen Einbrechers und Diebs durch einen Polizisten>, also dass man da die dumpfsten Instinkte befördert. Und die andere Seite, die immer mehr als bedrohte Art anzusehen ist, das sind die Qualitätsmedien, auch die öffentlich-rechtlichen Medien wären dazu aufgerufen, diese Art von Medien, die grundsätzlich das Ziel haben, so etwas wie einen gesellschaftlichen Diskurs aufrecht zu erhalten und deswegen auch riskieren, bei ihrem Publikum nicht das Liebkind zu sein und dem Publikum nicht hinten 'rein zu kriechen, und nicht alles zu tun, was dieses Publikum von ihnen erwartet. Ich glaube auch im Übrigen, dass das eine ganz wichtige Unterscheidung ist, nach dem man Medien betrachtet: ob es Redaktionen gibt oder ob lauter Einzelkämpfer vorhanden sind, weil Redaktionen ja doch gewachsene Organismen sind, die dazu dienen, dass Leute einander überprüfen, einander anregen, einander kritisieren, einander kontrollieren, während in der digitalen Sphäre und tendenziell auch in der kommerziellen Sphäre eine Fragmentierung vorliegt, wo es eigentlich nur darum mehr geht, dass ein Einzelner, der glaubt, er ist jetzt Autor und Verleger in einem, sich der Welt aussetzt und seine Hervorbringungen der Welt mitteilt und sozusagen dieses kooperative, kontrollierende, aber auch anregende Element fehlt, das eigentlich ein Qualitätsmedium auszeichnet.(9:14:13 bis 9:17:05 Uhr)

Fidelio mit kleinem f. Wie eine gut eingeführte Hotelkette mit Webseite gleichen Namens soll 'fidelio' dem Genuss dienen. (https://www.myfidelio.at/fidelio/) "Das Klassikportal für Ihren Musikgenuss" mitvier Säulen … einer Klassithek, der Übertragung von Live-Events aus Konzertsälen, Opernhäusern und Open-Air-Spielstätten, einen Tune-in-Kanal mit redaktionell festgelegtem Programm sowie einer Editorial-Schiene, die Hintergrundinformationen zu Künstlern, Orchestern, Dirigenten, Komponisten und Klassikinstitutionen bietet. Für die Erstellung der Editorial-Schiene zeichnet die Ö1-Musikredaktion verantwortlich.“ (http://www.horizont.at/home/news/detail/orf-klassikportal-fidelio-geht-heute-an-den-start.html 19. 9. 2016) Es soll die musikalischen Schätze des ORF etwa aus dem Radioarchiv dem zahlungswilligen Publikum zugänglich machen. Die Webseite des nach Bayern ausgelagerten Unternehmens, ein TV-Kanal namens Unitel Classica“, der als Tochtergesellschaft von Jan Mojtos Unitel GmbH & Co.KG in Oberhaching bei München seinen Sitz hat, erlaubt keine wie immer geartetete Übersicht über das Angebot. Nur mit der Eingabe von Daten kann man ungeschaut testen. Zu befürchten ist, dass das ein Rohrkrepierer wird (http://oe1.orf.at/artikel/450900). Aber es sind noch mehr Schätze da. Sie gehören der Republik und lagern - wer weiß? - im Funkhaus. Aus vielleicht guten Gründen wird das Verzeichnis des Rundfunk-Archivs geheimgehalten. Natürlich, Begehrlichkeiten würden entstehen. Aber gehört nicht uns ÖsterreicherInnen dieses Archiv? Ö1-Chef Peter Klein meint ja. Er äußert den Wunsch an die Politik, dass mittelfristig alles unbefristet zur Verfügung stehen soll. "Es wäre auch demokratiepolitisch nur gerecht, wenn wir unsere Schätze frei zugänglich machen würden." (http://oe1.orf.at/artikel/627413) Jedenfalls zugänglich den Radio-GebührenzahlerInnen, wäre zu ergänzen, worauf heute erstaunlicherweise niemand mehr eingehen zu müssen glaubt. Oder rechnet der ORF schon fest mit einer für alle ÖsterreicherInnen verpflichtenden Haushaltsabgabe?

Moderation von Alte Musik - neu interpretiert. Nicht dass die Qualität der Musik unbedingt abgenommen hat. Es besteht seit einiger Zeit Lieblosigkeit und Sorglosigkeit bei der Moderation von Konzerten, etwa den Konzerten am Vormittag um 10 Uhr 05, den Abendkonzerten unter der Woche, der Matinee am Sonntag und am meisten beim Sonntagsabendkonzert - letzteres ist ja seit dem 1. Mai 2017 abgeschafft. Alte Musik - neu interpretiert“, die Sendung von Bernhard Trebuch Dienstag um 19 Uhr 30 bis 21 Uhr. Am 16. August 2011 (http://oe1.orf.at/programm/281590): Le Concert des Nations, Leitung und Viola da gamba: Jordi Savall. Auf dem Programm bis 20 Uhr 45 steht Bachs "Musikalisches Opfer". Es wird aber noch ein (zugegeben interessantes) Werk von Bachs Vorfahren Johann Christoph Bach gebracht, anstatt dass Trebuch Ausführlicheres über das "Musikalische Opfer" sagt. Es hat nämlich nicht nur eine besondere Konstruktion, sondern klingt auch relativ unförmig. Auch ist wenig Besetzung festlegt. Aber nein, es wird die Anekdote von Forkel aufgewärmt und nach dem Stück noch kurz gesagt, dass Jordi Savall das Werk kurz nach seinem 70er aufführte. Kein Wort über die fabelhafte und durchaus ungewöhnliche, natürliche, bisweilen jazzige Leistung des Ensembles Concert des Nations – entsprechend der Tatsache, dass das Werk bei Bach aus der Improvisation entstanden ist. Der Musiker sind hier wenige; sie hätten durchaus genannt werden können. Kein Wort auch über das Festival für Bach gerade in Ansbach, von wo der Mitschnitt stammt. Schließlich verwunderlicherweise nichts über den eigenwilligen Titel und das Werk selbst. Wo bleibt der Ö1-Kulturauftrag einem Bach gegenüber, der im Konzert ohnehin nicht öfter als gefühlte fünf Mal in 365 Tagen vorkommt (wenn er nicht gerade als Zugabe eines Geigers in der "Matinee" auftaucht)? Hat Trebuch überhaupt daran gedacht, dass ihm mit Wikipedia vorzügliche Information zur Verfügung stünde? Wie soll Ö1 von innen heraus den aktuellen Werbeanwandlungen trotzen? Aber diese Versäumnisse sind nicht alles. “Hallo und willkommen am vorletzten Tag des Jahres 2014 wollen wir uns”: entweder Punkt oder Komma nach “willkommen” – das müsste dann auch durch eine kurze Pause zu hören sein , oder es müsste nach "2014" ein neuer Satz kommen: "Wollen wir uns ...". So am 30. Dezember 2014 die ersten Worte für “The Sound and the Fury. Motetten und Messen von Nicolas Gombert”. Der Haupttitel verschweigt, dass in der Sendung neben dem Ensemble The Sound and the Fury noch ein zweites Ensemble mit Musik von Gombert zu hören. Übernimmt Trebuch einfach das Marketing des Ensembles für alte Musik, das sich nach einem Roman von William Faulkner nennt? Übrigens: Gombert stand in den Diensten Karls V., nicht Karls VI. Trebuch scheint uns zehn Minuten vor Schluss der Sendung überraschen zu wollen: “Ich möchte Ihnen heute Musik von Nicolas Gombert schmackhaft machen”. Wenn das zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen war, dann war wohl alles zu spät! Zunächst gab es keine Nachweise auf der Ö1-Webseite (http://oe1.orf.at/programm/20141230). Auch in der Sendung kam keine Information zu den musikalischen Kompositionen, zum gesungenen Text – lediglich die Musikgattungen Messe und Motette benannte Trebuch – , zum Komponisten und seinem Rang (klingen tut die Musik erstrangig), zum musikalischen und überhaupt geschichtlichen Kontext. Dabei hätte Trebuch durchaus Zeit gehabt. Statt der Unsitte, ein paar Minuten in ein Stück “hineingehört” zu haben ganz zum Schluss, wäre Zeit für die fehlende Anmerkungen gewesen.

Moderation der Matinee. Keine Gemütlichkeit mehr am Sonntag: zu schnelles Ausblenden, über den Applaus drüberreden. Das geht vielleicht im sonntäglichen Ambiente zwischen Zehn und Elf in Ordnung, nicht aber im wichtigsten Konzert der ganzen Ö1-Woche. Spiegeln diese Unarten nur das Verhalten des Konzertpublikums etwa im Großen Musikvereinssaal wieder, dem 'Goldenen Saal', wie immer auf Ö1 gesagt wird? Seit einigen Monaten gibt es keinen einleitenden Applaus mehr (wie auch nicht "Aus dem Konzertsaal" sonntagabends am 2. Oktober 2016), welchem Umstand oft wenig gehaltvolle und wenig feierliche Ansagen zu entsprechen scheinen. Dabei böte der Applaus dem Publikum die Chance, sich wie im Konzertsaal auf das kommende Stück einzustellen, zu konzentrieren, ließe das Publikum und stellvertretend uns ZuhörerInnen mitwirken. Auch die Schlussapplause werden immer kürzer und an ihrem Ende immer schneller abgedreht. Sicher, es braucht nicht mehr wie früher einen minutenlangen Applaus nach einer zugegeben starken Leistung. Aber gar keinen Applaus mehr zu bringen oder sehr bald über Applaus drüberzureden, ändert ein Konzert zum bloßen Lieferanten manipulierbarer Mitschnitte ab. So begann die Matinee am 15. 12. 2013 mit Olivier Messiaen's "L'ascension. Quatre méditations symphoniques pour orchestre". Aber es war dem sehr langsamen, zart ausklingenden Stück nur ziemlich kurzer Applaus gegönnt, auf den dann eine für die Matinee unpassende, explikative Ansage von Johannes Leopold Mayer quasi aus dem Schnitt, dem Nichts heraus zum nächsten Programmteil wies. Was fast nie vorkommt: Dem Konzert, das den Philharmonischen Abonnementkonzerten aus dem Musikverein entnommen war, fehlte die Begründung, warum es nicht schon vor einer Woche und zwar live wie alle Philharmonischen gebracht wurde. Weiters weiß man von der Matinee kaum mehr, wer aller jetzt diese Sendung moderiert oder für sie zuständig ist: die Moderatoren, die Sonntag früh schon Guten Morgen Österreich verkünden wie etwa Sibylle Norden, Bernhard Fellinger (der auch zahlreiche andere Sendereihen moderiert), oder auch fallweise Musikredakteure wie Renate Burtscher oder Artur Trainacher, der selten gewordene Nachrichtensprecher. Meistens bleibt nach dem Konzert noch Zeit für mehr als ein paar Takte Musik. Aber auch hier Schlamperei, etwa wenn Nicole Brunner nach einer Aufzeichnung eine kleine Auswahl aus dem Wohltemperierten Klavier bringt und nicht einmal zuwege bringt, dass das letzte kurze Stück ganz zu Gehör gebracht wird. Diese Musik auszuwählen und im Sinn eines möglichst passenden Ausklang der Matinee, von der wir noch ganz erfüllt sind, pointiert zu moderieren und als Puffer zu „Ö1 heute“ einzuschieben, stellt nicht die geringste Kunst dar. Es hat gute Tradition, dass der Eindruck eines Symphoniekonzerts nach dessen Ende nicht durch ein weiteres symphonisches Stück mit analytischen Erklärungen gemindert wird, wie leider auch schon geschehen. Die Besonderheit der Matinee liegt auch darin, dass diese Sendung, wenn live, überziehen und das Mittagsjournal nach hinten drängen darf, eine Dehnung, die beim RSO Wien sogar John Cage's 4'33“ ergreifen kann, welches Stück anders als die stark schrumpfenden Gedenkminuten auf dem Fussballplatz 13 Sekunden länger als vorgeschrieben dargeboten wurde. (14. 10. 2012, 11:17:44 bis 11:22:30 Uhr)

Scheib, Koroliov und die Moderation des Sonntagabendskonzerts. Welcher Satz der folgenden Passage ist nicht Kitsch? Zitat Christian Scheib: 'Er rief mich eines Tages an'. So schlicht beginnt die Erzählung des Pianisten Evgeni Koroliov über seine Beziehung zum Komponisten György Ligeti. 'Er rief mich eines Tages an und fragte mich, ob ich die 'Kunst der Fuge' und Stücke von ihm, also von Ligeti, auf einem Festival in Finnland spielen könne. So sind wir in Kontakt gekommen.' György Ligeti liebte nämlich das Korolióvsche Bach-Spiel und, wie das Zitat eben schon nahelegte, insbesonders seine 'Kunst der Fuge'. Man könnte es kaum dramatischer ausdrücken als Ligeti selbst: 'Wenn ich nur ein Werk auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, so würde ich Korolióvs Bach wählen, denn diese Aufnahme würde ich, einsam verhungernd und sterbend vor Durst, bis hin zu meinem letzten Atemzug hören.' <wird im Lauf des Konzerts noch einmal erwähnt> Am 12. Juni 2016 spielte Evgeni Koroliov einen Klavierabend als Hommage à Ligeti, Christian Scheib begleitet Sie durch diesen Ö1-Konzertabend mit Klaviermusik von Bartok und Kurtag, Chopin und Debussy sowie Ligeti selbst. Aber natürlich eröffnete Koroliov den Abend mit der Bachschen 'Kunst der Fuge'.“ So Christian Scheib in seiner Moderation der Wiedergabe eines Konzerts am Sonntag, 19.6.2016 19:30 (http://oe1.orf.at/programm/20160619/434979: "Evgeni Koroliov, Klavier. Hommage à György Ligeti - zum 10. Todestag. / Werke von Johann Sebastian Bach (aus: Die Kunst der Fuge BWV 1080), Béla Bartók, György Kurtág, György Ligeti (aus: Musica ricercata und Études pour piano), Frédéric Chopin und Claude Debussy (aufgenommen am 12. Juni im Mozart-Saal des Wiener Musikvereins).") Einmal davon abgesehen, dass Koroliov bis Minute 18 zwei Fehler machte, dann wieder einen bei einem langsamen Stück knapp vor 1:35:20 - was Scheib nicht gut auf Sendung kommentieren kann - , macht Scheib keine Absage, welche Stücke aus Kunst der Fuge gespielt und welche gesendet wurden. Der von ihm ausgesprochene Titel 'Játékok' ist kaum ordentlich zu hören. Das Programm wird anscheinend so gemischt gebracht wie im Konzert, ohne dass Scheib vorher oder nachher ansagt, welches Stück welchem folgt – teilweise ist es bei gutem Willen ja zu erkennen. Die sechs der elf Stücke der musica ricercata sagt Scheib so an: "Er liebe insbesondere diejenige Komponisten, sagte Ligeti einmal, die so richtig vom Klavierspiel herkommend komponieren, also Chopin oder Schumann oder Scarlatti“. So wird also Ligeti zu Ehren Musik von Chopin und Debussy gespielt, „jeweils zwei Etüden“. Wie es der Sendung "Aus dem Konzertsaal" entspricht, wird der Applaus vor Beginn des jeweiligen Stücks in der Sendung aufgedreht. Aber bei einer derart analytischen Moderation wie derjenigen Scheibs wirkt Applaus fremd und überflüssig. Dagegen werden (ca. 1:07:15) die Etüden Chopins weder bei der An-, noch der Absage mitgeteilt. Stattdessen lässt Koroliov launige Musik von Debussy "zum Schwierigkeitsgrad" von Chopins Etüden folgen, was zur Paarung Ligeti/Bach so gar nicht passen will. Scheib weiter: Es gehe um das Pianistenprinzip des Konzerts, demzufolge sich Komponisten in Stücken „dediziert mit musikalischen Problemstellungen beschäftigen“. Ja, aber welche? Scheib spricht von einer „'Brücke zwischen Chopin und Jazz'“ bei der ersten Problemstellung und „Cordes vides“ bei der zweiten? Also „jenes Intervall, in denen Geigen, Bratschen und Celli gestimmt sind: auf die Quint“. Das gibt am Sonntag Abend ganz schön viel zum Denken auf. Sodann kommen vier Ligeti-Etüden aus den 1980er Jahren (1:09:01 bis 1:21:40) ohne irgendwelche ankündigenden Angaben. Die kommen für ein Konzert mit derart kühnen Musikwechseln leider erst danach im adornoschen grammatikalischen Tempus („... zu hören gewesen war.“) Dann Bachs „berühmter Contrapunctus 15“ - wieso berühmt, sagt Scheib nicht. Wenn schon so viel gesprochen werden muss, dann wäre ein Kommentar darüber angebracht, ob Koroliows Konzept überhaupt aufgegangen ist. Hier wäre Platz für die musikkritische Urteilskraft, mit der Christian Scheib einst angetreten ist und es zum Musikchef von Ö1 brachte. Karl Löbl hätte so etwas nie ausgelassen! Zum Schluss kommt die Absage, es folge nun <zur Füllung der Zeit bis 21 Uhr 29> Heiteres aus dem "Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach" - als ob Ligeti nicht auch heiter gewesen wäre! Unverständlicherweise werden die vier Stücke - elf Minuten! - bis zum Schluß ohne Pause und Zwischenansagen gespielt. Die Webseite ergänzt das erst später; dass von Mozart etwas dabei ist, wurde auch erst später getilgt. Gerade noch Zeit gibt es für eine alles andere als elegante, rätselhafte Absage mit den Worten, die nach Grabinschrift klingt: "Jörg Demus 1970 bis 1971." -- Wenig konzertmäßig und sonntäglich moderiert auch Chris Tina Tengel, dem ansonsten würdigen Nachfolger des im Dezember 2015 verstorbenen Gottfried Cerwenka. (24. 2. 2013) Dass sich das Wort Rezital“ gegenüber Liederabend durchgesetzt hat, ist nicht Tengels Schuld. Sehr wohl aber, dass die Sängerin Joyce di Donato ziemlich in der Linie von Tengels eigener Sendung "Stimmen hören" nach fast jedem einzelnen Lied eine An- und Absage, aber wenig Applaus zugestanden bekommt - wo ist da "Aus dem Konzertsaal"? So beliebig der Stil des/der ModeratorIn, so beliebig auch ihre Auswahl, einmal aus den Landesstudios, dann wieder aus den Bereichsleitern der Musikredaktion. Und so das Kraut-und-Rüben-Programm des Sonntags "Aus dem Konzertsaal": Live-Sendung oder meist aufgezeichnet, Tripelreihe mit Brusatti (Wagner), Schubertiaden, die obligaten Funkhaus-Orgeltermine (kostet wenig), dann wieder Symphonisches, nicht immer erste Qualität, Nachwuchs. Kammermusik mit klassischer und romantischer, leider wenig frühmoderner Musik zum angenehmen Sonntagsausklang war schon lange nicht mehr der Hauptcharakter der Sendung. Der jüngste Gipfel der Enttypisierung des Sonntagsabendskonzerts: ein abenteuerliches Sammelsurium mit zahlreichen Ausschnitten aus kürzeren Stücken (Konzertsaal?), aus Lohengrin, Walküre, dann "Dvoráks" Festmarsch op. 54, Original-Schrammelmusik von Johann Schrammel, gespielt von Karl Hodina auf der Harmonika und Edi Reiser auf der Kontragitarre am 20. November 2016 "In honorem Francisci Josephi" am 100. Todestag am 21. November 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20161120/450997). Es kam, wie es kommen musste. Aufgrund andauernder Vernachlässigung durch die Ö1-MitarbeiterInnen über die Jahre - weil Sonntag keiner gern ins Funkhaus geht? - war die Sendung solange zum Mißstand verdammt, bis sie nicht mehr zu retten war - der erste Stein zum Anstoß der Neuaufstellung als ein "Ö1 Kunstsonntag", wie wir ihn nun seit 1. Mai 2017 haben.



h. Abgewatscht von Oliver Baier: Markus Hinterhäuser im Café Sonntag



Werturteile sind nicht in der Natur dieser Arbeit,

sowohl was die Komposition,

als auch was die Aufführung und das Hören betrifft.

(Cage 1961, 59. Übers. P.M.)



Das voraufgezeichnete Interview auf Ö1 wie schon seit Langem auf Ö3, unterbrochen von Musik, oder soll man sagen: Musik, garniert mit Talk? Sonntag, 9 Uhr 05, die Notlösung nach dem Scheitern von "Schiff ahoi" als Nachfolge des Radio-Politkabaretts "Guglhupf". Am 13. Mai 2012 zu Gast ist Markus Hinterhäuser, der langzeitige Pianist und Kammermusiker für zeitgenössische Musik, der Begleiter von Brigitte Fassbaender, Gründer und Leiter des Salzburger Zeitfluss-Festivals, Konzertdirektor und 2011 Intendendant der Salzburger Festspiele. Die Musikauswahl ist offensichtlich ohne Hinterhäuser getroffen worden: Leonard Cohens Suzanne, Schuberts Trockne Blumen mit Jochen Kowalski und Markus Hinterhäuser, sodann Al Greens Too much, Heller/Qualtingers Wean du bist a Taschenfeitl, Kürzestausschnitt aus Beethovens Sechster, Ryuichi Sakamoto.

Oliver Baier, der sich die Sendereihe mit einer weiblichen Talkerin teilt, blödelt sich in die Sendung hinein mit einem Hurch“ als dreifachen kleinen Schwarzen, nachdem seit Kurzem einem größeren Publikum bekannt ist, dass das die Sonderbestellung eines Wiener Festivalleiters ist (Manfred Rebhandl, Café Engländer: Das Buch der Bücher. Reportage http://derstandard.at/2000050325872/Cafe-Englaender-Das-Buch-der-Buecher, 7. Jänner 2017, 10:00), oder einem mit Humor schlechten Geschmacks so bezeichneten Mitterlehner“ als koffeinfreier Kaffee, nach dem österreichischen Ex-Vizekanzler.

Sogleich lenkt Baier das Gespräch auf das anscheinend von ihm gewählte Sendungsthema Kulturförderung mit dem Titel "Droht der Kulturinfarkt?" Er tut das offenbar, ohne Hinterhäuser vorab informiert zu haben und ohne genau zu nennen das soeben erschienene Buch von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz ( Haselbach/Klein/Knüsel/Opitz 2012). Wohl gab es hier wie sonst auf Ö1 bis zum Zeitpunkt der Sendung keine adäquate Diskussion dieses demagogischen Machwerks. Baier quasi beehrt sich gleich eingangs, Platons Diskussion der positiven oder negativen Rolle der Musik in dessen "Staat" zu streifen und, irgendwie ein Zwischenglied auslassend, Hinterhäuser scheinheilig zu fragen, für welche Musik denn Hinterhäuser sei. Leider sagt Hinterhäuser nicht, für welche Musik er nicht ist (nämlich Popmusik). Aber seine Antwortet ist nicht schlecht, wenn auch unklar bleibt, was die Instrumentierbarkeit von Beethovens Neunter damit zu tun hat. Baier redet betont deutsch“ und schnell, „aber, aber ...“.

Doch dann kommt schon der damalige Sendungsverantwortliche UND Kellner herbei, der langjährige, erfolgreiche Leiter von "Im Gespräch", Michael Kerbler. Kerbler bringt Baier etwas gegen den „dürren Hals“, was kurz die Frage suggeriert: Kommt Baier verkatert ins Studio? Was wäre der Sinn, das auch nur zu fingieren? Das bleibt unklar. Kerbler bringt die Cafe-Sonntag-Karte: Schuhs Glosse, 1. Akt 19. Szene von ... , etc. etc. Dann leitet Baier Cohen's Suzanne ein, eine unbenannte Live-Aufnahme und will damit boulevard-typisch Hinterhäusers Jugend definiert haben. Baier zielt das erste von zahlreichen Malen anlassig auf die Person Hinterhäuser: „Persönliche Beziehung zu Cohen“? Hinterhäuser viel zu ehrlich: "Ja, nicht persönlich, aber ...". Hinterhäuser bringt freie Assoziationen, die unbedingt nachgefragt hätten werden müssen. Baier ignoriert das.

Offenkundig liest Baier Fragen ab oder hat sie einstudiert, denn so schnell kann kein Baier vier Komponistennamen hintereinander nennen. Hier und auch später erfahren wir nichts über Hinterhäusers Arbeit. Nach kurzen Ausführungen zu Schönberg und Ives von Seiten Hinterhäusers kommt, ohne Worte, abrupt, ja überfallsartig „Schöne Müllerin“, wobei Schubert erst beim Absagen genannt wird.

Einmal gerät Hinterhäuser kurz ins Wanken. Die Gesellschaft schütze Minderheiten, eine prekäre Aussage, denn Hinterhäuser meint eine sogenannte Minderheit der Hochkultur. Das bleibt natürlich, wie fast jede These in der Sendung, von Baier unaufgegriffen.

Nach 19 Minuten und 24 Sekunden zitiert Baier hinterhältig Nikolaus Harnoncourt, den er gegen Hinterhäuser in Stellung bringt. Baier: "'Die Zwölftonmusik ist eine Musik wider die Natur' ... Stimmt das?" Davon stimmt, dass sich Harnoncourt gelegentlich gegen Schönbergs Zwölftonmusik aussprach, im herangezogenen Interview aber einräumte: "Es gibt in der Natur keine Skala, die für Musik brauchbar ist. Dur oder Moll oder Kirchentonart: das ist immer irgendwie konstruiert. ... Die Zwölf-Halbton-Skala ist ein sehr komisches, merkwürdiges, unverständliches Konstrukt. Aber daß mit einer so perversen Skala so tolle Musik gemacht werden kann, das finde ich großartig." Und kurz darauf: "Zeitgenössische Künstler sind für mich so etwas wie Brückenbauer: Sie bauen Brücken in den Nebel hinein und wissen nicht, ob das andere Ufer überhaupt da ist. Sie komponieren und komponieren im totalen Vertrauen darauf, dass es ein anderes Ufer gibt, und dass es dann irgendwo wieder weitergeht. Das finde ich groß. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht mit in diesem Nebel bin." (Harnoncourt/Buening 1997) Soviel zur Ehrenrettung Harnoncourts, aber noch mehr zur Verteidigung Hinterhäusers. Von ihm kann nicht verlangt werden, dass er gegen einen solchen teuflischen Angriff gewappnet ist. Er, der eigentlich während der ganzen Sendung bekämpft wird, wehrt sich dennoch tapfer.

Dann kommt Franz Schuhs eingespielte Glosse. Spätestens jetzt hätte die angebliche Randfunktion der ernsten Musik zu einem zentralen Gewicht aufrücken müssen. Denn, so Schuh, Rousseau sei ein Kunstfeind gewesen; die Romantiker dagegen hätten das Kunstwerk absolut (anstelle der Religion) gesetzt - was so nicht stimmt, auch weil Rousseau kein Kunstfeind allgemein, sondern ein Theaterfeind in einer besonderen Hinsicht war, auch selbst komponierte, zum Opernstreit Mitte des 18. Jahrhunderts wesentlich beitrug. Aber wie soll Hinterhäuser gegen Schuh Einspruch erheben, wenn Baier gleich zum nächsten Punkt übergeht?

Hinterhäuser 'erlaubt' sich darauf hinzuweisen, dass die kleinen Kulturinstitutionen ausgetrocknet werden. Darauf Baier plump und unsachlich: „Wo ist hier das Thema des Kulturinfarkts?“ Hinterhäuser, höflich, bringt nur heraus: Hier vom „Kulturinfarkt“ zu sprechen ist problematisch, weil was einmal verloren ist, nicht wiederkommt. Wenig plausibel. Baier, offensichtlich pro Kulturinfarkt-These, beklagt "zuviel vom Selben", ohne Hinterhäuser etwa mit Freuds These zum Unbehagen der Kultur Gelegenheit zur Reflexion zu geben. Hinterhäuser stimmt Baier zu, wenn auch nur vorläufig: Es brauche auch zweitrangige wie die NÖ Tonkünstler. In diesem Punkt sei das Buch „so unsympathisch, so unsympathisch“, sagt Hinterhäuser, ohne dass er seinen Vergleich mit Bayern München und Bruce Springsteen bündig durchführen würde. Doch das interessiert Baier gar nicht. Abrupt und grob setzt er einen Schnitt.

Ober Michael baut sich auf, um einen Dialog von Hugo von Hofmannsthal und einem Zyniker aus Karl Kraus' Letzten Tagen der Menschheit einzuspielen.

Auch danach lässt Baier nicht locker vom Kulturinfarkt, vom „Buch, über das wir gesprochen haben“. Ach so? Gesprochen und vor allem über das Buch. Nicht einmal die Hauptthese wurde von Baier vollständig angegeben. Baier kratzt mehr oder weniger elegant die Kurve mit der Frage, was ärger sei für Hinterhäuser, das Buch oder Salzburg (wo Hinterhäuser damals nicht Intendant wurde)? Blöder und heimtückischer geht es wohl nicht. Hinterhäuser lässt sich sogar darauf ein. Auch in diesem Moment kommt das Gefühl auf, dass uns eine Information abgeht (nämlich dass es eben Pereira und nicht Hinterhäuser geworden ist, wegen Landeshauptfrau Burgstaller et cetera et cetera ... gähn!)

Schnitt - Baier: "Wean du bist a Taschenfeitl" (Heller und Qualtinger werden gleich singen). Baier, sich gebärdend wie der Intendant seiner Sendung, zu Hinterhäuser, diesen aufs rednerische Glatteis führend wollend: "Sie sagen es auf hochdeutsch an!“ Nicht einmal ein Baier haushoch überlegener Radiomann wie Howard Stern würde es so billig geben wie Baier hier. Offensichtlich plustert sich ein Wiener gegenüber einem Nichtwiener auf, zumal der in La Spezia geborene, wenn auch in Wien studierte Österreicher Hinterhäuser sein Amt mit einer 'echten' Nichtösterreicherin, nämlich Şermin Langhoff, anzutreten vorhat, der heutigen Leiterin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. (Wo in der Sendung bleiben diese Basisinformationen?) Was hätte sich erst Langhoff gefallen lassen müssen? Hinterhäuser wenigstens: „Nein, ich mach' mich sicher nicht lächerlich!“ Baier nach dem Lied indiskret und weiter antagonistisch: „Herr Hinterhäuser, Sie haben sich geweigert, aber Sie haben während des Lieds mitgesungen“.

Dann eine besondere Bosheit von "Café Sonntag" gegenüber der klassischen Musik. Zwei Minuten aus dem zweiten Satz von Beethovens Pastoral-Symphonie wird Ö3-mäßig zum kaum hörbaren bloßen Musikbett für einen Gesprächsabschnitt degradiert. Hinterhäuser sagt, dass er diese Musik als Kind geliebt habe. Aber ich, Ö1, zeige Dir, wie man mit klassischer Musik umgeht - Baier schelmisch: „Habe mir erlaubt, etwas von der 6. Symphonie zu spielen.“ Und es folgen abrupt nach dem Musikbett im Sinn der Baierschen Nivellierung 40, 50 Sekunden anästhesierender Klavierkitsch (Sakamoto), der nicht an- und abgesagt und auch auf der Webseite nicht verzeichnet wird. Doch damit nicht genug an Kunstfeindlichkeit. Kabarettist Alf Poier muss fortsetzen. Auf die Frage, wie seine Kunstwerke entstehen, kommt die Antwort: „Papier, Farben und male dann einfach … i was net, wie es die anderen … jeder Depp kann Kunst studieren, Hitler schaffte zwei Mal die Aufnahmsprüfung <hätte schaffen sollen?>, es wäre uns viel erspart geblieben … seitdem nehmen Kunstakademien jeden“. Ach ja, das wäre wenigstens ein bisschen lustig, wenn es denn nur stimmte und auf seine Weise nicht hintertrieben wäre. (Bitte in journalistischer Redlichkeit die niedere Quote erfragen, mit der Aufnahmsprüfungen bestanden werden!)

Zum Schluss drangsaliert Baier Hinterhäuser noch mit einem ebenso nichtssagenden wie anonymen Posting zu seinem Gefühl zu Alexander Pereiras und nicht seiner eigenen Wahl (Gnaaade!) und meint mit einem falschen, schwachen Witz zur fingierten Konsumtion: „Die Rechnung übernehme ich aus meinem privaten Kulturbudget“.

Oliver Baier war für Ö1 eine Fehlbesetzung. Mit seinem demonstrativ unverhüllten Ö3-Stil wirkte er wie das Vehikel des Versuchs, ein trojanisches Pferd in das Lager des Feindes Ö1 zu schleusen. Baier, der auf Ö3 vor langer Zeit, 1995, mit dem später langjährigen Ö3-Wecker Hary Raithofer die gelungene zweistündige Live-Outdoors-Sendung "Pleiten-, Pech- und Pannendienst" machte, hat, verallgemeinernd gesagt, nur in den seltensten Fällen den Gästen wirklich etwas zu geben. So stellt sich generell die Frage bis Ende April 2017, als die Sendung abgeschafft wurde: Wieso durften teilweise "Café Sonntag" und zur Gänze „Nachtquartier“ von 0 Uhr 05 bis 1 Uhr nicht Inhalte und Musik widerspiegeln, für die Ö1 steht?

Noch zwei Belege dafür, dass das Unverständnis gegenüber klassischer und zeitgenössischer E-Musik, wenn auch im zweiten Fall nicht die Niedertracht, ein Problem ist, an dem Ö1 massiv laboriert.

Der eine Beleg: "Intermezzo - Künstlerinnen und Künstler im Gespräch. Komponist Manfred Trojahn im Gespräch mit Dorothee Frank. 12. 2. 2017" Trojahn: "die Unterscheidung von U-Musik und E-Musik. Ich bin sehr geprägt von der Unterscheidung ... <es ist> schwer zu akzeptieren, dass wir einen vollständigen Gleichklang in der Bewertung haben". Frank: "Aber hören Sie Dinge, die nicht Konzertsaalmusik oder nicht klassische oder zeitgenössische Musik sind?" Trojahn: "Was soll ich denn anderes tun? ... wir können ihr ja gar nicht entgehen. Wo wird sind und wo wir gehen, klingt ja überall Musik. Und selbstverständlich ist es auch interessant, wenn man dann auf etwas stößt, was einen interessiert dann, plötzlich dann zu begeistern und eventuell dann auch CDs zu kaufen, von denen man vor dreißig Jahren noch nicht gedacht hat, dass man da tatsächlich dazu neigt." Frank: "Zum Beispiel?" Trojahn: "Ich habe dann irgendwelche französische Popmusik ganz gern. Es gibt englische Popmusik von Mumford & Sons, sodass solche Gruppen, die mich dann plötzlich 'mal interessiert haben. Und irgendwann schwimmt das dann auch wieder weg. Dann interessieren Sie mich gar nicht. Und von daher, ich bin da jetzt auch nicht so namenfixiert. Vielleicht ist es manchmal auch eine spannende Sängerin, die mich dann interessiert." Erst jetzt gibt sich Frank zufrieden.

Der andere Beleg ist einem anderen Gespräch mit Hinterhäuser zu entnehmen. Er belegt die Unverfrorenheit eines anderen Ö1-Journalisten, der musikalisch durch seine ausschließliche Beschäftigung mit Popmusik bekannt ist - wieso sprach nicht die diplomierte Kulturwissenschaftlerin und Klassikexpertin Susanna Dal Monte mit Hinterhäuser, oder Gernot Zimmermann? "Im Journal zu Gast", das längste, allgemeine Interview auf Ö1, traditionsreich im samstäglichen Ö1-Mittagsjournal seit der innovativen Interviewführung durch Rudolf Nagiller mit Diskussion des sachlichen Schwerpunkts und einem Blick auf die Person, fragte ein nicht so ganz sicherer, beinahe stotternder Wolfgang Popp: „Sie gelten jetzt vor allem, allem als E-Musik-Experte, man bringt sie also mit der Populärmusik jetzt überhaupt nicht in Verbindung, in Beziehung. Jetzt ist vor zwei Tagen Prince gestorben, der ja auch als Virtuose einer Ihnen jetzt möglicherweise ganz fremden Musikgattung gilt, Virtuose jetzt nämlich als Komponist als auch als Instrumentalist, der fast ein Dutzend, ich glaube ein Dutzend, Instrumente gespielt <hat.> Gibt's da Affinitäten. Wie sehen Sie einen Künstler wie Prince?“ (23. 4. 2016, ab 12:31:23 Uhr) Wenn man nicht der Teufel ist und nicht des Teufels Advokat, welch letzterer sich fairerweise immer als solcher ausgibt, sollte man sich hüten, das Böse nachzuahmen. Sonst könnte die Schwärze das Grün hinter den Ohren ersetzen, anstatt dass das Radio die Helle der Erkenntnis hervorbringt.



i. Anti-Schönberg – zum Hintergrund der zeitgenössischen E-Musik in Ö1



Ich gehöre noch zu einer Generation,

die eher im Rundfunk als im Fernsehen den Kulturgefährten sieht.

Von beiden fortwährend monologisierenden Spendern

ist mir das Radio immer noch instinktiv angenehmer,

weil der Informationsfluß aus dem Lautsprecher

ohne Bild am besten einen Dialog mit mir selbst zuläßt.

Der Rundfunk als Ausdrucksform ist mir sogar in seiner

angeblich nicht vorhandenen optischen Dimension vertraut;

es ist dies nicht das erste Mal, daß ich

als Ausgangspunkt einer spezifischen akustischen Komposition

eine visuelle Situation wähle. Bereits "Soundtrack",

eine Hörspiel von 1975, hatte zum Thema

die Eigendynamik der Gedanken von Familienmitgliedern,

die, vor dem laufenden Westernfilm am Fernsehgerät versammelt,

mit gleichzeitig vorgetragenen Monologen,

die so zu Scheindialogen wurden,

ihre Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit allabendlich dokumentierten.

(Kagel <1980>)



Dass die zeitgenössische Musik oder Musik der Gegenwart - E-Musik im Gegensatz zu U-Musik, serious music im Gegensatz zu popular music - einen schweren Stand hat, ist keine Besonderheit von Ö1. Es erstreckt sich auf nahezu alles, was der Neuen Musik widerfährt und widerfuhr.

Debussy und Ravel, wenn es noch Neue Musik ist, werden auf Ö1 noch am öftesten gespielt, Skrjabin hin und wieder. Natürlich: Schostakowitsch, Britten, Gershwin - und das geht ja auch in Ordnung. Aber schon Schönberg, wenn es über sein Frühwerk und insbesondere "Verklärte Nacht" hinausgeht, wird in Ö1 so gut wie nicht gesendet. Der Volksopern-Dramaturg und Opernball-Glossator Christoph Wagner-Trenkwitz, heute erstaunlicherweise Mitglied des Stiftungsvorstands des Arnold Schönberg Center Wien, brachte in einem Klassik-Treffpunkt – es muss 1998 oder 1999 gewesen sein – 90 Minuten lang zuwege, dass Christian Meyer, der zum Zeitpunkt der Sendung schon ein, zwei Jahre lang das damals neue Schönberg Center geleitet hatte, mit Ausnahme eines Ausschnitts von Ein Überlebender von Warschau provokativ nichts von dem einbringen konnte, wofür Schönberg und seine Schule - von dieser war überhaupt nichts zu hören - berühmt sind und von globalem Einfluss waren: die freie atonale und die Zwölftonmusik. Als ob Schönberg Spätromantiker gewesen wäre und nicht ein Moderner. Dabei war die Sendung "Klassik-Treffpunkt" damals noch sehr auf die musikalische Identität der Gäste in Tuchfühlung mit "klassischer" Musik zugeschnitten. Es war schlechter Stil wenn nicht unterschwellige Gehässigkeit von Wagner-Trenkwitz also, wenn man bedenkt, dass Schönberg damals längst als einer der bedeutendsten Klassiker der heute 'klassisch' genannten Moderne galt.

Diese Ignoranz, um zu weiteren Beispielen zu kommen, erstreckt sich etwa auf "Luft von anderem Planeten", die Zeile aus Entrückung von Stefan George, aus welchem Gedicht Schönberg in seinem Zweiten Streichquartett singen lässt. Sie wird als Titel für "Ö1 bis zwei" verwendet, ohne dass Schönbergs Musik und Georges Gedicht in der Sendung auch nur irgendwie vorgekommen wären. (Albert Hosp, 25. 2. 2015 http://oe1.orf.at/programm/20150225/380337)

Die Ignoranz enthüllt sich als offenes Ressentiment im Fall von Peter Kislinger. Zum Beispiel seine Moderation des "Konzerts am Vormittag" am Mittwoch, den 31. Dezember 2014 (https://oe1.orf.at/programm/393345): “Auf den ersten Blick könnte man ihn <den griechischen Komponisten Nikos Skalkottas> auf einem Foto mit Anton Webern verwechseln. … Skalkottas war Schüler von Schönberg, GANZE <Betonung Kislinger> sieben Jahre lang, bis 1933 in Berlin. Skalkottas ist der Verfasser relativ streng gebauter, der Komposition mit 12 nur aufeinander bezogener Töne verpflichteter Werke. Und gleich die Entwarnung: Seine 'Griechischen Tänze' sind in Griechenland populär geworden. Sie verwenden zwar auch zwölf Töne, aber nicht nur aufeinander bezogen. <wie lustig!> Sogenannte ZWÖLFTON<Betonung Kislinger>-Musik ist daher nicht zu befürchten.” Entgegen der seit Christian Scheib als Musikchef geübten und geförderten Toleranz des Zeitgenössischen darf Peter Kislinger regelmäßig gegen die Avantgarde auszucken. So auch am 3. 6. 2015 in "Ö1 bis zwei" inJoseph Horovitz: Klarinettenklassiker“ (weil es sich so schön stabt): 'Musik von einem ganz reaktionären, vom Jazz beeinflussten, fast verbissenen Tonalisten.' So hat sich Joseph Horovitz einmal selbst beschrieben, und dann hat er noch gesagt: 'Bis dahin war es ein weiter Weg.' ... Der aus einer ungarisch-jüdischen Familie stammenden Vater Bela Horovitz war <Mit-!>Gründer des Wiener Phaidon-Verlags <kein Komma oder Punkt zu hören> 1938 gelang die Flucht nach London <kein Komma oder Punkt zu hören> Vater Bela starb 1955 in New York. ... Horovitz nennt es unbeschwerte Musik, was schwer genug zu schreiben ist und im Gegensatz zu so mancher Musik, die sich als Avantgarde versteht, gar nicht leicht zu spielen.“ Kislinger spielt dann gegen die Regel von "Ö1 bis zwei" ein mehrsätziges Werk durch. „Im Studium, da musste er schönbergsche 12-Ton-Theorie-Übungen abliefern. Das war wie Kreuzwort-Rätsellösen. Aber mitteilen konnte er sich mit dieser Arithmetik nicht."

Weiters Stefanie Maderthaner zu Elisabeth Leonskajas Klavierabend aus dem Großen Musikvereinssaal am 28. 11. 2016 in der Sendung "Aus dem Konzertsaal" am 1. 1. 2017 um 19 Uhr 30. Maderthaner präsentiert Leonskajas ganz natürlich vorgetragene Suite opus 25 von Arnold Schönberg aber so: "Interessant an Schönberg ist ja sein optimistischer Fatalismus. Er glaubte ja wirklich, mit einem Schlag die Hörgewohnheiten von vielen Jahrhunderten einfach wegwischen zu können, mit seiner <Grammatik!> zwölf nur aufeinander bezogenen Töne <Grammatik>. Ein Rundumschlag." Nicht gerade respektvoll. Immerhin gesteht Maderthaner zu: "Interessant an Schönberg ist auch seine künstlerische Vielseitigkeit." (nach 19 Uhr 42)

Wieviel Antisemitismus - und dass das offensichtliche Ressentiment gegen Schönberg auch ein antisemitisches war, wird niemand bestreiten, der weiß, wie eng die Ablehnung der modernen Musik der Wiener Schule an Antisemitismus gekoppelt war - auch noch in die jüngste Gegenwart von Ö1 hineinwirkt, ist die Frage, die nicht abzuweisen ist.

Gewiß, aus dem Arnold Schönberg Center, das hauptsächlich aufgrund der Großzügigkeit und des Engagements von Nuria Schoenberg Nono, ihren Brüdern und deren Kindern 1998 in Wien gegründet wurde, sind Konzerte in Ö1 gebracht worden. Aber dass der Geist Schönbergs in Ö1 gebührenden Platz fände, davon kann keine Rede sein. Wäre dem so, würde die gesamte Moderne von Skrjabin bis zu ihrer Erschöpfung und dem Bruch in der zeitgenössischen Musik der 60er Jahre regelmäßig und angemessen auf Ö1 gespielt werden (auch wenn der aktuelle Konzertbetrieb dazu nicht gerade viel hergibt). Das Gegenteil ist der Fall. Noch der aufgeschlossenere Otto Brusatti glaubt in seinem "Zeitton Extended" „Arnold Schönberg und das 21. Jahrhundert“ in der vielleicht etwas zu kleinteiligen aber doch alle Schaffensphasen des Protagonisten repräsentierenden Freitag/Samstag-Nacht vom 22. auf den 23. 7. 2011 (http://oe1.orf.at/programm/20110722) am aktuellen Konzertbetrieb Maß nehmen und sagen zu müssen: „Es gibt noch immer Leute der Historie, der vergleichenden Ästhetik, des Musikmarketings, die ihn den vielleicht innovativsten Künstler des 20. Jahrhunderts nennen. Doch dann - ein Blick in die gegenwärtig gängigen Musikprogramme aller Art: ist Schönberg noch aktuell, oder - beinahe brutaler gesagt - ist Schönberg wirklich noch so interessant, wie er einst vielfältig und wegweisend gewesen ist?“ Und schiebt die Verantwortung von sich: "Die Schönberg-Forschung ist zwar riesig angewachsen, hat es jedoch nicht zuwege gebracht, den Meister der Spätromantik, des Expressionismus und der Zwölftonmusik entsprechend offen zu positionieren." Da wirkt es dann schon etwas scheinheilig wie unfreiwillig bekennend am Schluss der Sendungsbeschreibung: „Die neue Nachtmusik-Schiene wird bemüht sein, stets besondere Überraschungen mitzubringen, inhaltlich wie interpretatorisch. Die Grenzen ziehen da höchstens die von uns selbst vorgegebenen Rahmenbedingungen, nicht aber die Inhalte oder die Ausführungen und Spekulationen im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends.“ (http://oe1.orf.at/programm/20110722/225954) Einzig Mirjam Jessa hat sich getraut, immerhin, am 21. 1. 2015 den Sprechgesang Robin Williamsons (Incredible String Band) mit demjenigen in Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire zu vergleichen (http://oe1.orf.at/programm/20150121/374442) und zwar in der ehemals schwerpunktmäßig auch der World-Music gewidmeten Sendereihe der "Spielräume". Aber hatte sie den Mut, in ihrer Sendung auch wirklich ein Stück aus Pierrot Lunaire zum Vergleich zu bringen? Nein. Es wäre nur gerecht gewesen. Wie oft muss die Klassiksendung "Ö 1 bis 2" zu mitunter gewagten Bezugnahmen zu Jazz und avancierter Volksmusik herhalten?

Die Heftigkeit, mit der sich Georg Friedrich Haas im Jahr 2016 mehrfach zu Wort gemeldet hat, muss auch hinsichtlich eines möglicherweise weiterhin existierenden musikalischen Antisemitismus ernst genommen werden. "Ich habe weiterhin die mühsame Arbeit vor mir, ... die unterschwelligen Nazismen meiner Sprache zu erkennen und zu entfernen." (Haas 2016b, 68) "Ich wurde von meiner Familie indoktriniert und habe erst in meiner Studienzeit begriffen, dass meine Eltern Verbrecher waren und meine Großväter Mörder. Darüber konnte ich nicht reden, die Scham war so groß, dass ich das in meiner Musik verborgen habe. Erst jetzt, wo ich in die USA übersiedelt bin, und bezeichnenderweise mein erotisches Coming out gemacht habe, fühle ich mich frei und mutig genug, darüber zu sprechen. Und ich glaube, es ist in Österreich notwendig, dass man darüber spricht, welches Netzwerk an Altnazis hier wirksam war. Ich bin Zeuge dieses Netzwerks, weil ich in den ersten zwei Jahrzehnten selbst Bestandteil dieses braunen Sumpfes gewesen bin." (Haas/Günther 2016, 72) "In Wien zogen jüdische Familien bettelnd von Haus zu Haus, um zu überleben. Als sie bei meinem Großvater klingelten, rief er die Gestapo und lieferte sie aus. Ich glaube, dass er wie Eichmann ganz genau gewusst hat, was er da tut. Dass er vielleicht sogar Mitleid mit den Menschen hatte und sein Herz ihm sagte: Gib ihnen zu essen und zu trinken, lass die Kinder hier schlafen, und schick sie morgen wieder weg. Aber seine irre Ideologie und sein verdammter Ehrgeiz haben ihn fehlgeleitet. Für mich als Künstler war das eine einschneidende Erkenntnis. Einer der Gründe, warum ich als Komponist so emotional bin, sind diese Überlegungen." (Haas 2016a)

Und auch noch Irene Suchy, die als Kennerin der Moderne und der zeitgenössischen Musik eigentlich wissen sollte, was sie tut. "Intrada. Musik, Markt, Medien" am 5. Mai 2017. Die Sendereihe, die seit dem 1. Mai 2017 um eine halbe Stunde gekürzt ist, hatte sich über die Jahre zu einem lebendigen Forum für die österreichische Musikszene auch mit Interviews und Rezensionen entwickelt. Aber der antimoderne Affekt macht am 5. Mai auch um sie keinen Bogen. 10 Uhr 30. Suchy bringt einen kurzen Hinweis zum Geburtstagskonzert von Nuria Schoenberg Nono am Abend, in dem auch die ehemalige Ö1-Musikchefin Heide Tenner mit Schoenberg Nono sprechen wird: "Das Merlin Ensemble gibt die beiden Kammersymphonien von Arnold Schönberg und Walzer von Johann Strauß. Und zwar jetzt gibt es auch einen Alpenkönig Galopp von Johann Strauß Vater." Es folgen 1 Minute und 28 Sekunden mit Strauß' Alpenkönig Galopp op.7 in Bearbeitung für zwei Violinen und Kontrabass, gespielt vom Merlin Ensemble Wien. Vielleicht wurde Suchy zu diesem Fehlgriff verleitet vom Haupttitel "Fast alles Walzer!", unter den das Konzert im Großen Sendesaal gestellt wurde - schon dieser Titel ein Fall für den Freudschen Term 'Verdrängung' angesichts der zu ehrenden Person. Wenn schon nicht einen Vorgeschmack bietend auf Schönbergs opus 9 im Webern-Arrangement des Ensemble Musique Oblique unter der Leitung von Philipp Herreweghe - es darf in Intrada ein Stück auch länger als 5 Minuten sein, und das Schönberg Center hätte die Aufnahme sicher gerne als Audiodatei übermittelt! - , dann wäre das die Gelegenheit gewesen, etwas von Schönberg zu spielen oder auch Luigi Nono, der im Konzert am Abend außer durch Tenners Fragen zur Gänze abwesend war.



j. die Musikfünftelstunde und die zeitgenössische Musik. Ö1 pro Kitsch



Eine Hausfrau singt vor sich hin

und macht das Radio an,

während sie gleichzeitig die gegen das Radio

gerichteten Kräfte für ihre Arbeit aufbaut.

(Deleuze/Guattari 1997, 424)



Traditionell schloss das Radiokolleg montags bis donnerstags ab 9 Uhr 45 mit einem dritten Teil ab, einem kolleghaften Beitrag über Musik. Zählt man aus der Zeit seit 2012 Themen der klassischen und zeitgenössischen E-Musik (davon hier das 20. Jahrhundert in Klammern) - Mischsendungen mit anderer Musik sind teilweise mitgezählt - , dann wurden ihr

2012 14 (4),

2013 19 (7),

2014 15 (2),

2015 16 (6),

2016 13 (3),

2017 bis 27. April 7 (2)

Sendungen gewidmet. Nicht gerade viel für einen Klassiksender im weiteren Sinn! Zudem waren davon im betreffenden Zeitraum gerade einmal 19 Sendungen der hochkulturellen E-Musik des 20. Jahrhunderts gewidmet. Davon galten in diesen mehr als fünf Jahren wiederum ganze neun (!) Wochen einzelnen oder Gruppen von E-Musik-KomponistInnen nach 1945: Sounddesign und Klangkunst im urbanen Raum; Cages Kollegen Copland, Feldman, Cowell und Nancarrow; Zeitgenössische Musik und die Natur; der Komponist Kurt Schwertsik; Echtzeit-Elektronik und Klangforschung am Ircam; der Komponist Karl Schiske; Wie Marino Formenti das Konzert neu erfindet; Pionierinnen elektroakustischen Musik; Vintage-Avantgarde von Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch.

Was die zeitgenössische E-Musik und ihre Hintergründe betrifft, die zu reflektieren Aufgabe des von Albert Hosp verantworteten Musikteils des Radiokollegs wäre, geht es also in Ö1 ziemlich konservativ zu. Wer über zeitgenössische Musik belehrt werden will, wer analysieren und tiefer verstehen will, kann das nicht mit dem Programm von Ö1 tun. Hier hilft auch der Zeit-Ton kaum. Eine sporadisch stattfindende 90minütige Sendung wie „Ach, der Zeiten Wandel“ um 2000 herum von Albert Hosp und Helmut Jasbar, in der nicht einmal wirklich fachgesimpelt, aber auf sehr gutem Niveau allgemein über Musik von verschiedenen Seiten her diskutiert wurde und zurecht der „dtv-Atlas der Musik“ zur Lektüre empfohlen wurde, wäre heute für die zeitgenössische Musik dringend nötig. Dazu gehört, dass im Morgenjournal, Mittagsjournal und Kulturjournal (von den restlichen Nachrichtensendungen zu schweigen) keine Berichte über klassische und E-Musik gebracht werden, wenn nicht gerade, und auch dann sehr selten, Prominenz stirbt. Pop ist Trumpf, sowohl im Morgen- wie im Mittagsjournal. Entsprechend kann eine JournalmoderatorIn wie Andrea Maiwald in einer ihrer Anmoderationen ihre Sympathien nur für Norah Jones zum Ausdruck bringen. Pierre Boulez dagegen, einer der zentralen Komponisten und Dirigenten und Gründer gleich mehrerer prägender Musikinstitutionen des 20. Jahrhunderts blieb im Mittagsjournal-Jahresrückblick auf die 2016 Gestorbenen unerwähnt.

Gilt der Begriff Kolleg(ium) für eine akademische Lehr- und Studiengemeinschaft, dann darf im "Radiokolleg" zumindest Oberstufenniveau erwartet werden. Nur dann gilt: Der Radiokolleg-Musikbeitrag "verbindet Expertenwissen mit Alltagserfahrung und Hintergrundinformation mit Reflexion. ... Führt von den Wissensgrundlagen zu neuen Zusammenhängen und Einsichten." (http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/R, online bis 30. April 2017) Wird Expertenwissen musikalisch veranschaulicht? Findet Reflexion so statt, dass sich neue Zusammenhänge auftun? Im folgenden zwei diskutable und zwei indiskutable Beispiele.

Vorausgeschickt sei, dass die Qualität der Sendereihe merklich einbüßt durch die ganz heruntergespielte Programmreform im Frühjahr 2016 („Ihr Sender im Überblick“ http://oe1.orf.at/sendeschema, accessed 1. 10. 2016) und ihre in aller Stille vorgenommenen Reduktion der Länge der Sendung um 20 (!) Prozent - seit dem 1. Mai 2017 ist die Länge schwankend ein klein wenig mehr. Wohl wird noch jahrelang das Wort "Musikviertelstunde" im Munde geführt werden, wie noch vor Kurzem Kultur aktuell“ von 7 Uhr 22 bis 7 Uhr 30 auf der Webseite angegeben war, obwohl seit vielen Jahren nur mehr zwei, und das nicht immer, Kulturbeiträge zu je maximal drei Minuten ohnehin im Morgenjournal aufgelöst waren und bis heute sind. Am 15. 5. 2017 durfte sich im Morgenjournal (I) die Innenpolitik über Kurz' Bestellung zum ÖVP-Parteiobmann 29 (!) Minuten lang ausbreiten - davon allein sieben (!) Minuten ein Gespräch mit SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder - dass Klaus Webhofer das Ausbleiben des Kulturbeitrags über die Highlights der Biennale von Venedig nicht einmal mehr entschuldigte, beweist nur die Ignoranz der "Informations"-Abteilung gegenüber der Kultur. (Übrigens war der Beitrag bereits im Kulturjournal am Freitag davor gesendet worden, was Klaus Webhofer offensichtlich entgangen war.) Es sind also seither kaum mehr als 12 Minuten Musikviertelstunde, nicht eingerechnet die meist wenig substanziellen, einleitenden und abrundenden Worte der Moderatoren des gesamten Radiokollegs.

Beispiel 1, Stefan Wagner über John Coltrane am Mittwoch, den 21. 9. 2016. Wagner redet viel über Musik drüber (1:39). Keine unterlegte Musik gibt es nur, wenn es O-Ton von Interviews mit Coltrane gibt, die sich akustisch manchmal am Rande der Verständlichkeit befinden. Die hereinkommende Musik ohne Drüberreden um Minute 3:15 wird nicht benannt, auch die bei 5:38, 9:24 und 11:45 nicht. Auch gibt es keine Titelliste auf der begleitenden Webseite (http://oe1.orf.at/programm/20160921/445250). Auf ihr scheint in der Bibliographie „deVito Chris: Coltrane on Coltrane. The John Coltrane Interviews, Chicago Review Press 2012“ auf. Weder wird in der Sendung auf dieses Buch – es ist eine Edition von Coltrane-Interviews, nicht ein Buch über diese – Bezug genommen, noch werden daraus Ergebnisse präsentiert, etwa was denn das Besondere an diesen Interviews ist. So entsteht der Eindruck, dass sich Wagner nur des Buchs bedient, um eben eine Sendung zu journalistischen Zwecken zu machen. Mit Darstellung von Expertise hat das wenig zu tun. Das Konzept des Radiomusikkollegs wäre: aufzuklären, zu diskutieren, Musikwissenschaft als solche zu vermitteln. So hätte das Verhältnis von Musikkritik und Interview thematisiert werden müssen, jener gar nicht so schmale Bereich der Musikkritik, in dem Musiker zur Selbstdarstellung finden, die ihnen aber in Zeitschriften oder Radiosendungen erst einmal von den (damaligen) Musikkritikern eingeräumt werden muss. Dennoch, Wagner geht gut auf Coltranes LP „Impressions“ ein, die er in Richtung einer Erklärung des modalen Jazz nutzt, was ihm wiederum Gelegenheit gibt, Modalität und Atonalität zu differenzieren. Das geschieht mit einfachen, klaren Worten. Coltrane habe sich „mit einigen Werken der Zwölftonmusik auseinandersetzen“ wollen (welchen?), obwohl er sich noch nicht dazu bereit empfand (wieso?). Hier wäre vielleicht nicht so wichtig gewesen, was Coltrane selbst sagte - soweit das von den wenigen gesendeten Sekunden her beurteilt werden kann - , sondern was er und andere damals wirklich taten. Aufschlussreich ist, dass Wagner Eric Dolphys Musik der selben frühen 1960er Jahre und das Unverständnis anspricht, ja die Unwilligkeit der damaligen Kritik, sich mit diesen avancierten Tendenzen auseinanderzusetzen.

Beispiel 2: Brigitte Voykowitsch, Klänge wie Ikonen. Aspekte der christlich-orthodoxen Kirchenmusik, 26. bis 29. September 2016. Ein nicht ganz leichtes Thema, profund gearbeitet. (1) Musik aus Armenien. Wir befinden uns zunächst im 4. und 5. Jahrhundert. Wie leider üblich, wird auch hier viel über die Musik drübergesprochen. Lyrics bleiben leider wenig behandelt. Es geht mehr um die armenisch-apostolische Kirche, deren Behandlung eigentlich als nicht-musikalisches Thema im Radiokolleg nach vorne gerückt gehörte, als Beitrag um 9 Uhr 05 oder 9 Uhr 30. Ein Interviewter wird abgeschnitten, ein Halbsatz käme dazu. Die bewährten Off-Sprecher sind Susanne Rousseau und der ubiquitäre Bernhard Fellinger. Als wichtigstes Genre werden die Hymnen behandelt, die das Leben Christi darstellen. Es wird solo gesungen oder im Chor a capella. Stimme ist im Zentrum, denn Instrumente sind aus totem Stoff, so ist zu erfahren, und sind daher für die Kirchenmusik tabu. Dann geht es um ein Lied über Fußwaschung, verfasst im 13. Jahrhundert, neu arrangiert im 19. Jahrhundert“: was aber wird denn überhaupt arrangiert? Keine Antwort. Voykowitsch bedient sich dreier inhaltlichen Informationsquellen, stellte sicher auch eine Literaturrecherche an. Aber was genau? Erst 1991 mit der Unabhängigkeit Armeniens von Russland öffnen sich die Klöster wieder, auch Frauen dürfen nun singen. (2) Koptische Musik, ab dem 3. Jahrhundert. Es sind keine Partituren überliefert. Wieder bringt Voykowitsch interessante Quellen, aber wieder wird viel über die Musik drübergeredet. Gesang ohne Drüberreden dauert maximal fünf Sekunden. Interessant, dass Melodie, Vortragsart, Klangfarbe und Tempi mündlich überliefert werden. Voykowitsch spricht Verschiedenes an: die Reichsspaltung, verschiedene Riten, die Rolle des Bischofs von Rom, dann die Spaltung der Meinungen über die Frage, wie der Mensch Gott gebären kann, wenn auch ohne die Erörterung der Frage, was das für die Musik bedeutet. Ab Minute 4:50 bis zum Ende (11:32) geht es nur mehr um Kirchengeschichte in harten Absätzen, sprich Montageschnitten. Erst ab 9:50 wird wieder über die Musik gesprochen, über Hymnen mit Zymbeln. (3) Russische Kirchenmusik, ab dem 12., 13. Jahrhundert. Wir erfahren, dass die Überlieferung erst ab dem 16. Jahrhundert in diesem langen Gesang“ von der Geschichte des Abendmahls und von Judas kontrolliert vonstatten ging. Wieder wird drübergeredet. Aber es bleibt weiter interessant: Unisono-Gesang, Melismen, bewusste Einsilbigkeit, gregorianischer Choral, wenn auch dessen Rolle unbeleuchtet bleibt. Auch hier wird die orthodoxe Musik immer nur mit Text gesungen. Von einem zweiten vatikanischen Konzil ist die Rede, demzufolge es im Osten um die Dominanz des gesungenen Worts geht, darum, das Unaussprechliche mit dem Wort nahezubringen, meta-wörtlich, wie ein Grazer Theologe ausführt. Insbesondere, so zeigt Voykowitsch, geht es um die Nutzung der Neumen, den Zeichen über dem Text. Knapp wird vom Chor von Moskau gehandelt, der im 18. Jahrhundert nach St. Petersburg übersiedelt, von der Mehrstimmigkeit eines Boris Beresowski (1745-1777), von Werken vom 18. bis zum 20. Jahrhunderts, in dem dann auf die alte Musik zurückgegriffen wird. Dann die plötzliche Rezeption westlicher Musik in der UdSSR und heute erneut Bemühung um den Anschluss an die alte Tradition. Es wundert nicht, dass viele Samples mit einer gewissen Oberfläche des Talk einhergehen, sie werden etwas länger zum Schluss des Beitrags. Musikausschnitte werden von einer Wiener Kirchenfrau geliefert. (4) Voykowitsch, beinahe überraschend, geht auch auf die Situation heute ein, auf die Diskussion der Frage nach der wahren Kirchenmusik. Als Quelle kommt Tatjana Schtscherba zu Wort mit einer guten Stimme und einem schön artikulierenden Deutsch. Es geht um das Kirchenslawische als Sprache der Liturgie - so wie Latein im Westen - , das auch auf Russisch übersetzt werden soll. Es folgt eine etwas skurrile Story über Tschaikowski, der gegen den Widerstand der Kirche vom Zar durchgesetzt wurde, auch um RachmaninoffsGroßes Abend- und Morgenlob“, von dem aber nicht klar wird, ob das noch christlich-orthodoxe Kirchenmusik ist, so wie auch die Moderne unklar bleibt. Der traditionsbewusste Alfred Schnittke (Werk 1985?) bleibt im Selbstverständnis unbehandelt. Es kommt sein chorsymphonisches Denken“ zur Sprache, sein Text mit mystischen Aussagen, auch die unfassbare, technische Herausforderung“, die aus Schnittkes Zweifel an der Möglichkeit der Aufführbarkeit religiöser Intensität herrührt. Dann Arvo Pärt, der der russisch-orthodoxen Kirche beitrat. Diese beiden Komponisten werden nur mehr sehr kurz behandelt. Vielleicht wäre eine Konzentration auf Schnittke und Pärt im vierten Teil angeraten gewesen.

Beispiel 3. Waren im Radiokolleg bis vor nicht allzu langer Zeit Spezialisten oder zumindest Kenner ihrer Materie am Werk, dürfen nun Nichtfachjournalisten ran. Etwa Paul Lohberger mit "Paul Simon - Der Grandseigneur der Popmusik. 'Sound of Silence' bis 'Stranger to Stranger'". (https://oe1.orf.at/programm/449867 offline) Lohberger, der von FM4 herkommend - er holt sich denn auch die Fernseh-Off-Stimme von Ex-FM4 Angelika Lang - über diesen Sender in den 90er Jahren seine Diplomarbeit schrieb, zum Ö1-"Diagonal" stieß, geht es also historisch an, als ob hier wirklich eine musikhistorisch relevante individuelle Entwicklung auszumachen ist. Dass das nur truc ist, zeigt schon die Markenanpreisung "Grandseigneur" an. Was soll Werbesprech im Radiokolleg? Was hat überhaupt so ein Werbesprech in Ö1 verloren? Die 60er Jahre werden skizziert. 10 Millionen Tonträger von Paul Simons Album Graceland werden ins Treffen geführt. Simons Musik ist harmlos, gut gemacht, profitiert von eingängigen Texten, besteht aus ein paar Ohrwürmern, die sich schon beim Lesen oder Hören des Wortpaars Simon & Garfunkel einstellen. Und so etwas soll als Individuelles ernst genommen werden? Dann kommen unausgewiesene O-Töne - aus einem Interview mit Simon - , so wie sie quasi vorgefertigt in den Beiträgen zu neuen Filmen im Mittagsjournal eingebaut sind. Der einstige Musicbox-Mitgründer Hubert Gaisbauer spricht die Wahrheit aus: "Heute stehe ich nicht an, es auch durchaus als leichten Kitsch zu bezeichnen." Dann Fernsehstimme Lang: "Mit ihrer Neudeutung der Ballade 'Sounds of Silence' wurde die amerikanische Metalband Disturbed weit über ihre Genregrenzen <was sind Genregrenzen?> hinaus bekannt. In Österreich erreichte sie im Mai 2016 den Platz eins der <Ö3!->Hitparade. <Als ob das von Belang ist!> Das Original erreichte 1966 <recte: 1964> nur Platz drei. Paul Simon grämte sich darüber nicht. <Der Tapfere!> In den USA war die <rockig ergänzte!> Nummer <!> schon 1965 Nummer eins und zwar für 14 Wochen." Lohberger behauptet Orlando di Lassos "Benedictus" hätten Simon & Garfunkel beeinflusst. Was aber leider nicht belegt wird. Kos, der sich zu Musicbox-Zeiten nicht so konziliant über Simon & Garfunkel geäußert hätte: "Das war natürlich dieser merkwürdige Chorgesang dieser zwei Leute. Das hat natürlich auch 'was Feierliches gehabt ... es hat auch 'was Adrettes gehabt." Die Trennung des Duos hatte keine innermusikalischen Gründe, meint das Radiokolleg mitteilen zu müssen. Die Trennung sei erfolgt, weil Garfunkel einen Film gedreht habe. <Das ist aber interessant!> "Der Pophistoriker Wolfgang Kos sieht freilich auch andere Motive: 'Jah, ich maan', i kann ma des scho vorschtellen, dass des ziemlich mühsam woa. Ich mein', er <Simon> schreibt alles, Text, Musik. Der Art Garfunkel geht spazieren, steigt den Mädels nach, tut irgend 'was".

Beispiel 4, die Nichtfachjournalisten Walter Gröbchen und Thomas Mießgang und ihr "Radiokolleg - Lexikon der österreichischen Popmusik. Ambros, Bambis, Gustav, Qualtinger". Sicherheitshalber haben Gröbchen und Mießgang zur Pfründesicherung gleich eine "Langzeit-Serie zur Geschichte der österreichischen Popmusik" entworfen, die mit der Woche vom 2. bis 5. 1. 2017 beginnt (http://oe1.orf.at/programm/20170102/456260). Eine "Langzeit-Serie" - ein Novum für den Musikteil des Radiokollegs. Die Sendereihe in der Sendereihe unterläuft das ohnehin tendenziell antiklassische Konzept und Gleichgewicht des ganzen Radiokollegs. Das ist nicht nur analog zu Kos' Popmuseum, das in den beiden Wochen vor und nach Neujahr um 13 Uhr als symbolischer und faktischer Anschlag auf "Ö1 bis zwei" zu werten ist. Es ist eigentlich ein Double des "Popmuseums", komprimiert auf 12 Minuten. Gröbchen verkörpert zudem das Lehrbuchbeispiel eines Interessenkonflikts mit seiner Beteiligung an der "Entspannungsfunk Gesellschaft mbH, die den Radiosender LoungeFM betreibt" (https://de.wikipedia.org/wiki/LoungeFM 22. 6. 2017) und seinem Plattenlabel monkeymusic (Georg Danzer, Hansi Lang, Sigi Maron, Minisex, Ernst Molden, Naked Lunch, Der Nino aus Wien, Ronnie Urini, Wilfried). Außerdem zieht er den Verdacht der Protektion durch die FM4-Chefin und im September 2016 bestellte ORF-Radiochefin Monika Eigensperger auf sich, mit der er liiert ist oder bis September 2016 war. (APA, Monika Eigensperger – Von der FM4- zur Radiochefin. 20 Jahre Senderchefin bei FM4 – Künftig auch Leiterin der gesamten ORF-Radioflotte, http://derstandard.at/2000044431046/Monika-Eigensperger-Von-der-FM4-zur-Radiochefin 15. September 2016, 13:50) Montag. Die "Lexikon"-Woche beginnt mit Liedern von Helmut Qualtinger. Sie wirken ein bisschen als heuchlerisches Feigenblatt. Eine bloßes Surrogat für die nicht geführte und nicht benannte Diskussion, ob Kabarettmusik der 50er Jahre in den Begriff der Popmusik aufgenommen werden kann. Nur weil Wolfgang Kos vergangenen Sommer Qualtinger-Bronners Bundesbahn-Blues im Popmuseum spielte, wo es schon wie ein Fremdkörper wirkte, gehört das Lied noch nicht zur Popmusik. Stattdessen wird der Begriff "Parodie-Pop" von Franz Schuh erwähnt, ohne dass das reflexiv an Gewicht gewinnt. Schuh, Poptheoretiker? Um Musik als solche geht es Gröbchen und Mießgang, die nicht selber sprechen, wenig. Es wird ein gewisser kulturhistorischer Zugang gewählt (Rudi Gernreichs Monokini). Musik-Snippets, meist der Rede unterlegt, degradieren die Musik zum Ornament, zu illustratorischen Effekten für die leicht bekömmlichen Textteile der beiden Autoren. Am Dienstag die Bambis. Unverblümt ist von einer "Kommerzband" die Rede, die bald von der Musikentwicklung überholt gewesen sei. "Die Könige der allerleichtesten Muse". Jemand sagt, es sei die "schrägste Schlagerband, die Österreich je hervorgebracht hatte", gewesen. Einer der Bambis gibt sogar zu: "Wir haben uns ja immer prostituiert". Und dann soll sich das Ö1-Publikum damit beschäftigen? Ab zu Ö3! Radiokollegmoderatorin Judith Brandner sagt treffend, Gröbchen und Mießgang "haben heute noch einmal die Bambis hochleben lassen". Aber vielleicht bringt ja Gröbchen demnächst auf seinem Label die Bambis heraus. Mittwoch: Wolfgang Ambros. Von "großen Songzyklen" ist die Rede, als ob diese existieren und in einer Reihe mit Zyklen stehen wie die Winterreise oder Lieder eines fahrenden Gesellen. Evidenz wird keine geliefert. Ambros wird im bekömmlichen Stil der Werbeclips von Leporello wochentags um 7 Uhr 50 abgehandelt. Kontextlose O-Töne von Ambros folgen. Die Entstehung von "Da Hofa" wird erzählt, aber nicht reflektiert. Wolfgang Kos darf seine Expertise zu "Schifoahrn" äußern, es sei Österreichs stärkstes (!!) "Volkslied" (!!). Redlicherweise lassen Gröbchen und Mießgang Josi Prokopetz ein Stück des Ambros-Marketings rekonstruieren, wie Prokopetz es selbst nennt, sprechen selbst von der späteren Verflachung bei Christian Kolonovits, um dann mit 1975 den nicht weiter begründeten Höhepunkt Ambros' in der LP 'Zentralfriedhof' anzugeben. Die gängige Ikonisierung von Ambros als Vater des Austropop wird unhinterfragt übernommen. Zwischendurch gibt es ein (unkommentiertes!) Medley von Ambros-Nummern, das auch nicht gerade zu einem vertieften Verständnis der österreichischen Popmusik weiterhilft. Der Donnerstag ist Eva Jantschitsch alias Gustav gewidmet. (Heute wird man belohnt, wenn man wie Jantschitsch in Ö1 gegen die Klassik auftritt wie in der Spielräume-Nachtausgabe über "Kitsch in der Musik" vom 2. auf den 3. Dezember 2016 um 23 Uhr 48 zu Schuberts "Winterreise", gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau: "Ich kann mit Klassik ned so viel anfangen, vor allem mit diesen Stimmen, die da so singen.") Das Werk der noch jungen "Chansonette" Jantschitsch alias Gustav ist bis jetzt schmal geblieben. So wirkt der Beitrag für das Radiokolleg denn auch wie Promotion. Gröbchen/Mießgang: "Erst als Eva Jantschitsch sich auf sich selbst, ihren Computer und eine kleine Sammlung von Spielzeuginstrumenten konzentrierte, wurde aus den Fragmenten einer Sprache des Kunstwollens ein konsistentes Projekt. 'Sie wollte ihre eigene Laptoppilotin sein', hieß es ...". "Einen Hauch von Juliette Greco kann man vielleicht aus ihrer Performance herauslesen." Musikkritiker Gerhard Stöger: "Role Model für a neue Musikszene". Radiokolleg-Moderatorin Judith Brandner will gar eine "neue Form von feministischem Protestsong" erkannt haben. Wieder wird die Musik, diejenige Jantschitschs, den eingesprochenen Text ausschmückend, eingesetzt. Auf die Musik als solche beziehen sich die Textautoren nicht. Keine Analyse, keine Vergleiche mit Musik und Musikern aus Jantschitschs Generation. (Eva Umbauer oder der in England stationierte Robert Rotifer von FM4 wäre dazu bestens qualifiziert.) Jantschitschs Bearbeitung der Proletenpassion der Schmetterlinge wird am Rande erwähnt, aber nicht behandelt. In der Moderation durch Brandner ist, ähnlich der Webseitenangabe, die Rede von Gröbchen und Miessgang als "Ko-Autoren des im Falter-Verlag erschienenen 'Wienpop. Fünf Jahrzehnte ...'". Das klingt, als ob die beiden das Buch selbst verfasst hätten. Tatsächlich wurde es von Gerhard Stöger herausgegeben (der in der Sendung zwei kurze Wortspenden abgeben darf), und Gröbchen und Mießgang haben die Interviews von zwei von vier Teilen des Buchs geführt. Das von Gröbchen schon früher herausgegebene, nichtwissenschaftliche Buch Eine Chronik des Austro-Pop enthält Artikel von seiner Hand zu Udo Jürgens, Wolfgang Ambros, Alkbottle, Erste Allgemeine Verunsicherung. Ist das dasjenige "Expertenwissen mit Alltagserfahrung und Hintergrundinformation mit Reflexion", das "von den Wissensgrundlagen zu neuen Zusammenhängen und Einsichten" führt, wie die Sendungsbeschreibung des Musikteils des Radiokollegs lautete? (http://oe1.orf.at/sendungen/a-z/R, online bis 30. April 2017) - Wo findet hier die Forschung zur österreichischen Popmusik ihren Niederschlag? Wurde sie der eigenen Interessenlage und Eitelkeit geopfert? Wurde und wird mit der Sendedauer nun auch absichtlich die Qualität der Beitragsgestalter im Sinne eines Populismus reduziert, der sich kommerziell 'Quote' schimpft? Ist dem so, dann bedeutet das für die Klassik und die Neue Musik, die im Radiokolleg schon seit Längerem ein Minderheitenprogramm sind, wenig Gutes. Abschließend: Diese Befürchtungen werden durch den folgende Textausschnitt und die beiden Sendungszitate des "Lexikon" vom 20. bis 23. März 2017 noch verstärkt: "Die Gruppe Wanda, die den Austro-Viererpack im März beschließt, ist eine der jüngsten Erfolgsgeschichten der heimischen Musikgeschichte: Eine klassische Buben-Gang in der Tradition der Stones oder der Pretty Things, ein Sound, der nach Blut, Schweiß und Bier schmeckt, ein näselnder Gesangsstil, bei dem man Echos von Falco heraushören kann und griffige Slogans wie '1,2,3,4, es ist so schön bei dir' trugen dazu bei, dass die Combo innerhalb von zwei Jahren vom Geheimtipp zum Crowdpleaser wurde, der sogar die Wiener Stadthalle füllt. Motto: 'Gib mir alles, Baby, alles was du hast'." (http://oe1.orf.at/programm/20170320/464944) Und in den Sendungen vom 21. und 23. März war, ohne zu relativieren, zu hören: "I woit nie sein wia da Hella, dea woa ma viel zu intellektuell." (Georg Danzer) "Marko Michael Wanda sieht die Zukunft seiner Band jedenfalls offensiv gelassen: 'I möcht weiterhin Menschen Freude bereiten und damit meine Miete zahlen. Ich glaub, das is es, das ist alles.'" Was hat dieser Schwachsinn in Ö1 mit seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag verloren? Wer in der Ö1-Direktion steuert dieser kompletten Reflexions- und Distanzlosigkeit entgegen, noch einmal bestätigt durch Gröbchens Ausverkauf in seinem "Lexikon"-Beitrag zu Falco am 23. Mai 2017 (http://oe1.orf.at/programm/20170523)?

Ö1 pro Kitsch. Zu Wort komme noch einmal Jantschitsch, die laut Moderator Klaus Wienerroither "nicht nur der FM4-, sondern auch der Ö1-Community als Gustav bekannt" sei, in jener von Wienerroither betreuten "Spielräume - Nachtausgabe. Musikalischer Kitsch: Trivial oder (manchmal auch) genial?" (http://oe1.orf.at/programm/20161202/453260) Zur Interpretation von Schuberts "Lindenbaum", die Nummer 5 aus Schuberts Liederzyklus "Winterreise", durch Dietrich Fischer Dieskau, welchen Namen Wienerroither so ausspricht, als ob er zum ersten Mal eine Kröte anfasst, bemerkt Jantschitsch also: "Ich kann mit Klassik ned so viel anfangen, vor allem mit diesen Stimmen, die da so singen. Das führt mich eher weg vom Content, als hin. Da ist mir die Lotti-Stimme noch näher. Ich bin ja ein Kind des Schlagers." (23 Uhr 48) Dagegen wendet die Komponistin und Medienkünstlerin Andrea Sodomka, die Versatzstücke von kitschigen Passagen bearbeitet und einen Begriff von gutem und schlechten Kitsch auseinandersetzt, ein, dass Lotti, der den "Lindenbaum" im Drei-Viertel-Takt mit Chor zum Besten gibt (Wienerroither: "volleres Arrangement") kein Kitsch sei, weil er keine Emotion habe. Und sie fügt hinzu: "Die ursprüngliche Version des Lindenbaums <aus Schuberts Winterreise> würd' ich mich nicht trauen anzugreifen, auch nicht zu sampeln." Glücklicherweise ist auch Michael Weber, stellvertretender Vorstand am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien, in die eher lustlose Diskussionsrunde eingeladen und formuliert eine für alle nachvollziehbare Kritik - es bedurfte ihrer! , insbesondere am Drei-Viertel-Takt von Helmut Lottis Version. Es fiel übrigens auf, dass Wienerroither aus der E-Musik nur Schuberts "Lindenbaum" und Andrea Sodomka spielte und sonst Beispiele von Zupfgeigenhansel, Lolita, Nockalm Quintett, Semino Rossi, Robert Stolz, Andreas Gabalier, Roy Black, Bing Crosby, Seemanns-Chor Ahoi, Udo Jürgens, Gustav, Paul Anka und Rainhard Fendrich. Nachdem schon zu Beginn der drei Stunden bei Schubert eine Differenzierung des Problems misslang, war eine Herausarbeitung anhand von wichtigen Beispielen aus der klassisch-romantischen Tradition nicht mehr zu erwarten. Etwa bei Tschaikowsky, dem Adagio aus Rachmaninoff's 2. Klavierkonzert oder selbst Bachs "Air" etwa durch Procol Harum. Generell denkt Wienerroither zu Kitsch und Nichtkitsch: "diese Begriffe sind jetzt nicht Monolyten", recte: Monolithen (0 Uhr 20). Zu Paul Anka meint Wienerroither, er "hat auch italienischen Background" <Themenrelevanz?> und: "Ich würd' es nicht so als kitschig empfinden." Überhaupt meinte Wienerroither der Sendung seinen Stempel aufdrücken zu müssen. So zum Ende von drei eher gequälten und qualvollen Stunden geradezu trotzig mit Rainhard Fendrichs "I am from Austria": "Ich denke doch ein würdiger Abschluss der heutigen Spielräume-Nachtausgabe über das Thema musikalischer Kitsch trivial oder manchmal auch genial." Ein trauriger Tiefpunkt in der fünzigjährigen Geschichte von Ö1.



k. Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet?



Die Skyline der City beeindruckt beim Vorbeifahren

durch die Windschutzscheibe des klimatisierten Chrysler,

synästhetisch übergossen von ‘Radio 106.7: The Wave!...’.

(Wyss 1997, 100)



Ist das Senden zeitgenössischer Musik auf Ö1 gefährdet? Auf den ersten Blick nein, bedenkt man die Erweiterung, die Christian Scheib aus seiner Funktion als langjähriger Zeit-Ton-Chef nach Lothar Knessl, dann als Intendant des RSO Wien und aus seiner festen Anstellung beim ORF in Verbindung mit Elke Tschaikner erfolgreich betrieben hat. Mehr noch als Knessl wurden in Folge von Scheib Sendungstermine für zeitgenössische Musik in den Konzerten am Freitag und Sonntag abends durchgesetzt.

Aber es gibt auch weniger beruhigende Zeichen. Dass der Ausdehnungsdrang der Nachrichtenredaktion - "Saldo", immer mehr Nachrichtenjournale und -sendeminuten - , Tschaikners Jazz-/Pop-Präferenzen und die scheibchenweise Erweiterung der Ö1-Werbung eine Reihe von expansiven Konkurrenzen verursachte, manifestiert sich in der Zunahme von süffigen Popmusik-News in den Nachrichtenjournalen, von Kleinfeatures aus dem Alltag in der Achse Glaser/Fellinger (Ö1 gewusst, Contra, Moment) und von zunehmenden Jazzsendungen und Jazzanteilen (On Stage, Milestones).

Dass die News-Leute kaum zeitgenössische (und klassische?) Musik hören, zeigt das Ausmaß der Unterstützung des vor ein paar Jahren gefährdeten, vom ORF veranstalteten und unter Tschaikners Leitung organisierten Grazer Festivals musikprotokoll. Es fällt die komplette Abwesenheit der ORF-Nachrichtenredakteure auf in der Petition "Rettet das Musikprotokoll!" (http://rettetdasmusikprotokoll.mur.at/de/petition)

(Durch die nahezu komplette Abwesenheit der Ö1-Politik-Redakteure - die mutigen Ausnahmen sind Brigitte Fuchs, Fabio Polly, Nikolaus Riemerschmid, Artur Trainacher und Elisa Vass - neben derjenigen von FM4 und Radio Wien vom öffentlichen Eintreten für den Verbleib des Radiofunkhauses im Zentrum Wiens wird leider klar, dass die von der ORF-Direktion beschlossene Übersiedlung in das ORF-Zentrum Küniglberg weit draußen im 13. Wiener Gemeindebezirk unverhinderbar scheint. Siehe die Unterschriftenlisten zur Rettung des Funkhauses von http://petition.rettet-das-funkhaus.at/ und https://secure.avaaz.org/de/petition/Alexander_Wrabetz_Generaldirektor_des_oesterreichischen_Rundfunks_ORF_Erhaltung_des_Senders_Oe1_Radiosender/?bjmNhhb&v=54070 sowie den "Brief an die Geschäftsführung" vom 16. 2. 2015, 15:54:59 http://kath-publizisten.at/kathpub/images/brief%20an%20die%20gescha%26%23776%3Bftsfu%26%23776%3Bhrung%2016.2.15.pdf)

Aber auch der Unwille unter den KonzertpräsentatorInnen, zeitgenössische Musik zu vermitteln, ist kein gutes Zeichen. Dass Johannes Leopold Maier, obwohl dazu angehalten, in der vor Jahren von "A Propos Klassik" auf "A Propos Musik" umbenannten Samstagssendung (seit 1. 5. 2017 wieder "A Propos Klassik") gerade noch Olivier Messiaen gelten ließ, ist eine Tatsache. Und dann Maiers Moderation des Eröffnungskonzerts des 38. Internationales Musikfests der Wiener Konzerthausgesellschaft am 14. 5. 2017 mit Daniel Barenboim, der sich in jüngster Zeit wieder sehr für die Musik von Pierre Boulez einsetzte und an diesem Abend auch dessen Notations I, III, IV, VII und II für Orchester (1978/84) dirigierte. Obwohl dieses Werk wie alle Werke der zeitgenössischen Musik der Vermittlung besonders bedürfen, verweigert sich Maier dieser Bemühung. Zwei, drei Minuten widmet er Boulez als Schüler Messiaens, aber der Löwenanteil der langen Konzertpause ist einem gewiss interessanten "Gespräch mit Universitätsprofessor Dr. Christian Glanz" über Smetanas Mein Vaterland vorbehalten (http://oe1.orf.at/programm/20170514), als ob nicht Boulez der Hauptkomponist dieses 38. Internationalen Musikfests war, sondern der "Altösterreicher" Smetana. Oder derselbe Moderator am 25. 5. 2017, wieder vom 38. Internationalen Musikfest: "Musik, wie man's in der Spätzeit der Monarchie einmal schön ausgedrückt hat, in einem Zeitungsbericht: die zwei großen österreichischen Antone, nämlich Anton Bruckner und Antonin Dvorak, werden nun in ihren tiefen Gedanken zu hören sein." (12:09:02-12:09:17) Ach ja - und der für die Serialisten und damit auch für Boulez so wichtige heute kaum mehr in den Konzertsälen gespielte Anton Webern? Fehlanzeige! Dafür "Pierre Boulaise" und "René Charre" anstatt Pierre Boulez und René Char. Schon am 6. 12. 2013 moderierte Maier das Konzert des Cleveland Orchestra „aus dem Bundesstaat Utah" (statt Ohio) mit Schostakowitsch, die Eroica und Wolfgang Rihms Wandlungen 5 (http://oe1.orf.at/programm/20131206). Dass der Rihm-Uraufführung, anders als den beiden anderen aufgeführten Werken und der Kammermusik nach dem Konzert kein einziger kommentierender Satz beschieden war, konnte als nichts anderes als Ausdruck der Geringschätzung zeitgenössischer Musik verstanden werden, offensichtlich geduldet durch Ö1-Musikchefin Tschaikner. Ähnlich erfuhren wir von Moderatorin Eva Teimel beim Konzert zu Boulez' 90er ausführlich die wenig belangvollen familiären Hintergründe von Richard Strauss' "Symphonia domestica" mit ihren 42 Minuten und 55 Sekunden anstatt etwas Erhellendes zum an diesem Abend einzigen Werk von Boulez - auch nicht gerade eine Ruhmestat des RSO Wien - , "Figures - Doubles - Prismes" mit seinen 15 Minuten und 13 Sekunden (http://oe1.orf.at/programm/20150327/383402). Dasselbe Werk zwei Jahre später, dieses Mal sekundiert von Boulez' 5 Minuten und 41 Sekunden langem "Mémoriale (...explosante-fixe...)", und auch Teimel ("Pierre Boulaise") wartet mit nur wenigen und wenig erhellenden Sätzen auf, etwa allzu knapp zur Veränderung der Besetzung durch die sieben Versionen des Werks in immerhin 37 Jahren (http://oe1.orf.at/player/20170602/475562). Wie dankbar das Publikum im Konzert für Erläuterungen ist - und dasjenige von Ö1 wäre! - , zeigt ein Artikel und seine Posts zum jüngsten Boulez-Klavierabend (Daniel Ender, Pierre Boulez' Klavierwerk: Als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich im Konzerthaus http://derstandard.at/2000058482563/Pierre-Boulez-Klavierwerk-Als-waere-es-die-natuerlichste-Sache-der 30. Mai 2017, 16:07). So kann man Buhrufern wie demjenigen im Live-Konzert nicht begegnen, der sich wohl mehr gegen das Wiener Konzerthaus und dessen Gabalier-kritischen Leiter als gegen Boulez selbst Luft machte! Noch weniger wird man mit einer derartigen Indifferenz gegenüber der zeitgenössischen E-Musik der Bedeutung gerecht, die das Wiener Konzerthaus dem französischen Komponisten verlieh, indem es das allgemeine 38. Internationale Musikfest der Wiener Konzerthausgesellschaft zentral der Aufführung des Gesamtwerks von Boulez widmete.

Dass Ö1 anders kann, zeigen Sendungsgestalter, deren Arbeitsschwerpunkte auf Ö1 es zum Teil nicht vermuten ließen: Otto Brusatti, Astrid Schwarz, Reinhard Kager und Dorothee Frank.

Brusatti, einer der wenigen Musikwissenschaftler auf Ö1 und was für einer! Das Ö1 enfant terrible des Klassik-Treffpunkts - ansonsten mahnendes Beispiel vor Jahren sein schlimmer Streit mit Paulus Manker im "Klassik-Treffpunkt", sein Ins-Wort-Fallen und seine konservativen Schlussfragen in derselben Sendung - bewältigt die ihm aufgetragenen oder von ihm eingebrachten Sonderaufgaben mit Reife, großer Kenntnis und tiefer Hingabe, trotz seinen Vorlieben für Schubert, Walzer und Tango. Grandios seine vier Stunden an einem Feiertagsabend mit den symphonischen Dichtungen von Franz Liszt. Oder sein ebenso konziser wie kaltschnäuziger 90-Minuten-Crash-Course zur mittelalterlichen Musik an einem Novembervormittag im Jahr 2005. Oder 2011 die monatliche Sendung zu Gustav Mahlers hundertstem Todesjahr - hier konnte der relativ selten gespielte Komponist Mahler schätzen und lieben gelernt werden durch erhellende Musikzusammenstellungen, wunderbar gemessene Kommentare, wertvolle Gäste und nicht zuletzt eine fabelhafte Auswahl an Aufnahmen mit zur Gänze ausgespielter Musik. Ö1 at its best mit, man ist versucht zu sagen, zeitgenössischer Musik, auch wenn sie schon mehr als hundert Jahre alt ist. Aber eben auch zu zeitgenössischer Musik im engeren Sinn fand Brusatti in seinen seltenen Sendungen in der fünften "Freitagnacht" im Monat - gegenstandslos geworden ab 1. Mai 2017, da die Freitagnacht leider nur mehr einmal pro Monat zum Zug kommt - wie vor allem "Politik oder schnöder Pop? Das Kronos Quartet" vom 30. auf den 31. 12. 2011. (http://oe1.orf.at/programm/20111230) Es ging um eine Präsentation von Steve Reichs „Different Trains“ für Streichquartett und Tonband, ein Stück, das der amerikanische Komponist für das Kronos Quartet komponierte und dessen Aufnahme den Grammy Award 1989 für die Best Contemporary Classical Composition einheimste neben Best Classical Instrumental Solo, Best Classical Solo Vocal Album, Best Classical Compendium. Brusatti holte weit aus, um Reichs autobiographischen Hintergrund als Scheidungskind zwischen New York und Los Angeles mit der Bahn pendelnd und den historischen Kontext der Holocaustzüge zu veranschaulichen. Dabei wurde Brusattis Performance immer eindringlicher, sodass man am Ende der drei Stunden um zwei Uhr in der Früh eher aufgewühlt, als zum Schlafen müde war. Eine Erschütterung, die Brusatti ganz aus der Musik des circa einstündigen Werks zu ziehen verstand!

Oder Astrid Schwarz und ihre Radiokollegreihe "Unter Strom - Pionierinnen der elektroakustischen Musik" vom 17. bis 20. 10. 2016, die den Komponistinnen Eliane Radigue (etwa ihre Beschäftigung mit dem Feedback), Beatriz Ferreyra, Annette Vande Gorne und Pauline Oliveros gewidmet war. (http://oe1.orf.at/programm/20161017/446105) Differenziert, erfrischend, ehrlich, menschlich und aufschlussreich skizzierte Schwarz in kräftigen Strichen diese Pionierzeit. Dafür war Schwarz offensichtlich zu den Komponistinnen gefahren. (Von Ö1 finanziert? Man muss das leider fragen, denkt man an die Mittagsjournal-Berichte von der höchstwahrscheinlich Urlaubsreise nach Haiti von Katja Arthofer oder an die Reisen von Redakteuren ins subsaharische Afrika, die expressis verbis von der Caritas finanziert wurden.) Die gute Vorbereitung durch 'Feldforschung', die das klare Interesse und Engagement von Schwarz mit sich gebracht hat, war unmissverständlich in der Gesamtgestaltung des Vierteilers zu hören. Seriöse Arbeit, wie man sie sich für Ö1 immer wünschen würde. Angenehm auffallend dabei die empathische Offstimme Ilse Halsmayrs, die vor Jahren "Guten Morgen Österreich" in Form brachte. Vielleicht kamen zu wenige und zu kurze Musikbeispiele zu Gehör, aber das wurde durch die reichhaltige Information aufgewogen.

Es ist der Philosoph, Musikwissenschaftler und Musikjournalist Reinhard Kager, der von 2002 bis 2012 die Redaktion des Südwestdeutschen Rundfunks für neue Musik und Jazz leitete und seither, in Wien lebend, regelmäßig auf dem Niveau von Lothar Knessl zum "Zeit-Ton" beiträgt. Ein Meisterstück war seine Sendung am 17. 10. 2016 zu Elfriede Jelineks 70. Geburtstag. (http://oe1.orf.at/programm/20161017/446140). Merkwürdigerweise war die Sendung nicht in den Ö1-Schwerpunkt "Elfriede Jelinek 70" aufgenommen, der abgesehen von Sendungswiederholungen nicht gerade üppig ausfiel. (http://oe1.orf.at/themen/more/elfriedejelinek70/programm_past?page=1, offline) Der Titel von Kagers Sendung: "Musikalische Sprache, versprachlichte Musik. Elfriede Jelineks vielfältige Beziehungen zum zeitgenössischen Komponieren." Grandios recherchiert - wenn Kager nicht einfach bereits alles Wichtige bekannt war, so der Eindruck - , wurde ein von Jelinek selbst komponiertes und aufgeführtes Lied/Klavierstück gebracht, ein Ausschnitt von Olivier Messiaens "Livre d'orgue", welches Werk Jelinek einst im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses aufführte. Breit kam Jelineks Zusammenarbeit mit den Komponistinnen Patricia Jünger und Olga Neuwirth zur Sprache. Passenderweise konzentrierte sich Kager auf Neuwirths Oper "Bählamms Fest" und ein zu deren Uraufführung geführtes Gespräch von Christian Scheib mit den beiden Protagonistinnen der Oper, Neuwirth und Jelinek. Einen kleinen Wermutstropfen bildete der Umstand, dass das Schaffen des Komponisten und Musikwissenschaftlers Wilhelm Zobls nicht vorkam, mit dem Jelinek nicht nur die gemeinsam zusammengestellten "Materialien zur Musiksoziologie" verbindet, sondern auch ihr nach der Nobelpreisverleihung abgegebenes Versprechen, sich mehr für die Verbreitung des Werks von Zobl einzusetzen. Das änderte nichts daran, dass Kager eine Reihe von überraschenden Lichtern auf Jelineks Bedeutung für die Musik warf, ohne sich auf die Rolle der Musik in Jelineks Werken wie etwa "Die Klavierspielerin" einzulassen.

Erneut kam Kagers große Kenntnis und Erfahrung zum Zug in seiner Zeit-Ton-Sendung "Neue Musik vor 50 Jahren. Vier exemplarische Kompositionen aus dem Jahr 1967" am Donnerstag, den 6. April 2017 - eine Sendung im Rahmen des Schwerpunkts "Baujahr 67 - Zeitreisen mit Ö1". Die Schwerpunkt-Signation mit einem Sample des Beginns von Jimi Hendrix' "Voodoo Chile Slight Return", das aus 1968 und nicht 1967 stammt und seit einigen Monaten zu hören ist (für welchen Fehler Kager nichts kann, wohl aber Ö1-Musikchefin Tschaikner und ihre engsten Mitarbeiter, die Gitarristen und Sendungsgestalter Klaus Wienerroither und Helmut Jasbar), konnte der präzisen Demonstration, die Kagers Sendung war, nichts anhaben. (https://radiokulturhaus.orf.at/programm/462713) In Kagers kongenialer Antwort auf die Radiokollegreihe "Vier Leuchttürme der Vintage-Avantgarde: Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch" von Bildende-Kunst-Redakteurein Dorothee Frank (http://oe1.orf.at/programm/20170406), die sich schon vor Jahren als Neue-Musik-affine Live-Reporterin in der Langen Nacht der Museen über das Auftreten der unter anderem als Schönberg-Sängerin hervortretenden Christine Whittlesey überrascht offenbarte - , wurden Crumb, Henry, Ligeti und Schostakowitsch wiederholt, nur eben nun mit klug gewählten etwas längeren Musikausschnitten oder Musikteilen: von Pierre Henry die Nummern 1 bis 3 aus dessen mit Michel Colombier geschriebener Messe pour le temps présent, von György Ligeti Lontano für Orchester durch die Wiener Philharmoniker und Claudio Abbado, von George Crumb die Nummern II und III aus Echoes of Time and the River und von Dmitrij Schostakowitsch die Nummern 3 bis 5 aus den Sieben Romanzen auf Gedichte von Alexander Blok, die seinerzeit 50 Jahren Russische Revolution gedachten. Ob nun der Einsatz des Worts "Tanzsuite" bei Henry, der Schritt fort von Ligetis Werkphase rund um "Atmosphères", die Erweiterung des Orchesterverständnisses bei Crumb oder die Auseinandersetzung Schostakowitschs mit Mussorgskis Liedern des Todes - alle Hinweise von Kager dienten aufs Vorzüglichste dem Aufweis der Singularität der vier Werke, wie sie bereits durch die engagierten Einführungen durch Frank alternativ beschrieben und vorbereitet wurden. Einziges kleine Minus: Dass Kager keine kurzen Pausen zwischen seinen moderierenden Worten nach und besonders vor Ligetis schwergewichtigem Werk (23:21:35-23:34:10) einschob, konnte den Verdacht aufkommen lassen, es sei nicht das ganze Stück gespielt worden. Dankenswerterweise wurde das ganze Stück gespielt!

Dennoch: Ist die zeitgenössische E-Musik in Ö1 gefährdet? Dazu ein Umweg, der auch andere Künste berührt. Marlene Streeruwitz hatte recht, als sie sich beklagte, dass der Beitrag über ihren Internetroman nicht wie versprochen im Morgenjournal gesendet wurde. (red, Streeruwitz wundert sich über Ö1-"Morgenjournal". Ein Beitrag über den Wahlkampfroman der Autorin, produziert für das "Morgenjournal" am Mittwoch, fand nicht den Weg in die Sendung http://derstandard.at/2000043639766/Streeruwitz-wundert-sich-ueber-Oe1-Morgenjournal 31. August 2016, 16:16) Seit einigen Jahren wird in erster Linie über Film und Popmusik berichtet. Bildende Kunst kommt nur mehr bei Großereignissen vor. Und Literatur, von politisch deutbaren Ausnahmen abgesehen, nur mehr, wenn die Frankfurter oder Leipziger Buchmesse und der Bachmannpreis dran sind. Dabei wird klar, dass diejenigen Künste oder, besser noch, deren Events in denjenigen Nachrichtenjournalen dran kommen, in denen die Public-Relation-Maschine am besten geölt ist: der Kommerzfilm, am penetrantesten inzwischen die Oscars, nicht weit von ihnen die Nobel-Preise, und die Popmusik.

Dass also die zeitgenössische Musik gefährdet ist, zeigt der folgende Sachverhalt: Je mehr redaktionell an Anzahl und Arbeitszeit der Radioredakteure gespart wird, umso eher kommen die billigen, zeitlich unaufwendigen Kulturberichte zum Zug. (Ein Buch lesen? Dauert zu lang! Ins Theater gehen? Dauert zu lang! Eine Ausstellung sehen? Dauert zu lang!) Es sind die kommerziellsten Künste und Wissenschaften, die sich ohne großen Aufwand die Herstellung vorgefertigter Promotion leisten können. (1) Die hard sciences sorgen dafür, dass durch die Rating-Maschinen "Nature", "Science" und ihre Video-Appendices die nötigen "O-Töne" die Radioredaktionen versorgen. (2) In der Filmindustrie betreiben die Major-Verleihe eine Promotion, die auch die Radioredaktionen (mit Videos?) happengerecht mit O-Tönen aus den Filmen der Majors und ihren Regisseuren und Schaupielern versorgt (glücklicherweise kann man meistens, wenn auch nicht immer an der Diktion der SchauspielerInnen und der Synchronisation sich ein Vor-Urteil bilden, wenn einmal Arnold Schnötzinger und die Seinen im Urteil zaudern oder ganz auslassen). (3) In der Musik ist es das Gleiche in Grün - mit der Folge, dass die Major-Labels das Feld dominieren und zwar mit Popmusik. Daraus entstehen natürlich Abhängigkeiten und, musikalisch, die klare Benachteiligung der zeitgenössischen E-Musik. Was damit auch einhergeht, ist das Niveau, das sich seitens des Mediums wie auch im Falle von Ö1 auf das niedrigst mögliche der zu promotenden Produkte herablässt.

David Baldinger auf Ö1 ist Teil dieser Kommerzialisierung der Kulturberichterstattung, die ökonomisch gar keine Entscheidung mehr zu einer pluralistischeren Musik- , Film- oder Wissenschaftskritik zulässt. Morgenjournal, 27. 4. 2017 um über die CD Humanz“ der Band Gorillaz: "Auch wenn es sie eigentlich gar nicht gibt, hat die Band Gorillaz zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen völlig neuen Sound geschaffen. 16 Jahre nach dem Song „Clint Eastwood“ und nach langer Schaffenspause sind sie zurück, die vier Comic-Figuren aus der Feder von Jamie Hewlett mit der markanten Stimme von Blur-Frontman, Damon Albarn. Morgen erscheint „Humanz“ mit einer Auswahl an hochkarätigen Gastmusikern." Frequenz 92.0? "Zu jedem Geburtstag bekommt Damon Albarn ein neues Spielzeug." Na sowas!? "Albarn schrieb sofort einen Song, 'We Got the Power'. ... Seit 20 Jahren sind die Gorillaz ein virtueller Pop-Wanderzirkus. ... Wenn er ruft, tanzen die Stars aus allen Richtungen an." Interview-Schnipsel von Albarn folgen. "Mittlerweile sind die Online-Abenteuer der Gorillaz im Magenta-Ton eines deutschen Telekommunikationsriesen eingebettet." Wie kritisch! "Ein Blick in eine gebrandete Popzukunft. ... An der musikalischen Handschrift der Band hat sich wenig geändert. Soul, Hip-Hop, Dub oder Reggae wummern im Vordergrund. Irgendwann lüftet sich der Vorhang, und Albarn lugt hervor." Für Albarn "war das Album eine selbst gestellte Aufgabe. 'Schaffe ich es noch, eine wirklich zeitgemäße Pop-Platte zu machen.' <Baldinger spricht kein akustisches Fragezeichen.> Eine Frage, die sich ein fast 50jähriger Multimillionär schon einmal stellen darf. Die Antwort der Gorillaz fällt ebenso laut wie positiv aus, auch wenn das alles schon mal drängender und leidenschaftlicher geklungen hat." Und dabei kein eindeutiges Wort über des Virtualität des Band-Projekts in Video und Netz, was auszuführen noch das Interessanteste für das Ö1-Publikum gewesen wäre.Oder Baldinger am 27. 5. 2017 über die Neuauflage <der LP!> "Beatles - 50 Jahre: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band". Zuerst biographische Nichtigkeiten. Dann bekommt John Lennon eine drübergezogen, Baldinger pro McCartney. Irrelevantes vom Tontechniker. "Noch ist der Beatles-Kitschtark <'s' fehlt in der Aussprache> genug", Freund Voorman <der erst später richtig dabei war> sagt: "den ursprünglichen Sound mit modernster Technologie freigelegt." Dieses Urteil zu überprüfen, wäre eigentlich die Aufgabe gewesen und die genaue Beschäftigung mit dem Re-Issue, "auch wenn Puristen die Nase rümpfen werden" <wieso?>. Das überflüssige Mit-oder-gegen-Beatles wird angeteast, "die Musik mag nicht mehr so revolutionär klingen wie 1967, doch ... ein Finalargument... <? das Folgende ist dahingenuschelt unverständlich> der Gemeinsamkeit, aufgenommen in einer Zeit, bevor die Utopien der Sixties zerschellten." – Oder Baldinger zum Erscheinen von Bob Dylans 3fach-'Album' "Triplicate" am 31. 3. 2017: Die Stimme wird als samtig bezeichnet, Dylan als "nimmersattes Kind", wird als "unbescheiden und maßlos" charakterisiert, Dylan darf sich selbst im O-Ton über seine Songtradition loben, ist "intim, unmittelbar und entspannt", "ein Album wie ein director's cut", gemacht im "aufrichtigen Wunsche, diese Lieder nicht nur zu interpretieren, sondern in sie zu schlüpfen". Dann aber doch Kritik: "Fußnotensammlung für Dylan-Versteher" und "Coffee-table-book, dekorativ, aufwendig gestaltet und eine durchaus verführerische Einladung, immer wieder einmal darin zu blättern, mehr aber auch nicht." Und dafür die wertvolle Sendezeit? Werbemaschine Dylan, an den Nobelpreis gekoppelt?

Dass die zeitgenössische E-Musik nach wie vor ein gefährdetes Nischendasein fristet, wird von der Zunahme der Präsenz von Popmusik auf Ö1 in den letzten Jahren befestigt. Wolfgang Kos, Symbolfigur dieser Zunahme, sagte 2013 über Lothar Knessls "Studio Neuer Musik" (ab 1968), dem Vorgänger von "Zeit-Ton", wenig respektvoll, im Rückblick auf die Ö3-"Musicbox", diese "war eben nicht am Rand, so wie die Neue Musik um Mitternacht, wo man sagt: Ihr dürft halt auch sein." (Stöger, Gerhard (Hg.) (2013): Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher u. Gerhard Stöger, Wienpop. Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten, Wien: Falter-Verlag, 54)




l. Dylan, Jelinek, Nöstlinger



Dass Bob Dylan von der Nobelpreisverleihung überwältigt und überfordert war, glauben diejenigen, die an der perfekt geölten Business-Maschine Dylan unbewusst gerne teilnehmen oder bewusst, weil eine solche Behauptung eben mehr News-Wert hat. Allen anderen ist klar, dass Dylan punkto Preisverleihung Erfahrung hat (https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_awards_and_nominations_received_by_Bob_Dylan). In der Tat hat Dylan, der wie niemand anderer in den letzten Jahren Youtuber, die seine alten LPs online stellen möchten, so gnadenlos verfolgen ließ, die Medien ein dreiviertel Jahr mit seinem Nobelpreis auf Trab gehalten: am 13. 10. 2016 die Ankündigung der Nobelpreisverleihung ohne Reaktion Dylans, am 10. 12. 2016 die Rede zur Preisverleihung in Stockholm anstelle Dylans durch USA-Schweden-Botschafterin Azita Raj mit anschließendem Auftritt von Patti Smith, am 2. 4. 2017 die Übergabe von Goldmedaille und Diplom an Dylan durch die preisverleihende Schwedische Akademie der Wissenschaften am Tag nach dem Konzert in Stockholm, am 5. 6. 2017 die obligate Rede, transkribiert und akustisch auf die Nobelpreis-Webseite der Schwedischen Akademie der Wissenschaften gestellt - der spätestmögliche Zeitpunkt dieser Rede für den Erhalt des Preisgelds von acht Millionen schwedische Kronen, circa 823.000 Euro, wäre der 10. 6. 2017 gewesen.

Und Ö1? Große Aufregung und Konfusion auf der Sender-Website bei den Programmmachern. Am Tag des 13. 10. 2016 um 14 Uhr 28 die Ankündigung, dass am nächsten Tag die Spielräume-Nachtausgabe "Highway 61 Revisited - Bob Dylans Meilensteinalbum erschien vor 50 Jahren im Sommer 1965" von Christian Scheib wiederholt werden würde, um 14 Uhr 36 die Ankündigung, dass zur Freitagnacht nun doch das "musikprotokoll 2016. Die einarmigen Banditen des Alvin Lucier" drankommt, um 14 Uhr 44 die Ankündigung, dass Kulturjournal und Spielräume zusammengelegt werden ("Im Livestream betonte die Jurychefin, Sara Danius, dass die Entscheidung für Dylan gerade keine Erweiterung des Literaturbegriffs voraussetze und brachte sein Werk in Bezug zu Homer und Sappho, deren heute als Literatur anerkannte Werke zu ihrer Zeit ebenfalls als Gesänge vorgetragen wurden."). Dann gleich die verordnete Doppelsendung - Durchhörbarkeit! - um 17 Uhr 09: Kulturjournal und Spielräume werden zusammengelegt (http://oe1.orf.at/programm/20161013/445939). Ist ja egal, wenn Opernexpertin Susanna Dal Monte mit Rainer Elstner moderiert (stirbt Placido Domingo, kommt dafür Pop-Fan David Baldinger zum Zug). Zu Gast in der Doppelsendung sind Eugen Banauch, Literatur- und Kulturwissenschaftler, der 2012 in Wien eine Dylan-Konferenz organisierte, und FM4(!)-Moderator Martin Blumenau. Noch vor ein paar Jahren wäre in einem Kulturjournal üblich gewesen, Stimmen von SchriftstellerInnen über Telefon einzuholen: von Doris Knecht, die sich wiederholt und schon vor ihrer Laufbahn als Schriftstellerin etwa in "Ex libris" kompetent zu Dylan geäußert hat, von Christoph Ransmayr oder Marlene Streeruwitz und selbstverständlich von Michael Köhlmeier. Und klarerweise wären im Kulturjournal die erfahrenen Ö1-Literaturredakteure Kristina Pfoser und Peter Zimmermann zu Wort gekommen. Interessant gewesen wäre auch, vielleicht in einer späteren Sendung, Peter Handke zu fragen, der bestimmt eine Meinung zu Dylan hat.

(Nicht alles muss Ö1 machen. Eigentlich wären auf Ö3 und FM4 Sendeschwerpunkte zu erwarten gewesen. Dort kam nur Lesbares über Dylan: http://orf.at/stories/2361991/ (abgerufen um 14 Uhr 18). Blumenau schrieb am Tag der Preisverleihung zuerst befremdet und abgeklärt "Bob Dylan, der Literat? Womit hat der Mann den Nobelpreis eigentlich verdient?" http://fm4.orf.at/stories/1773786/, abgerufen um 14 Uhr 23, und dann fanmäßiger http://fm4.orf.at/stories/1773787/, abgerufen um 14 Uhr 53.)

Doch dann, am nächsten Morgen, Auftritt Wolfgang Kos von 7 Uhr 22 bis 7 Uhr 28! Morgenjournalmoderator Christian Williwald: „Was von dieser Entscheidung zu halten ist, dazu ist der Kulturhistoriker Wolfgang Kos jetzt im Morgenjournalstudio. Guten Morgen!“ „Einen schönen guten Morgen!“ „Herr Wolfgang Kos, früher Direktor des Wien Museums, noch früher Musikjournalist auf Ö1, auf Ö3, der Literaturnobelpreis für Bob Dylan – hat er's verdient oder nicht? Was sagen Sie?“ „Ich glaub', es <Zeitwort fehlt> eine sehr kluge, eine sehr inspirierte Entscheidung, auch eine strategisch kluge Entscheidung. Denn Geheimtipp ist ja ein fast kurioses Wort für jemand, der Kunst mittels Sprache auf einem derartigen globalen Niveau über ein halbes Jahrhundert betrieben hat. Und Wim Wenders, glaub' ich, hat gestern in einem Kommentar gsagt, ja, er kennt keinen anderen Autor, der so viele Menschen erreicht hat, erreicht heißt in diesem Fall auch verändert, emotional beeinflusst hat oder einfach mit Qualitätsstandards begeistert hat. Und manches, was da jetzt lauft, sieht natürlich so heiteres Bezirksgericht. Nicht? Nachbarn streiten um Genrezuständigkeiten. Also wenn man sagt, Bob Dylan ist Musiker, denkt man natürlich immer mit, dass das sein Mittel Sprache und Musik. Dadurch fliegen seine Texte. Das sind ja nicht Texte, die, die sozusagen fix und fertig für den Buchdruck und dann unveränderbar sind, nicht? Da weht immer der Wind durch. Und wenn man sagt, Texter oder Lyriker oder Poet, ja, ohne Musik, und das ist Musik, die wie die Sprache weit in die Vergangenheit zurückreicht, gäbe es diese, dieses Werk nicht, also.“ Williwald: „Ich erinner' mich an ein Gespräch mit einem Kollegen aus unserer Kulturredaktion nicht vor der heurigen Verleihung, sondern in den vergangenen Jahren. Da war auch davon die Rede, ob Bob Dylan zum Zug kommen würde oder nicht. Und der Kollege hat gemeint, na ja, er müsste dann als Musiker sozusagen besser sein als alle, die im Hauptberuf Literatur produzieren. Hat diese, dieser Einwand was für sich.“ <kein Fragezeichen> Kos: „Nein, das ist jetzt wieder ein bissl die Frage, wie schwer darf man sein, wenn man in welchem Ruderboot bei den Olympischen Spielen sitzt. Also darum geht’s ja nicht. Wenn ich sag', es ist eine kluge Entscheidung in dem Fall des Literaturkomitees – , weil hier anerkannt wird, dass Lyrik, dass Sprache, dass die ganze hoch persönlich gestaltete Sprache überleben kann in einer Phase der kompletten Reproduktion aller künstlerischen Produktionen. Nicht? Und sein Uraufführungsort ist das Radio. Sein Werk ist nicht das hundertfach durchlektorierte und korrigierte Buch, sondern, ja, das ist etwas permanent Unsicheres, das Lied. Und die, es is ja interessanterweise so ein Halbsatz, der <!> alle, alle zitieren, is bekannt geworden für als Begründung. Und das ist ein sehr kluger Halbsatz. Also, er hat ihn bekommen, den Nobelpreis, weil er neue poetische Ausdrucksformen im Rahmen der amerikanischen Musiktradition. Also dieses, diese Souveränität, wie hier Traditionen, die Traditionen der Armut sind, wenn man an die Blues- und Folktradition denkt. Dinge, die immer am Rand waren und plötzlich hier in das Scheinwerferlicht gekommen sind durch die Qualität seiner Songs und zugleich immer unfertig blieben und die Tradition völlig neu weitergeschrieben worden und zugleich fast vormodern in den letzten Jahren wieder geschrieben hat, die gewisserweise immer noch aus der Zeit fallen, nachdem sie gewissermaßen wie, ja, mitten in der Zeit waren.“ Williwald: „Songtexte heißen ja Lyrics im Englischen. Und da ist es natürlich nicht weit zum Begriff der Lyrik. Also Sie meinen, man kann diesen, diese Verbindung ganz einfach herstellen und sagen ...“. Die Stimmen von Williwald und Kos überlagern sich unkenntlich für ein, zwei Sekunden, Kos fällt Williwald („ … einfach großartige Texte“) ins Wort, so wie er im „Popmuseum“ in die Musik hineinredet: „Ich mein', können wir uns vorstellen, warum im 18. oder 19. Jahrhundert Lyrik so populär war, weil es das populärste Massenmedium war, da konnte man nicht um ein Euro in der Müllkiste Bücher kaufen. Und ich, eigentlich ist die poetische Kraft oder sein Sprachwitz, seine Sprachmacht, hat damit zu tun, dass es immer wieder Zeilen gibt, auch zum Teil sehr Obskures, sehr, sehr Persönliches, das da bei vielen Leuten ankommt und weiterarbeitet. Und er selber hat einmal eine, seine, eine wunderbare späte Platte 'Liebe und Diebstahl' genannt, also die Liebe zu verschollenen Traditionen und vor allem damit eine große Ehrerbietung für die große Kraft der schwarzen Musik in der amerikanischen Kultur.“ „Ganz kurz noch, Wolfgang Kos, wir haben noch keine Reaktion von Bob Dylan selbst, können daher nur spekulieren. Was glauben Sie? Gibt ihm dieser Preis 'was? Sagen wir einmal, er braucht ihn nicht.“ „Er hat, glaube ich, mehrere Preise bekommen. ...<unhörbar> Und er hat letztes Jahr einen bekommen, wo er eine sehr höfliche Rede gehalten hat, aber auch hingewiesen hat, das, was ich mach', ist, die Ränder ins Scheinwerferlicht zu holen. Und er ist auch immer wieder geflohen aus diesem Scheinwerferlicht. Er hat sich ja, i mein, wir reden so ganz allgemein, aber stellen Sie sich vor, ein Einundzwanzigjähriger, der völlig Neues, schreibt ein Lied wie 'Blowin' in the Wind', mit fast so biblisch schweren Fragen: <Kos singt kurz:> 'How many roads must the man go down?' Das wird ein globales Volkslied innerhalb kürzester Zeit. Wenn er fünfundzwanzig ist, 'Like a Rolling Stone' oder 'The Times They Are A-Changin', 'Every Man'. Also wenn er aufgehört hätte mit fünfundzwanzig, hätt' er bereits ein Liedschaffen hinterlassen, was man public domain nennt, also öffentlicher Besitz. Und das ist sehr öffentliche Literatur.“ Williwald: „So gesehen, so gesehen...“ Kos: „Das ist die Stärke dieser Preiserklärung.“ Williwald: „So gesehen, aus Ihrer Sicht hochverdient, dass er den Preis bekommen hat. Wolfgang Kos, danke für den ...“, „Danke“, „ … Besuch im Studio.“ Nach dieser Aufregung war klar, dass Kos so keine Ruhe finden würde. Sein "Popmuseum" am 10. April 2017 ging denn auch ein auf "frühere Auszeichnungen des Songpoeten und zweifachen Ehrendoktors." (http://oe1.orf.at/programm/20170410/468866) Bei der Verleihung des Ehrendoktorats der University of St. Andrews sei er "unsinnigerweise mit ... Robert Burns verglichen" worden - wieso das unsinnig war, bleibt Kos zu erklären schuldig. Oder mit dem Song "Day of the Locusts" seien die "Heuschrecken" gemeint gewesen, die Ehrendoktoratsverleihenden der Stanford University, oder Dylan macht sich in Kos' Sendung per O-Ton anlässlich der Verleihung des Polar-Preis über die schwedischen Royalties lustig, indem er sich vor ihnen entgegen der Sitte nicht verbeugte. Warum Dylan diese Auszeichnungen dann überhaupt annahm - anders als Sartre, der den Literaturnobelpreis ablehnte und auch nicht annahm - , erklärt Kos nicht, auch musikalisch-exemplarisch nicht.

Die Ö1-Dylan-Durchgriff packte auch die Sendung "Apropos Musik" am 15. 10. 2016. Für gewöhnlich ist die zweistündige Sendung Aufnahmen der Salzburger und anderer österreichischer Festspiele gewidmet, seit 1. 5. 2017 heißt die Sendung wieder wie früher "Apropos Klassik". Doch dieser Sendetermin war plötzlich dem Rock-Spielräume-Moderator vom Freitag, Wolfgang Schlag, reserviert, der sich, ebenso sendungsuntypisch, einen Gast einlud: nicht ganz überraschend den Schriftsteller, Sänger und Hörspielautor Michael Köhlmeier. Mehr noch, die Sendung an diesem Samstag war eigentlich ein Feature, ein verstecktes Diagonal. Sie enthielt einen Ausschnitt aus Dylans ersten Radiointerview mit Cynthia Gooding 1962, flottes Drüberreden über die Musik durch Schlag, vor allem aber lange Interviewteile mit Köhlmeier (der in den frühen 80er Jahren in der Ö3-Musicbox seinen Romanerstling vortrug) zur Musik Dylans, einen kurzen Ausschnitt aus einer Rezitation von T. S. Eliots eigenem Gedicht The Waste Land, ein Lied von Hank Williams, dem "Shakespeare der kleinen Leute" (Köhlmeier), und schließlich Köhlmeiers Rezitation von zwei Strophen der Übersetzung von Gisbert Haefs, drübergelesen über die 11 Minuten und 18 Sekunden von Dylans Desolation Row. Köhlmeier meint, Dylans Erfolgsgeheimnis sei, dass seine Lieder für alle Projektionen offen sind: "Der singt das nur für mich." Er habe - nicht seine Gedichtet vertont? - "immer auch aus seinem Leben einen Roman gesponnen, eine Erzählung gemacht." (15 Uhr 22) Er sei Sammler der amerikanischen, jungen Mythen. Die herausgedeuteten politischen Botschaften seien zu 85 % in die Lyrics projiziert. Dezidiert politische Lieder gäbe es sehr wenige. Für Schlag ist Dylan der wichtigste amerikanische Schriftsteller, Rimbaud und Eliot die Referenz dazu. Köhlmeier bezieht sich jedoch auf Allen Ginsbergs "The Howl", über welches Gedicht Dylan zu Eliot gefunden habe. Frage an Köhlmeier: "Wie haben Sie die Kritik erlebt? Die Kritik ist ja sehr gespalten?" (16 Uhr 04) Köhlmeier indirekt: "Lyrik kommt von Lyra und enthält dieses Musikinstrument in sich." Lyrik, geschrieben, sei nur eine relativ kurze Epoche. "Ursprünglich ist die Lyrik gesungen worden." Dabei gäbe es einen Unterschied zur Vertonung im Lied, denn ein Song sei etwas anderes. Dylan sei ein "poetischer Staffellauf ... Poetische Bilder, die bekommen eine Metamorphose, indem sie von einem anderen verwendet werden. ... poetischer Strom". (16 Uhr 27) Dann spricht Köhlmeier noch von "Rhapsoden zur Zeit des alten Homer, und auch diese haben rezitativ die Mythen vorgetragen, auch ihnen hätte man mit großer Freude so etwas wie den Nobelpreis verliehen."

Natürlich, man kann das so stehen lassen. Man kann Köhlmeier das erste wirkliche und das letzte Wort überlassen. Dass Lyrik etymologisch von der altgriechischen Lyra kommt, geschenkt. Aber so wie sich der Roman aus dem versgebundenen Epos herauslöste, verselbständigte sich die Lyrik, die es erst in der Neuzeit gibt, aus der Strophe. Oder will Köhlmeier behaupten, dass Dylan den Tanz pflegt? Denn eine körperliche Wendung im Tanz ist die Strophe ursprünglich, und erst in der Neuzeit wird die Strophe zur metrischen Struktur von Silben und Zeilen. Weiters sind Lyrics noch nicht Lyrik. Lyrics sind Lyrisches. Das bedeutet, dass nicht jedes Wort des Gesungenen lyrisch sein muss - eben weil das Gesungene der Mitteilung und Message dient, die aber im Song extern begründet und partikulären, etwa zeitbedingten Motiven geschuldet sein kann. Nicht so Lyrik. Seit 1800 und mit der Erfindung der Literatur im frühen 19. Jahrhundert (Roland Barthes), muss hier jedes Wort stimmen und zwar in der gesamten Konstruktion des Gedichts, in dem es vorkommt. Dieser Autonomie der belles lettres ist auch der Nobelpreis für Literatur verpflichtet. Das schließt nicht aus, dass zurecht Grenz- und Sonderfälle ausgezeichnet werden wie Philosophen und Reportageschriftstellerinnen und eben auch Sänger. Das wäre zu diskutieren gewesen. Schlag war dazu nicht in der Lage. Fast drängt sich der Eindruck auf, dass die Ö1-Direktion keine Diskussionsrunde erlauben wollte, für die es wie natürlich in den folgenden Wochen und Monaten den Platz in den zwei- beziehungsweise dreistündigen Sendungen von "Diagonal" und "Freitagnacht" gegeben hätte. Die fällige Diskussion, die auch aus Abteilungen von Ö1 bestritten hätte werden können (Betriebsklima!), fand jedenfalls nicht statt. Auch so werden Klassiker gemacht: indem man sie einfach aufs Podest stellt. Eine Institution wie Ö1 gibt sich dafür her.

Zudem hat Theoretisches, wie es auch in der Literaturkritik stattfindet, in Ö1 allgemein so gut wie keinen Platz. Die monatliche "Literarische Soirée", die der Literaturkritik neuer Literatur Platz in der Art und auf dem Niveau des Reich-Ranickischen Literarischen Quartetts Platz bot, gibt es nur mehr alle paar Monate, wird nur mehr zum Teil von der Literaturredaktion moderiert und in der Sendereihe "Passagen" versteckt. Auch sonst hat es Literaturtheorie in Ö1 schwer, siehe "Ex libris": Der Sendung zu Handkes 70er (http://oe1.orf.at/programm/20121202) wurde signifikanterweise - Pop! - eine Übersetzung aus Van Morrisons "Song of Being a Child" vorangestellt. Dann kam O-Ton Handke aus einem Fernsehinterview (?). Der Beitrag wurde als 30 Minuten lang angekündigt, war dann aber nur ein 20 Minuten langes, unsachte geschnittenes, wenn auch gut eingeführtes Buchbesprechungsgespräch von Peter Zimmermann und Klaus Kastberger über drei Bücher von und über Handke inklusive des von Kastberger mitherausgegebenen Buchs über "Peter Handke und das Theater". (Interessenkonflikt?) Kastberger nützte die Gelegenheit, dem Strukturalismus eins auszuwischen: Handkes Literatur sei nur über die Person verständlich, wie als ob Barthes' Rede vom Tod des Autors“ Blödsinn wäre. Dem hätte sogar der Nichtstrukturalist Handke widersprochen.

Allgemein hat es die 'autonome', das heißt musikungebundene Lyrik in Ö1 selbst immer schwerer. "Du holde Kunst" meint Poesie, sonntags 8 Uhr 15! Und doch ist immer öfter Prosa zu hören, etwa von Gerhard Amanshauser oder einem Nichtdichter wie Erich Fromm. Es könnte an diesem Sendeplatz mehr Lyrik fremdsprachiger Autoren, auch mitunter etwas modernere Lyrik geben. Aber die romantische, überwiegend langsamere Musik muss bleiben, um dem lyrischen Interesse der HörerInnen, in sich gehen zu können, Entfaltung zu bieten. Innerlichkeit bleibt gefragt.

Diese Spannungslage der Lyrik in Ö1, die mit der permanenten Fraglichkeit der Präsenz von Literatur in Ö1 - das Hörspiel eingeschlossen - verknüpft ist, zeigt sich auch im doppelten Fortschritt zurück in der Reform 2011, nämlich mit der damaligen Zusammenlegung von „Ex librismit der Leseprobe, sodass das „Kunstradiowieder eine Stunde dauern konnte. Die vorangegangene Streichung von 15 Minuten Kunstradio war ohnehin reine Willkür von Alfred Treiber, Ö1-Chef bis 2010, der gegen das Kunstradio“ gewesen war. Im Rückblick zeigt sich auch, dass der heutige Ö1-Chef Peter Klein, Autor von Dokumentationen und Hörspielen unter anderem mit Michael Köhlmeier sowie in Ö1 seit 1999 Leiter der Redaktion „Features & Feuilleton“ und seit 2007 des Ressorts „Literatur, Hörspiel und Feature“, von seinen vor mehr als zwei Jahren angekündigten neun Reformpunkten ohne Abstriche acht durchbringen konnte. (fid, Ö1 wird umgebaut: Für Literatur ist es zehn vor zwölf 3. April 2015, 05:30 290 Postings http://derstandard.at/2000013825663/Oe1-wird-umgebaut-Fuer-Literatur-ist-es-zehn-vor-zwoelf) Und den neunten auch, denn dass die Literatur von 20 auf 10 Minuten halbiert werden würde, war wohl nur als Scherz und Test gegenüber denjenigen SchriftstellerInnen gedacht, die in den Jahren zuvor gegen die mehrmals erfolgte Kürzung der "Radiogeschichten" vor 12 Uhr lautstark protestiert hatten. Im Endeffekt kamen sogar fünf, wenn auch nicht mehr Minuten zurück.

Den Nobelpreis bekam Dylan an dem Tag verliehen, als Christine Nöstlinger achtzig wurde. Wie wenig bekannt, schreibt die großartige Kinderbuchautorin Nöstlinger für die Sendung "Rudi! Radio für Kinder" von Anbeginn seit 2003 Geschichten, die inzwischen nur mehr jeden zweiten Dienstag ausgestrahlt werden, davor auch jeden Freitag. Das Jubiläumsprogramm war eindrucksvoll: "Die Hörspiel-Galerie" am Samstag, den 8. Oktober 2016 um 14 Uhr, die "Nachtbilder - Poesie und Musik" am Samstag, den 8. Oktober 2016 um 22 Uhr 05 unter dem Titel "wos i mir wünsch", von Nöstlinger selbst gelesen, die Interview-Einladung in das "Café Sonntag" am 9. Oktober 2016, die "Radiogeschichten" am Montag, den 10. Oktober 2016 um 11 Uhr 40, eine Ex-Libris-Nachlese Best of Christine Nöstlinger in den "Tonspuren" von Peter Zimmermann, gelesen von Chris Pichler, am Montag, den 10. Oktober 2016 und 21 Uhr und schließlich "Rudi! Radio für Kinder" am 11., 12. und 13. Oktober 2016, jeweils um 14 Uhr 55. Eine würdige Feier.

Weniger würdig die Sendungen zu Elfriede Jelineks 70. Geburtstag am 20. Oktober 2016. Der Zufall wollte es, dass am Samstag nach der Dylan-Nobelpreisverleihung unmittelbar vor der extra angesetzten Dylan-Hommage von Schlag/Köhlmeier in der Sendung "Apropos Musik" am 15. 10. 2016 das Hörspiel "Jackie" von Elfriede Jelinek aus 2003 gesendet wurde. Dieses Hörspiel enthält gleich zu Beginn Dylans Song "Leopard-Skin Pill-Box Hat" (14:01:20-14:05:10). In ihrer Abmoderation Monika Calcsits triumphal: "Und jetzt in voller Länge Leopard-Skin Pill-Box Hat von Bob Dylan, dem frisch gekürten Nobelpreisträger" (ab 14:57:30 Uhr), aber Calcsits muss drübersprechen und abbrechen, es ist 15 Uhr.

Auf Schlag/Köhlmeier folgte also "Diagonal. Zur Person Elfriede Jelinek. Eine Gespensterjagd. Präsentation: Christine Scheucher". Diagonal macht eigentlich nie Jubiläumssendungen. Aber wie sollte Ö1 sonst mit der Schriftstellerin umgehen? Ö1 war gegenüber Jelinek mutlos und ratlos - das grandiose, seinerzeit 2004 erstausgestrahlte zweistündige "FM4 Doppelzimmer" mit Elisabeth Scharang konnte wegen der Ö1-fremden Musikeinschlüsse nicht verwendet werden - , trotz Günter Kaindlstorfers wiederholtem Radioengagement für Jelinek, trotz der teilweise auch für "Diagonal" arbeitenden Ö1-Literaturredakteure Kristina Pfoser, Nicole Dietrich, und Peter Zimmermann. Scheuchers eigener Beitrag stützt sich auf zum Teil 16 Jahre alte O-Töne, ohne das sie das angemerkt hätte. Im sehr langen Intro (17 Uhr 04 bis 17 Uhr 17) ist wenig Schmeichelhaftes zu hören: "Früher begegnete man ihr ... in der S-Bahn, die von Hütteldorf bis in die Innenstadt führt <wäre die U-Bahn>. ... Elfriede Jelinek war eine Erscheinung ... Jelinek bringt ihren Körper gewissermaßen zum Verschwinden." Da wirkt die Erläuterung der Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl fast schon komisch: "Sie sieht sich vor allem selbst als Gespenst." (17:11:20 Uhr). Später eine verwirrende Überblendung von "das stört sich ja gegenseitig ständig" mit dem Beginn des zweiten Satzes von Schuberts Sonate für Klavier Nr. 20. Dann bleibt der Schwerpunkt in Wolfgang Seibels Beitrag über die Marathon-Urlesung von Jelineks "Die Schutzbefohlenen" unausgewiesen. Scheucher: "Eine ästhetische Strategie, die auf einer sprachphilosophischen Einsicht der Moderne fusst, einer Erkenntnis, dass wir nicht mit der Sprache sprechen, sondern vielmehr von ihr gesprochen werden. <das war nicht die Sprachphilosophie, sondern Jacques Lacan> Zentral für Elfriede Jelineks textuelle Verfahren ist Roland Barthes' Mythenkritik, die er in den 'Mythen des Alltags' ..." (17:38:40) "Später spricht sie bei den Donnerstagsdemonstrationen gegen die Schwarz-Blaue Regierung." (17:40:10-17:59:30) Nein, sie ließ sprechen und zwar genau einmal am 22. Juni 2000 ihr Stück "Das Lebewohl (Les Adieux)" durch Martin Wuttke, auch als CD, produziert von der Botschaft besorgter BürgerInnen 2001, auf die hinzuweisen und aus der etwas zu spielen ungenutzt blieb. Kurze Klänge folgen, unmotiviert der Moderation unterlegt. Später Paul Hörbiger das Fiakerlied singen zu lassen quasi als letztes beschwichtigendes Wort zum Skandal um Jelineks Stück 'Burgtheater', grenzte bereits an Geschmackslosigkeit. Noch später kam es zu einer kurzen, nicht sich entfaltenden Diskussion mit Strigl und Klaus Kastberger (18 Uhr 18 bis 18 Uhr 25). Dann (18:31:50 bis 18:32:00) Scheuchers harter Übergang vom selbst verfertigten Kürzestbeitrag über Jelineks Roman 'Lust' zur Anmoderation von Andrea Hauers immer wieder musikalisch unterlegtem Beitrag zu Jelineks Bezug zu "Mürzzuschlag: Heimat bist du großer Töchter!" Dann unterläuft Scheucher der Ausdruck "sogenannter Internetroman 'Neid'" (18:30:20) Was heißt das? Dass es kein Roman ist, wie es Jelinek beansprucht? Dass es kein Roman für das Internet ist? Beide Bedeutungen bleiben unbehandelt. Es entsteht während der zweistündigen Sendung ein großer indirekter Gefühlsraum, der nicht mehr so recht zum Direkten und Zusammenfassenden à la Scheucher passt. Was gab es neben Paul Hörbiger noch an Musik? J. S. Bach, Die Kunst der Fuge Nr.1-5 Orgelfssg., Contrapunctus 2 02:50 min; Olga Neuwirth, "Lost Highway", 2./Intro 02:26 min (überblendet und unkommentiert), Sergej Rachmaninoff, Prélude für Klavier in g-moll op.23 Nr.5 03:48 min; Maschanzka, Alpendilemma (CD Tanzcafe Unterholz) 02:50 min.

Die Ehre Jelineks rettete Otto Brusatti einige Tage später an Jelineks Geburtstag am 20. 10. 2016. "Pasticcio", zwanzig nach acht. Brusatti liest aus Jelineks Text "Ungebärdige Wege, zu spätes Begehen. Die Zeit flieht" von 1997, einem Text über Franz Schubert, geschrieben anlässlich der damaligen Schubert-Großausstellung. Brusatti rezitiert abwechselnd zu Musik: Schuberts Klaviersonate D 959 - 2. Satz Daniel Röhm 8:50 min, Klaviersonate D 960 - 1. Satz (Ausschnitt) Horowitz 14:15 min, Johann Sebastian Bachs Französische Suite Nr. 3 BWV 814 (Ausschnitt) Gould 5:00 min (leider mit abruptem Hineinreden und Abbrechen der Musik mitten im Satz). Die Sendung ist langsam und beinahe traurig. Aber wie aus dem Nichts gibt es die Zeit, die das nur mehr 35-minütige Pasticcio sonst nicht hat. Es ist beinahe, als ob es des Ablebens Jelineks zu gedenken gilt. Herbstlich. Als ob Brusatti an die später folgenden Worte der Schriftstellerin erinnern will. Dann, 8 Uhr 53 und 20 Sekunden: "Und da kommt uns eine Nobelpreisträgerin entgegen, die etwas anders, dichter und vereinnahmender schreiben kann als etwa aktuelle Kollegen von ihr, die halt spätpubertäre Weltrettungsgedichte vorzusingen pflegen. Gut, da passt doch der in den nächsten Sekunden vorgesehene Ö1-Trailer <Wagner und Verdi, von Amarcord/Elisabeth Kulmann, ORF-CD>, der heißt: Wer wagt es, mich zu höhnen?" Brusatti pinkelt unüberhörbar Dylan ans Bein, Jelinek wird mißbraucht. Noch einmal: Wo blieben die Fähigkeit und die Bereitschaft der Ö1-Leitung, kreativ einzugreifen und Spannungen wie die für die gesamte Ö1-Mitarbeiterschaft stellvertretende zwischen den Altvorderen Kos und Brusatti produktiv in Sendungen umzusetzen?



m. "Musik aus allen Richtungen" der Welt?



Sich orientieren heißt,

in der eigentlichen Bedeutung des Worts:

aus einer gegebenen Weltgegend

... die übrigen ... zu finden.

(Kant 1977, 269)



Wenn schon die sich sonst aufplusternde Radio-"Information", das heißt die Journal-Sendungen und die Nachrichten, außereuropäisch nur in Politik- oder Natur-Katastrophenfällen über Afrika, Asien, Australien und Lateinamerika berichtet - ausgenommen die Korrespondenten für Ägypten Karim El-Gawhary, für die Türkei Jörg Winter, für Israel Ben Segenreich, für China Raimund Löw und für Japan Martin Fritz (siehe auch http://der.orf.at/unternehmen/who-is-who/auslandskorrespondenten/index.html 29.5.2017) - , dann muss das für die Musikredaktion nicht heißen, ebenso beschränkt zu bleiben. Doch es scheint, dass die Sendung, auf deren Titel und Mit-Erfindung Kos so stolz ist - "Spielräume - Musik aus allen Richtungen" - , titelmäßig schon seit Langem nur eine Halbwahrheit ist. Die "Spielräume", sonntags bis freitags um 17 Uhr 30, schließen, wenn über Europa hinausgehend, Musik - Weltmusik! - aus dem Osten, Südosten, Süden und Südwesten dieser Welt nicht ein. Dabei hat ORF-Generaldirektor Wrabetz zuletzt in seinem Konzept zu seiner Wiederbewerbung für die ORF-Generaldirektion vom 1. August 2016 ausdrücklich als eines der "vorrangige(n) Ziele ... die klarere Positionierung von Ö1 als Klassiksender mit wohldosierten Ausflügen in die Genres Jazz und Weltmusik definiert." (Dr. Alexander Wrabetz, #ORF2021. Der ORF als Leitmedium im digitalen Zeitalter. Konzept zur mittel- und langfristigen Entwicklung des ORF als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen. Geschäftsführungsperiode 2017–2021(1.8.2016) http://images.derstandard.at/2016/08/09/BewerbungskonzeptWrabetz_1.pdf, 36)

Weltmusik? Das heißt für Albert Hosp, der in seinen "Spielräumen" in erster Linie für diese Musik zuständig ist, in seinen Dienstag-Ausgaben vom 23. 8. 2016 bis 30. 5. 2017 nur Acts von Glatt & Verkehrt 2016 (30. 8.), Trio Mandili (15.11.), Dhafer Youssef, Seckou Keita und Omar Sosa (6. 12.), Independent Label Piranha (7. 2.), Wadih Al-Safi (14. 3.), Miriam Makeba und Ravi Shankar (2.5.), Svavar Knútur, Samba Touré und Mabiisi (16. 5.) und, gestaltet von Johann Kneihs, Noura Mint Seymali und Anoushka Shankar (18. 10.), sowie Mirjam Jessa, Musik aus armenischen Dörfern und Dorfkirchen (30. 5.). Das sind gerade einmal neun von 36 Sendungen. Anzumerken ist, dass auch sonst nur acht Sendungen nicht-österreichischen, europäischen Musikern gewidmet waren. Gewiß, auch in Österreich gibt es Weltmusik, aber auch diese blieb in Hosps Sendungen klar in der Minderheit.

Und Weltmusik in anderen Sendungen auf Ö1? Afrikanisch-österreichische Musik, im Radiokolleg gebracht von Maria Reininger. Allenfalls könnten noch dazu gezählt werden Projekte aus dem "Kunstradio", die seltenen Ö1-Extra-Schwerpunkte von "Nebenan. Erkundungen in Europas Nachbarschaft" oder, wenn, selten genug, von der European Broadcasting Union Förderungen genutzt werden, "Zeit-Ton", das dann Avantgardistisches aus Länder europäischer Randlagen bringt. Das offener gehaltene Ö1-Konzert freitags um 19 Uhr 30? Die Ö1-Freitagnacht? "Le weekend"? Oper am Samstag? Fehlanzeige.

Weltmusik, das könnte im ORF - wo sonst als auf Ö1? - Musik sein aus Nordasien, Vorderasien, Südasien, Südost-Asien. Aber, und es dürfte einer der Gründe für die mangelnde Repräsentierung auf Ö1 sein: Das gelingt nur, wenn man sich nicht auf die World-Music-Industrie verlässt und was diese von CDs an Musikredaktionen wie diejenige von Ö1 schickt. Hosp oder andere müssten von sich aus aktiv recherchieren, Kontakte zu den Radiostationen dieser Welt pflegen sowie dezidiert und explizit im Internet recherchieren. Davon ist in Hosps Dienstag-"Spielräumen" nichts zu spüren. Natürlich bräuchte es auch mehr als nur 27 Minuten pro Woche. Die Befürchtung ist, dass dem der Geist entgegensteht, der mit der Einführung des "Lexikon(s) der österreichischen Popmusik" in das Radiokolleg den österreichischen Nationalismus vorantreibt.



n. die Musikinstrumente von Ö1 und die Musikschulen Österreichs



Ob es daran liegt, dass der Ö1-Bereich "Schule" nicht in der Musikabteilung von Ö1 ressortiert (http://oe1.orf.at/schule) - jedenfalls ist es erstaunlich, dass Musikerziehung auf Ö1 nicht vorkommt: Computer, Deutsch, Ethik und Religionen, Gender und Diversity, Geografie, Geschichte, Kultur, Naturwissenschaft, Politische Bildung, Psychologie, Technik sowie Wirtschaft beschränkt. Dabei zeigt ein Blick auf die Zahlen, dass für Instrumentalerziehung bundesweit beträchtliche Anstrengungen unternommen werden (http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Musikschulwesen.xml). Es sind dies Anstrengungen, die sich unter Anderem auf einen ganzen Kosmos von Musikinstrumenten richten und sich weder schwerpunktmäßig auf die Instrumente der leichten Muse, noch auf die leichte Musik der Gegenwart beschränken.

Gemäß dem Lehrplan der Konferenz der österreichischen Musikschulwerke (http://www.komu.at/lehrplan/fachspezifischerteil.asp, 2005ff.; vgl. http://www.komu.at/lehrplan/ueber_lehrplan.asp) werden an nicht-universitären Schulen Gesang unterrichtet und die folgenden Blas-, Tasten-, Saiten- und Schlaginstrumente für viele Bereiche der heute weltweit praktizierten Bereiche:

- Gesang, Horn, Posaune, Trompete, Flügelhorn, Blockflöte, Kontrabass, Viola, Violine, Violoncello, Orgel, Harfe, Zither, Hackbrett, Flöte, Klarinette, Oboe für Musik ab dem Mittelalter,

- Gitarre und Cembalo für Musik ab der Renaissance,

- Fagott für Musik ab dem Barockzeitalter,

- Schlaginstrumente, Klavier für Musik ab der Klassik,

- Saxophon, Tenorhorn, Euphonium und Tuba für Musik ab der Romantik,

- elektronische Tasteninstrumente, E-Bass, E-Gitarre für Musik des 20. Jahrhunderts und zeitgenössische Musik,

- viele der angeführten Instrumente für Volksmusik und Musik anderer Kulturen, Jazz und Popularmusik, Musik mit audiovisuellen, elektronischen Medien,

- schließlich das Akkordeon und die die steirische Harmonika für Musik aus allen Epochen bis zum 21. Jahrhundert, für ethnische Musik (Tango, Musette, Chanson, Klezmer, Cajun, Forró, Chamamé, Dixie, Zydeco, Country, Balkan, alpenländische Volksmusik, volkstümliche Musik), Jazz, Pop, Rock, Blues, Rock ’n’ Roll, Boogie und Swing.

Zwei Vorschläge:

(a) mindestens einen Tag der "Spielräume" der Musik jener instrumentalen Vielfalt widmen, die sonst von auf Ö1 nie gehörten Instrumenten gespielt wird. Volksmusik, World Music, aber nicht nur. Wolfgang Schlags "Spielräume" vor vielen Jahren war eine Sendung, die einer ungewöhnlichen, teilweise avantgardistischen Volksmusik gewidmet war. Sie wäre der konzeptionelle Ausgangspunkt.

(b) Renate Burtscher, Ingeborg Suchy, Michael Neuhauser und andere haben von 2008 bis 2012 ein sehr gutes akustisches Ö1-Musiklexikon mit Experten und Musikern produziert: http://oe1.orf.at/musiklexikon (vielleicht kommt der Webmaster der neuen Ö1-Webseite ab dem 1. Mai 2017 noch auf die Idee zu markieren, dass hier Mp3-Files angeklickt werden können). In dieses Musiklexikon sollte die Instrumentenvielfalt Eingang finden. Aus dem derart erweiterten Musiklexikon könnten dann konzeptionell und ressourcenmäßig Sendungen von (a) gespeist werden. Bei besserer Verankerung und Verlinkung dieses Musiklexikons auf der Ö1-Webseite und Verknüpfung mit dem Ö1-Programm könnte dem Musiklexikon - und der an Österreichs Musikschulen praktizierten Instrumentenvielfalt - der ihm gebührende Rang sichtbar und hörbar gemacht werden - gegen das nationalistische "Lexikon der österreichischen Popmusik" im Radiokolleg, dessen Instrumente sich auf Gitarren, Schlagzeug und Keyboards beschränken.



o. derstandard.at, zum opinion leading missbraucht



Heute, aus der Distanz zu den vergangenen Jahren, so auch zum 3. April 2015, kommt einem die nahezu vollkommene Stille um die Sendung "Ö1 bis zwei" in den Standard-Diskussionen merkwürdig vor. Das gilt auch für die 290 Posts zu jenem Artikel, in dem Ö1-Chef Peter Klein neun Reformpunkte ankündigte, von denen er acht ohne Abstriche durchbringen konnte (fid, Ö1 wird umgebaut: Für Literatur ist es zehn vor zwölf. Schluss mit Talk zur Geisterstunde, dafür Diskurs von eins bis zwei. Weniger Wissenschaft für digitale und andere Medien am Freitag. Fünf Stunden Kunst am Sonntag. Weniger Information zur Nacht, mehr Fläche täglich in der Früh: das Reformkonzept für Ö1, http://derstandard.at/2000013825663/Oe1-wird-umgebaut-Fuer-Literatur-ist-es-zehn-vor-zwoelf 3. April 2015, 05:30).

Dieser Artikel und seine Posts verdienen ein genaueres Hinsehen. Der erste Post um „06:03:02 1- 5+ Zu viel reden am Morgen = wechsel zu Radio Stephansdom“, ja die ersten „Reaktionen“ auf Harald Fidlers Artikel wie eben genau dieser erste Post zeigen, dass dieses User-Forum hier eine Kampfzone ist, die unglaublich viel Scheinheiligkeit und zum Teil vorgebliches Unwissen enthält ((zum in der folgenden Dokumentation beibehaltenen, entlarvenden Deutsch: Wer denn, abgesehen vom schnellen Handy- und Laptopschreiben, der Ö1-HörerInnen würde so schlecht deutsch schreiben?)):06:17:59 6- 19+ <6- = 6 Minus 19+ = 19 Plus> Ich hätte dafür gern weniger klassische Musik, vor allem kein Gesang. Oper klingt nicht gut übers Küchenradio oder Autoradio. Von mir aus könnte viel mehr geredet werden, das finde ich irgendwie entspannend. Aber immer wenn ich einschalte, knödelt ein Tenor vor sich hin, oder der nervige Hund ist am Wort, wuff wuff.“ (Antworten der nächsten Ebene: 06:37:24 3- 12+ Ich wünsche mir auch weniger Oper und mehr das gesprochene Wort auf Ö1.“ und: „06:32:12 3- 5+ Kann ihnen da nur zustimmen. Der Hund nervt total, und ich wünsche mir auch mehr Gesprochenes und weniger klassische Musik.“) oder: „06:19:14 14- 0+ Die meisten hören Ö1 ja wegen der Musik und nicht der Information und "Reden". Und netto verkürzt sich diese Zeit sogar. Dass das 6-Uhr-Journal, mit dem ich aufstehe verkürzt wird begeustert mich gar nicht.(Antwort der nächsten Ebene: 06:48:42 wenn das gedudel anfängt, schalt ich um!) Oder: „06:51:37 1- 3+ und was tut einer, der angst vor religionen hat?“ Dann:06:53:37 2- 11+ es gibt ein wesentliches Must Have bei dieser Reform: Rudi der depperte Radiokläffer muss weg - von mir aus bringts Mimi die Radiogaatze, aber wenn der noch einmal Wuff sagt, schalt ich nie mehr Ö1 ein ;)) Ich höre jetzt seit 15 Jahren Ö1 und ich liebe den bunten anspruchsvollen, gut ausgewogenen, manchmal lehrrecihen, manchmal spannenden, immer aber interessanten Mix. Ja, die KammersängerInneneinlagen sind mir auch manchmal ein Greuel, aber Geschmäcker sind halt verschieden (es gibt sicher Leute die Rudi den Radiohund auch gern mögen, so zwei oder drei vielleicht). Meine Bitte zur Reform lautet daher: Finger weg von den ModeratorInnen -. die sind durch die Bank erste Klasse und bitte bitte lasst der Klassik ihren Raum !“ ((Die folgenden, sich aufstufenden Kommentarebenen: „07:08:20 3- 2+ Aha! Sie sind wohl auch so einer von der Katzenfraktion?! Wissen sie was ich ihrer Fraktion gönne? Katzenmusik! Jaulen und Kreischen, dass es eine Freud ist! (Aber das gibt es eh schon. Wechseln sie bitte zu Ö3!!)“ „09:28:19 1- 4+ Jaulen und Kreischen gibts eh schon täglich auf Ö1 zwischen 23h und 24h.“ „11:37:38 0- 1+ Free Jaaaaaaaaaazzzzzzz!“12:59:14 0- 2+ Free Jazz Das ist KEIN free jazz! Der Horror nennt sich Zeit-Ton.“)) Dann: „06:51:46 0- 10+ ...also ich mag den radiohund rudi!“ und: „06:45:27 0- 10+ Das Dimensionen-Magazin war aber nicht schlecht.“ und: „06:34:16 2- 9+ Finde es immer wieder faszinierend, dass es so viele Fans klassischer Musik (tagsüber) und des Jazz (gefühlt jeden Abend) gibt. Wenn es nach mir ginge, könnte es dauernd nur Informationssendungen oder Reportagen spielen...“ und: „06:24:39 1- 4+ Diese Koffer. Machen 5.000.000 Gewinn und schnalzen das Programm. Ich hatte gehofft, es hat sich von denn mal jemand DEUTSCHLANDFUNK und RADIO und so über Tage angehört und seine Lehren daraus gezogen. Mitnichten. Schade eigentlich.“ und: „06:19:27 2- 6+ Bis auf die Kürzung der Literatur, kommen die Änderungen meinen Hörgewohnheiten entgegen. Schaumermal wie es weiterhin um die Qualität bestellt ist.“

Es zeigt sich, dass ein beträchtlicher Teil an Insider posten. Zuerst die verbreitete Forderung nach Sparten (sie ist immer eine unterschwellige Forderung nach Ökonomisierung, läuft langfristig auf Stillstand im Content hinaus, siehe FM4):

07:11:32 2- 9+ Am besten wär eine ausweitung auf zwei sender. Einer für musik wie bisher, allerdings 24 stunden, der zweite für informationen und diese am besten mehrsprachig. Ist zwar nicht realistisch, weil der höreranteil von ö1 zu gering ist, aber wünschen darf ich :-)“

Es kommt eine Antwort auf der ersten Kommentarebene, die eine leise Verteidigung von Ö1 bis 2 enthält < = Insider-Wissen: Kürzung der 18-Uhr-, 6-Uhr- und Nacht-Journale, des Pasticcio>: „07:31:18 0- 19+ also wir gefällt der Mix und ich halte ihn für das wesentliche Merkmal von Ö1. Reine Klassiksender und reine Infosender gibt es auf der ganzen Welt. Etwas schade finde ich, dass "Ö1 bis 2" dran glauben muss, neben Pasticcio (wird auch verkürzt) eine meiner Lieblingssendungen.“ Darauf 'antwortet' (!) ein Radio-Newsmacher (?), wobei das die User-Community offensichtlich kalt lässt: „08:42:47 1- 1- Es sollte zumindest zu jeder vollen Stunde ein Informationsblock kommen. Für mich ists zu wenig. Der Deutschlandfunk macht es jedenfalls für mich persönlich besser.“ Später kommt eine etwas längere Verteidigung von "Ö1 bis zwei", auf Kosten von "Von Tag zu Tag", das beinahe verleumdet wird: „09:21:37 4- 3+ Einige Anmerkungen II Grundsätzlich kann ich dem neuen Programm einiges abgewinnen. Ein paar Anmerkungen: Der bisherige Talk zwischen 2 und 3 war übelste Seniorensendung, gelegentlich auf Barbara-Karlich-Niveau und ein Abschaltgrund, es bleibt zu hoffen, dass der neue Talk interessanter wird - meiner Meinung nach braucht es auf Ö1 keinerlei Call-In-Sendung. Ebenso hoffe ich, dass die Musikschiene danach mit dem großartigen Ö1 bis 2 vergleichbar bleibt - Gustav Danzinger forever!! ;-)“

Noch eine Kostprobe. Ist sie wieder von einem Radiomacher gepostet, weil so wohlüberlegt geschrieben?: „13:06:59 Nein, nein und nochmals nein. Ich schätze gerade besonders das Gesamtpaket in gut ausgewogenen Anteilen von Info, Musikstilen, Kultur, Literatur, Wissenschaft, Diskursen ("Im Gespräch"), Gesprächen mit phone-in (speziell "Nachtquartier") und ja: auch purer, nicht hochtrabiger Unterhaltung.“ Dies als Antwort auf einen des Deutsch weniger mächtigen Poster: „09:00:17 0- 3+ das ganze ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Als Ergänzung zu Ö1 bedarf es einem Informations- & Nachrichtensender (Ö5 Info), nach deutschen Vorbild (Bayern5 Info, NDR Info usw.). Dieser permanente Umbau - da wird reduziert, dort wird aufgstockt ist unerträglich. Es wird doch in diesem Land auch Platz für zwei Sender sein - einen Sender für Klassik/Kultur und einen zweiten für pure Information- und Nachrichten.“

Das reicht für ein Bild der Poster zum genannten Artikel. Sicher, es werden hier auch andere, von Streichungen bedrohte und inzwischen auch betroffene Sendungen von Ö1 mit keinem Wort erwähnt. Aber nicht deswegen kommt die Vermutung auf, dass hier und sonstwo neben den in derstandard.at nicht repräsentierten Snail-Mail-SchreiberInnen eine gewisse lose Gruppe von Postern das Sagen hat, das heißt: die Meinung bildet. Es handelt sich dabei um ein gebildetes, informiertes, keineswegs ressentimentfreies, intolerantes, witziges sowie gewandt, hart und knapp formulierendes Publikum. Wohl hauptsächlich Männer unter 50, mit einem nicht unbeträchtlichen Anteil von News-JournalistInnen. So ein Eindruck drängt sich jedenfalls auf. Wer sonst würde würde denn um sechs Uhr früh wach und kompetent zu einem Spezialthema wie der Ö1-Reform posten? Nicht MusikliebhaberInnen, am wenigsten wohl Klassik-Fans. Und weil der von vielen angefeindete Radiohund Rudi (wochentags 14 Uhr 55, seit 1. Mai 2017 eine Stunde später) nicht nur für Kinder, sondern auch für Literatur steht, ist auch Literaturfeindlichkeit am Werk.

Hier, aber auch in anderen oft unsachlichen, die Sache links liegen lassenden Posts bei anderen einschlägigen standard.at-Artikeln ergibt sich - man muss es sagen, durch die medienpolitik- und news-zentrierte ORF-Beobachtung von derstandard.at begünstigt - eine zum Teil widersprüchliche Tendenz: gegen das Vollprogramm (Inforadio!), gegen längere Wortbeiträge, gegen eine angeblich vorherrschende Linke in den Journalen, gegen die Alten und den 'historischen' Sender, gegen die Klassik, gegen Musik überhaupt, gegen Ö1 überhaupt. Die Tendenz ist analog dem blinden Affekt gegen das Öffentlich-Rechtliche des ORF-Fernsehens, wenn auch keineswegs der gleiche Affekt. So die Rede im Post vonGutmenschen-Hörfunkoder finden wir uns damit ab: ö1 ist ein dead man walking.(Olga Flor, Gerhard Jaschke, Petra Ganglbauer, Sabine Gruber, Monika Helfer, Ilse Kilic, Michael Köhlmeier, Robert Menasse, Doron Rabinovici, Robert Schindel Im Namen der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung im Namen der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung, Ö1-Reform "dumm und gefährlich". Protestbrief der Grazer Autorenversammlung http://derstandard.at/1304553528130/Autoren-protestieren-Oe1-Reform-dumm-und-gefaehrlich 2. Juni 2011, 18:56 230 Postings) Dass die Verteidiger der Literatur weniger Klassik begrüßen würden, ja Klassik und deren Qualität und Moderation verkennen (es gibt null erkennbare Klassikfreunde unter den 290 Posts zu "Ö1 wird umgebaut: Für Literatur ist es zehn vor zwölf", Stand 23. 6. 2017), ist ein unmissverständliches Anzeichen der Entsolidarisierung. Statt den Wortanteil (und damit natürlich auch Literatur) auszubauen, wird auf Ö1 immer mehr und mehr Klassik von der CD gedudelt. Ist halt am billigsten produzierte Sendezeit und geht immer super als 'Hochkultur' durch.“ (Post zu: Olga Flor... siehe oben)

Oder, einfach nur Kulturfeindlichkeit wie etwa an diesem Ort: Für mich ist die Zeit dieses 'einer deckt alles ab' mit den Spartenprogrammen vorbei (ORFIII, ZDFkulur, ZDFneo). Mir fehlt daher ein reiner Infosender, der mich auch als mittdreißiger voll und ganz anspricht - Ö1 ist in weiten Teilen viel zu altbacken.(APA, Ö1-Redakteure klagen über Kostendruck. Redakteurssprecherin Frank: Senkung der Pro-Kopf-Kosten sorgt für Probleme - Amon sieht ebenfalls Spardruck http://derstandard.at/1330389989354/ORF-Radio-Oe1-Redakteure-klagen-ueber-Kostendruck 29. Februar 2012, 14:14)

Und noch mehr Kulturfeindlichkeit kommt so daher (red, derStandard.at, Neues Ö1-Programm als Sparprogramm: 125 Minuten weniger Wissenschaft http://derstandard.at/2000013924678/Neues-Oe1-Programm-als-Sparprogramm-125-Minuten-weniger-Wissenschaft-pro 7.4.2015 8:08): "Werner Beidl 12 7. April 2015, 23:21:04 0- 1+ Dafür noch mehr Berichte über irgendwelche Festwochen." "DieWahrheitistdenMenschenzumutbar 3 7. April 2015, 18:44:40 1- 1+ exakt Habe die ORF1 lerInnen auch als ziemlich überheblich empfunden, als ob sie das Wissen mit dem Löffel gegessen hätten. Es wäre besser das Geld in BürgerInnenradio zu investieren und den Forschern selbst Airtime zu geben." "Informatiker 26 7. April 2015, 20:25:10 1- 0+ Die Überheblichkeit kommt von der fachlichen Unsicherheit. . Es ist aber auch schwer, mit Uni.Leuten als Laie ins Gespräch zu kommen. Meist sind nur Mittelmäßige interessiert. Außerdem fällt die Neidgenossenschaft über die Interviewten her, weil es ja alle besser wüssten und könnten …" "oskar1918 8 7. April 2015, 16:38:34 0- 0+ www.Deutschlandfunk.de anschauen und über INTERNETRADIO empfangen....easy.....sehr sehr leicht zu machen.... ....und sich dann mal voll dröhnen mit Nachrichten und Klasse Magazinen. Auch Österreich ist immer wieder -sehr sehr oft - Teil dieser Berichterstattung, welcher Art auch immer. Sollte auch GRASL, der Vasall desNÖ_PRÖLLs, mal tun - etwas TUEN. Wrabetz, Amon auch...." "anteide 7. April 2015, 09:32:09 3- 2+ Schade, nicht? Aber ich find O1 ohnehin langweilig. Verstehe z.B. nicht, warum man so viele religionsbedingte Sendungen bringt, noch dazu zu einer Hauptsendezeit nach dem Abendjournal. Kindersendungen solltenbesser in die Regionalradios verlagert werden. Ich schalt da lieber die Deutschen Kultursender, da gibt es mehr KULTUR-info, dazu gehört mM auch Wissenschaft."

Der Grad des Einflusses von derstandard.at und seiner PosterInnen ist kaum zu überschätzen. Es braucht, um ihn richtig einschätzen zu können, eine literacy neuer Art. Besonders wichtig zu erkennen, wer von der Meinungsbildung ausgeschlossen ist, weil das Medium derstandard.at nicht wahrnehmend und von ihm befremdet und abgestoßen. Diese Abschätzigkeit aber liegt, solange nicht Gesetze übertreten werden, nicht im Verantwortungsbereich von derstandard.at, sondern allein an denjenigen, die daraus Schlüsse ziehen möchten wie etwa alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ö1-ProgrammreformerInnen.



p. Darf ich ein paar Minuten wegknabbern? 10.080 Minuten, Werbeanteil



Niklas Luhmann hat unter dem Eindruck der europäischen Privatisierung der Medien seit den 80er Jahren aufklärerisch-ironisch von nicht nur zwei, sondern drei Programmbereichen gesprochen. Zu den Nachrichten und der Unterhaltung komme gleichrangig die Werbung hinzu. (Luhmann 2004) Diese Trinität wurde nicht nur wegen der beträchtlichen Sendezeit und der alle anderen Sendungen fast überstrahlenden stimulativen Werbeintensität im Fernsehen konstatiert. Vor allem ging es Luhmann um die strukturelle Funktion und Dynamik der sogenannten 'Information', die auch für das Radio das grundlegende momentum ist, um das sich alles drehe. Für Medien, so der deutsche Universalsoziologe, geht es nicht einfach um Information als solche. Information ist relevant nur, indem sie auf Nichtinformation bezogen ist. Dieser Bezug muss aber auf bestimmte Weise kodiert sein. Er gestaltet sich für Nachrichten, Unterhaltung und Werbung auf verschiedene Weise. Die dreifache Binnendifferenzierung durch den Code Information/Nichtinformation wird in den drei Programmbereichen durch jeweils bestimmte Kriterien der Auswahl von Information unterschieden. Das heißt, Nachrichten/Berichte, Werbung und Unterhaltung stützen sich gegenseitig mit jeweils bestimmten selbstbezüglichen Vernetzungen, die mit Moralen und Präferenzen des Publikums einhergehen. (4. Kapitel "Systemspezifischer Universalismus") Zudem sind für das Erkennen des Programmbereichs besondere Signale erforderlich, die die Sendungen rahmen“, interne und externe. (118) Doch gerade wenn man von der Codierung Information/Nichtinformation ausgeht, beeindruckt die Verschiedenartigkeit der Realisationen, der Erzeugung von Irritation und Information in den einzelnen Medienbereichen.“ (119) Dass Information realisiert, das heißt, nicht einfach nur performt wird, sondern auch Realität herstellend vollzieht, führt zur inspirierenden Frage, wie Realität und welche Gesellschaft mit ihr in den drei Programmbereichen eines Massenmediums wie Radio beschrieben wird. (Beginn Kapitel 11 "Die Konstruktion der Realität") Nach Luhmann haben die drei Programmbereiche also verschiedene Realitätskonstruktionen. Der „wichtigste, durchgehende Grundzug ist, daß die Massenmedien im Prozeß der Erarbeitung von Informationen zugleich einen Horizont selbsterzeugter Ungewißheit aufspannen, der durch weitere und immer weitere Informationen bedient werden muß. Massenmedien steigern die Irritierbarkeit der Gesellschaft und dadurch ihre Fähigkeit, Informationen zu erarbeiten.“ (149) Das rätselhafte Phänomen der Werbung (Beginn Kapitel 7 "Werbung") ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Reflexivfigur des Informationswertes der Nichtinformation“ (42) nutzen muss.

Wenn heute nach mehr als 20 Jahren der so beschriebene Gegenstand Massenmedien beinahe wie ein (soziales) Naturphänomen klingt, so bleibt der Gesetzgeber für den österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk unbeirrbar: "§ 14. ... (4) Eines der österreichweiten Programme des Hörfunks gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 hat von Werbung frei zu bleiben." (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785 Zugriff 30.5.2017) Gemeint ist Ö1. Dennoch hat die Werbung seit Langem klammheimlich in das Programm von Ö1 Einzug gehalten, ohne dass das weiter jemandem aufgefallen wäre. Es geht dabei weniger um diverse "Festspielpartner" und andere 'Partner', die vor der sonntäglichen 'Matinee' um 11 Uhr 03 oder vor "gehört.gewusst. Das Ö1 Quiz" die Sendung gewidmet bekommen.

Es geht vielmehr um die Eigenwerbung, die inzwischen penetrante Ausmaße angenommen hat und das zitzerlweise zunehmend über die Monate und Jahre. In Luhmannschen Termini wurde die Ö1-Werbung durch DIE Werbe-Stimme, nämlich Stefan Pokorny signalisiert. Aber es gibt auch Bernhard Fellinger oder Michael Köppel, die nahezu omnipräsent sind. Seit einigen Wochen sprechen die Moderatoren des sonntäglichen "Guten Morgen Österreich" nicht nur die An- und Absagen der "Matinee", sondern auch noch sich selbst disqualifizierend und nivellierend die fünf Minuten von "Ö1 heute" um 8 Uhr 10. Laut Luhmann wären das Fehler, denn die „für das Erkennen des Programmbereichs besondere<n> Signale ..., die die Sendungen rahmen“ (118) - die Signation, aber auch die stimmlich verleihende Identität von SprecherInnen, die eben nicht in anderen Programmbereichen erklingen - , werden nicht mehr ausgesendet. So moderierte Michael Köppel unter vielen anderen die Matinee am Sonntag, den 15. 1. 2017 um 11 Uhr 03 und das Sonntag-Abend-Konzert am 12. 2. 2017 um 19 Uhr 30. Oder am Sonntag, den 15. 1. 2017, an welchem Tag Amie Rehburg zuständig ist für die Präsentation von "Guten Morgen Österreich" um 6 Uhr 05, die Werbung "Demnächst in Ö1" um 10 Uhr 05, die "Matinee" von 11 Uhr 03 bis 12 Uhr 56 und die Werbung "Demnächst in Ö1" um 15 Uhr 05.

Wie im Fernsehen seit vielen Jahren gang und gäbe, wird die Eigenwerbung im Ö1-Programmschema weitgehend verschwiegen, dafür sentimental an "07 22 Kultur aktuell" festgehalten, obwohl es diesen Sendungsteil des Morgenjournals (I) schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, siehe das vergangene und das aktuelle Programmschema, jeweils korrigiert und ergänzt:

Oe1bis30.4.2017Programmschema.pdf

Oe1ab1.5.2017Programmschema.pdf

Nur, im Unterschied zum Radio ist im Fernsehen Werbung erlaubt, wenn das auch nicht unbedingt ihr Verschweigen im Programmschema einschliessen müsste. Ein Kultursender wie Ö1 wäre jedenfalls, möchte man meinen, zu Transparenz und Genauigkeit verpflichtet. Umgekehrt: Dass die Eigenhinweise verschwiegen werden, ist fast schon ein Beweis dafür, dass es sich um Werbung handelt.

Wenn man nicht die "CD des Tages" des inzwischen abgeschafften "Ö1 bis 2" dazurechnet oder "Wissen aktuell", das beständig als Promotor von science.orf.at auftritt, oder neuerdings "Guten Morgen Österreich", das immer mehr zur großflächigen Werbesendung von Ö1 mutiert, dann verteilen sich die 10.080 Minuten der 24 Stunden der 7 Tage die Woche hindurch in Ö1 wie folgt (Luhmanns komplexitätsreduzierende Trinität wird hier polytheistisch geopfert):


Werbung

322

Nachrichtenjournale

1617

Interview

447

Klassische Musik

4102

Jazz

576

Pop, Weltmusik

140

Gemischte Musik

539

Zeitgenössische E-Musik

305

Literatur

434

Religion

277

Bildung

1086

Wissen

329


Dennoch: Wie wertvoll differenziert das Vollprogramm von Ö1 gegenüber den weitgehend durchformatierten anderen Radioprogrammen des ORF und gegenüber Radio Klassik ist, zeigen deren Montagsprogramme, mit einer gewissen Ausnahme Radio Kärnten und Orange 94.0:

Oe2017Montag-Radiosendeschemata.pdf

Die Quellen für diese Zusammenstellung, mitunter "kriegerisch" getaktet in Stellung gebracht, sind:

http://burgenland.orf.at/studio/stories/radioprogramm

http://kaernten.orf.at/studio/stories/radioprogramm

http://noe.orf.at/studio/stories/radioprogramm

http://files2.orf.at/vietnam2/files/noe/201407/sendeschema_radio_noe_2013_276793.pdf

http://ooe.orf.at/studio/stories/2500820/

http://salzburg.orf.at/studio/stories/radioprogramm

http://steiermark.orf.at/studio/stories/radioprogramm

http://tirol.orf.at/studio/stories/radioprogramm/

http://files2.orf.at/vietnam2/files/vbg/201610/programmschema_fs_2016_424911.pdf

http://wien.orf.at/studio/stories/radioprogramm/

http://oe3.orf.at/sendungen

http://fm4.orf.at/radio/stories/sendeschema

https://radioklassik.at/programm/kalender/?pkd=29.05.2017

http://o94.at/radio/programm/2017-05-29/



q. Doris Appel antwortet. Das Bild des Menschen



And I've never forgotten any of those people

or any of the voices we used to hear on the radio.

(Allen 1987)



Zum Besten und am Erstaunlichsten von Ö1 gehören die Stimmen, die es zum Hören gibt. Die der SendungsgestalterInnen, der ModeratorInnen, der SprecherInnen. Aber auch diejenigen der Gäste in "Von Tag zu Tag" (seit 1. 5. 2017 "Punkt eins"), der HistorikerInnen in "Betrifft: Geschichte", der Showleute im "Klassik-Treffpunkt", der DichterInnen mitunter selbst rezitierend in "Nachtbilder – Poesie und Musik" und den vielen anderen, die in der einen oder anderen Form mitwirken, einbezogen, zitiert, gespielt werden oder sonst zu hören sind.

Bei einer Sendung von Gästen wie etwa den "Gedanken für den Tag" muss diesen Stimmen und dem gegenüber, was sie sagen wollen, besondere Sorgfalt, Betreuung und Kontrolle ausgeübt werden. Sonst können sie nicht zur Geltung kommen. Aber, als Sendung angeschrieben mit vier Minuten Länge - vor ein paar Jahren waren es noch fünf - , dauern die Gastbeiträge real kaum mehr als zwei Minuten. Wie soll sich in diesen 120 Sekunden ein Gedanke entfalten können? Umzingelt von oft sich stark behauptender, noch dazu in die Rede eingeblendeter Musik, von teilweise langen An- und Abmoderationen und dem Einschluss seit ein, zwei Jahren in den musikmoderierenden Stil von "Guten Morgen Österreich" - etwa: „Musik von Georg Philipp Telemann war begleitend zu den Gedanken für den Tag zu hören“ - löst sich die Sendung allmählich in ein beliebig formbares Element in "Guten Morgen Österreich" auf, welche Sendung ihrerseits mehr und mehr Wortanteile verschiedener Art aufgebürdet bekommt, auf Kosten der Gedanken-AutorInnen. Ein Musterbeispiel für die permanente Reform, die am Stiftungsrat vorbeigeschleust wird, um diesen mit Hinweis auf den erfolgreichen Probelauf zu beruhigen und die Absegnung post factum zu erreichen.

Die "Gedanken für den Tag" drohen seit einiger Zeit zu zerfallen in ein Quasi-"Betrifft: Geschichte" (Nationalbanker Ewald Nowotny, Lucas Cranach als Luthers engster Weggefährte), in kunst- und literaturgeschichtliche Reflexionen (nahezu exklusiv von Johanna Schwanberg und Cornelius Hell), in "Erfüllte-Zeit"-ähnliche Selbstreportage für eigene Projekte (Concordia Sozialprojekte) oder kirchenhistorische Sendungen wie etwa über und kaum mit Luther (dennoch informativ: Peter Roland). Es kann auch geschehen, dass wie vom 10. bis zum 15. Oktober 2016 ein einziger Text über die sechs Tage ausgebreitet wird und ein Tag (11. 10.) der bloßen Beschreibung einer Stimmung gilt wie in diesem Fall der Vorbereitung auf den Jom Kippur in Israel. Die Folge ist: Einen Gedanken, in dem uns Zuhörenden etwas mit in den Tag gegeben würde, enthalten die Sendungen nicht, haben ihn vielleicht gar nicht auf dem Herzen. Wo bleibt die Transzendenz, die uns am Morgen einen Moment - Moment, Leben! - inne halten ließe, bevor wir in den Tag gehen?

Zwei Extrembeispiele (alle "Gedanken für den Tag" können erfreulicherweise über http://religion.orf.at/radio/tags/gedankenfuerdentag/ nachgelesen und ein Jahr lang nachgehört werden, Stand 19. 6. 2017):

Erstes Beispiel. "Gedanken für den Tag" am 30. 9. 2016 (Text netto 2 Minuten und 23 Sekunden) beginnt mit einem André Heller – das Prinzip der Nicht-Eigenwerbung missachtend – , der sich zunächst selbst gedenkt. Nein, es wird ihm erlaubt oder so getan, als ob er das will: nämlich einen Song von sich selbst spielen, der wie die Faust aufs Aug' für den unmittelbar vorangegangenen Johann Sebastian Bach ist. Musikintro aus einer Heller-Nummer ab Sendeminute 0:00- und ab 0:04: „Sei Poet. / Bis die Sprache als ein Federbrett. / Spring' einen Salto in die Alphabete. / Zieh' jeden Satz wie eine Flagge hoch.“ Dann wird die Musik schnell ausgeblendet (0:24). Heller: „Also, ich mein', das Wesen von on Gortn is ja eben, dass viele Pflanzen da sind. Dos is ja net o Plantage. Olso wenn 5000 Bananenbäume oder wenn 5000 Olivenbäume stehen, donn ist das 'was grundsätzlich Anderes als ein Garten. Und die Freud' an einem Garten ist die Vielfalt. Und daher hab' ich natürlich jede Menge, oh Wesenheiten, sog' ich immer wieder, weil ich überzeugt bin, dass das lebendige Wesen sind, oh, die mich erfreuen. 'n Marokko blüht in meinem Park immer irgend 'wos. Und eine ganz unscheinbare Pflanze, an der ich anfänglich zwanzich Mal vorbeigegangen bin, um sie zu ehren, anständig, fongt auf anmal an, einen Duft zu entwickeln, wo ich mir denk', um Gottes willen, ich hob' die vollkommen unterschätzt. Es ist nämlich bei Pflanzen auch 'was Großartiges, dass auch das Unscheinbare, eine, ein Depot haben kann. Und oft hat an einer explosionsartigen Wunderbarem, ja? Da kommt plötzlich a so 'was, was ausschaut wie eine Brennesslstauden, kommt ein Orchideentraum heraus. Also, man hat wirklich jeden Grund, olles, was wachst, ah, demütig – zu ehren. Und es mocht ja alles an Sinn, weil das Eine ist ja wieder notwendig für das Gelingen des Anderen. Aber ein Garten ist auch nicht so ein dumpfes Paradies, wo olle mit ollem freundlich sind. In eim Gorten gibt’s auch dann Pflanzen, die überwuchern olles, und derwürgen 'wos. Da muss ma eben, dafür ist donn a Mensch gonz günstig, dass er die die zu derwürgende Pflanze vorm Untergang beschützt. Und es ist ein ununterbrochenes 'Stirb und werde!' <Heller zitiert Goethe> Und es ist für mich natürlich auch a Gottesbeweis. Weil der Designer, der sich das alles einfallen hat lassen, diese Vielfalt an Äderungen, an Oberflächen, an an Entwürfen, da können sich schon alle Künstler hinten anstellen, <2:43: Musik wird eingeblendet> aber fünf-, sechstausend Kilometer weiter hinten.“ <-2:47> Musik wird weiter eingeblendet, Heller beginnt zu singen: „... Kometen überall erhält / Sei ein Poet / nicht Schaf im Wolfspelz für ein Feinspiel / nicht Winterkleid für all die dünnen Phrasen / die jedermann zu jedermann an jedem Tag erzählt / dann kannst du Gärtner der Träume sein <eine Gruppe Kinder schreit auf: „Ja!“> / und kannst Kalif von Bagdad sein <Kinder: „Hurra!“> / Mehr will ich nicht von dir / Mehr will ich nicht von dir.“ (bis 3:38) Sonja Watzka moderiert ab: „André Heller über seinen Garten Eden in Marokko. ...“

Zweites Beispiel. "Gedanken für den Tag" am 7. 10. 2016. Sibylle Norden, anmoderierend: „Das Finale aus der Symphonie Nr.1 in C-Dur, opus 19 von Carl Maria von Weber war das. Juanjo Mena leitete die BBC Philharmonic. - 'Gedanken für den Tag' von Thomas Stipsits jetzt um 6 Uhr 56. Zum Geburtstag von Georg Danzer, der heute 70 Jahre alt geworden wäre.“ Stipsits: „Lieder von Georg Danzer zu interpretieren, is is se ein sehr sehr schwieriges Unterfangen, jo, weil natürlich niemand so des so interpretieren kann wie der Georg selbst. Oba ich versuche hoit des in meiner Art und Weise zu interpretieren, weil - es kommen immer wieder Leute nach den Vorstellung - weil ich spiel' ja oft in der Vorstellung auch Georg Danzer Lieder - die dann sagen: Wir wussten nicht, dass dieses Lied vom Danzer ist, und's is mir komplett entgangen. Also, i glaube, es ist wichtig, dass sozusagen sein Gesamtwerk weiter bestehen bleibt und dass viele Leute Lieder vom Georg singen. Des Lied 'Nur a klana Bua im Winter' is Georgs persönlichstes Lied, das er geschriebn hat. Das hat ea auch selbst so gesagt. Er hat einmal, er hat gesagt: Dieses Lied ist alles, was mich ausgemacht hat. Und hat dann den schönen Satz gesagt: Mehr kann ich über mich nicht sagen. <Stipsits rezitiert Danzer:> 'Nur a klana Bua im Winta / In an vü zu dünnen Montl / Wonn der Himmel kalt und grau is / Nur a klana Bua im Winta / Und die ondern Kinda singen / Und die ondern Kinder lochn / Sie hom lauter schene Sochn / Sie werd'n's olle zu was bringen / Nua a klana Bua im Winta / Steht auf ana groß'n Wies'n / Schwoatza Fleck auf weißem Grund / Wisch' eam weg und hoit den Mund / Und do gibt's nix zum Erklean / Und do gibt's nix zum Versteh' / Weu wer blind is, kann ned seh'n / Und wer taub is, kann ned hean / Nur a klana Bua im Winta / Steht auf ana groß'n Wies'n / Schwoaza Fleck auf weißem Grund / Wisch' eam weg und hoit den Mund'.“ Dem nicht genug, kommt nun ein Da capo, der letzte Teil des Songs, von Danzer gesungen: „Schwoaza Fläck auf weißn Grund / Wisch' eam weg und hoit dein' Mund / Und do gibt's nix zum Erklea'n / Und do gibt's nix zum Verstöh'n / Weu wea blind is, kann ned söi'n Und wer taub is, kann ned höa'n / Nur a klana Bua im Winta steht auf ana gros'n Wies'n / Schwoaza Fläck auf weißn Grund / Wisch' eam weg und hoit dein' Mund“. Sibylle Norden sachlich in der Abmoderation: „Das waren 'Gedanken für den Tag' von Thomas Stipsits zum Geburtstag von Georg Danzer, der genau heute 70 Jahre alt geworden wäre. Es ist jetzt …“. - Nachtrag: Die Danzer-Begeisterung auf Ö1 geht so weit, dass Ö1 in Person von Johann Kneihs in den Spielräumen am selben Tag der Ö1-Freitagnacht ab 23 Uhr über das Grazer Musikprotokoll Konkurrenz macht mit dem Hinweis auf das Gedenkkonzert zu Georg Danzer auf ORF 1 zur selben Zeit. Das Konzert heißt „Georg Danzer zum 70. Geburtstag. Nur a klana Bua im Winter … Durch die Sendung führt Thomas Stipsits.“ Läuft so die übergreifende Werbemschinerie? Und hoffte Stipsits, dass auch Sibylle Norden auf seine Sendung hinwies?

Man möchte dazwischen rufen: „Die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte“, Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Aber eben von Gedanken und nicht nur von Gerede.

Es gibt auch Gegenbeispiele, sie sind trotzdem in der Mehrzahl, besonders 2017: etwa der Politikjournalist Oliver Tanzer über den Garten (20. bis 25 3. 2017), die Schriftstellerin Anna Mitgutsch über Zeit und Gedächtnis (3. bis 8. 4. 2017), und die Salvatorianerin Melanie Wolfers über die Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein (15. bis 20. 5. 2017). Doris Appel und die ihren antworten also, allen Widrigkeiten von schwierigen Sendebedingungen zum Trotz, mit einer Qualitätssteigerung. So brachte Hubert Gaisbauer vom 24. bis zum 29. April 2017 seine hervorragende Serie zum Thema "Lieben und arbeiten", gerahmt von Ausschnitten aus Johann Sebastian Bachs dezenten und zugleich ausdrucksvollen Partiten für Violine. Gaisbauer ist vom ersten bis zum letzten Wort am Punkt, muss es sein wegen der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung steht. Und doch haben problemlos Zitate Platz, Beispiele. Auch ein etwas langsameres Sprechen ist noch möglich. Das kommt dem Mitdenken zugute. Besonders stark seine autobiographische Verteidigung der Sonntagsruhe. Sie begann so: "Als ich ein Kind war, hatte der Sonntag immer schon am Samstagabend begonnen. Wir Buben mussten alle Schuhe putzen und dann ...". (Text und Rede: http://religion.orf.at/radio/stories/2839598)

Gaisbauer, geboren 1939, seit 1963 für den ORF tätig, 1967 Mitgründer von Ö1, ab 1970 Leiter der Abteilung „Gesellschaft, Jugend, Familie“ der ORF-Radioprogramme und als solcher ab 1970 für die „Musicbox“ verantwortlich. Er war von 1989 bis zur Pensionierung 1999 Leiter der Abteilung "Religion". 1993 brachten er und andere die Sendung "Erfüllte Zeit" auf den Weg, sonn- und feiertags um 7 Uhr 05 ausgestrahlt. Besonders souverän von Brigitte Krautgartner und Markus Veinfurter moderiert, besticht "Erfüllte Zeit" durch einen schwungvollen Ablauf von formal sich gut ergänzenden Sendungsbestandteilen: Lesung des Evangeliums des Tages nach dem Kirchenkalender durch the voice Peter Matić, Kommentar der Lesung sowie verschiedene, ähnlich wie im "Europa-Journal" ausreichend lange Beiträge wie etwa Reportagen, die oft aus vom Ausland über soziale und religiöse Aktivitäten und Projekte handeln, nicht zuletzt der Beitrag über die Pfarre, aus der an diesem Sonn- oder Feiertag der Radiogottesdienst in den Regionalradios des ORF übertragen wird. In der Regel werden die Elemente durch stilistisch vielfältige, geistliche Musik zur Abwechslung und zum Nachdenken/-klingen geschmackvoll verbunden. Dass da einmal Steppenwolfs „Born to Be Wild“ mit seinem dürftigen Text die sonntäglich-morgendliche Ruhe durchkreuzt ("Fire all of your guns at once") und als Einleitung, teilweise als Musikbett unterhalb der Rede zur Begleitung und Illustration herhalten muss - Beitrag über den 'Rockerpfarrer' Guy Gilbert und straffällig gewordenen Jugendlicher, kommt selten vor. (http://oe1.orf.at/programm/20160911/442649)

Wäre es möglich, sprechende Menschen abseits der kommunizierten Bedeutungen zu hören, für die sie ihre Worte aussprechen, würden die Klanggebilde bereits ein Bild ergeben, ein Menschenbild. Umso mehr trifft das zu, wenn ein Mensch von sich spricht, und noch mehr, wenn er von sich als einem Ganzen - trotz allem -  spricht, über sein oder ihr Leben: ein Metabild. Als moderner Radiomacher suchte Gaisbauer nach Sendungsgattungen, die Transzendenz mehr oder weniger stark nicht nur mit Sendungen von und zu Religionen expressis verbis zum Ausdruck bringen, sondern auch indirekt. Ermutigt vom kleinen anlassbezogenen Menschenbild des kurzzeitigen Ö1-Chefs Rudolf Nagillers mit von diesem selbst moderierten "Im Journal zu Gast" ab 1980 wurde Gaisbauer 1984 fündig im Metabild der "Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben". Menschen werden interviewt, aber so, dass danach die Fragen herausgeschnitten werden, ohne dass das auffällt. Die Sendung wird seither sonntags um 14 Uhr ausgestrahlt: "'Eine Schule praktischer Weisheit' sollte die auf ihn zurückgehende Sendereihe 'Menschenbilder' sein." (http://oe1.orf.at/artikel/387756, dort auch zu nachzustreamen die "Logos"-Sendung "Was glauben Sie? Johannes Kaup im Gespräch mit ... Hubert Gaisbauer" vom 27. September 2014 mit dem Begleittext zur Sendung via http://oe1.orf.at/programm/20140927; vgl. dazu: as, Radiotipp. Bilder im Radio. "Menschenbilder", die sonntägliche Ö1-Sendung vom geglückten Leben, feiert ihr 25-Jahr-Jubiläum, in: Wiener Zeitung, 19. 5. 2009, 17:11 http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/237229_Bilder-im-Radio.html)

Heute, nach 33 Jahren, ist die Sendung, die mit dem Anfang des ersten Stücks aus Robert Schumanns Zyklus der "Kinderszenen" als Signation beginnt, keineswegs erschöpft. Aber die Bedingungen sind ihr nicht günstig. Eine personelle, finanzielle Austrocknung ist zu spüren, die mutmaßliche Abnahme der Bereitschaft, sich eine Stunde zurückzulehnen und zuzuhören, und die zunehmenden Musikpausen, die den Ursprung im Interview nicht im Hintergrund belassen, sondern immer spürbarer machen. Und dann scheinen Heinz Janisch und Rainer Rosenberg, letzterer beim ORF seit 1974 (siehe das Biographische zum "Nachtquartier"-Interview Elisabeth Scharangs mit Rosenbergs in http://oe1.orf.at/programm/20140930/362239), schon zu viele "Menschenbilder" gemacht zu haben, als dass sie heute noch die Frische und die Genauigkeit, auch zur Vorbereitung, mitbrächten, die das Sich-Öffnen der Porträtierten durch das empathisches Zuhören und möglichst geringes (Nach-)Fragen voraussetzt. Was Rosenberg betrifft, so ist er an ORF-Funktionen zu sehr ausgelastet - von der Leitung der Hauptabteilung "HRO Spezialprogramme" angefangen über die Leitung der Call-in-Sendungen "Nachtquartier" und "Von Tag zu Tag" (bis 30. April 2014) zur Leitung und fallweisen Moderation der Sendung "Punkt eins" seit dem 1. Mai 2017. An "Menschenbildern", selbst wenn zusammen mit Petra Herczeg gestaltet, scheint er einfach zu viele zu machen.

Die Sendereihe zeichnete und zeichnet sich über die vielen Jahre seit 1984 durch eine unglaublich große Zahl von Menschen aus, die bereit waren und sind, zum Teil Privatestes in einem intimen, gleichwohl öffentlichem Radio-Rahmen auszusprechen, ja vielleicht das erste Mal über etwas von sich nachdenken. (Siehe die Liste der Sendungen mit Beschreibungen von 1998 bis 2002: http://religionv1.orf.at/radio/menschenbilder/me_archiv.htm#1998, einer der für Ö1 sehr raren Überblicke über vergagenes Programm.) Selten scheint den Porträtierten die Würde genommen. Jedes Wort klingt freiwillig und notwendig. Verdienst der Sendung über die Jahre sind unter anderem die regelmäßig gebrachten Porträts von Jüdinnen und Juden, aus Österreich stammend oder nicht, in Österreich lebend oder nicht. Damit haben die "Menschenbilder" einen bedeutenden Anteil daran, dass die ÖsterreicherInnen für Jüdinnen und Juden, aber auch für andere Minoritäten sensibler geworden ist. HörerInnen der "Menschenbilder", wenn sie es denn geworden und die Sendung eher regelmäßig hören, werden mit der Zeit hellhörig, wenn Porträtierte nicht oder ungenau auf jene Vergangenheit eingehen, die für die Vertreibung, Ermordung oder Traumatisierung von österreichischen Jüdinnen und Juden steht.

Sendungen wie diejenige mit Joseph Weizenbaum waren es Wert, aufgenommen zu werden (21. 8. 2005, Wh. 27. 7. 2008). Von derjenigen mit dem Designer Richard Sapper lohnte es sich, Notizen zu nehmen. Diejenigen von Nuria Schoenberg Nono (15. 3. 1998, von Barbara Denscher) und Nikolaus Harnoncourt (4. 12. 1994, von Mirjam Jessa) waren der schönste Beweis dafür, dass auch Menschen, die noch mitten im Leben stehen, diejenige Distanz zu sich selbst haben, die für ein 'wahres' Bild erforderlich ist. Aber, und hier steckt die Gefahr: Zu viele "Menschenbilder" zwingen zur Wahl von Profi-Gästen, also solchen, die durch und für ihren Beruf reden und sich präsentieren gelernt haben, allen voran Kulturschaffende. Vermeintliche Selbstdarstellungsprofis verleiten die Sendungsmacher dazu, sich zu wenig vorzubereiten, vielleicht auch die Konzentration als Interviewführende/r zu vernachlässigen. Problematisch wird das, wenn die Porträtierten im Berufsleben stehen und in Zwänge verstrickt sind. Dann können gewisse Teile des Lebens unerkannt unabgeklärt sein und gewisse Aspekte entweder unbegründet in den Vordergrund gerückt oder entstellt oder überhaupt verschwiegen werden. Ein - ausgewogenes! - Gesamtbild kann so nicht entstehen.

Etwa „'Das Abenteuer der Lebensbewältigung' - Der Regisseur Dieter Berner. Gestaltung: Heinz Janisch“ am 2. 10. 2016 (http://oe1.orf.at/programm/20161002/445357). Am Tag der Ausstrahlung des "Menschenbilds" stand die Österreich-Premiere des Films "Egon Schiele: Tod und Mädchen" von Berner, Jahrgang 1944, im Gartenbau-Kino wenige Tage bevor. "Menschenbild" als promotion? Die Sendung begann zwar mit einem Einstieg zur vom ORF produzierten sechsteiligen "Alpensaga" der 70er Jahre, aber nur um sogleich den Hinweis auf „Egon Schiele“ zu bringen. Berner habe „rund 40 Filme“ gemacht. Dann Autobiographisches: „Russische Soldaten ...“, eine im Unklaren gebliebene I-Card, die für das Überwechseln über den Donaukanal benötigt worden sei. (Zwischenspiel:) „Keith Jarrett am Klavier. Ein Musikwunsch von Dieter Berner.“ Überhaupt folgt zu viel Zwischentext, gesprochen von Sandra Kreisler. Später spricht Berner weniger über sich als über den Helden- und Mythenforscher Campbell und die Wende der Berliner Schaubühne zum Archaischen. „Ich wollte nicht mehr im Bühnendunkel ...“. Dann ein Lied von Georg Kreisler. Dann die Alpensaga, die Rede kommt auf eine Antigone am Land 1938. Dann Die Arbeitersaga 1945-87 (1978-1984). Dann Lenz oder die Freiheit (über 1848, mit Peter Simonischek); „wollten wir“ - aber ist es auch gelungen, würde man in einem "Menschenbild" gerne erfahren. Von Minute 41:15 bis Minute 45:50 musste Berner natürlich über den Schiele-Film sprechen dürfen, über Schieles, nicht Berners Background. Dann eine Liste mit Inszenierungen und Filmen, aufgezählt von Off-Stimme Sandra Kreisler. Das Schlusswort wird wieder Sandra Kreisler in den Mund gelegt. Folgt noch ein Zitat von Berner über die Kunst, wieder nicht nicht über sich selbst. Schade!

Nicht viel anders zu ging es in der Sendung "Im Zweifelsfall für das Licht - Die Künstlerin Brigitte Kowanz", von Petra Herczeg und Rainer Rosenberg" am 11. 1. 2015 (http://oe1.orf.at/programm/20150111/373922). Bei der Porträtierten kam ein Redefluss nur künstlich mittels vieler Schnitte und vieler montierter Sound-Stückchen zustande. Herausgekommen ist kaum mehr als eine Promotion-Sendung, wie es heute "Leporello" beinahe ist und teilweise auch "Moment Leben Heute" (hier denkt man wehmütig an Konrad Holzers "Moment - Kulinarium" bis 2001 zurück - aber das ist eine andere Geschichte). Wesentliches, das zu Kowanz' Bild gehört, blieb verschwiegen: der spät bekommene Sohn, die zeitweise aktiv ausgeübte Mitgliedschaft bei der Wiener Secession, das öffentliche Stellung Beziehen zu wichtigen Dingen der Kunst in Österreich, die relativ jung erhaltene Mitgliedschaft im österreichischen Kunstsenat, die essenzielle Zusammenarbeit und Partnerschaft mit dem nur zweimal beiläufig genannten Franz Graf in den frühen Jahren. 1984 war Kowanz nicht mit ihren Solo-Arbeiten, wie behauptet, sondern mit Koproduktionen mit Graf in Venedig. All das hätten Rosenberg und Herczeg von den Ö1-Redakteurinnen Dorothee Frank und Sabine Oppolzer erfahren können. Mindestens so interessant wie das zwei (!) Mal erwähnte Schlafen der Hunde von Kowanz beim Besuch im Atelier wäre gewesen, etwas über die Eltern zu erfahren. Dass die Haustiere der Kindheit "sehr angenehm" waren und der Bruder "ganz angenehm", kann interessant sein, wenn nachgefragt wird. Wichtiges - wie wuchs Kowanz im Wien der 60/70er Jahre auf? wann stellte sich die Begabung wie heraus? - blieb ungesagt. Auch durchzog die Sendung eine seltsame Unruhe. Immer wieder unterbrochen, hob Kowanz drei mal erneut an, von der Arbeit an der eigenen Kunst zu sprechen. Auch kommt nicht gut, wenn eine derart arrivierte Künstlerin wie Kowanz sich selbst ohne Witz und Informationswert kritisiert. Ihre scheinbar an erzählenswerten Erlebnissen arme Arbeit mit den Studierenden - als langjährige Assistentin und Professorin an der Angewandten! - kam eigentlich gar nicht vor. Zwei Dinge, wie von Kowanz behauptet, hätten mit den entsprechendem Wissen korrigiert werden können. Erstens konnten die Wiener Aktionisten 1980 noch kein Reibebaum gewesen sein, weil sie in Österreich erst in den 80er Jahren Anerkennung fanden, und Arnulf Rainer wurde erst 1981 an die Akademie für bildende Kunst berufen. Nein, zu Kowanz' Studienzeit an der Angewandten von 1975 bis 1980 gab es noch andere (lokale) Autoritäten an Konzept-, Medien- und Zeichnungskunst, denen gegenüber sich Studierende profilieren mussten. Und dann haben Graf/Kowanz in den 80er Jahren ihren Ansatz durchaus nicht nur gegen die Neue Malerei entwickelt, wie behauptet, sondern auch mit einer malerischen Zeichnung à la Günter Brus in Richtung Environment und New-Wave-Disko mit Neonröhren und fluoreszierenden Farben. Insgesamt erschien Kowanz als eine uninteressante Langweilerin, die sie ganz gewiss nicht ist.

Abseits von Promis wie Kowanz ginge es um die eher schwieriger zu findenden Menschen, deren Leben interessant ist, auch wenn sie nicht in der Öffentlichkeit standen, ja, wenn sie bescheiden gelebt haben. Menschen aus einer Kleinstadt, Bauern, Bäurinnen, wie sie etwa noch in den 80er Jahren ihr Leben für die "Menschenbilder" erzählten. Die Beliebtheit und Reputation der "Menschenbilder" kam genau von diesen Porträts, von Menschen, die dann auch wirklich bereit waren, Privates, ja Intimes aus Kindheit, Jugend, Ehe, von FreundInnen anderen Nahestehenden zu erzählen. Darin liegt nicht zuletzt das Literarische der "Menschenbilder". Das Prinzip der Sendung ist, Menschen zu porträtieren, deren Leben an deren Ende sich soweit überblicken lässt, dass der Blick auf ein wie auch immer brüchiges Ganzes möglich wird. Betroffene kommen selbst zur Sprache, wenn, ja wenn ihnen die nötige Distanz zu sich selbst ermöglicht wird.

Bei ungenügender Vorbereitung kann einem erfahrenen Interviewer wie Heinz Janisch entgehen, dass ein Bildhauer wie Walter Pichler (Sendung am 23. 2. 2003, Wh. 22. 7. 2012) neben dem Verkauf von Zeichnungen von der Gestaltung von Buchcovers für einen Verlag lebt. Das erst erklärt, wieso der Künstler zurückgezogen leben und sein skulpturales Werk unabhängig vorantreiben konnte. Dabei war im Samstag-Mittagsjournal am 28. 12. 1996 nicht nur das bewegende Interview zu hören, das Robert Bilek mit Walter Pichler für "Im Journal zu Gast" führte, sondern in der Einleitung der Journalmoderatorin Ilse Oberhofer auch der Hinweis auf Pichlers Arbeit für den Residenz-Verlag: http://www.journale.at/treffer/atom/1172F3CA-06D-00418-0000034C-117253B3?marker=00_36_53.



r. Any time, any time! Das Nachrichtenjournalwetter und seine Knechte



auf Botschaft sendet sich's nicht mehr;

Kräuter und Wurzeln findet ein jeder sich selbst

(Wagner 1971, 854)



Vergleicht man http://www.journale.at/treffer/atom/1172F3CA-06D-00418-0000034C-117253B3 mit http://oe1.orf.at/player/20170610/475929 - also die Samstag-Mittagsjournale des 28. 12. 1996 und des 10. 6. 2017 im Replay - ,



Moderation: Ilse Oberhofer 9'59"

28.12.1996

12:00:07-12:01:56

1 4'06" 12:01:56-12:06:02 Nachrichten/Wetter - Red. Elisabeth Manas/Karl Berger (Sprecher)

2 1'45" 12:06:12-12:07:57 Wetter - Herbert Kartas

3 2'26" 12:08:54-12:11:20 Lokalaugenschein Belgrad nach Straßenschlachten - Zoran Opra

4 2'42" 12:12:13-12:14:55 Warum wurde CA nicht über Börse privatisiert? - Josef Schweinzer

5 1'53" 12:15:44-12:17:37 Was wird neu 1997: Universitäten - Dieter Bornemann

6 3'56" 12:18:18-12:22:14 Elektroindustrie gegen Abhörung von GSM-Handys - Wolfgang Fuchs

7 2'27" 12:22:54-12:25:21 Technische Verbesserungen bei Handys - Martin Haidinger

8 3'08" 12:25:47-12:28:55 Diskussion über Todesstrafe in Russland - Karin Koller

9 4'17" 12:29:22-12:33:39 Private Sicherheitsdienste in Tschechien - Georg Motilewicz

10 2'47" 12:34:07-12:36:54 Türkischer PKK-Film sehr erfolgreich - Gunnar Köhne

1114'50" 12:38:49-12:53:39 Im Journal zu Gast: Walter Pichler - Robert Bilek

12 1'45" 12:54:00-12:55:45 Kurzmeldungen/Wetter - Karl Berger

12:55:45-12:55:56 (mit Nennung der Regie von Elisa Vass und Technik von Anton Benedikt)



und



Moderation: Paul Schiefer 8'17"

10.6.2017

12:00:07-12:01:10

1 0'35" 12:01:10-12:01:45 Wetter - Fabian Lehner

2 3'10" 12:02:35-12:05:45 Frankreich wählt: Umwälzungen wahrscheinlich - Hans Woller

3 2'05" 12:06:30-12:08:35 Italien: Streit um neues Wahlrecht - Katharina Wagner

4 3'35" 12:09:15-12:12:50 Ausbildungspflicht bis 18 - Astrid Petermann

5 3'00" 12:13:20-12:16:20 SPÖ Wahlkampfmotor stottert - Katja Arthofer

6 15'45" 12:17:15-12:33:00 "Im Journal zu Gast": Hans Niessl - Regina Pöll

7 3'55" 12:34:05-12:38:00 Primär-Versorgungszentrum Enns - Monika Feldner-Zimmermann

8 2'30" 12:38:40-12:41:10 "Know your Status" - HIV-Selbsttests - Marlene Nowotny

9 3'05" 12:41:45-12:44:50 EU säumig in Osteuropa - Markus Müller

10 2'05" 12:45:15-12:47:20 Single-Reisen boomen - Raffaela Schaidreiter

11 3'05" 12:47:45-12:50:50 Kassel: documenta eröffnet - Sabine Oppolzer

12 3'05" 12:50:55-12:54:00 Nachrichten - Paul Kraker

13 1'45" 12:54:02-12:55:50 Wetter - Fabian Lehner

12:55:50-12:56:00 (mit Nennung der Regie von Andrea Maiwald und Technik von Harald Landgraf),



dann fallen drei Dinge auf: dass der Anteil der Moderation heute geringfügig kürzer ist, dass die längeren Beiträge früher länger waren, dass es heute einen zweiten Wetter-Beitrag gibt. Die Moderation ist heute nicht umfangreicher, aber etwas weniger pointiert. Paul Schiefer moderiert erst seit Kurzem - im Moment scheinen ob der Unbeliebtheit des samstäglichen Mittagsjournals bei den ModeratorInnen unter der Woche neue Journal-Moderatoren ausprobiert werden zu müssen: eine Woche später Franz Renner. Ilse Oberhofer verfügte zum damaligen Zeitpunkt bereits über langjährige Erfahrung und gehörte aufgrund ihrer Qualitäten zu den besten JournalmoderatorInnen. Sie war redaktionsintern so anerkannt, dass sie noch nach ihrer Pensionierung als elder radio-woman zwei, drei Mal den Jahresrückblick des Mittagsjournals am letzten Wochentag des Jahres ko-moderieren durfte. Ein Brauch, den es seit einigen Jahren nicht mehr gibt. Erinnerungskultur und Ehrung der Alten ade.

Das Nachrichtenjournalwetter (es gibt keine Nachrichtensendung mehr ohne Journalcharakter und Wetter) mit seinen immer mehr von ihm auf Ö1-Umlaufbahnen geschickten Satelliten "Wissen aktuell", "Religion aktuell", "Digital.Leben", "Saldo - Wirtschaftsmagazin" und sogar noch "Betrifft: Geschichte", das "Journal-Panorama" und das "Europa-Journal" nicht mitgezählt: Warum hat es sich im Vollprogramm von Ö1 ein Zentrum der Macht geschaffen oder dieses so sehr selbst besetzt, dass seit einigen Jahren die Forderung nach einem eigenen Nachrichtenkanal und infolge die Forderung nach einem Klassiksender im ORF laut wird? Es gibt vier Gründe:

erstens die Taktung zur vollen Stunde - sie dürfte zwar von Anfang an, seit der österreichischen Radio Verkehrs AG 1924, ein mehr als nur "technisch" definiertes Erfordernis gewesen sein, was nicht heißt, dass man das Taktungsbedürfnis nicht als Ideologie einer Herrschaft durchschauen, relativieren und begrenzen kann, wie sie ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz meinte, demzufolge die Reform 2017 "ermögliche ... 'endlich', auch um 11.00 Nachrichten auf Ö1 zu senden." (APA, Wrabetz verspricht für Ö1 "deutlicher formulierten Kulturanspruch". Konzentration auf "publikumsrelevante Tageszonen" – Neuer "Kunstsonntag" und tägliche Musiksendung geplant http://derstandard.at/2000047405263/Wrabetz-verspricht-fuer-Oe1-deutlicher-formulierten-Kulturanspruch 11. November 2016, 17:03). Es dürfte sich übrigens um die Rückspiegelung der Sehnsucht nach dem Stundentakt im ORF 2 handeln, der dort zu einer Überflutung mit ZIB-Sendungen geführt hat.

zweitens der personelle Aufwand - auch wenn die News-Journalisten klarerweise für den gesamten ORF arbeiten, so müssen es ihrer so viele sein, dass sie auf Ö1 gegenüber den Redakteuren der Musik, Literatur, Religion und des Feuilletons die relative, wenn nicht die absolute Mehrheit bilden, weswegen "Minderheiten"-Rechte automatisch in Gefahr und zu beobachten wichtig sind.

drittens haben die seit vielen Jahren Ö1 sinnlos auferlegten Sparmaßnahmen sowie die öffentlich-rechtlichen Sekundäreffekte der digitalen Krise - Gratisnachrichten im Internet und am Boulevard - zu einer faktisch wie psychologisch begründeten Gegenwehr der betroffenen Ö1-JournalistInnen auf Kosten ihrer KollegInnen in anderen Programmbereichen geführt (red/APA, Ö1-Journale: Sparzwang gefährde Qualität. Redakteurssprecher der ORF-Radioinformation klagen laut "Falter" über Personalnot - "Immer weniger Zeit zum Recherchieren" http://derstandard.at/2000002100497/Oe1-Journale-Sparzwang-gefaehrde-Qualitaet 17. Juni 2014, 15:53/18. Juni 2014).

viertens der Eigenwert der Nachrichten selbst, das Neue der News. Dass Luhmann die Einteilung der Programmbereiche auf das ökonomisch und soziologisch Wesentliche beschränkte, hat auch einen strukturellen Sinn. Jegliche Programminhalte sind auf Neuigkeiten ausgerichtet. So oft die Jupiter-Symphonie auch wiederholt wird, Moderation und musikalische Interpretation werden alles tun, um sie als neu erklingen zu lassen. Selbst wenn ich sie mir selber zuhause auflege, will ich nicht einfach an sie erinnert werden, sondern will sie mit einer möglichst "neuen" Erfahrung hören. Diese Ausrichtung auf das Neue teilt die Ö1-Werbung bei Klassik und "Ö1 Quiz": Werden hier Die Presse und die Casinos Austria als "Medienpartner" beworben, so geht es um den Verkauf neuer Presse-Exemplare/-Abonnements und die Anwerbung neuer Glücksspieler.

So wird klar, dass die Potenzierung des Neuen in den Nachrichten neben Unterhaltung und Werbung immer den Mittelpunkt des Massenkomunikationsmediums beanspruchen wird, das Ö1 auch ist. Bis vor zehn, fünfzehn Jahren mochten die News-Macher von Ö1 noch wie selbstverständlich gewiss sein, Mittelpunkt der öffentlich-rechtlichen Institution zu sein, ohne dass das groß herausgestellt werden musste. Heute ist durch die Medienkrise ein immer unangenehmeres Gedränge und Geschiebe zu bemerken, das vom internen Konkurrenz-, um nicht zu sagen Machtkampf zwischen den Redaktionen der Nachrichten, der Musik, Kultur, Unterhaltung, Wissenschaft und Religion an die akustische Oberfläche gespült wird.

Es beginnt damit, dass die 'erste' Hauptabteilung der Hörfunkdirektion, die "HD1 Information" heißt, also die 'technokratisch' so genannte Informationsabteilung, obwohl es um nicht weniger, aber auch nicht um mehr als die Nachrichtenredaktion geht. Es damit geht weiter, dass sich die gutmütige und so stimmfreundliche Moderatorin Sibylle Norden in "Guten Morgen Österreich" von Journal-Anchor Cornelia Vospernik öffentlich anschnauzen lassen musste, weil sie knapp vor 6 Uhr 30 scheinbar unpassend zu Vospernik und deren eigener Ankündigung der Inhalte des Morgenjounals übergeleitet hatte. Der Kampf, die Aggression hin zur Unterordnung geht weiter mit der Knechtung der ModeratorInnen von "Guten Morgen Österreich", indem diese seit Juni 2016 - eines dieser vielen klammheimlichen Programmreförmchen in Permanenz - um 6 Uhr 31 programm- und stildissonant zu sich selbst das Wetter ansagen müssen (Das ist, wie wenn Barbara Rett noch kurz vor der Opernpräsentation im ORF Fernsehen das Wetterbild mit den Temperaturen von morgen ansagen müsste.) Vospernik könnte das selber machen, wenn, ja wenn Gunda Schuller und die Wettermänner erst eine halbe Stunde später im Funkhaus eintreffen. Das "Wetter" liegt den Nachrichten bekanntlich näher als der klassischen Musik. Oder kann Vospernik nicht anders, die von 2011 bis 2013 schon ORF-1-Nachrichtenchefin war, seit 2014 das ORF-2-Weltjournal präsentiert und nun, seit Sommer 2013, als Journal-Moderatorin 'eine Ebene' darunter arbeitet? Ähnlich ihr alleiniger Verstoß über viele Monate gegen die Regel, das Mittagsjournal mit Hinweis auf die KollegInnen der Regie und der Technik zu beenden, bis fast niemand mehr von ihren ModerationskollegInnen diese Regel beachtete und erst seit Kurzem wieder etwas gegengesteuert wird, etwa durch Helene Seelmann. Als ob sie sagen möchte: 'Wartet nur, bis ihr im gemeinsamen Newsroom am Fernseh-Küniglberg seid! Es geht noch ganz anders!' Dazu kommt, dass Vospernik - und die anderen JournalmoderatorInnen? - vielleicht zu viel arbeitet. In den Wochen 17 bis 25 von 2017 waren es durchschnittlich 2 Stunden und 34 Minuten Sendezeit, die Bereitschaft für ein Sonderjournal am 14. Mai Sonntag abends nicht berücksichtigt - bei einem bekannten TV-Anchor sind es durchschnittlich weniger als 90 Minuten, und bei den Ö1-Musik-Moderatoren überschreitet die kreative Arbeitszeit on air sinnvollerweise 90 Minuten auch nicht.

Weiter geht es damit, dass seit einem halben Jahr die ModeratorInnen von "Guten Morgen Österreich" die Werbung "Ö1 heute", die früher auf die Nachrichten um 7 Uhr 30 folgte, nun irgendwann nach 7 Uhr 33 anmoderieren müssen. Und es geht noch weiter, indem sie seit wenigen Wochen darauf eingestellt sein müssen, jederzeit Programmhinweise auf Ö1-Nachrichtensendungen mitten in "Guten Morgen Österreich" zu verlesen oder anzumoderieren. Ja, die stets gut gelaunten Knechte! Wie lange wird das zum Beispiel die charmante und musikalisch gewandte Sonja Watzka aushalten? Klar, dass unter diesem Druck Watzka sich schon einmal dazu gedrängt fühlte, das Morgenjournal als die wichtigste Nachrichtensendung auf Ö1 zu bezeichnen. Als ob nicht jede Nachrichtensendung gleich wichtig sein sollte.

Das Wetter: Als eines der aufrechten Bestandteile der geographisch-nationalen Identität Österreichs, als nahezu permanente psychische Möglichkeit der Referenz auf die Stimmungen der einzelnen HörerInnen und als natur-kompensierende Ideologie der Irrationalität ist die Sicherheit gebende Faktizität der Wettergegenwart und -zukunft keineswegs vor Fehlern gefeit. Etwa wenn Herbert Kartas am Sonntag, den 4. 9. 2016 nach den 14-Uhr-Nachrichten für den „Osten bis zu 32 Grad“ statuiert und nach den 15-Uhr-Nachrichten sagt: „Noch aber ist es oft recht sonnig mit Wolkenfeldern vom Westen her. Teils lebhafter Südwestwind und 23 bis 29, im Osten 32 Grad.“ Aber diese Temperatur war um 15 Uhr nur in Andau zu messen, 20 Kilometer südlich von Nickelsdorf im Burgenland. Sonst war es in Niederösterreich, Wien und Burgenland kaum wärmer als 30 Grad. (http://www.zamg.ac.at/cms/de/wetter/wetter-oesterreich accessed 4. 9. 2016)

Der Kampf der Nachrichtenredaktion um immer mehr Sendezeit, Sendeplätze und Eigenwerbung hat sich über die Jahrzehnte entwickelt: zuerst die Einführung von Journalsendungen für Sonntag mittags, dann seit 2003 besonders entbehrlich das Morgenjournal sonn- und feiertags um 8 Uhr früh, dann die von der „Information“ seit Jahren angedrohte Einführung eines Samstag-17-Uhr-Journals wie an allen anderen Wochentagen auch und schließlich die zunehmenden Hinweise auf Journalsendungen im Anschluss an die über die Jahrzehnte immer zahlreicher massierenden Kurznachrichten. (McLuhan/Fiore 1967) Im Verein damit die Aufplusterung der sogenannten "Wirtschaftsredaktion", als ob diese eine eigene Redaktion wäre, wie noch vor Kurzem regelmäßig in den großen Journalen bezeichnet. Zur Erinnerung: Die Wirtschaftsredakteure setzten 2003 "Saldo" an genau dem Sendeplatz freitags um 9 Uhr 40 durch, wo vor Jahren ein intellektueller Radioessay ausgestrahlt wurde, etwa verfasst und gelesen vom Kärntner Kulturjournalisten und Bachmannpreis-Miterfinder Humbert Fink. Und dann: Als ob gerade um 22 Uhr freitags ein besonders drängendes Bedürfnis existiert, das unternehmerorientierte "Saldo", das sowieso nur auf dem Handy digital über "7 Tage Ö1" gecheckt wird, vom Vormittag on air wiederholt zu bekommen.

Übrigens, Ö1 pro Wirtschaftstreibende: Sendemäßig werden die wirtschaftlich Schwachen, selten genug, auf das "Journal-Panorama" beschränkt und von den sozial bewussten Religionssendungen aufgefangen. Dass sich aber die dreistündige Freitagnacht mit der Reform zum 1. Mai 2017 nur mehr einmal und wenigstens einmal im Monat als "Spielräume Nachtausgabe" den für diese Sendung wichtigen Ausstrahlungszeitpunkt um eine Stunde früher erringen konnte - 22 Uhr - , legt nur Zeugnis ab für den Kampf, der zwischen den Redaktionen tobt und zu dessen sinnvoller Mäßigung und Befriedung die ORF-Leitung unfähig ist. Gewiss, Kampf mag es immer gegeben haben, nur ist er heute zum Leidwesen der ZuhörerInnen zum Bersten hör- und spürbar. Viel eher müsste die "Kulturredaktion" genannt werden. Aber diese hat seit dem Abgang von Christiane Goller vor einigen Jahren ihre Chefin verloren, ohne dass der wichtige Posten nachbesetzt würde.

Wie eindeutig sich die großen Journalsendungen in Inhalt und Ton gegen die Wirtschaftsschwachen richten, belegen Entgleisungen. Fabio Polly befragt Arbeitsmarktservice-Chef Johannes Kopf im Mittagsjournal am 8. 9. 2016: "Was muss denn passieren, damit dieses Paket ein Erfolg wird. Wie müsste sich die Arbeitslosigkeit entwickeln, damit das AMS sagen kann, da haben wir tatsächlich einen Erfolg gehabt? Also, es wird mehr Arbeitslose geben, aber vielleicht stinkt, vielleicht sinkt die Arbeitslosigkeit in Prozent." Ob dieses dann auch noch unentschuldigten Versprechers ist selbst der sprachgewandte Kopf irritiert, von dem sonst nie ein 'ahm' oder 'ah' komm. (12:11:52-12:12:20) Nach dem Bericht im Morgenjournal am 1. 8. 2016 über Länder-Wirtschaftskammern auf ihrer Suche nach arbeitsunwilligen Arbeitslosen fünf Stunden später Hubert Arnim-Ellisen im Mittagsjournal: "Nett formuliert kann man sagen, unmotivierte Arbeitssuche." (12:14:40-12:14:43) Arnim-Ellisen am 2. 10. 2013 im Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Produktionsgewerkschaft Rainer Wimmer: Jedes Jahr dasselbe Ritual, jedes Jahr die Erwartungen an die Metallergewerkschafter, möglichst viel rauszuholen in der Herbstlohnrunde. ... Aber merken Sie nicht, dass genau diese Rituale 'Raus aus den Verhandlungen', die Sperre gegen die separaten Verhandlungsrunden mit den sechs Metallerbranchen, jetzt das, was Sie die Information nennen und die Verhandlungen unterbrechen – , merken Sie nicht, dass das den Leuten eigentlich auf die Nerven geht?“ Und Arnim-Ellissen im Mittagsjournal-Interview am 5. 1. 2017 mit dem Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister: "Versteckt sich hinter der Forderung nach Mindesteinkommen <recte: Grundeinkommen> der Schnorrer, der auf Kosten der arbeitenden Allgemeinheit leben will?" (12:37-12:40) Es lässt sich klar eine sozialfeindliche Ö1-Linie in der sogenannten Wirtschaftsredaktion - in seiner letzten Zeit bis April 2017 war Arnim-Ellisen dort tätig - ableiten, die von der ORF-Leitung offensichtlich gebilligt wird.

Dass es Ö1 an sozialem Zusammenhang mangelt, spielt sich formal auf der Ebene des Sendungszusammenhalts im Mittagsjournal ab. Dass die Beiträge ein gesellschaftliches Ganzes bilden und nicht nur zum einzelnen Abrufen auf Ö1-App oder -Webseite da sind, sollte Radioleuten klar sein, die ganze Sendungen machen, ganze! Daher auch das Wesen des rhetorischen Mittels der Brücke, der intelligenten Überleitung von einem zum nächsten Beitrag aus. Werner Löw und Christl Reiss im Mittags-, aber auch in anderen -Journalen zählten zu ihren Meistern - Reiss durch Bemerkungen wie zur Formel 1 "Männer fahren im Kreis" oder zur ehemaligen Vizekanzlerin Riess-Passer, die "den Kopf von Hans Sallmutter forderte" und diese Phrase in einem überdeutlichen Tonfall markierte, sodass allen ZuhörerInnen klar war, was von einer solchen Ausdrucksweise zu halten ist. Aber sie wirkten in Zeiten, da auch die meisten einzelnen Beiträge schon vor 12 Uhr fertig waren, nach Möglichkeit mit kurzen Inhaltsangaben oder Stichworten. Das erlaubte nicht nur, sich eine Brücke einfallen zu lassen, sondern eventuell auch die Beiträge mit der RegisseurIn so anzuordnen, dass die spontane Idee der Überleitung für die Beitragsreihenfolge sogar konstitutiv werden konnte. Das ist Kunst. Nichts anderes ist Radio in seiner entwickelten Form. Das Internet kann anderes, etwa Spotify-Listen. Oder soll ein Algorithmus die Reihenfolge der Beiträge dem Konsumenten maßgeschneidert vorschlagen, passend zur Euphorie über digitale Radio-Apps oder digitales Audiobroadcasten (dab)?

Die Ö1-Realität? Ein EU-Gipfel findet statt, auf den Ö1 seine HörerInnen viele Tage hin vorbereitete. Und dann gab es im Mittagsjournal am Freitag, den 9. 12. 2011 keinen substanziellen Überblick über das, was am Gipfel passierte und nicht passierte. Es wurde nur kurz berichtet über Reaktionen von EU-Parlamentariern, worauf ein Interview mit Bundeskanzler Faymann nicht nur über den Gipfel folgte, sondern auch - o.k. - Gespräche von Moderator Christian Williwald mit den ORF-Korrespondenten Raimund Löw und Bettina Madlener und ein Interview mit Nationalbanker Ewald Nowotny von Volker Obermayr. (http://oe1.orf.at/programm/20111209). Hier hätte zur Hilfe genommen werden können, wie früher bewährt, eine Presse-Rundschau mit Stimmen von allen Kontinenten.

Es ist klar, dass ein Schwerpunktthema keine besonderen Brücken braucht. Es hätte aber der abwesende Überblicksbeitrag Moderator Williwald ermöglicht, die zugehörenden Beiträge pointierter anzukündigen.

Wenn einmal das Brückenbilden verdrängt wird, schwindet auch die Fähigkeit dazu. Am 11. 10. 2012 hatte es Andrea Maiwald mit zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen über Blinde zu tun. Eine Gelegenheit, die ungenützt vorüber ging. Am 7. 11. 2014 hatte Klaus Webhofer mit Hans Wollers Bericht Künstler provoziert mit antisemitischer Geste“ über den afro-französischen Kabarettisten Dieudonné M'bala M'bala und seiner reichlich wirren Ideologie“ zu tun (http://oe1.orf.at/artikel/362777) und dann mit Ben Segenreichs Bericht In Israel protestieren tausende Flüchtlinge“. Webhofer, ohne Überleitung: „Seit drei Tagen ziehen afrikanische Demonstranten durch die Straßen von Tel Aviv. Und die Israelis sind erschrocken über das Ausmaß des Problems, das da herangewachsen ist. Es handelt sich um Migranten, die illegal über Ägypten nach Israel gekommen sind. Sie verlangen jetzt lautstark politisches Asyl und protestieren gegen Festnahmen durch die Polizei und gegen ein Anhaltelager. Die israelische Regierung sagt, dass die Afrikaner langfristig nicht im Land bleiben können.“ Anzusetzen wäre gewesen bei dem schönen christlichen Wort dieudonné – „gottgegeben“, wie Webhofer richtig übersetzte, aber nur wörtlich, denn die Bedeutung über einen Namen hinaus ist 'Findelkind'. Webhofer hätte sich fragen können: Wieso nennt sich M'bala M'bala so? Weil er in der Pariser banlieue (Bannmeile) in mehreren Orten aufgewachsenen ist als Sohn eines eingewanderten Kameruners und einer französischen Muttersprachlerin? Weil er sich seiner schmerzhaften Erfahrung der teilweise gelungenen Integration nur halb bewusst ist. Genau das hätte der Punkt sein können: Dieudonné verbindet die von Israel-Korrespondent Ben Segenreich nicht weniger klar angesprochene Integrationsproblematik in zwei Dingen: dass er teilweise schwarzafrikanischer Herkunft ist wie schwarzafrikanische Juden auch und dass sowohl Dieudonné und die illegal Eingewanderten in Israel ihre Problematik nicht einfach hinnehmen. Dass dies auf verschiedene Weise und vor verschiedenen Hintergründen geschieht, ändert nichts an der Gemeinsamkeit. Zugegeben, ein anspruchsvoller Moment, der die Frage aufwirft: Wie viele Minuten hatte der intelligente und ehrgeizige Webhofer zur Verfügung für die Möglichkeit, die ihm bestimmt auffiel.

Am 12. 11. 2016 führt Klaus Webhofer mit Österreichs Politikwissenschaftler Nummer 1 Anton Pelinka ein 16 Minuten gehaltvolles, besonnenes, vom Ton her angenehm ruhiges "Im Journal zu Gast"-Interview über die soeben erfolgte Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA. Auf dieses Gespräch folgte abrupt: "Eine bundesweite Mindestsicherung, das erklärte Ziel von Sozialminister Alois Stöger, ...". Schlimm ist generell, wenn nach einem langen Interview kein Zusammenfassen oder Nachklingen stattfindet und abrupt zum nächsten Beitrag übergegangen wird. Das ist aber weniger für die Moderatorin Barbara Schieder beschämend, sondern vielmehr für diejenigen, die sie nicht einschulten, denn Schieder moderierte das erste Mal ein langes Mittagsjournal und das noch dazu am Samstag.

Zur nächsthöheren Gedankenebene: Ob der ORF als Österreichs mit Abstand größtes Medienunternehmen zur öffentlichen Selbstreflexion fähig ist? Die Kürzest-Eigendefinition einer auch ihr gewidmeten Sendung schließt es nicht aus: "Wie wird über Medien Politik gemacht? #doublecheck fragt nach, jeden ersten Freitag im Monat." (http://oe1.orf.at/doublecheck) Die erste Sendung im Mai 2017 stimmte nicht sehr optimistisch.

Die allererste Frage für eine Medienreflexion der Journalisten müsste heute sein: Wie können wir Politik kritisch beobachten, ohne Politiker fertig zu machen? Die erste Sendung #doublecheck am 5. 5. 2017 (http://oe1.orf.at/programm/20170505) begann mit O-Ton so: "'eine Stimmung wie bei einem Verhör teilweise'. (Vizekanzler Reinhard Mitterlehner) <Stimme Stefan Kappacher:> Wie hartnäckig sollen Journalisten fragen, und was blüht ORF-Redakteuren, wenn sie das tun? Willkommen bei der Premiere zu #doublecheck. Zum Auftakt widmen wir uns einer Grundfrage des Journalismus." Hier und später im relativ langen Vorspann kein Hinweis darauf, wie diese Frage in der Sendung beantwortet werden wird. Thema: "Wie kritisch müssen Politiker befragt werden? Und wird dabei auch manchmal über das Ziel hinausgeschossen?" (http://oe1.orf.at/player/20170505/474013 offline)

Es folgt ein ungezeichneter Beitrag (von Kappacher? von Nadja Hahn? von beiden?) mit dem Titel "Politik und Medien im Dauerclinch" (19:07:45-19:15:10). Hier heißt es mit einer Off-Stimme: "Österreichs Politiker haben Trump nicht gebraucht, um ihre Medienkritik zu formulieren. Meist geschieht das aber verschämt und holprig. Und meist ist auch der ORF das Ziel <Off-Stimme macht Punkt, kein Komma>, als etwa ÖVP-Obmann Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sich im März 2016 gleich viel Sendezeit wie der damalige SPÖ-Kanzler Faymann wünschte und von Bestellfernsehen sprach." Darauf einzugehen, lohnt sich.

Faymann hatte am Sonntag, den 6. 3. 2016, im Gruppendiskussionsformat "Im Zentrum" ein Solo-Interview bekommen. #doublecheck sieht das unpräzise und unausgewogen, denn Mitterlehner hatte sich in der Nachrichtenfernsehsendung "Zeit im Bild 2" (ZiB 2) am 9. 3. 2016 differenzierter geäußert. Zunächst wurde mit der einseitigen Bevorzugung Faymanns Mitterlehner ungerecht behandelt. In #doublecheck wird Mitterlehners Reaktion so dargestellt, als ob dieser vom ORF Bestellfernsehen für sich verlangt. Aber wie der Fernsehmitschnitt (https://www.youtube.com/watch?v=fy4Xy8Crvys) zeigt, fordert Mitterlehner Gerechtigkeit für die "Regierungsopposition" ein, zu der er sich etwas unklar ironisch selbst zählt: "Und 'würde ganz gern ersuchen, wenn schon der Herr Bundeskanzler eine ganze Sendung hat, um seine Linie zu erklären <ZiB 2-Moderator Tarek Leitner lacht währenddessen Mitterlehner an>, spielen sie auch dazu noch einseitig des ORF <... Leitner/Mitterlehner unverständlich> spielen Sie, nein, aber schauen Sie, jetzt geben Sie mir auch die Zeit, des is doch sonst ein bestimmtes Bestellfernsehen.' ... Ich sage Ihnen aber auch, ich wünsche mir dasselbe, was der Herr Bundeskanzler wünscht, und sage dem ORF, net bei Ihnen, ... das ist ein Bestell- , schauen Sie ... ich wünsche mir, dass der ORF reagiert, dass man in dem Zusammenhang auch sieht, dass wir eine Koalitionsregierung haben, und wir haben auch Oppositionsparteien, da hätten wir uns ganz gern eingebracht." (10:06-10:55) Aber im besagten #doublecheck heißt es weiter verständnislos: "Mitterlehner hält seine Kritik an Journalismus und Medien auch heute noch aufrecht <O-Ton Mitterlehner>: 'Ich finde auch, was die Fernsehberichterstattung anbelangt, etwa die Zeit-im-Bild-Interviews <merkliche Auslassung des O-Tons> dass es hier immer um Sieger und Besiegte geht und dass es darum geht, auch so irgendwie eine Stimmung wie bei einem Verhör teilweise wiederzugeben. Wenn's auch nicht intendiert is', kommt zumindest der Eindruck zustande, das ist fallweise durchaus gegeben.' Die Boulevardmedien böten zwar auch reichlich Anlass für Kritik, doch die werden gehätschelt und mit Inseratengeldern der öffentlichen Hand gefüttert, vom schwarzen Finanzminister ebenso wie vom roten Bundeskanzleramt. Geht es nach dem residierenden Medienminister Thomas Drozda, dann werden künftig sogar Gratiszeitungen Medienförderung kriegen. Seinem Chef, dem Bundeskanzler, wird ein leicht <Betonung> gestörtes Verhältnis zum Boulevard nachgesagt, seit Christian Kern bei einem Bürgerforum mit Peter Resetarits im Dezember von einem Gong und vom Moderator in die Schranken gewiesen worden ist." (19:07:45-19:09:35) Es bleibt zu bezweifeln, ob das die inhaltliche Ebene und der Ton sein sollte, auf denen sich #doublecheck bewegen sollte. Das heißt, es kann nicht einfach darum gehen, berichtend noch einmal tagespolitisch anzuheizen. Vielmehr sollte aus einer gewissen Distanz Reflexion möglich sein.

In besagtem #doublecheck wurde auch Bundeskanzler Christian Kern interviewt, das Interview gesendet und im Vergleich zur Radiosendung in geringfügig längerer Video-Fassung ins Internet gestellt, in dem die Kamera übrigens viel Zeit darauf verwendet, die Hände Kerns unvorteilhaft aufzunehmen. (https://www.youtube.com/user/oe1radio) Dagegen wurde Vizekanzler und ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner interviewt, aber dieses Interview wurde nicht gesendet, mit Ausnahme von ein paar O-Ton-Ausschnitten. Die wohl für #doublecheck ursprünglich vorgesehenen 5 Minuten und 42 Sekunden sind aber dennoch zu hören, wenn auch nur als mp3-file in einem Text, dessen Titel "Wie in einem Verhör" ist (zur Erinnerung: in der Sendungseinleitung wurde Mitterlehner mit O-Ton zitiert: "eine Stimmung wie bei einem Verhör teilweise", womit sich kleine, nicht unwesentliche Unterschiede ergäben!), allerdings ohne dass auf der Tagesprogrammwebseite http://oe1.orf.at/programm/20170505 ein Link zu http://oe1.orf.at/artikel/632528 geführt hätte oder führen würde. Und auch in der Sendung erfolgte kein Hinweis auf die Existenz von Text und mp3-file. In der Radiosendung war der Mangel bereits vor Kenntnis dieser Datenlage spürbar. Hatten doch die HörerInnen gewusst, dass die ÖVP in den letzten Wochen, im Unterschied zur SPÖ, den ORF ausdrücklich kritisierte. Dass das Interview mit Kern in #doublecheck am 5. Mai 2017 gesendet wurde, das Interview mit Mitterlehner aber nicht, gehörte wohl zu den vielen medialen Kränkungen, die Mitterlehner in seiner Rücktrittsrede am 10. Mai 2017 exemplarisch auf die jüngste ihm in der "Zeit im Bild 2" geltende "Anmoderation von Armin Wolf" bezog. Es ist wert, das zu zitieren: "Cover: 'Django, die Totengräber warten schon'. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, wenn ich im <Kabaretttheater> Rabenhof bin oder wenn ich die Tagespresse lese, ja, finde ich irgendwie pointiert und gut inszeniert. Kann ich vielleicht sogar lachen. Am Schluss haben ja auch die Totengräber ihr Ende gefunden, und der Django überlebt immer. Aber ehrlich: Die Fragestellung jetzt für ein öffentliches Medium, das Leitmedium im Land - und da geht es nicht mehr um die Inszenierung. Da geht es um den Menschen, der dahintersteht. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, finde ich das nicht mehr pointiert. Sondern das finde ich fehl am Platz. Und das war eigentlich der letzte Punkt, aber kleiner Punkt, dass ich zum Selbstschutz – aber auch zum Schutz meiner eigenen Familie – jetzt die entsprechenden Konsequenzen ziehen möchte." (https://neuwal.com/2017/05/10/transkript-ruecktrittsrede-von-reinhold-mitterlehner-10-05-2017/ Schreibweise modifiziert).

Rückblende 1, Morgenjournal um 7 Uhr am 5. 9. 2016. Es kommt die etwas ungenaue Frage von Moderator Christian Williwald an Werner Amon, dem Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei, ob die ÖVP nicht den ganzen Sommer gegenüber der SPÖ auf Themen herumgereitet sei. Amon antwortet mit etwas ganz Anderem: nein, er halte die Obergrenze für die Mindestsicherung für sinnvoll, und er vollzieht die plötzliche Wendung: „in dem Zusammenhang habe ich auch einen Wunsch an die Medien. Wann immer es einen Sachkonflikt gibt, wird das gerne als Streit dargestellt. Ich glaube aber, dass es für eine funktionierende Demokratie wahnsinnig wichtig ist, dass die Themenfelder gegeneinander gerieben und auch ausdiskutiert werden. Das ist nicht immer gleich ein Streit, sondern das ist ein notwendiger Sachkonflikt, der aber möglichst ohne Polemik geführt werden soll.“ Williwald, leicht unwirsch: „Es ist in letzter Zeit etwas Mode, die Medien in die Pflicht zu nehmen und ihnen da einen Teil der Schuld in der Darstellung ...“. Williwald wird unterbrochen von Amon: „Die Medien haben einen großen Teil der Verantwortung. Und ich denke, dass dieser Appell nicht ganz falsch ist. Denn Streit wird ja abgelehnt.“ Williwald: „Der ist angekommen. Aber lassen Sie uns noch kurz über die ÖVP reden.“ (7:12:46-7:13:37) Genau zu solchen Konflikten, nämlich zu dem wichtigen Thema, wie heute politische Auseinandersetzungen zwischen den Parteien so wie zwischen den Parteien und den Medien, und seien Parteien in der Regierung, von den Medien behandelt werden, hatte #doublecheck - Selbstreflexion! - in seiner ersten Sendung nichts zu sagen. Aber es gibt etwas mindestens so Wichtiges zur Vorgeschichte von Kappacher/Mitterlehner.

Rückblende 2. Am 22. 10. 2016 war Reinhold Mitterlehner bei dem Innenpolitikredakteur Kappacher "Im Journal zu Gast". Nirgendwo hörte man besser, welche unbarmherzige Disziplinierungsmaschine das Radio inzwischen geworden ist. (http://oe1.orf.at/player/20161022/446380) Während Mitterlehner in seiner 'Grundsatzrede zur Zukunft' am Tag vorher unter dem Titel "Nur Mut bringt uns weiter" (https://www.oevp.at/team/mitterlehner/Mitterlehner-Das-Land-nach-vorne-bringen.psp inzwischen offline) von Globalisierung, Digitalisierung und Industrie 4.0, Europa zwischen Sparen und Investieren, Erarbeiten versus Umverteilen, Sozialstaat neu denken, Mindestsicherung sowie Bildung und Startup-Programm sprach, kommt von Kappacher diesbezüglich systematisches Desinteresse. Dafür dann diese Fragen (hier komplett wiedergegeben): "Wollen Sie sich vor allem selber Mut machen? ... Wer sind denn die Angstmacher? Sie haben sie nur indirekt angesprochen. ... Was ist eigentlich mit Wolfgang Sobotka und Sebastian Kurz, die ständig das Thema Asyl trommeln, die dieses Thema sehr hoch spielen. Sind das keine Angstmacher? ... Sebastian Kurz will Asylwerber, Flüchtlinge auf Mittelmeerinseln internieren. Diesen Vorschlag hat er noch nie zurückgenommen. Das ist etwas, wo man schon Angst damit verbindet oder? ... Zurück zu Ihrer gestrigen Rede zur Wirtschaftslage Österreichs. Da gab's auch so ein Zitat im Umfeld dieser Rede. Nämlich: wir handeln, es wurde genug diskutiert über Bürokratieabbau, jetzt müssen Taten folgen. Ist Ihnen das nicht peinlich, nach dreißig Jahren in der Regierung so ein Spruch? ... <Reduktion der Körperschaftssteuer> Ist das jetzt, nachdem Sie das aufgegriffen haben, eine ÖVP-Forderung? Und bis wann soll die umgesetzt werden? ... Da ist gleich der Vorwurf Steuerdumping gekommen. Was halten sie dem entgegen? ... <Arbeitszeitflexibilisierung> Wird das in dem Reformpaket drinnen sein, das am Dienstag in den Ministerrat kommt? ... <Kompromiss über Mindestsicherung> Stimmt das oder sagt da irgendwer die Unwahrheit? ... Ja, aber die Frage war ja, was können Sie mit diesem Kompromiss anfangen? ... Sie haben jetzt <Minister> Stöger im Regen stehen gelassen, weil Sie sich bei Josef Pühringer in Oberösterreich und Erwin Pröll in Niederösterreich nicht durchsetzen haben können. So könnte man's auch formulieren? ... Also auf die Bundesregierung fällt da kein Schatten? ... Sind Sie immer noch so perplex, wie es im ersten Moment über den Fernsehschirm gekommen ist? ... Parteifreund Schützenhöfer: es regiere in Ihrer Koalition mit der SPÖ offensichtlich nur noch die Wahltaktik. Es sei einfach schon zu viel Porzellan zerschlagen worden. Hat er da völlig unrecht? ... Also, das ist schon normal, dass man sich auf offener Bühne quasi die Dinge hineinsagt? ... <ÖVP-Obmanndebatte> Wie ist das jetzt, mit Kurz und mit Ihnen? ... Spielt eine Rolle, ob ein Spitzenkandidat die Partei sagen wir um fünf Prozentpunkte höher bei der Wahl hinaufbringt oder nicht? Das würde dann für Kurz sprechen. ... Sie selber lassen das aber offen. Also das ist ja auch neu, dass jemand sagt als Bundesparteiobmann, ich will nicht unbedingt Spitzenkandidat werden. ... Ist Sebastian Kurz grundsätzlich schon so weit aus Ihrer Sicht, dass er die Partei übernehmen könnte, dass er eine Spitzenkandidatur machen könnte? ... Vom Django zum Sisyphus. Verzeihen Sie die Fussballerfrage. Aber wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie solche Sachen lesen, wenn sie diese Entwicklung Revue passieren lassen? ... " Angesichts dieses Aneinandervorbeiredens und Nicht-Zuhörens von seiten Kappachers erübrigt sich fast jeder Kommentar.

Da ist die ORF-Korrespondentin Hannelore Veit schon zu mehr Reflexion als Kappacher bereit, obwohl dies nicht ihre Aufgabe sein muss. Wohl zeugt ihre Äußerung im Mittagsjournal am 29. Juli 2016 von wenig Einsicht in die Aufgabe der Medien punkto Parteitag der Demokraten: „Es waren vier Tage, an denen die Demokraten Werbung für sich zur besten Sendezeit der US-Nachrichten-Networks machen durften. Sie und ihre Mitstreiter haben sich bemüht, die Marke Hillary Clinton in ein neues Licht zu rücken.“ (12:10:26-12:10:40) Eine teilweise gewandelte Veit war nach dem Wahlsieg Donald Trumps zu vernehmen. Von Armin Wolf im ORF Fernsehen angesprochen über die Wahlnacht "Verstehen wir die Wähler nicht mehr?" antwortete Veit zum Teil selbstkritisch: "Ich glaube, wir haben unterschätzt, wie tief der Frust in diesem Land wirklich ist. Wir haben die Zeichen nicht gesehen. Wenn wir die Zeichen gesehen haben, dann haben wir sie ignoriert. Die Washington Post bringt das heute auf den Punkt: 'The media didn't want to believe Trump could win. So they looked the other way.' ... Da war sehr, sehr viel Wunschdenken dabei. ... Fast alle großen Zeitungen haben gegen Donald Trump ... geschrieben. Man sieht, sie hatten damit nicht recht. Und noch ein Punkt. Wir selbst haben auch zu seinem Wahlsieg beigetragen. Donald Trump mit seinen halblustigen Sprüchen war immer gut für Fernsehsendungen, die großen Networks haben sehr, sehr viel Geld verdient. Sie haben Rekordzuschauerzahlen gehabt. Donald Trump hat ihnen einfach Geld gebracht. Er hat für keinen einzigen Fernsehspot bezahlen müssen in den Primaries. Den ersten Fernsehspot, den er geschalten hat, war Ende August. Das war schon sehr, sehr knapp vor der Wahl. Gratis Fernsehzeit für alle." ZIB 2 Spezial, 9. 11. 2016, 22:00 Uhr. Dem Philosophen Karl Jaspers gemäß sind Staunen, Zweifel und Erschütterung die Ursprünge der (philosophischen) Reflexion. Vielleicht muss #doublecheck erst durch diese Stadien wie Hannelore Veit hindurchgehen, um zur Reflexion bereit zu sein.



s. die Signations und der Niedergang der Hörqualität



Selten genug wird auf die großteils wunderbaren Ö1-Signations Bezug genommen. Josef Hader tut es und zwar so: „Das Schöne ist ja, dass wenn man Ö1 hört, dass man immer noch an' klaan' Witz vom Werner dazwischen kriegt. Teilweise <ist> Ö1 inzwischen ja so konservativ und so als wär's eine Parodie auf die 50er Jahre, aber dazwischen kommt der Werner und grinst ein bisschen drüber. Das ist sehr schön. So kann man Ö1 noch hören.“ (D.U.D.A! Werner Pirchner. Musikalischer Dokumentarfilm, Regie: Malte Ludin, Kamera: Victor Kössl, 1 h 24 min, Volders: Wildruf Film 2014, 1:10:19-1:10:38)

Ja, es wäre eine schöne Geste, wenn Christian Muthspiel als Komponist der neuen Ö1-Signations in diesem Jahr zwei der besten Pirchner-Signations übrig ließe - wie ja auch Pirchner 1997 Schumanns 'Kinderszenen' für "Menschenbilder" und Ernst Kovacics (inzwischen gekürzte) Violinkadenz für "Intermezzo" nicht ersetzte - und noch einmal eine Signation bearbeiten würde - diejenige von The Residents für "Diagonal". Dass Muthspiel sich mit Werken anderer Komponisten wie Bach, Corelli und Strawinski auseinanderzusetzen fähig ist, belegt ein Abend mit Musik von einem musikalisch, spielerisch und konzeptuell sehr entwickelten Komponisten, der eigentlich am progressiveren Freitag Abend angesetzt gehört hätte. (So 15.1.2017, ab 19 Uhr 30, http://oe1.orf.at/programm/457247 offline)

Die Hörqualität liegt an solchen Auseinandersetzungen, an Signations und den vorproduzierten oder Live-Sendungen, die von den SendungsgestalterInnen mit einer Technik gemeistert werden, die über das Maschinelle hinaus die Stilistik und Intonationscodes der einzelnen Sendungen beherrscht.

(Nicht so Scheib. Er blendet (!) in jenes Sonntagabend-Konzert ein anderes ein, ein Stück von Muthspiel, wobei dieses so abrupt endet, dass es keinen Applaus gibt und der Verdacht aufkommt, dass Scheib abgekürzt hat, ohne das anzugeben. Das verletzt die Spielregeln.)

Zur Minderung der Hörqualität gehört der zunehmende Dialekt. Er ist eigentlich ein No-go auf Ö1. Hans Groiss sagt "kloa gwesn" (7. 5. 2017, 23:04:40), redet streckenweise im wilden Dialekt ("Nachtquartier" am 6. 9. 2016). Und es ist auch nicht das letzte Mal, dass Johannes Leopold Mayer die ganze Sendung hindurch zu seinem Gesprächspartner im Dialekt spricht. ("Apropos Musik", Montag 19. September 2016 15:05). Aber die Aussprache lässt auch sonst zu wünschen übrig. Die Lesenden unter den Ö1-HörerInnen werden immer akustisch irritiert sein, wenn die ModeratorInnen "Beate Tomasovits" und nicht Beate Tomassovits ankündigen. Oder der Applaus bei Konzertübertragungen ist zu kurz und in der "Matinee" vor dem Beginn des Stücks gar nicht mehr zu hören. Oder die Stimme des Moderators durch Erklingen auf vielen Sendeplätzen ist entspezifiziert und entqualifiziert: allen voran Bernhard Fellinger, der in "Moment", "Guten Morgen Österreich", "Ö1 heute", "Matinee", "Ö1 Quiz", "Kabarett direkt" und noch in anderen Sendungen als Off-Stimme spricht, neuerdings auch Rehburg, Köppel und andere sonntags von 6 bis 13 Uhr. Oder Maria Reininger: für 2 oder 3 Jahre sehr häufig Nachrichtensprecherin, später dann zu hören in "Kulturjournal", "Spielräume", "Spielräume Nachtausgabe", "Onstage", "Radiokolleg"-Musikviertelstunde, "Radiokolleg"-Kulturbeiträge, "Wissen aktuell", "Zeit-Ton", "Spielräume Spezial", "Intrada", "Jazztime", "Jazznacht"; und dann ihre prestigereiche Gestaltung des Beitrags zum 20. Todestag des ORF-Jazz-Gewaltigen Walter Richard Langers in der Jazznacht, die rätselhafterweise weder vom damaligen Jazz-Abteilungsleiter Herbert Uhlir, noch vom heutigen Jazz-Abteilungsleiter Andreas Felber übernommen wurde.

Obwohl es in Ö1 Nachrichten auf französisch gibt, lässt die Schulung der ModeratorInnen aus: grand dame statt grande dame, grand valse statt grande valse, und bei Gavotte bleibt das 'e' nicht stumm. Am 8. 2. 2013 Lautstärkenunterschiede zwischen den Mittagsjournalbeiträgen. Am selben Tag das erstaunliche Kunststück von Renate Burtscher, Applaus nach ihrem Kommentar zum gerade gesendeten Stück zu bringen, Oder Paul Krakers Nachtjournal am 21. 9. 2016 mit keiner hundertstel Sekunde mehr zwischen Beiträgen und Moderationen oder einem deutlich lauteren Beitrag als die Moderation. Daselbe bei "Wissen aktuell" am 23. 9. 16 mit dem Schluss „das berichtet science orf a t“, wobei zwischen „science“ und „a“ eine Terz hinaufgesungen und zwischen „a“ und „t“ hinabgesungen und bald schon „Barbara Riedl-Daser“ zum Schluß der Sendung im Lauf immer mehr gesungen statt gesprochen wird. Im Übrigen macht Riedl-Daser ihrem Kollegen Bernhard Trebuch und seiner Sendung "Alte Musik - neu interpretiert" Konkurrenz, indem sie in "Wissen aktuell" für "Universum" in ORF2 wirbt wie am 22. 11. 2016. (http://oe1.orf.at/programm/20161122/451090) Oder der Politologe und Menschenrechtsaktivist Vishan Alameisi <Schreibweise?> ist relativ zu laut zur Übersetzungsstimme (Robert Uitz) in Katharina Wagners Beitrag „Krieg im Jemen: Bevölkerung beschuldigt Internationale Gemeinschaft" im Mittagsjournal am 12. 10. 2016; im Mittagsjournal am 24. 10. 2016 übersetzt Fabio Polly für Katharina Wagners Beitrag "John Stint" oder "John Spint" - der ganze Familienname unhörbar, weil zu knapp montiert an den O-Ton - , der zu laut bleibt. Am 15. 9. 2013 von 0.05 bis 1.00 Uhr führt Ines Reiger ein einstündiges hoch interessantes Live-Interview mit Christoph Huber vom Jazzlokal Porgy & Bess; leider ist Huber zu leise - wer hätte das Reiger sagen können? Am 2. 9. 2013 führen Gabi Waldner und Hannes Aiglsreiter ein langes Interview mit Eva Glawischnig zur Nationalratswahl 2013: die Lautstärke ist um ein Drittel zu leise, der Sound schlecht. Am 23. 7. 2016 finden sich Joanna King und Élisabeth Kervarrec mit den englischen und französischen Nachrichten im unfreiwilligen Echo wieder. Über viele Jahre trug Raimund Löw seine Radiokorrespondenten-Beiträge von der natürlichen Sprachmelodie entkoppelt vor. Die Verantwortung für all diese Fehler liegt auch bei der Ö1-Leitung.

Beständige Unruhe bei den deutschsprachigen NachrichtensprecherInnen seit sechs, sieben Jahren. Alle paar Monate sind neue zu hören. Handelt es sich um PraktikantInnen? Wo sind die Zeiten, da man sich über viele Jahre auf einen Josef Wenzel Hnatek oder Susanne Rousseau einstellen konnte oder Artur Trainacher oder Paul Kraker.

Das kleinste akustische Element auf Ö1 ist der Gong zum Beginn der Nachrichten. Seit geraumer Zeit ist das Verständnis dafür abhanden gekommen. Zur Zeit ist es so: Violinendreiklang, "Österreich Eins" <Ernst Grissemann>, "15 Uhr", "Die Nachrichten", Gong, "Am Mikrofon ...". Der Gong muss aber vor "15 Uhr" erklingen. Zuerst muss es 15 Uhr werden, um konstatieren zu können, dass es 15 Uhr ist. Es könnte die Welt eine tausendstel Sekunde vor 15 Uhr untergehen, und niemand würde mehr in der Lage sein, "15 Uhr" zu sagen. Das ist der Niedergang von Ö1: dass der Sinn für das Selbstverständliche nicht mehr existiert.



t. "Was uns ausmacht." Eine Leistungsschau...Objekt 100: Zwölftontechnik



Es wird einiges unterschlagen in der Sendung "Zum Thema: 100-mal Europa. Was uns ausmacht. Diagonal zum Thema: 100-mal Europa. Was uns ausmacht. Eine Sendung von Johann Kneihs und Peter Lachnit" am Samstag, den 25. März 2017. (http://oe1.orf.at/programm/20170325/465214) Ja, es wird einiges falsch dargestellt.

Pieter Steinz hat seinem Buch "Typisch Europa: ein Kulturverführer in 100 Stationen" (Steinz <2016>), das "Diagonal" zur Grundlage nimmt, im Original den besseren Titel gegeben: "Made in Europe. De kunst die ons continent bindt", also mit dem Untertitel "Die Kunst, die unseren Kontinent zusammenhält". Damit ist klar, dass es dem leidenschaftlichen Kulturjournalisten um DIE Kunst geht, wenn auch eine Kunst, die ausdrücklich weit gefasst ist. Pieter Steinz' Buch will ein Kulturführer sein, genauer ein Führer durch die hoch- und popkulturellen Künste und ihre Werke, durch "Architektur, Bildende Kunst (Malerei und Skulptur), Film, Zeichentrick und Fotografie, Literatur und Comic, Musik, Schauspiel und Tanz, Design und Mode" (14), wobei "diese acht Sachgebiete" noch ergänzt werden durch "Verschiedenes (alles, was keine Kunst im klassischen Sinne ist)" (17). Steinz hat es mit der Zahl 100 nicht genau genommen. So sind es 104 Stationen - aber eben Stationen, eigentlich Triaden, jeweils gebildet aus einem längeren Beitrag, einem kürzeren Seitenstück und einer starken Klammer in Form eines Generaltitels, die den Beitrag und das Seitenstück verklammert. Dazu kommen fünf Karten Europas, auf denen die 208 Teile Orte einer "Museumstour", einer "literarische Pilgerfahrt", einer "architektonische(n) Zeitreise" und von Ähnlichem bilden, in Anlehnung an die Grand Tour der früheren Neuzeit, auf der sich das entstehende Bürgertum seinerzeit bildete.

Von diesem anspruchsvollen und phantasievollem Zugang ist in der Sendung nur mehr wenig zu spüren. Es wird diagonal vereinfacht. Von den Triaden sind Objekte übrig geblieben. Statt der 208 Teile sind es nicht einmal mehr die 100 angegebenen. Tatsächlich wird noch einmal ohne Ausweis von Kriterien reduziert. 34 'Objekte' bleiben übrig, eine willkürliche Liste, deren 100 Einträge nicht einmal ganz aufgezählt werden - etwa die Nummern 8, 13, 15 bis 18, 21 bis 33 etc. - weder in der Sendung, noch auf der Ö1-Sendungswebseite, auch nicht zum Buch und Leben von Steinz.

Was heißt überhaupt Objekt? Ist die Tanzgattung des Flamenco ein Objekt? Die britische Popmusik? Marina Abramovic? Wenn Kneihs und Lachnit schon so vorgehen: Wieso definiert das verdiente Radiofeuilleton "Diagonal" Europa nicht selbst? Wieso greift es für diese Definition nicht auf den erfahrenen MitarbeiterInnen-Pool von "Diagonal" und Ö1 zurück? Eine Umfrage unter den Beitragsgestaltern - sie bezogen sich übrigens mehrheitlich kaum auf Steinz' Buch - Ines Mitterer, Michael Neuhauser, Wolfgang Ritschl, Alexandra Augustin, Rainer Springenschmid, Matthias Däuble, Dorothee Frank, Robert Rotifer, Kathrin Mackowski, Thomas Miessgang, Barbara Zeithammer, Anna Katharina Laggner, Nicole Dietrich, Erich Klein, Kristina Pfoser und Horst Widmer hätte doch Interessantes ergeben!

"Marina Abramovic, Konzept- und Performancekunst". Ines Mitterer führte ein sehr gutes Interview, aufschlussreich zur Person, die auch stimmlich eine unglaublich starke Ausstrahlung hat, aber ihre Kunst? Über diese war wenig zu erfahren. Dass ihre Kunst bei Steinz mit derjenigen des verhüllter Reichstags in Berlin von Christo und Jeanne-Claude zusammenhängt und der Konzept<!>kunst im Allgemeinen, kein Wort darüber.

Auch Beethovens Neunte und die Europa-Hymne, ihre Einbettung in der symphonischen Tradition und ihr Gegenstück in Mahlers Fünfter blieben in Lachnits Beitrag verschwiegen, wenn auch sein Hinweis auf die circa 75 Minuten der Dauer der Neunten als Maßgabe für die 1978 bestimmte Dauer der durch Sony und Philipps 1981 eingeführten CD interessierte, zumal am Tag der "Diagonal"-Sendung die Feier zu 60 Jahren Römische Verträge der EU stattfand.

"Als Nächstes, Die altniederländische Malerei, Pieter Bruegel 'Breugel' und Hieronymus Bosch" - eine sehr gute Vignette von Alexandra Augustin und zwar durch die interviewte, aber nicht genannte Kuratorin/Ausstellungsführerin, die über das 'Jüngste Gericht' (mit unnötigem illustrierenden Soundbett) sprach - nur, der Jedermann bei Steinz blieb außen vor.

FM4-Mann Rainer Springenschmied meinte anlässlich seines Beitrags über die Champions League auf Ö1 der Hochkultur eins auswischen zu müssen: "Was für ein Drama! Was für eine Spannung! Was für ein Schauspiel! <eine Fensehstimme wir eingeblendet; das Radio hat sich ja seit Langem vom Fußball verabschiedet, Stichwort "Sport und Musik"> Das große Theater <"das große Kino", hallo!>, das Europa eint, es findet nicht auf den Brettern der Scala statt, nicht in der Arena von Verona, nicht in der Staatsoper. <Woher will Springenschmied das wissen, der seit Langem die "Basement-Show", auch "Punker-Ecke" genannt, in der Heavy-Metal-Sendung von FM4 betreut?> Das große Drama ist in jedem Fernseher vom Nordkap bis Gibraltar und von der irischen Atlantikküste bis zur kasachischen Steppe zu sehen." Immerhin, ein gut geschriebener Beitrag, der die historisch angelegte Seite bei Steinz und seinem zusätzlichen Blick auf Sport als Kunst und Kulturexport zwar nicht aufgreift, aber um gegenwärtige Aspekte ergänzt, wenn auch unkritisch gegenüber totalitären Tendenzen im Fußball. Springenschmied schließt: "Wir hören, dass ein Text von der literarischen Qualität eines <gesungenen?> Finanzamtsschreibens auch Gänsehaut auslösen kann, wenn man ihn oft genug hört und wenn er mit soviel bombastischer Musik unterlegt ist, dass man die <gesungenen?> Worte kaum versteht." Der Beitrag ist an dieser Stelle mit einem Musikbett aus der Signation der UEFA Champions League unterlegt.

Wird Steinz zitiert? Nein, das ist schon Däuble über die DS von Citroën, über die "begeisterte und polarisierte Presse und Publikum", ein guter Beitrag, punktuell ein bißchen zu undistanziert, wie aus "Moment. Leben heute" in "Diagonal" verirrt: "das Thema ... ins Ziel gebracht hat."

Dorothee Frank bietet ihr Können auf, um uns in den wenigen gegebenen Minuten den Genter Altar der Gebrüder van Eyck verständlich zu machen, mit einem unbenannten Musikbett aus der Zeit der Gebrüder. Auch gibt Frank ein Beispiel für die Stärke Europas, nämlich Tradition zu bewahren. In diesem Fall sind es Hinweise zur Rettungsgeschichte. Lachnit sagt den Beitrag ab und fügt wenig erhellende, autobiographische Erläuterungen durch Steinz' Tochter hinzu, ohne dass die interessante Laufbahn ihres Vaters zur Sprache käme. Wenn Lachnit sagt: "Es ist gerade die Mischung aus Populär- und Hochkultur, aus Literatur, Musik, Mode und Architektur, die den Reiz dieser Liste ausmacht", dann stimmt das nicht ganz, denn die Populärkultur wird von Steinz als Hochkultur präsentiert.

Sehr gut informiert, wie auch Robert Rotifer über "Mary Quant und der Minirock", ist Kathrin Mackowskis Beitrag "Das kleine Schwarze von Coco Chanel", mit gutem O-Ton-Einsatz aus dem Film Frühstück bei Tiffany, mit guten Sounds und erhellend zur Herstellung des Kleids und zu Chanel selbst. Es wirkt sich positiv aus, dass Mackowski mehr als vier Minuten Zeit hat.

Etwas später Barbara Zeithammer mit ihrer beeindruckenden Sprechkultur über ein auf den ersten Blick undankbares, aber für den Niederländer Steinz wichtiges Thema, "Die Mercator-Projektion, die Kunst der Kartographie". Sie lässt es auf den philosophischen Punkt bringen: "'Es kommt <bei jeder kartographischen Darstellung> immer auf den Zweck an.'" Es ist auch Zeithammer, die etwas später als eine der ganz wenigen es schafft, in ihrem langen Beitrag über Don Quijote mit Zitaten aus dem Roman und dem Cervantes-Experten William Egginton <die Ö1-Webseite stellt die Titel nicht zusammen, um die Schreibweise von Namen nachschauen zu können>, "The Man Who Invented Fiction", die Steinzsche Klammer zu realisieren, noch dazu mit einer Anspielung auf Watzlawicks "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?".

Das ausgewählte Zitat von Steinz über Mozart enthält zu viel Biographie, zu wenig Beschäftigung mit dem Werk. Dafür ist umso aufschlussreicher, wenn akustisch gezeigt (und leider nicht gesagt) wird, dass das bezüglich Mozart überraschende Lied aus Spiel mir das Lied vom Tod von der Komtur-Arie in Don Giovanni stammt. Steinz' Klammer zu Casanova bleibt außen vor.

Der lange Beitrag von Horst Widmer "Der polyphone Volksgesang am Balkan" ruft schmerzlich das Fehlen heutzutage von Wolfgang Schlags Sendereihe über europäische Volksmusik in Erinnerung.

Dann, "Objekt 92", Velazquez' Las Meninas, unter die Lupe genommen von Ines Mitterer, knapp vier Minuten ist dafür Zeit, die effektvoll genutzt werden, etwa mit einem guten spanischen O-Ton und einer noch berückenderen Beschreibung von Herbert Brandl, einem Maler, der nicht gerade als Realist bekannt ist. Mitterer: "Jede beweisbare Interpretation ist bisher gescheitert. Sogar der französische Philosoph Michel Foucault hat sich die Zähne daran ausgebissen." War nicht der Fall. Foucault interpretierte das Gemälde nicht kunsthistorisch, sondern allein zum Zweck von nichts weniger als einer Erklärung des neuzeitlichen Denkens, was ihm auch bravourös gelang und bis heute Bewunderung einträgt.

Natürlich, es braucht bei derart geballtem Denkstoff zur Erholung Zwischenmusik, die Kneihs und Lachnit gekonnt aus den Musiken nehmen, die Steinz in seinem Buch zum Gegenstand seiner Darstellung nimmt. Etwa Die Dreigroschenoper, die Steinz unter das heading "Das epische Theater von Brecht und Weill" fasst. Ein sehr guter und sehr gut vorgetragener Song wird eine gute Minute lang gespielt, zwischendurch als Musikbett für Steinz' Kapitalismuskritik verwendet. Gisela Mays "Barbara"-Song wird zur Gänze gespielt. Worauf nicht hingewiesen wird, die Klammer hier zieht Steinz hin zur Zwölftontechnik. Ohne jedoch die Verklammerung zu nennen und auch sonst auf Steinz einzugehen, wird der Zwölftontechnik, die die Diagonal-Sendung beschließt, ein Beitrag gerade des Literaturwissenschaftlers Erich Klein gewidmet.

Klein hatte zuvor zu "Tschechows Erzählungen und Bühnenstücke" einen schönen originalsprachigen Ausschnitt aus einem russischen Stück gebracht, in seinem Beitrag zu Tschechow seine Kompetenz ausgespielt und gezeigt, wie man Steinz Paroli bieten kann. Jetzt ist einmal zu hören, ohne Angabe, Klavier und Geige allein, bald als Musikbett im knapp 3 Minuten langen Beitrag, den Lachnit mit einem leicht befremdlichen Literaturbezug, Unikum in der ganzen Sendung, ankündigt, und zwar auf die Dokumentation der Verbindung von Arnold Schönberg zu Thomas Mann rund um dessen Roman Doktor Faustus, herausgegeben von Randol Schoenberg. (Schönberg 2009) Klein informiert, dass der Romankomponist Adrian Leverkühn über seine neue Methode als eine bewusst angelegte Überforderung der Leser räsoniert. Zitat 'Doktor Faustus' im Beitrag: "Ferner konnte man die Gestalt mit dem letzten Ton beginnen und mit dem ersten schließen lassen, dann auch diese Form wieder in sich umkehren. Da hast du vier Modi, die dich ihrerseits auf alle zwölf verschiedenen Ausgangstöne der chromatischen Skala transponieren lassen, sodass die Reihe also in 48 verschiedenen Formen für eine Komposition zur Verfügung steht, was sonst noch für Variationsscherze sie anbieten mögen. Eine Komposition kann auch zwei oder mehrere Reihen als Ausgangsmaterial benützen, nach Art der Doppel- und Tripelfuge." Klein dazu: "Thomas Mann lässt Leverkühn das Oratorium Doktor Fausti Wehklage in Zwölftontechnik schreiben. Die Reaktion des Publikums schwankt zwischen Entgeisterung und der Vermutung, es handle sich bei dieser neuartigen Musik um Geisteskrankheit. Was der Schriftsteller als adäquate künstlerische Reaktion auf die Barbarei der Zeit konzipiert hatte, war für den Komponisten ein Affront. Solche Reaktionen kannte er schon von früher. Arnold Schönberg verstand sich außerdem als wirklicher Erfinder des neuen Kompositionsverfahrens und wollte nicht in eine Romanfigur verwandelt werden. Ohnehin war für ihn alles, was Thomas Mann über die Zwölftontechnik geschrieben hatte, falsch. In seinem Tagebuch replizierte Schönberg verächtlich: 'Das 12-Ton Gulasch von Leverkühn.' Wie seine neue Musik tatsächlich zu hören und zu verstehen war, darüber äußerte sich der Vater der Zwölftontechnik hingegen nur ungern."

Mit diesem missmutigen letzten Satz des Beitrags schließt das Diagonal "100-mal Europa. Was uns ausmacht". Das ungenannte, niedergehaltene Musikbett wird wieder hochgefahren. Das Ö1-Publikum bleibt ob dieses akademisch anmutenden Problems am Ende einer schwungvollen Sendung ratlos zurück. Warum soll ein Missklang zu einem derart bunten Gemälde des großen Themas Europa das letzte Wort einer immerhin schwungvollen Sendung haben? Geht es hier nicht eher um das 'Objekt' "Doktor Faustus" von Thomas Mann, der bei Steinz gar nicht behandelt wird? Wieso muss überhaupt ein so spezialisierter Beitrag zu einem Thema - Objekt? - gebracht werden, zu dessen erschöpfender Behandlung eine halbe Stunde mindestens gebraucht würde? Wieso stellt Klein Schönberg so hin, dass er Leverkühn und damit Mann einfach nur verachtet habe und dass er sich nach dem öffentlichen Zerwürfnis mit Mann nicht mit diesem versöhnt hat? Schönberg hat übrigens zeit seines Lebens in Vorträgen und Publikationen die Zwölftontechnik propagiert, erläutert und verteidigt, so auch auf dem Blatt - nicht Tagebucheintrag! - , auf dem er das "das Komponieren mit 12 Tönen" beschreibt und sich detailliert mit den Ansichten und der Figur Leverkühns sowie deren historischen Hintgergründen auseinandersetzt. Ist das die sattsam bekannte Aversion gegen Schönberg und die Neue Musik, die auf Ö1 auch in "Diagonal" um sich greift? Versinkt für "Diagonal" Europa in einer Auseinandersetzung wie derjenigen zwischen Mann und Schönberg in der Emigration in den USA?



u. Radiohundtheorie I: Kant, Cavell, Goodman, Knilli



Wie Schiffer sind wir,

die ihr Schiff auf offener

See umbauen müssen,

ohne es jemals in einem

Dock zerlegen und

aus besten Bestandteilen

neu errichten zu können.

(Neurath 1932/33, 206)



Der "(1) Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters sowie der Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen. ... (3) Rundfunk gemäß Abs. 1 ist eine öffentliche Aufgabe." https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555 Nur aufs Erste hat diese Definition in der "Gesamte<n> Rechtsvorschrift für Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks" nichts mit Immanuel Kants Medientheorie zu tun.

Diese Theorie, die Kant am Beispiel von fünf nebeneinander liegenden Punkten, einem Dreieck und einem Bild eines Hunds - "Rudi! Radio für Kinder", Montag bis Donnerstag von 15 Uhr 55 bis 16 Uhr! - erläutert, ist in seine auf den ersten Blick visuell ausgerichtete Theorie "Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" eingefasst. (Kant <1931>, A137-147, B176-187) Für Kant ist jedes Schema ein Produkt der Einbildungskraft, so auch ein Programmschema (und eine Sendungsschema). Zugleich liegen sinnlichen Begriffen wie ein Hundebild oder eine Hundegebellaufnahme gedankliche Schemata zugrunde, die „Regel der Synthesis der Einbildungskraft“. Der empirische Begriff, der so immer auch überschritten ist, bezieht sich auf ein zugrundeliegendes Schema der auch akustischen Einbildungskraft. „Der Begriff vom <Radio->Hunde bedeutet eine <sowohl technische als auch programmatische> Regel, nach welcher meine <auditive> Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres <und das mit ihr verknüpfte Hundebellen> allgemein verzeichnen kann ... Dieser Schematismus … ist eine … Kunst“ (A141, B180), wobei 'Kunst' hier das meint, worunter wir heute Technik verstehen. Diese Kunst wird nach Kant von drei Kräften bewegt, von der produktiven, der reinen und der transzendentalen Einbildungskraft (A141f., B181). Produkt der produktiven, empirischen Einbildungskraft ist das konkrete (Ton-)Bild, es ist schon in sich ein reproduzierbares Schema, etwa das Sendeschall(Programm)-Bild/Grundrauschen des Lautsprecherbilds, das bei richtiger oder vorprogrammierter Einstellung des Radioapparats oder Computers zum unhörbaren Nichts, zur unbespielten Leere des Tonträgers wird. Produkt der reinen Einbildungskraft ist das Schema sinnlicher Begriffe, ein 'Bild-mit-Schema', das dem Schallbild unterlegt ist etwa als festgelegtes Format des Lautsprecherklangs, als Sendegattung und Sendereihe oder Senderlogo wie etwa die Hundegebellaufnahme als auf Ö1-Prim/Quint/Oktav getrimmter Teil der Signation für "Rudi! Radio für Kinder". „(T)ranszendentales Produkt der Einbildungskraft“, das bildlose Schema der reinen Verstandesbegriffe, als visualisiert und teilweise etwa als Vorderseite von (Radio-)Apparaten manipulierbar, ist dann die reine Synthesis der Kategorien Schall, Welle, Strom, Signal, Wandler und der diesen Kategorien zugrundeliegenden Kategorien von Größe, Zeit, Ursache, Wirklichkeit, Einheit, Grenze, Existenz, Zufälligkeit, Räumlichkeit, Wechselwirkung, Notwendigkeit, etwa Aufzählung und An-/Ordnung eines Sendeschemas und der örtlich verfügbaren Radiosender (Kanalschema).

ERSTENS. Das Radio erfordert vier ineinandergreifende technisch-akustische Rahmen oder Schematisierungen: das Mikrofon, den Verstärker/Sender, den Empfänger/Verstärker und den Lautsprecher.

Ein Mikrofon ist ein Gerät, das Musik, Rede und andere Luftschallereignisse als mechanische Schalldruckschwingungen über eine in Bewegung versetzte Membran in elektrische Spannungsänderungen umwandelt, die sogenannten Mikrofonsignale (Kontaktmikrophon als Teil eines Fernsprechprototyps 1861, Kohlemikrofon 1878, Kondensatormikrofon 1916, Folien-Elektretmikrofon 1962). Auf diese Weise wird eine akustische Aufnahme auf Tonträger oder eine Sendung on air überhaupt erst möglich. Was ein Mikrofon auch bei bester Qualität aufnimmt, wird immer ein bestimmter Ausschnitt aus der akustischen Welt sein. Das Mikrofon ist immer ein Rahmen und als solcher schematisiert es, bringt Schall durch ein bestimmtes Schema: durch eine Membran, die, in eine bestimmte Bewegung versetzt, Strom formiert. Das Mikrofon kann zum akustischen Vergrößerungsglas werden, wenn es technisch auf bestimmte Bereiche der akustischen Welt gerichtet ist.

Der zweite akustische Rahmen ist der Verstärker und, indem kein Kabel oder keine Leitung zum Lautsprecher direkt führt, ein Sender. Ein Radiosender ist eine Anlage (Sendeanlage, Handy), die Mikrofon-Signale in verarbeiteter, gebündelt konstruierter Form von Einzelsendungen des Rundfunkprogramms - neben dem Internet-Stream über ein Computernetzwerk - in elektromagnetische Wellen bestimmter Frequenz umwandelt, einer Sendefrequenz aufmoduliert (UKW 92.0 im Fall von Ö1 österreichweit, im Sendebreich Wien zusätzlich UKW 88.0) und in verstärkter Form mittels Dipol-Sendeantenne auf Empfangsantennen von Radioapparaten, Stereoanlagen, MP3-Playern oder Smartphones richtet. Angemerkt sei, dass die elektromagnetischen Wellen, die aus den Schallwellen gewonnen werden, auch anders und zu anderen Zwecken verwendet werden können - darauf hat Armin Medosch hingewiesen: „In a similar way, radio and television have been the two most influential mass media of 20th century. Yet while they are entirely based on electromagnetic waves, the waves as such have been excluded from the discourse. EM waves are used as transport medium but are not allowed to come to the surface.“ (Medosch 2012, 275)

Einen dritten akustischen Rahmen stellt der Radioempfänger im Verein mit einem Verstärker dar. Es handelt sich um eine Anlage - Tuner, Walkie-talkie/two-way-radio (seit 1940), Mobiltelefon - , die ein Antennensignal demoduliert, entstört und wiederum verstärkt.

Den vierten akustischen Rahmen bildet der Lautsprecher. Der Lautsprecher kann weiter aufgespannt sein wie das Schema des Mikrofons, aber auch enger. Ein Lautsprecher ist ein Gerät, das aus Stromkabel, kreisrunder Membran und eventuell zusätzlichem Resonanzkörper besteht. Mit diesem Schallwandler werden Audiosignale dem Antennensignal abgewonnen und in Klangschwingungen umgewandelt. Der Schallwandler Lautsprecher kann auch eingebauter Teil eines sound system sein, etwa eines Ghettoblasters. Dieses System bringt dann frisch übertragene oder aus einem Abspielgerät abgerufene, vorproduzierte Tonfolgen aus einem Empfänger und, ihm vorangehend, Mikrofon zu Gehör.

Während erst in jüngster Zeit Mikrofone und Lautsprecher über das Ein-/Ausschalten hinaus (verstärkt und) geregelt werden können, kommt seit ehedem dem Verstärker des Radiosenders und Radioempfängers die Funktion eines schematisierenden Interface zu. Das Interface ist die Bedingung einer doppelten Kommunikation: Kommunikation, indem Radio ein Kommunikationsmittel ist, und die 'Kommunikation', die der Radioapparat als Interaktion mit dem Gerät erfordert und ermöglicht - regulierender Schematismus. "Die Technikentwicklung ist in ihrem Bemühen um Kommunikation dazu angetreten, die Distanzen der Kommunikation zu verringern. Fundamentales und verzögerndes Problem ist immer das In-between, das Medium und seine Interfaces, gewesen und geblieben." (Halbach 1994, 166) Ein Interface ist, wie an den vier akustisch-technischen Rahmen schön zu erkennen ist, "Punkt einer Begegnung oder einer Koppelung zwischen zwei oder mehr Systemen" (168). Der Radioapparat ist wie "das Human-Computer-Interface das 'Gesicht' oder ... die 'Oberfläche' der Maschine für ihren Benutzer", wobei die Vorderseiten der Radioapparats "das sind, was der Benutzer von der Maschine 'sieht'". (169)

Aber was wird denn kommuniziert? Über Radio, so der österreichisch-deutsche Medienforscher Friedrich Knilli, werden audio-verbale Kommuniqués gesendet und empfangen. Der Kommunikator/Sender stellt eine Kommuniqué her, die Sendung, und verbreitet sie über das Massenmedium Radio an die Empfänger, die Hörer. "Neben der realen, mit physikalischen Methoden nachweisbaren Signalverbindung durch das Medium besteht eine Vereinbarung über die Zeichenfunktion der Signale auf der Darstellungsebene." (Knilli 1970, 8) Eingesetzt werdenGeräusche, Laute, Töne, Stimmen und Wörter … zur Bezeichnung von Gegenständen und Sachverhalten“ (8) Auch wenn absolute Musik nicht berücksichtigt ist, legt Knilli besonderen Wert auf das Nonverbale, das rein Akustische. Aber alles, was ich höre, wird mir, so Kant, nicht unmittelbar, sondern in der akustischen Einbildungskraft gegeben, die vom Radio teil-technisiert ist. Knilli: Das nicht-verbale Zeichen des Radios (Geräusch, Ton, Stimme) ist 'unwillkürlich' <man könnte sagen 'unbeabsichtigt', mit Saussure 'arbiträr'>vom Original kaum zu unterscheiden. Deshalb sind diese Schallbilder Ikonen.“ (8) Sie sind Ikonen, Ab-Bilder, im starken Sinn, wenn sie Klangereignisse abbilden, indem etwa eine „Tonbandstimme … vom Original kaum zu unterscheiden (Isomophierelation)“ ist. (8) Schallbilder, verbal oder nonverbal, sind über ein Mikrofon fokussiert oder, etwa bei der Übertragung eines Solisten-Orchesterkonzerts, aus einzelnen Mikrophonen zusammengesetzt. Schallbilder im schwächeren, nicht-ikonischen Sinn sind produzierte Schallgebilde, die zu Schallbildern werden können, aber nicht müssen. Was ich eventuell nicht höre, weil weggefiltert, ist das Rauschen, das Brummen. Was ich wie selbstverständlich aus meiner Aufmerksamkeit ausblende, sind Geräusche, etwa die Hintergrundgeräusche hinter einer Stimme. Aber, so Knilli, es gibt im Radio auch Zeichen in einem weiteren linguistischen Sinn, und diese Zeichen umfassen neben den Ikonen/Ab-Bildern auch Symbole: „Es gibt die Auffassung, daß Stimme und Geräusch nicht ausschließlich Ikone(n) sind, sondern in zahlreiche Symboleinheiten zerlegt werden können: Die Stimme transportiert ja nicht nur einen linguistischen Code, sondern auch einen Intonationscode. Ähnliches gilt von Geräuschen.“ (8) Also kann es auch gehen „um Unterlegung der Sprache durch Musik, Musik-Geräusch-Mischungen und um Überlagerungen des Geräusches durch Sprache“. (10) All das wird kommuniziert, es sind klarerweise nicht einfach Botschaften oder Ereignisse. Und für alle möglichen, kommunizierbaren Klänge im Radio gilt: Sie werden technischen Schemata unterworfen, den schematisierenden materiellen Gestellen des Mikrofons, des Sendegeräts (Sender), des Empfangsgeräts (Empfänger) und des Lautsprechers.

ZWEITENS Die Kodierung der Radiosendung ist damit noch nicht erschöpft. Zunächst ist ihr die angeblich von vielen sehnsüchtig erwartete homogene Taktung für jeden Tag unterlegt, was "'endlich' <ermöglicht>, auch um 11.00 Nachrichten auf Ö1 zu senden." (APA, Wrabetz verspricht für Ö1 "deutlicher formulierten Kulturanspruch". Konzentration auf "publikumsrelevante Tageszonen" – Neuer "Kunstsonntag" und tägliche Musiksendung geplant http://derstandard.at/2000047405263/Wrabetz-verspricht-fuer-Oe1-deutlicher-formulierten-Kulturanspruch 11. November 2016, 17:03). Die Technokraten der Taktung wollen diese möglichst durch die ganze Woche hindurch gleichmäßig implantieren. Von hier aus stellt sich nicht nur der "Klassik-Treffpunkt" am Samstag als Problem dar. Und wie lange wird der Widerstand gegen die Einführung des 17-Uhr-Journals in den Ö1-Samstag noch halten?

Damit ist aber erst ein Teil der Möglichkeiten eröffnet. So lässt sich mit dem amerikanischen Filmphilosoph Stanley Cavell sagen, dass analog der materielle(n) Basis von Filmmedien ... (als) eine Abfolge automatischer Weltprojektionen(Cavell 1979, 72. Übers. P.M.) auch für das Radio als technisch-materielle Basis einer Kontinuierung automatischer (Welt-)Schallübertragung, -ausstrahlung und -wiedererzeugung gilt, dass die „Aufmerksamkeit sich vom physikalischen Medium ab- <und> den spezifischen Formen oder Gattungen zuwendet, die das Medium im Lauf seiner Geschichte angenommen hat. (29) So kann also auch vom Radio im Sinn von Radioprogramm erst die Rede sein mit der „Schöpfung eines Mediums, indem ... den spezifischen <technologischen, etwa Taktungs-> Möglichkeiten Bedeutsamkeit verliehen wird“ (32) mittels der „künstlerischen Entdeckungen von Form und Genre sowie Typus und Technik <technique>(105). Das heißt: Erst über das physikalisch-technische Medium hinaus gibt es ein entstehendes, das heißt erst einmal zu produzierendes Medium. Die Frage lautet nun: Durch wen und für wen wird das bedeutsame Medium produziert? Cavell: „Bedeutsamkeit verleihen und Bedeutung in die spezifischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten des physikalischen Mediums ... stecken … sind die fundamentalen Akte <für den Film, aber auch das Radio> des Regisseurs … und des Kritikers (oder Publikums)“. (xiii) Bei einem Medium wie dem Film oder dem Radio geht es nicht so sehr um das ”Erforschen und Meistern der Verwendungsweisen von Werkzeugen, sondern vielmehr um das Erforschen und Meistern der Potenzen eines Instruments wie der Hammond-Orgel.(194)

Und in diesen Gattungen, etwa der Radiosendungen, ist nun auch die ästhetische Erfahrung von einem Gattungs- oder Symbolsystem (Goodman 1995) wie das Radio grundgelegt. Diese Erfahrung stellt sich dann ein, wenn die Wahrnehmenden sowohl auf Seiten der Sendenden wie der Empfangenden konstruktiv vorgehen, das heißt, wenn, wie im Fall des Radios, akustische Objekte in das Symbolsystem Radio eingepasst werden. Das permanente Infragestellen des symbolischen Systems Radio wäre dann seine Entwicklung. Radio übersetzt in sein eigenes, variables Symbol-Setting Musik, Literatur, Theater und natürlich auch verbale Mitteilungen als Nachrichten. Anders gesagt: auch im Radio sind die transmittierten Werke und Produktionen - die Sendungen - immer Zeichen oder Symbole. Vorstellung, Darstellung und Wiedergabe betreffen auch im Radio ein Zutreffen von Prädikaten, in diesem Fall ein Zutreffen von Prädikaten auf akustische Gegenstände. Es kann nicht um die Wiedergabe von Realität selbst gehen. Die Konzertübertragung, die Literaturlesung, die Theaterstück-Hörfassung und die Nachrichtensendung gehören im Unterschied zum autographischen Gemälde oder der allographischen Musi und Literatur (Dramen, Hörspiel) dem Bühnenstück und deren Aufführungen an - und alle Nachrichtenbeiträge sind vom Band oder als Audiodatei wiederholbar - : Es handelt sich um multiplizierbare zum Klingen gebrachte Noten und Texte, mehr oder weniger Notationen und Codes gehorchend, die über die syntaxabhängige Identität des Werks hinaus Realisationen/Interpretationen schöpferisch festlegen können, wie etwa vom Festival Glatt & Verkehrt von Hosp und Schlag auf Ö1 oder beim Bachmannpreis, der genau so gut im Radio gebracht werden könnte und sich mit einem Schlag aller Probleme entledigte, die die Show des Fernsehens mit sich bringt. (Tatsächlich bringt heuer, 2017, der Deutschlandfunk den Wettbewerb im Radio.) Mit der Aufführung oder Präsentation des Radioprogramms enthüllt sich jedoch sofort, dass der beanspruchte Vorrang des Live vor dem Nicht-Live im On-the-air ideologisch ist. Das Jetzt, das beständig vom Absturz und von Unterbrechungen bedroht ist und umfangreich abgesichert werden muss, meint nicht nur die zunehmend technischen Störungen. Es gibt drei Weisen radiophoner Gegenwart und des Umgangs mit ihr als Vergegenwärtigungen/Repräsentation: (A) Präsenzen: Komposition (1): Kunstradio, Prozesse der Komposition/Produktion (CD-Rom); Aufführung/Spiel (2): Live Spielen, Live-Sendungen von entferntem Ort (großer Sendesaal, Spezialstudio, Radiocafé), idealiter der eigene: Radio als Post-production: diversifizierte neue Gattungen; großer Sendesaal, Spezialstudio, Radiocafé; (B) Repräsenzen: Aufnahmen (3): Aufzeichnung, Abspielen, Markierung für strukturiertes Archiv (Mitschnitt, Einspielung, Abmischung, Neuaufnahme, Studioaufnahme, Wiedergabe); (C) Re-Präsentationen distributiv: Ausstrahlung (4): mit Kontext der Moderation und Mehrfachverwertung; Streaming (5); Hören (6): mental mit Ideal der vollen Aufmerksamkeit.

DRITTENS. Aber auch das Erfinden der technisch basierten Gattungen - Radiosendungen, Signations, Sendungsabfolgen - ist noch immer keine hinreichende Bestimmung des Radios. Jeder Hörende schafft sich aus dem Radioapparat oder den Radioapparaten zusammen mit den hörbaren Sendungen und Radioprogrammabschnitten sein eigenes Medium. Es geht also nicht nur in Bezug auf Einzelsendungen um die konkrete Verwendung von Autoradios (etwa die Navigation der jeweils letzten Nachrichten und die aktuelle Wetternavigation für Auto- und Smartphoneradios auch für Heimradios abrufbar zu machen), Smartphone, Internet (streaming mit erst zu entwickelnden Radioapparaten und entsprechendem Interface, entsprechender Applikation).

Es geht um mehr. Stellen wir uns eine nicht mehr junge Person vor. Sie höre nur Ö1. Der Tuner im Wohnzimmer. Das Kofferradio in der Küche. Der Radiowecker im Schlafzimmer. Der bequem trag- und abstellbare Transistor zum Putzen. Das Autoradio im Auto. Der Miniempfänger für Bergspitzen, wo das Handy nicht mehr funktioniert. Das Smartphone in der Rocktasche. Der Desktop im Wohnzimmer. Auch wenn nur zwei statt der acht "Radioapparate" verwendet würden: Erlebt diese Person nicht mehr als eine komplexe, multiple Wahrnehmung? Würde sie nicht auch selbst gestalten? Der satte Sound, der das Wohnzimmer erfüllt: Er lädt zum Hinsetzen ein. Er erlaubt einen komfortableren Bewegungsspielraum als das Küchenradio, das praktikablerweise in einer bestimmten Position und Entfernung zum Herd, der Anrichte und der Kochsounds steht. Oder der Radiowecker: Er muss nicht nur wegen des Wecktons beim Liegen griffbereit sein, sondern auch damit unsere Probandin einen drohenden Ohrwurm auf Ö1 sofort ausschalten kann. Dann der Gang vom Wohnzimmer über den Flur in die Küche: Wie laut wird die Person den Tuner aufdrehen? Sie will am Weg nichts von der gerade laufenden Sendung versäumen und will, das Radio in der Küche dort zunächst überlaut aufdrehend, zurück ins Wohnzimmer zum Ausschalten des Tuners so sich von der Küche entfernen können, dass sie noch am ausgeschalteten Tuner das Wichtigste aus der Küche hören kann. Nun kommen aufgrund der alltäglichen Gewohnheit Sendungsvorlieben dazu, etwa die jeweilige SendungsgestalterIn, erwartete Musikrichtungen et cetera. Wird dieser Person nicht die Gestaltung eines besonderen, eigenen Erlebnisses ermöglicht und zwar durch diese komplexen Gemenge aus ab- und zunehmenden Lautstärken, verschiedenen Geräteklangfarben, Mischungen mit wohnungseigenen Tönen und Geräuschen und schließlich den standpunktbezogenen, wie auch immer variierten Sendungsinhalten? Der Punkt ist aber hier nicht die Gestaltung im Radioprogramm an sich, sondern dass die Person bei aller Konstanz ihrer Radiogrundbedürfnisse in den mehr oder weniger alltäglich festgelegten Hörvorgängen selbst zu improvisieren beginnt. Das heißt für Radiomacher: Um die Person in ihrem jeweils gewünschten Spielraum bei der Stange zu halten, müssen die räumlich und zeitlich in Frage kommenden Sendungen zusammen mit ihren Übergängen eine konstante Qualität aufweisen.



v. Radiohundtheorie II: Wrabetz 2016, permanente Reform, visual radio



I would change Neurath's picture in two ways.

First, I would put ethics, philosophy,

in fact the whole culture, in the boat,

and not just 'science', for I believe

all the parts of the culture are interdependent.

And, second, my image is

not of a single boat but of a fleet of boats.

The people in each boat are trying

to reconstruct their own boat

without modifying it so much at any one time

that the boat sinks, as in the Neurath image.

In addition, people are passing supplies and tools

from one boat to another and shouting advice and

encouragement (and discouragement) to each other.

Finally, people sometimes decide

they don't like the boat they are in

and move to a different boat altogether.

(And sometimes a boat sinks or is abandoned.)

It's all a bit chaotic; but since it is a fleet,

no one is ever totally out of signalling

distance from all other boats. There is, in short,

both collectivity and individual responsibility.

(Putnam 1983, 204)



Erheblich ist ... keineswegs nur die Rolle berühmter Dirigenten oder stupender Virtuosen, sondern auch sakrosankter Figuren dessen, was man in Amerika salopp und präzis sacred cow nennt. Ältere Damen, die es verstehen, am Klavier ihr Programm mit Seherinnenmiene zu absolvieren, als handele es sich um Gottesdienst, werden selbst bei höchst anfechtbaren Interpretationen fanatisch bejubelt.“ (Adorno 1968a, 133) Ist Ö1 ein Sacred Dog? Ist Ö1 ein Cash Dog? Für ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz weder noch. Dass Ö1 in seinen Augen höchstens Public Value bringt und im Unterschied zu Ö3 wenig, allzu wenig Cash, vielmehr zu teuer ist, das ist ihm Grund genug dafür, Ö1 à la longue - kostensparend - in das ORF Fernsehen integrieren zu wollen. Stichwort "Newsroom", wie ihn ORF-Generaldirektor Wrabetz für Fernsehen und Radio gemeinsam will. Stichwort "Klartext", die Sendung, die im Videostream und in ORF III ausgestrahlt wird wie etwa die Diskussion zwischen Bundeskanzler Christian Kern und FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache bei Klaus Webhofer am 23. 11. 2016.

Andererseits: Nichts wäre bei Radioreformen missverständlicher, als Otto Neuraths Vergleich so zu verstehen, dass man einfach nur Elemente zu ersetzen braucht; und schon läuft alles wieder bestens. Neurath selbst schränkt den Wert der Neuheit der Elemente ein, wenn er empfiehlt, den Blick auf beste Bestandteile zu vergessen. Es kann schon reichen, die Elemente selbst zu erneuern. Und nicht zuletzt setzt Erneuerung bereits mit der Pflege der vorhandenen Elemente ein. Ist das zu wenig radikal?

Wrabetz, auch Generaldirektor des ORF-Programms Ö1, kündigte am 9. August 2016 in seinem Bewerbungs-"Konzept zur mittel- und langfristigen Entwicklung des ORF als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen, Geschäftsführungsperiode 2017-2021" zur Verlängerung seiner Funktion als ORF-Generaldirektor bezüglich Ö1 Folgendes an, wobei er zunächst zurückblickt, man weiß zuerst nicht genau, warum:

Das Ö1-Programmschema besteht in der vorliegenden Form seit 2010, basiert aber auf weit älteren Konzepten. Die sogenannte 'kleine Schemareform' vom März 2016 stellt einen bescheidenen Eingriff dar, der in erster Linie der Optimierung der Informationssendungen am Morgen und am späteren Abend diente. Die notwendige Adaptierung des bestehenden Programmschemas ist größtenteils bereits abgeschlossen." (Wrabetz, Dr. Alexander (2016): #ORF2021. Der ORF als Leitmedium im digitalen Zeitalter. Konzept zur mittel- und langfristigen Entwicklung des ORF als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen. Geschäftsführungsperiode 2017–2021, Dr. Alexander Wrabetz (1.8.2016) http://images.derstandard.at/2016/08/09/BewerbungskonzeptWrabetz_1.pdf, 35) Nimmt man http://oe1.orf.at/sendeschema, abgerufen am 11. 10. 2016, dazu, so wird nicht nur klarer, was Wrabetz unter "Informationssendungen" versteht: „Von Zeit zu Zeit finden wir es nötig, in unserem Programmablauf kleine Veränderungen vorzunehmen. Behutsam freilich. 2016 bleibt Ö1 daher zum größten Teil so wie es ist. ... Dadurch können wir einem oft <?> geäußerten Wunsch unseres Publikums Rechnung tragen, nämlich immer alle drei Teile des vormittäglichen 'Radiokollegs' am selben Tag ein zweites Mal ausstrahlen zu können. Auch <Wunsch des Publikums?> das Wirtschaftsmagazin 'Saldo' kann nun freitagabends und zwar unmittelbar nach dem Nachtjournal wiederholt werden. 12.05.2011 <sic!> Optimierung der Informationssendungen, egal ob Nachrichtenjournalwetter oder das Radiokolleg oder 'Saldo': Das bedeutet, dass Wrabetz und seine Programmmacher keinen Unterschied zwischen Bildung und Nachrichten machen, dass die Bildung an die Brust der Nachrichten genommen wird und nicht umgekehrt. Mit dem Rückblick auf "'die kleine Schemareform'" - auf das laufende geringfügige Umprogrammieren! - wird klargestellt, was für Wrabetz im Zentrum des Österreichischen Rundfunks und Fernsehens steht: Information. Die Musik, das Theater und andere Künste sind zweitrangig. Nicht dass es umgekehrt sein sollte, aber es muss um eine quasi demokratische Ausgewogenheit aller Programmbereiche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehen! Das Vollprogramm, wie es von Ö1 weitgehend realisiert wird, ist eine demokratische Notwendigkeit!

Wrabetz weiter: "Die Abfolge von Sendungen und Formaten nimmt dabei auf die sich ändernden Rezeptionsgewohnheiten des Publikums Rücksicht." (35f.) Zu sagen, welche Rezeptionsgewohnheiten worin bestehen, bleibt das Programmkonzept schuldig.

"Als vorrangige Ziele wurden die weitere Stärkung der Kultur- und Informationskompetenz von Ö1, die Konzentration des Angebots und der Ressourcen auf die relevanten Zeitzonen, eine Stärkung des Live-Angebots, sowie die klarere Positionierung von Ö1 als Klassiksender mit wohldosierten Ausflügen in die Genres Jazz und Weltmusik definiert. Weiters wird das traditionelle Wechselspiel zwischen Musik und Wort überdacht." (36) Und so heißt es mit http://oe1.orf.at/sendeschema (21. 6. 2017):Von Zeit zu Zeit finden wir es nötig, in unserem Programmablauf kleine Veränderungen vorzunehmen. Behutsam freilich. Das optimierte Programmschema tritt ab 1. Mai 2017 in Kraft und bringt vor allem am Vormittag und am Nachmittag einige Veränderungen. Ziel war und ist es, die Kernzonen des Programms zu stärken. Der Vormittag wird abwechslungsreicher und flotter als bisher. Um 11.00 Uhr gibt es erstmals Nachrichten, die traditionsreichen 'Radiogeschichten' werden auf 11.05 Uhr vorverlegt und um einige Minuten verlängert. Vor dem 'Mittagsjournal' wird eine neue Sendung unter dem Titel 'Des Cis' Neuigkeiten aus der Welt der Musik präsentieren. Direkt im Anschluss an das 'Mittagsjournal' wird von Montag bis Freitag die Sendereihe 'Punkt eins' in Form eines Live-Gesprächs und unter Einbindung des Publikums aktuelle und semiaktuelle Themen ausleuchten und diskutieren. Ebenfalls neu ist das Medienmagazin „#doublecheck“. Jeweils am ersten Freitag im Monat (19.05 Uhr) werden Stefan Kappacher und Nadja Hahn Entwicklungen und Veränderungen am Medienmarkt analysieren und diskutieren. Ab Mai gibt es auch den „Ö1 Kunstsonntag“ (19.05 Uhr bis 24.00 Uhr): In diesem moderierten Abend sind unterschiedliche Formate zu finden, von der Kleinkunst bis zur Literatur, von der Film- bis zur Radiokunst. Und dazwischen natürlich Musik. Livemusik aus dem Studio in der 'Radiosession', legendäre Jazzalben in den 'Milestones', dazu Zeitgenössisches ('Zeit-Ton extended') aus aller Welt. 12.05.2011 <sic!>

Im Radio wurde das neue Programm im Mittagsjournal am 21. 4. 2017 vorgestellt (die Kurzbeschreibungen aller neuen Sendungen vom 24. 4. 2017: http://oe1.orf.at/artikel/627460). "Ö1-Marketing-Leiter Michael Ladstätter: 'Das neue Corporate Design soll zeigen, dass Ö1 offener wird, auch eine Spur leichter wird. Das heißt, dass wir nicht wie ein Monolith in der Landschaft stehen, und da kommt niemand vorbei, sondern dass wir auch im Dialog mit unserem Publikum stehen.'" (Wolfgang Popp, 50 Jahre Ö1: Neues Programmschema, ab 12 Uhr 43) Popps Kurzbeschreibung seines Beitrags lautet gemäß Webseite: "Am 1. Oktober feiert Ö1 seinen 50. Geburtstag. Nachdem Stillstand Rückschritt bedeutet, tritt schon am 1. Mai ein neues Programmschema in Kraft. Begleitet wird es von einem neuen Erscheinungsbild. So präsentiert sich Ö1 mit einem neuen Logo und einer Imagekampagne, die auf Ironie setzt." Im Interview mit Journalmoderator Christian Williwald, zum Nachstreamen auf http://oe1.orf.at/artikel/627413, sagt Ö1-Chef Peter Klein: "Die Veränderungen beziehen sich in erster Linie auf die Zeitzone von 10 bis 16 Uhr. Vor allem der Vormittag ... er wird etwas schneller, er wird kurzweiliger, er wird bunter, und er wird kleinteiliger. Es ist uns sehr wichtig, bis zum Mittagsjournal, eines der Highlights des Ö1-Programms ... hinzuführen. <Als ob das früher nicht geschehen wäre.> Und direkt nach dem Mittagsjournal brechen wir mit einem jahrzehntealten Tabu. Bisher war's ja immer so, dass man sagt, nach jeder Wortsendung muss eine Musiksendung folgen, auf jede Musiksendung eine Wortsendung ... dass nach einer Stunde dichter Information Entspannung angesagt ist. Daran glauben wir nicht mehr. <Stress ist ab jetzt angesagt.> Sondern wir wollen das informationswillige und informationsinteressierte Publikum noch eine Stunde mitnehmen ... aktuelle Themen, die auch Themen des Mittagsjournals sein können, aber nicht müssen, vertiefen." Es folgt eine vielsagende, merklich hörbare kurze Pause von Williwald - getilgt in diesem Audiofile - , so als ob der Journalmoderator etwas dazu sagen möchte. Aber da ist kein Platz für Nachfrage, gar Diskussion. Es geht gleich weiter.

Zusammengefasst:

1. Wrabetz tritt für die "Optimierung der Informationssendungen" und nicht der anderen Sendungen ein: primär für eine bessere Einbettung des Mittagsjournals.

2. Wrabetz tritt für die "Stärkung der Kultur- und Informationskompetenz von Ö1" ein: bleibt vage.

3. Wrabetz tritt für die "Konzentration des Angebots und der Ressourcen auf die relevanten Zeitzonen" ein: Mittagszeit.

4. Wrabetz tritt für die "Stärkung des Live-Angebots" ein: "Punkt eins" wird um 20 Minuten verlängert.

5. Wrabetz tritt für die "klarere Positionierung von Ö1 als Klassiksender" ein: Wrabetz kann nur "des cis" meinen.

6. Wrabetz tritt für einen Klassiksender "mit wohldosierten Ausflügen in die Genres Jazz und Weltmusik" ein: unspezifische allgemeine Bestätigung der bisherigen nominellen Linie.

7. Wrabetz will "das traditionelle Wechselspiel zwischen Musik und Wort überdacht" haben: der nahtlose Anschluss von "Punkt eins" an das "Mittagsjournal".

Die zwei großflächigeren Änderungen aus dieser Interessenlage betreffen die Zeitzonen montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr und sonntags von 19 bis 24 Uhr.

Die erste dieser beiden Änderungen:



Mo-Fr 10-16

bis 30.4.2017

10 00 Nachrichten

04 Themen des Mittagsjournals

05 Ö1-CD, "kostenlos" etc.

06 Konzert am Vormittag

...

...

...

11 35 Schon gehört? Ö1 Club

40 Radiogeschichten

57 Ö1 heute

12 00 Mittagsjournal News.engl.frz.

13 00 Ö1 bis zwei

54 Ö1 CD oder Ö1 Werbung

55 Wissen aktuell

14 00 Nachrichten

05 Von Tag zu Tag

40 Moment – Leben heute

55 Rudi! Radio für Kinder

15 00 Nachrichten

05 Apropos Musik

...

...

16 00 Ö1 CD oder Ö1 Werbung

ab 1.5.2017

10 00 Nachrichten

05 Themen des Mittagsjournals

05 Ö1-CD, "kostenlos" etc.

06 Anklang

11 00 Nachrichten

05 Radiogeschichten

25 Schon gehört? Ö1 Club

30 Des Cis

...

57 Ö1 heute

12 00 Mittagsjournal News.engl.frz.

13 00 Punkt eins

54 Ö1 CD oder Ö1 Werbung

55 Wissen aktuell

14 00 Nachrichten

05 Ö1 heute

06 Das Ö1 Konzert (Ausgewählt)

...

...

...

15 30 Moment – Leben heute

55 Rudi! Radio f.Kinder (Inf.box)

16 00 Nachrichten



Auf den ersten Blick sieht alles nach einer sanften Reform aus. Ein Drittel des 90minütigen Konzerts am Vormittag wird einer werbungsmäßigeren, kleinteiligeren Musiksendung gewidmet, dem 25minütigen "Des Cis", welche Funktion in den frühen Nullerjahren der Sendung "Ö1 bis zwei" zugedacht war, von dieser aber zu ihrem Vorteil gerade nicht erfüllt wurde. Aber: Wenn die 90 Minuten "Konzert am Vormittag" nun auf den Nachmittag übersiedelt sind als "Das Ö1 Konzert" (Ist der Titel redundant wieder am Dienstag abends, um für Inhalte flüssig zu werden wie vor dem 1. 5. 2017 mit "A Propos Musik"?), dann ist der Punkt eher, was auf den Vormittag gewandert ist: eine Hälfte von "Ö1 bis zwei" verwandelt in "Des Cis" oder dem "Ö1 Konzert" am Nachmittag zugeschlagen. Der Schluss daraus ist, dass "Ö1 bis zwei" liquidiert wurde. Man hat die beste Musiksendung von Ö1 mit den vier besten MusikmoderatorInnen von Ö1 zerstört. (Natürlich, natürlich, die vier können 'problemlos' den neuen Sendungen nach der Reform zugewiesen werden, bis sie pensioniert werden.)

Die Gewinner dieser Zeitzone sind:

Punkt eins, vormals Von Tag zu Tag, 14 Minuten länger

Jetzt gibt es Probleme. Die fast einstündige Sendung erschöpft die ModeratorInnen, die nun teilweise unkonzentriert wirken. Es braucht nun meistens zwei Gäste gleichzeitig, die sich mitunter gegenseitig das Wasser abgraben. Die AnruferInnen wirken, anders als früher, blass. Drei, vier Stücke Musik, meistens Popmusik, okkupieren zu viel Aufmerksamkeit in der Sendung. 'Von Tag zu Tag' ('Punkt eins') hätte auch um fünf Minuten gekürzt werden können. Eine ausgezeichnete Sendung wie vor wenigen Monaten diejenige Barbara Zeithammers mit einer Professorin für Nanotechnologie in der Zoologie (etwa über die Farben von Flügeln bestimmter Schmetterlinge!) wird es nicht mehr geben.

Moment - Leben heute, Verlängerung um 10 Minuten

Die Achse Glaser/Fellinger setzte sich durch.

Schon gehört? Die Ö1-Infobox. Tipps für klein und groß (sichtbarer)

Ausgewählt (30 Minuten länger)

(neu) Nachrichten Mo-Fr 11.00 5'

(neu) Anklang Mo-Do 10.06 Uhr 54', wiederholt Di-Fr 00.06 Uhr 54'

(neu) Des Cis, 27 Minuten

Es ist vielleicht die einzige wirkliche Innovation: eine spannende, auch teure, mit quirligen Elementen versetzte Sendung, die aber darauf achten muss, nicht in oberflächliche Promotion zu verfallen.

Der Verlierer dieser Zeitzone ist:

Ö 1 bis zwei, Mo-Fr 13.00 Uhr 54', gestrichen

In Schulferien bereits seit einem Jahr durch "Das Popmuseum" verdrängt, ist sie nun wegen des längeren Diskussionsformats "Punkt eins" abgeschafft. Die Sendung musste dran glauben, weil "gegebenenfalls" (Wrabetz) nicht mehr gegeben war, weil die Talker von "Von Tag zu Tag" an das Mittagsjournal anschließen und 20 Minuten für Rainer Rosenberg her mussten, der sein "Nachtquartier" verlor, wessen Sendezeit schon in den letzten Jahren die Klassiker etwa mit "Oper" in den ersten Dienstagstunden verloren.

Die zweite der beiden großflächigeren Änderungen:



Kunstsonntag

bis 30.4.2017

19 00 Nachrichten

05 Motive - Glauben u. Zweifeln

30 Aus dem Konzertsaal

...

...

21 29 Demnächst in Österreich 1

30 Heimspiel im RadioKulturhaus

55 Schon gehört? Ö1 Club

22 00 Nachrichten

05 Contra - Kabarett u.Kleinkunst

30 matrix - comp. & neue medien

...

23 00 Nachrichten

03 Kunstradio – Radiokunst

24 00 Nachrichten

ab 1.5.2017

19 00 Nachrichten

04 Contra - Kabarett u.Kleinkunst

30 Ö1 Kunstsonntag. Radiosession

20 15 Ö1 Kunstsonntag. Tonspuren

21 00 Ö1 Kunstsonntag. Milestones

...

40 Ö1 Kunstsonntag. Neue Texte

...

22 00 Nachrichten

05 Ö1 Kunsts. Zeit-Ton extended

...

55 Ö1 Kunstsonntag. Zoom->In

23 00 Ö1 Kunsts. Kunstrad.-Radiok.

...

24 00 Nachrichten



Gewinner:

Contra So 19.05 Uhr 25' (besserer Sendeplatz, eine Minute mehr)

Die Achse Glaser/Fellinger setzte sich durch.

(neu) Ö1 Kunstsonntag: Ö1 Radiosession 45'

(neu) Ö1 Kunstsonntag: Milestones 40'

Ö1 Kunstsonntag: Neue Texte 20'

(neu) Ö1 Kunstsonntag: Zeit-Ton extended 50'

Obwohl "Zeit-Ton extended" mit 1. 5. 2017 abgeschafft ist und in dieser Form kürzer als "Zeit-Ton" unter der Woche ist, führt "extended" weiter eine Geisterexistenz. Die Stunde = 50 Minuten = gehörte vor der Reform dem "Hörspiel-Studio", das nun einen Platz in "Radiokunst - Kunstradio" finden soll. Anders gesagt: Ob Denkfehler, Reformvorstufe oder Trauersymptom über den Verlust der Ö1-Freitagnacht - , die zusätzliche Sendung "Zeit-Ton" am Sonntag mit ihren 50 Minuten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Zeit-Ton extended" de facto um ein Drittel der monatlichen Sendezeit verkürzt bei Annahme der Parität von Zeit-Ton extended und Spielräume Nachtausgabe.

Ö1 Kunstsonntag: Zoom->In 5'

Dies ist die als Originalsendung ausgegebene, dreiste Wiederholung eines Beitrags aus dem Kulturjournal vom Freitag unter einem eigenen Mantel. Die HörerInnen können sich nun den Spaß machen zu vergleichen, wie Zoom->In von dem/der KulturjournalmoderatorIn und von dem/der KunstsonntagsmoderatorIn an- und abmoderiert wird.

Ö1 Kunstsonntag: Radiokunst - Kunstradio 60'

Verlierer:

Motive – Glauben und Zweifeln 25' (gestrichen)

Der Beweis, dass Werbung inzwischen wichtiger ist als das normale Sendeprogramm, ist das nicht weiter begründete Verdrängen der sonntäglichen Sendung 19:05 "Motive - Glauben und Zweifeln" durch die Werbesendung "Heimspiel", die sonntags für gewöhnlich um 21:30 Uhr gesendet wurde - durch den 4 1/2 stündigen Extraschwerpunkt zum Libanon am So 12. 3. 2017 ab 19 Uhr 30, womit eigentlich "Heimspiel" hätte entfallen müssen. Es war der Vorgeschmack auf den endgültigen Verlust seiner Existenz durch das Übersiedeln von "Contra" auf den Platz von "Motive - Glauben und Zweifeln". Die Achse Glaser/Fellinger setzte sich durch.

Aus dem Konzertsaal, 2 Stunden (gestrichen)

Matrix Fr 19.05 Uhr 25' (5' weniger, verliert einen Termin im Monat)

Nachrichten So 23 Uhr, 5 Minuten

"Texte"

Die Sendung wird beschränkt auf, wie der Titel etwas ungenau sagt, unveröffentlichte "Neue Texte" - wohl um die Rechte- und Finanzierungsfrage bereits verlegter Texten auszuhebeln.

Radiokunst - Kunstradio

Die Sendung inkludiert nun sachlich das Hörspiel-Studio, bis auch definitionsmäßig einst eine Sendungsbeschreibung das bestätigen wird.

Aber mit diesen Reformmaßnahmen ist es nicht genug. "Traditionsreiche und teilweise seit Jahrzehnten existierende Formate werden auf ihre Gegenwartstauglichkeit überprüft und gegebenenfalls erneuert." (36) Interessant zu lesen, wie man 'Abwicklungen' anzeigen kann, nämlich mit "gegebenenfalls", was nichts anderes heißt als abgeschafft, wie im Fall von "Ö1 bis zwei" und "Motive – Glauben und Zweifeln". Aber auch wenn sich die Aufmerksamkeit punkto Reform 2017 auf die zwei großflächigeren Zonen richtet - , es gibt noch andere Gewinner und Verlierer.

Gewinner:

Ex libris, nun Wiederholung am Montag

Das Ö1 Konzert Di 19.30 Uhr 2h25', 60 Minuten länger

(neu) #doublecheck

Spielräume - Nachtausgabe, eine Stunde früher um 22 Uhr 08

Gedanken (regelmäßig am Sonntag, nicht nur am Feiertag und im Sommer)

Doris Glaser setzt die Sendung 'Gedanken' anstelle des Café Sonntag durch und haut die Sendung Motive – Glauben und Zweifeln von 19 05 bis 19 30 raus - müsste eigentlich Klassik hassen, weil die Matinee Überlänge hat. Eine besonders perfide Idee, die Call-in-Live-Sendung "gehört.gewusst. Das Ö1 Quiz" an diesen variablen Sendeplatz zu setzen, der unnötige Veränderungen der Sendedauer mit sich bringt.

Insgesamt gewinnt die Achse Doris Glaser/Bernhard Fellinger (Gedanken/Moment - Leben heute).

Verlierer:

Ex libris (6' weniger)

Oper, Di 0.05-3.00 (gestrichen)

Hörspiel-Studio, Di 21.01 Uhr 59' (gestrichen)

Nachtquartier Mi-Fr 0.05 Uhr 55' (gestrichen)

Praxis Mi 16.05 Uhr (4' weniger)

Philharmonisches in Ö1 Mi 1930 1h30' (gestrichen)

Synchron – das Filmmagazin Do 16.40 Uhr 15' (gestrichen)

Als mickrige Kompensation der Streichung dürfen die Filmredakteure um Arnold Schnötzinger nun einen Normalbeitrag für das Kulturjournal als eigene Sendung "Zoom->In" wiederholen.

Rudi! Radio für Kinder Fr 14.55 Uhr 5' (gestrichen)

Der Termin ging durch geschickte Umschichtungen an "Schon gehört? Die Ö1-Infobox. Tipps für klein und groß", das sich nun aus der Sonntags-Kindersendung herausgelöst hat. Ist Werbung billiger als Literatur - Christine Nöstlinger schrieb den Freitag-Rudi.

Dimensionen - Magazin Fr 19.05 25' (gestrichen)

Das flotte Dimensionen-Magazinwurde gestrichen, trotz seiner hervorragenden Leute in allen Wissenschaftsbereichen.

Fr/Sa-Nacht (nur mehr 1 Mal pro Monat)

Im Wesentlichen wechselten sich Langausgaben von „Zeit-Ton“ und „Spielräume“ ab, also "Zeit-Ton extended" und „Spielräume Nachtausgabe“. Dazu kam hin und wieder die "Jet Lag All Stars Radio Show", mitunter mit sehr kleinen Initiativen in Nähe zu den ModeratorInnen. Es zeichnen sich durch diese Kürzung nicht nur direkte Einsparungsmöglichkeiten ab, sondern indirekt auch durch mehr Wiederholungen. Andererseits: Die Freitagnacht ab 22 Uhr ist ein Angebot an alle, die bis ein Uhr aufbleiben wollen und können, etwa auch SchülerInnen.

Zeit-Ton extended (siehe oben)

Spielräume Nachtausgabe (siehe oben)

Heimspiel So 21.30 Uhr 30' (nun Di 16.45 Uhr 10' und Sa 8.55 Uhr 5')

Café Sonntag So 9.05 Uhr 55' (gestrichen)

Die Ö1 Kinderuni So 17.10 Uhr 15' (übersiedelt und abgespalten)

Achtung! Ein oft übersehener Aspekt ist ein auf den ersten Blick rein technisches Mittel, das aber umso wirkungsvoller Präferenzen, Programmschwerpunkte und werbe-äquivalente Empfehlungen regelt: die Wiederholung. Die letzte Erweiterung der Wiederholungen fand im Jänner 2011 statt. "Eine intelligente und transparente Form der Wiederholung teurer und aufwändig gestalteter Formate muss gewährleistet werden." (36)

Bis zum 30. 4. 2017 wurden wiederholt die Sendungen Radiokolleg (Mo bis Do vormittags: Mo bis Do abends), Ambiente (So: Di), Tonspuren (Mo: Do), Im Gespräch (Do: Fr), Kontext (Fr vormittags: Fr abends), Saldo (Fr vormittags: Fr abends), Du holde Kunst (So: Mo).

Seit dem 1. 5. 2017 entfällt zwar die Wiederholung von Ambiente, aber es werden zusätzlich zu den bisherigen Sendungswiederholungen auch wiederholt Ex libris (So: Mo), Anklang (Mo bis Do: Di bis Fr), Intrada (Fr: Sa), Zoom-In (unbetitelt Fr im Kulturjournal: betitelt So). Wurden bis 30. 4. 2017 insgesamt 7 Stunden und 32 Minuten wiederholt, so gibt es nun bereits 12 Stunden und 7 Minuten an Wiederholungen.

De facto sind der Wiederholungen noch mehr. Denn seit Jahren werden die Redaktionen von Im Gespräch, Menschenbilder, Hörbilder Spezial, Radiokolleg und besonders Diagonal zunehmends zu Wiederholungen durch das Jahr hindurch angehalten oder verpflichtet. Seit Kurzem wird auch mitunter unseriöserweise wiederholt, also ohne dass auf die Tatsache der Wiederholung hingewiesen würde wie etwa zu Hörbilder Spezial "Nuria Schönberg-Nono: Ein Porträt" am 1. 5. 2017. Dass die Wiederholungen Teil der Sparmaßnahmen bei Ö1 sind, ist offensichtlich. Reden will darüber niemand. Stimmt das aber, dann ist auch klar, dass das Wrabetz' Wille ist - zugunsten von ORF III, was wiederum die "Zusammenarbeit" von Ö1 mit ORF III erklärt, das heißt, dass Ö1 langfristig in ein Fernsehradioprogramm integriert werden soll:

Zusätzliche Mittel sind insbesondere für ORFeins und ORF III erforderlich.(49) "Im Sinne der multimedialen Zielgruppenansprache soll die Zusammenarbeit zwischen Ö1 und ORF III intensiviert werden.(36)

Dass Wrabetz Radio vom Fernsehen her denkt, wird gleich auf der nächsten Seite deutlich. Er verleiht dem Begriff 'Visual Radio', 2004 noch der Name einer Anwendung für das Handy von Nokia, eine Bedeutung, die er mittelfristig vielleicht auch Ö1 zugedacht haben könnte: „Mit 'Ö3-Visual-Radio' soll Radiohören am Fernseher deutlich attraktiver werden: Der ORF wird alle Anstrengungen unternehmen, das noch nicht genehmigte Projekt schon 2017 umzusetzen. Das Ö3-Sendestudio erhält mehr Licht und Farbe <!>, um auf allen hochauflösenden Screens als Videoangebot ('Live-Cam') freundlich auszusehen, wie es dem Markenkern entspricht. Der Auftritt am TV-Bildschirm oder am Handydisplay wird für Ö3 (noch) nicht zur Überlebens-, aber zu einer bedeutenden Imagefrage. Zumal immer mehr Menschen im Wohnzimmer nur einen Fernseher aber kein Radio haben. Der Fernseher wird in den nächsten fünf Jahren immer öfter auch zum Radiohören genutzt; dabei soll der Bildschirm nicht schwarz bleiben.“ (37)

Was Wrabetz vorschwebt, sieht und hört man inzwischen mit http://oe3.orf.at/live/#livecam (etwa Moderator Benny Hörtnagl talkt mit "Radiolegende" Gotthard Rieger vom einstigen Ö3-Hard Rock Café über Hannes Eder von FM4-House of Pain, beide stehend, zwischendurch empfiehlt Marcel Hirscher mittels Voreinspielung 'Kings of Leon' von Sex on Fire, das auch gleich hereinklingt. Noch gibt es Probleme mit dem Traffic, der Stream bricht zusammen, etwa an diesem Vormittag des 9. 6. 2017: "Derzeit funktioniert der Ö3-Liveplayer nur eingeschränkt. Es können die Hits, die dazugehörigen Cover und die Moderatorenbilder nicht angezeigt werden. An der Behebung der Störung wird schon gearbeitet. Du erreichst uns telefonisch von 7 bis 19 Uhr unter 0800 600 600 (gratis aus ganz Österreich) oder schreibe uns ein E-Mail an hitradio@oe3.at.)." Aber das alles ist keine Affäre. Wir arbeiten dran. Inzwischen gibt es ja den Audiostream http://oe3.orf.at/live/. Oder das visual radio beim Südwestdeutschen Rundfunk, http://www.swrmediathek.de/content/visual_radio_swr3.htm und seine Definition: "Was ist Visual Radio? Als erste Radiosender in Deutschland haben SWR3 und DASDING regelmäßige interaktive Visual-Radio-Shows gestartet. Visual Radio verbindet Radio, Social Media und Video in einer völlig neuen Form. Vier Kameras liefern den Livestream aus dem Studio. Läuft Musik gibt es News, aktuelle Bilder von Instagram und Facebook sowie Facts zum Künstler. Auch das Nachrichtenstudio sendet mit Livestream." (abgrufen am 9. 6. 2017) Das heißt also zunächst, ORF-Moderator "Hörtnagl ist auf Facebook, Instagram, Twitter, Whatchado, LinkedIn präsent." (Paterno 2017, 81) Ist das die Zukunft für Tschaikner, Scheib und Co.?



w. zur Ö1-Präsenz im Internet, das naturgemäß primär visuell ist



Die letzte Webseitenfassung von Ö1 von 2011 bis zum 30. 4. 2017 verlangte von den SendungsgestalterInnen, Fotos auf die jeweils einzelne Sendungs-Webseite und die Seite der Personenbeschreibungen zu stellen. Elke Tschaikner und Christian Scheib nutzten das zur vielfältigsten Paarfotografie. Dass das radiophon etwas bringt, darf bezweifelt werden, vielleicht bringt es followers, womit Ö3 nicht weit weg ist.

Dabei ginge es einmal darum, einfach nur Grundinformationen auf die Ö1-Webseite zu stellen, etwa genügend ausführliche Beschreibungen der Sendereihen wie noch auf der vorletzten Version der Webseite anzubieten (http://oe1.orf.at/sendereihen). Das Ausgangmaterial lagert in den Schreibtischen und Computern. Das nächste wäre ein klar erkennbares Konzept, was im Radio wie an Hinweisen auf die Ö1-Internetpräsenz kommuniziert wird und umgekehrt, mit all den Überschneidungen zum Webseitenangebot des ORF als Ganzen. Eine Sitemap würde hier all die Schätze sichtbar machen, die im Dunkel liegen. Bis jetzt wird auf die Ö1-Webseite im Radio meist nur mit "oe1.orf.at" verwiesen, was zu unspezifisch und zu wenig effektiv ist, selten einmal mit "slash" etc. Auch sollten die Ö1-Mitarbeiter zur Mitgestaltung der Webseite ermuntert werden. In Erinnerung bleiben diesbezüglich die ersten drei, vier Jahre einer auch individuell bunten FM4-Webseite mit dem Senderlaunch 1995, bis dort mit der Umstellung auf Braun-Gelb und Textlastigkeit und dann erst recht mit der heurigen Umstellung jegliche Vielfalt und Spaß den MitarbeiterInnen von FM4 ausgetrieben wurde. Wie soll mit einer derart nüchternen und kargen Webseite wie derjenigen seit dem 1. Mai 2017 Ö1 für die Jungen interessant werden? Auch könnte sich keine andere öffentliche Institution leisten, dermaßen unerreichbar zu sein. Überblicke über die Abteilungen und ihre mitwirkenden Personen gibt es nicht. E-Mail-Adressen von Mitarbeitern werden auf der Webseite mit Ausnahme des RSO-Orchesters verschwiegen. Für unklare Namensschreibweisen aufgrund des Hörens muss man sich bei der Telefonauskunft schon einmal nach dem genaueren Grund des Begehrs fragen lassen.

Der Reiz bestand und besteht immer noch darin, gerade nicht zu wissen, wie die ModeratorInnen aussehen. Nicht weil HörerInnen visuelle Phantasien entwickeln wollen, sonder weil die Stimme selbst allmählich ein Vorstellung von der Radioperson bewirkt, über die diese Person verfügt. Das Unklügste, das Radiomacher tun können, ist, ihre Gesichter zu zeigen. Nicht alle sehen so gut aus wie Lou Lorenz-Dittelbacher oder Roman Rafreider. Müssen auch nicht. Und gerade weil es dem Radio als Medium widerspricht, muss mit aller Entschiedenheit dem Ansinnen entgegengetreten werden, auf Ö1 ein paar Kameras mit automatischem Schnittprogramm zu installieren und als Live-Stream darzubieten.

Die Potenz der Radiomacher sind ihre Stimmen. Natürlich müssen diese Stimme etwas können, und sie tun es auch. Eine Sprechausbildung, wie sie Schauspielstudierende erleben, mit Elementen der Gesangsausbildung, wäre für alle Präsentierenden unumgänglich. Es geht um die Fähigkeit und Freiheit, aus dem visuellen Nichts eine Präsenz zu erzeugen, auch eine visuelle Präsenz, die aber rein akustisch die Vorstellungskraft des Hörers und der Hörerin induziert. Das Schöne war und ist noch immer, dass wir trotz Ö1-Webseite zum Großteil nicht wissen müssen, wie die Sendungsgestalter aussehen. Möge das so bleiben!

Twitter, Instagram, Facebook, Youtube:

Früher oder später wird man sich überlegen müssen, wie Ö1 in einem sicht-, heißt lesbaren Verhältnis zu Twitter existieren kann, das in seiner ersten Form als Twitter-Dienst 2014 eingestellt wurde. Fraglich ist dabei, ob es darum gehen muss, Leute zu erreichen, die 'mehr von einem Radio erwarten, als den bloßen UKW-Empfang', sagt Radioredakteursrat Peter Daser.“ (Doris Priesching, Ö1-Journale tweetlos: Sparzwang legt soziale Medien lahm. Freie Mitarbeiter sollen keine strukturerhaltenden Dienste mit fixen Arbeitszeiten machen derstandard.at/2000001794141/Oe1-Journale-tweetlos-Sparzwang-legt-soziale-Medien-lahm 4. Juni 2014, 17:45)

Rein visuelles Follower- und nicht Hör-Medium Ö1-Instagram gibt es seit dem Sommer 2015, Ö1-Facebook seit dem Sommer 2014. Da sind nicht nur unfreiwillig komische Meldungen wie6. März 2016 Nikolaus Harnoncourt ist tot … Gabi-Viola Gerra, Johann Pichler, Lukas Reitzer und 212 anderen gefällt das.“ Man erfährt auch das: "Die Ö1 Nachtquartier Redaktion. Von links nach rechts am Dach des Wiener Funkhauses: Natasa Konopitzky, Elisabeth Scharang, Kristin Gruber, Xaver Forthuber, Lisa Stecker, Rainer Rosenberg, Hans Groiss, Alois Schörghuber, Dorothee Frank (Helmut Jasbar, Alexander Musik, Anna Soucek und Mona Moore behalten den Charme des Unsichtbaren)." Wenn schon nicht auf der Ö1-Webseite, o.k., dann eben hier.

Und dann Ö1-Youtube seit dem 1. 12. 2015: https://www.youtube.com/user/oe1radio ist vielleicht nur deswegen interessant, um zu sehen, dass es Youtube eben nicht braucht (#doublecheck etc.).



x. eine Sendung als Modell der Zukunft. Das Nichtbild



In my mind and in my car

We can't rewind we've gone too far

Pictures came and broke your heart

Put down the blame on VCR

(Buggles 1979)



Put down the blame on Wrabetz? Das aus der nachmittäglichen "Musicbox" hervorgegangene "Popmuseum" (Ö3) wird seit 2016 wieder auf Ö1 aufgewärmt; seit Anfang 2017 kommt nun das "Radiokolleg - Lexikon der österreichischen Popmusik" der ehemaligen Musicboxler Walter Gröbchen und Thomas Mießgang hinzu. Die einstündige "Musicbox" (Ö3) wurde 1967 erfunden, ab 1984 auf Ö1 in "Diagonal" transformiert, 1990 eingestellt, ihre Erbmasse vom abendlichen "Zickzack" (Ö3) übernommen und 1995 in den Sender FM4 transformiert, dort zunächst täglich sechsstündig.

Wie wäre die einfluss- und folgenreichste Radiosendung des österreichischen Rundfunks heute zu konzipieren? Zunächst: Was Kos, Schrott und die anderen auszeichnete, war ein sicheres Gespür für die Qualität der Musik. Es wurde Musik recherchiert, die ausländische Musikpresse gelesen, London regelmäßig besucht. Die alternative Pop- und Rockmusik der 70er und 80er Jahre wurde umfassend auf ihrem aktuellsten Stand einem jungen österreichischen Publikum übermittelt. Begleitet wurde das von Wortbeiträgen, die parallel zur politischen Dominanz der SPÖ dieser Jahre kulturell links geprägt waren. Inkludiert war eine Diskussion der Politik der Jugendkultur, der Literatur, bildenden Kunst, Sound Art.

Stellen wir uns eine Jugendliche von heute vor, die nicht mehr als eine Stunde - pro Tag? pro Woche? - für radiophones Hören Zeit hat. Sie soll für das Hören von einer Stunde Musicbox gewonnen werden. Angenommen, ein MP3-Player wie der radioantennenintegrierte iPod nano wird auf dem Weg von Punkt A nach Punkt B verwendet. (Ö1-Chef Peter Klein: "Wir wissen ja, dass die Generation der Dreißigjährigen oder der Unter-Dreißigjährigen das, was wir einen Radioapparat nennen, nicht mehr besitzen. Die denken auch überhaupt nicht dran, nur dann, weil es gerade Mittag ist, das Mittagsjournal zu hören. Sondern die sind gewohnt, zeitsouverän zu hören. Das heißt, wir sind genötigt und gezwungen, und wir kommen dieser Aufgabe außerordentlich gerne nach, unsere Sendungen, unsere Beiträge zeitsouverän zur Verfügung zu stellen." Interview von Mittagsjournalmoderator Christian Williwald mit Peter Klein im Mittagsjournal am 21. 4. 2017, nach 12:43 Uhr; zum Wiederhören auch auf http://oe1.orf.at/artikel/627413)

Wie müsste die Sendung heute beschaffen sein, sodass sie die Sendung möglichst als Ganzes hören möchte? Sie müsste spannend sein, abwechslungsreich, gute Musik bringen und Wortbeiträge bis hin zu News. Sie müsste attraktive ModeratorInnenstimmen enthalten. Die Signation müsste passen. Ein Bogen vom Anfang bis zum Ende müsste zu spüren sein. Natürlich werden in dieser Sendung alle möglichen Klänge und Botschaften, die soundmäßig mit dem Handy (und iPod) assoziiert sind, ausgeschöpft und paraphrasiert.

Wenn die Sendung bei ihr Erfolg hat, dann wird sie diese heutige Box nicht zu einer bestimmten Sendezeit hören, sagen wir um 15 Uhr. Vielleicht wird die "Box", oder wie immer sie abgekürzt wird, am Abend auch nur auf interessante Beiträge, Passagen oder einen bestimmten Sendungsteil durchgehört. Aber über die Wochen könnte der Wunsch aufkommen, die Sendung ganz zu hören, vielleicht auch zur Sendezeit am Nachmittag zu hören, vielleicht überhaupt Radio zu bestimmten Sendezeiten zu hören, andere Sendungen zu hören. Sie würde am Vollprogramm teilnehmen.

Das Ideal jedes Radioprogrammmachers muss heute wie ehedem das Hören einer Sendung zur Gänze und zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung sein, in der sie on air und online geht. Und die Durchhörbarkeit, nach der auch Ö1 inzwischen giert? Werden HörerInnen noch eine längere Strecke von aufeinander folgenden Sendungen hören? Zunächst: Man lasse die HörerInnen frei und unterlasse die Bettelei! Man wünsche nicht, schon gar nicht um 23 Uhr: "Verbringen Sie noch angenehme Stunden mit Österreich 1."

Monomedialität, entgegen dem multimedialem Imperativ heute, fordert Zuhörenkönnen, auch dem konkreten Gegenüber zuhause, im Gasthaus, im Auto, in der Bahn, im Konzertsaal, im Hörsaal, im Klassenzimmer. Dabei ist die Nutzung des Handys ein Problem. Wie die Attraktion möglichst hoch halten? Wie zugleich das visuelle Angebot der notwendigerweise visuellen und tastativen Applikation möglichst niedrig halten? Junge dürften wenig Radio hören, weil viele beständig zum Telefonieren bereit sein müssen und wollen. Daher die irregeleitete Sympathie der Radiomacher für Radio-Apps.

Dennoch: Der akustische Kristall, die die Box heute wäre - sniff, flash art: ein voraushörbarer Sog, akustische Qualität in Form von vorwiegend E-Musik, Kopplung mit News in frischer Form (kein Nachrichtenjournalwetter), musikalischer und informatorischer Nachklang, Ausklang.

Das Rätsel und die Forderung, die mit der Allgegenwärtigkeit von Fotos und Videos gestellt werden: Wie kann heute Radio abseits der Visualität der digitalen Gadget-Interfaces als ein Nichtbild beschaffen sein, als ein rein akustisches, auditives 'Bild'? Das grüne magische 'Auge', das vor Jahrzehnten in Radioapparaten eingesetzt war, um das Einstellen des jeweiligen Senders hin zur Nebengeräuschlosigkeit anzuzeigen, wird es nicht mehr sein. Eine konstante Lichtkonfiguration? Ein Ornament? Eine Abstraktion? Auf, ihr visuellen Designer! Knüpft an die reiche Forschung der bildenden Künstler und ihre Anti- und Nichtbilder an!



y. soziologische Bemerkung



Auch beim Radio und bei vielen grammophonischen Aufnahmen

findet man die Neigung, sogenannte Hauptstimmen

oder sogenannte Melodien außer allem Verhältnis

zu dem musikalischen Gewebe hervorzuheben.

(Adorno 1968b, 117)



Es wäre wohl etwas übertrieben, Österreich 1 vorzuwerfen, dass es seine Hörerinnen um das Versprechen des sozialen Aufstiegs betrogen hat. Die Mittelklase gibt es nicht mehr. Und es stimmt, Österreich 1 ist nicht mehr die Nummer 1 in Österreich. Das neue Logo belegt das symbolpolitisch: die verschrumpelte "1" rückt aus dem Zentrum der visuellen Aufmerksamkeit. Und der Kampf um das opinion leading im Sender beweist, dass Ö1 keine ausgegorene Position mehr einnimmt.

Die Klassik in Musik, Oper, Literatur und Hörspiel ist zerbröselt. Jazz und Alternativpop macht die musikalische Identität des schmalen, neuen Bürgertums aus. Oper und Matinee die letzten etwas ungepflegten Überreste. Der "Ö1-Kunstsonntag" spielt sentimental auf ein spätes Bürgertum an, das mit der Avantgarde der "kunst-stücke" (ORF 2, 1981-2002) noch eine Zukunft zu haben schien. Literatur wird dezimiert und herumgeschubst. Hörspiel: abgeschafft. Die neuen Herrschaften im Rundfunk, von ORF-Radiodirektorin Monika Eigensperger angefangen, über die Vorgängerin des jetzigen Ö1-Chefs, Bettina Roither, und die jetzige Ö1-Musikchefin Elke Tschaikner bis in die Leitungen und Gestaltungen einzelner Programmbereiche hinein können unverblümt zeigen, dass sie Popmusik präferieren.

Der Concentus musicus war bis in die letzten Jahre Harnoncourts hauptsächlich international und wurde in Österreich nicht anerkannt und gespielt. Elfriede Jelinek hat, wie zu Ihrem Siebziger zu hören war, im ORF wenige, unbedeutende Fürsprecher. Das Musiktheater in Wien und Salzburg wird in Österreich 1 mehr am Leben gelassen, als wirklich ernst genommen. ORF III und Servus TV kümmern sich schon darum.

Und doch ist Nummer 1, eine möglichst breite Elite als soziale Klasse zu repräsentieren und zu formen, nicht obsolet. Wenn das vielleicht auch nicht auf nationaler Ebene gelingt. Pierre Bourdieu hat unrecht, wenn er die Regeln des Geschmacks theoretisch unterlaufen zu können meint. Die mindestens tausendfünfhundertjährige Unterscheidung von E und U in der Musik hat überhaupt erst jenen beispiellosen Aufstieg zu differenziertester Kunstmusik ermöglicht, für den nicht nur die europäische Musik der letzten Jahrhunderte steht. Doch nicht nur die klassischen Komponisten hatten die kritische Reflexion von U-Musik nötig, auch ihr Publikum, damals wie heute. Wer würde nicht sagen, dass György Ligeti heute klassisch ist? Ja, aber hören muss man ihn auch können, nicht nur in 2001. Sonst wird er bald nicht mehr klassisch, sondern vergessen sein. Um der kommerziellen Kulturindustrie auch argumentativ Stirn bieten zu können, ist eine Bildung nötig, die das immanent kritische Potenzial in der Musik bewusst macht. Das gelingt nur mit E-Musik und einer sich auf sie beziehenden U-Musik, der klassischen von gestern und der klassisch werdenden von heute. Das Heute von 1967 war nicht nur Sgt. Pepper's Band und das Art Ensemble of Chicago, es war mehr noch Ligetis Lontano, Steve Reichs Piano Phase und Pierre Henry's Messe pour le temps présent. Und das Heute 2017? Was trägt Ö1 zum Heute 2017 bei?



z. Hörspiel



Die Idee ist,

daß wir nicht mehr über das Radio senden,

sondern auf dem Radio spielen sollten,

und zwar im selben Sinne,

in dem man auf einer Geige spielt.

(Theodor W. Adorno, Ende der 30er Jahre)



Peter Klein stellt die Frage, warum Hörspiele heute selbst "innerhalb der Mitarbeiterschaft von Funkhäusern ... wenig Aufmerksamkeit" bekommen. (Klein 2012, 43) Seine Antwort ist vielfältig. Es liegt an den hohen Ansprüchen gegenüber dem Publikum und an sich selbst, der großen literarischen Hörspieltradition seit den 1920er Jahren, dem Mangel an nützlichen Informationen, ihrem schwierigen Wesen als disziplinärer Grenzbereich, der faktischen und begrifflichen Konkurrenz durch das Hörbuch, dem Mangel am "Ausbau zusätzlicher Vertriebswege" (46) neben der Ausstrahlung an den Radioapparat und dem Veraltetsein des Begriffs 'Hörspiel' selbst. Aber schon einmal, mit "dem Aufkommen des Fernsehens" in den 60er Jahren, sei das Hörspiel der Krise kreativ begegnet, indem die theatralisch-dramatische Form stereophon "mit sprachspielerischen Methoden, konkreter Poesie und Lautmalerei ergänzt" wurde. (48; Bezug auf Krug 2008, 81ff.) Klein räumt ein, dass der ORF diese Neuentwicklung damals verschlafen hat. Aber muss sich Klein, der mit der Reform 2017 das "Hörspiel-Studio" am Dienstag von 21 bis 22 Uhr ersatzlos gestrichen hat, nicht den selben Vorwurf gefallen lassen? Er konstatiert, dass "John Cage und Mauricio Kagel ... Hörstücke im Grenzbereich zwischen Musik und Literatur" schufen und dass "Originalton-Features" einerseits und "Kunstradio" andererseits, von Sendungen auf Ö1 von Richard Goll und Alfred Treiber einerseits beziehungsweise Heidi Grundmann andererseits produziert, die nächsten Schritte setzten. (50) Klein, der auf Ö1 bis 2014 langjährig in Ressorts und Redaktionen für Hörspiel und Feature zuständig war, hätte eigentlich beobachten können, dass sich der Kunstbegriff durch die digitale Wende auch für das Hörspiel noch einmal drastisch öffnete. Nicht mehr nur Klangbildhauer und Soundartisten betraten die Szene neben den Autoren, es kamen nun, ohne auf das Radio zu warten, auch Sounddesigner, Telefonkünstler, Klangraumdesigner zum Zug, die aufgrund veränderter Produktionsbedingungen ihre Vorstellungen in allen Künsten entwickelten und realisierten: im Theater, im Film, in der bildenden Kunst, in der Musik, in der Architektur und Innenarchitektur, selbst in der Literatur, im Hörbuch, schließlich auch im neuen Kommunikationsmedium Internet. Es hätte an Klein gelegen, den Ball zu suchen und aufzunehmen, so wie einst Klaus Schöning beim WDR an die diversen KünstlerInnen heranzutreten und nicht von LiteraturautorInnen abzuwarten, welche "Hörspielvorschläge ... in der Hörspielredaktion des ORF einlangen". (52) Er hätte sich also nicht damit abfinden müssen, "dass sich das Genre Hörspiel tendenziell nicht nur nicht erneuert, sondern dass sein Gesamtbild zunehmend als veraltet erscheinen muss." (54) Das Hörspiel war und ist die Essenz des Radios, so wie das Fernsehspiel die Essenz des Fernsehens war und ist. Vielleicht kann die Sendung "Kunstradio - Radiokunst", die seit 1. Mai 2017 "Radiokunst - Kunstradio" heißt, jene vermeintliche Tendenz als umgekehrt erweisen und mit der aufgezwungenen Hereinnahme des Rests des aufgelösten "Hörspiel-Studios" die heutigen und zukünftigen künstlerischen Radioinnovationen so vorführen, dass sie das letzte Wort der Radiowoche haben - jedenfalls solange nicht die Werbung wieder knabbert ;-)



Adressaten, editorische Bemerkung



Von diesem Text in Kenntnis gesetzt wurden per E-Mail, so weit möglich, die im Text angesprochenen Personen, weiters 128 österreichische Musikinstitutionen sowie aus ihnen ausgewählte Personen, 77 Musik- und Wissenchaftsuniversitäten und aus ihnen ausgewählte Personen, 68 österreichische KomponistInnen, 444 Musikschulen Österreichs, ausgewählte VertreterInnen der österreichischen Literatur, insbesondere Arbeitsgemeinschaft Musikerziehung Österreich, Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM), Bund Österreichischer Gesangspädagogen (EVTA-Austria), Chorverband Österreich, Fachausschuss Musikinstrumentehandel, Harmonikaverband Österreich, IGNM – Sektion Österreich, IG World Music Austria, International Music + Media Center, Interessengemeinschaft Niederösterreichische KomponistInnen, Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs, Konferenz der österreichischen Musikschulwerke, mica – Music Austria, Musik der Jugend – Österreichische Jugendmusikwettbewerbe, Musiker-Komponisten-AutorenGilde, Musikfabrik NÖ, Österreichische Interpretengesellschaft, Österreichische Gesellschaft für Zeitgenössische Musik, Österreichischer Komponistenbund, Österreichischer Blasmusikverband, Österreichische Blasmusikjugend, Österreichisches Volksliedwerk, Österreichische UNESCO-Kommission, SMartAt, Superar Austria, U30-Netzwerk des ÖMR, Zentrum für Zeitgenössische Musik – Donau-Universität Krems, Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren, Rechnungshof, Österreichischer Musikrat, Anton Bruckner Institut Linz, Internationale Gustav Mahler Gesellschaft, Literaturhaus Wien, Styriarte, Eliette und Herbert von Karajan Institut, Egon-Wellesz-Fonds, Ernst Krenek Institut Privatstiftung, Alban Berg Stiftung, Arnold Schönberg Center, Paul Sacher Stiftung, Gesellschaft der Musikfreunde in Wien/Musikverein, Wiener Singverein, Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bösendorfer, Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs, Universal Edition, Wiener Männergesang-Verein, Wiener Konzerthaus, Wiener Staatsoper, Österreichische Nationalbibliothek, Institut für Österreichische Musikdokumentation, Salzburger Festspiele, Freunde der Salzburger Festspiele, Haydnfestival, Lisztzentrum, Kammermusikfest Lockenhaus, Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Schubertiade, Styriarte, Grafenegg Festival, Carinthischer Sommer, Seefestspiele Mörbisch, Oper im Steinbruch Sankt Margarethen, Wiener Festwochen, Bregenzer Festspiele, Allegro Vivo Kammermusikfestival, Wien Modern, Klangspuren Schwaz, Attersee Klassik, Wiener Sängerknaben, Wiener Symphoniker, Tonkünstler-Orchester, Volksoper, Landestheater Linz, Bruckner Orchester, Brucknerhaus, Tiroler Landestheater, Oper Graz, Stadttheater Klagenfurt, Burgtheater Wien, Radio-Symphonieorchester Wien, Klangforum Wien, Ensemble Phace, Studio Dan, Möström, Ensemble Wiener Collage, Vokalensemble Nova, österreichisches ensemble für neue musik, Wiener Jeunesse Orchester, Peter Ablinger, Michael Amann, Peter Androsch, Cornelius Berkowitz, Pierluigi Billone, Cordula Bösze, Meaghan Burke, Martin Breindl, Christoph Cech, Marco Ciciliani, Renald Deppe, Bernd Richard Deutsch, Christof Dienz, Richard Dünser, Alexander J. Eberhard, Electric Indigo, Tamara Friebel, Leonard Eröd, Karlheinz Essl, Arturo Fuentes, Beat Furrer, Clemens Gadenstätter, Maria Gstättner, Bernhard Gander, Bernhard Gál, Gregor Hanke, Lukas Haselböck, Franz Hautzinger, Peter Herbert, Peter Jakober, Johannes Kalitzke, Katharina Klement, Volkmar Klien, Franz Koglmann, Gerd Kühr, Sylvie Lacroix, Bernhard Lang, Klaus Lang, Thomas Larcher, Olga Neuwirth, Herbert Lauermann, Thomas Mandel, Norbert Math, Peter Keuschnig, Wolfgang Mitterer, Bertl Mütter, Georg Nussbaumer, Ofenbauer Christian, Maja Osojnik, Pia Palme, Gerald Preinfalk, Johannes Prischl, Gabriele Proy, Julia Purgina, Wolfgang Puschnig, Hannes Raffaseder, Eva Reiter, Gerald Resch, Fernando Riederer, Jorge Sánchez-Chiong, Elisabeth Schimana, Iris ter Schiphorst, Helmut Schmidinger, Gunter Schneider, Wolfram Schurig, Murat Üstün, Gerhard E. Winkler, Gernot Wolfgang, Joanna Wozny, Medienminster Thomas Drozda, Kardinal Christoph Schönborn, Bischof Michael Bünker, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich Ibrahim Olgun. Sie und diejenigen, die diesen Text zur Kenntnis nehmen, sind zu Antworten an peter.mahr@univie.ac.at eingeladen, Antworten, deren markierte Textpassagen, wenn gewünscht, hier im Anschluss mit Namen der Absenderin/des Absenders und Datum und Uhrzeit wiedergegeben werden. In zwei Monaten wird, sofern Antworten kommen, auf diese Textpassagen ein Nachwort eingehen. Ergänzung am 16. 12. 2017. Die "Stellungnahme von Bertl Mütter" erlaubte am 30. 9. 2017 die Hinzufügung eines etwas längeren Abschnitts "Schluss", von dem die angeführten Adressaten am 30. 9. 2017 in Kenntnis gesetzt wurden. Am 16. 12. 2017 wurde eine letztgültige Fassung des Textes online gestellt. Sie schließt eine orthographische Durchsicht des unveränderten Textes ein, die Erstellung einer eigenen Biblio-/Diskographie durch die Zusammenstellung der kompletten Einträge aus den im Text verstreuten Referenzorten, die Erweiterung des Titels des Abschnitts „Adressaten“ um „, editorische Bemerkung“, die Ergänzung dieses Abschnitts um die Passage „Ergänzung am 16. 12. 2017“ sowie den Einschub eines Mottos für den Abschnitt „Schluss“ sowie eines Absatzes unmittelbar vor dem „Zusatz A“ in eben diesem Abschnitt, welcher Absatz auf Friedrich Knillis Wunsch eines einzigen umfassenden Satzes mit einer Zusammenfassung des gesamten Texts antwortet. Am 16. 12. 2017 wurden die Chefredakteure und die sachbetroffenen Redakteure der österreichischen Tageszeitungen Die Presse, Der Standard, Kurier, Kleine Zeitung, Wiener Zeitung und Salzburger Nachrichten sowie RadiowissenschaftlerInnen der Humboldt-Universität Berlin, Technischen Universität Berlin, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Universität Bonn, City University of Applied Sciences Bremen, Universität Düsseldorf und Universität Wien von dieser letztgültigen Fassung des vorliegenden Textes informiert sowie vom durchgehenden (öffentlichen und nicht-öffentlichen) Schweigen all jener, mit Ausnahme von Andreas Felber, im Text angesprochenen Personen wie auch der ORF-eigenen Kontrollinstanzen Publikumsrat und Stiftungssrat, die für Ö1 und ORF leitende Funktionen ausführen.



Stellungnahme von Bertl Mütter 29.06.2017 13:14, online 31. 7. 2017, modifiziert 21.09.2017 17:14


im wesentlichen sprechen sie mir aus der seele. wobei ich in der kurzen zeit und unter bedachtnahme auf meine augenblicklichen kapazitäten jetzt nicht alle 466.848 zeichen lesen konnte und sicherlich nicht überall vorbehaltlos zustimmen kann. da scheinen mir doch auch etliche privatfehden hineingeflochten zu sein – was dem gesamten anliegen nicht gerade förderlich sein dürfte.

die tendenz, die sie detektieren, deckt sich leider mit meiner wahrnehmung. da ich als kulturschaffender content-lieferant bin, sitze ich irgendwie mit im boot, betrachte manche journalist/inn/en als partner/innen (und manche sind hochgeschätzte persönliche freund/e/innen). jene, bei denen das weniger zutrifft, nerven mit etlichen no-gos: leute promoten sich da selber als all-stars, und kollegen forçieren hauptsächlich jingles von werken anderer moderatorenkollegen etc. ich brauche ihnen keine namen zu nennen. es ist zum speim.

nun, alles wurde billiger, und die musik wird mehr und mehr als beiwerk hineingarniert (extrem in »punkt.eins« oder in den unsäglichen »gedanken«, die das meiner meinung in aller regel gut vorbereitete café sonntag-gespräch verdrängt haben). das programm insgesamt wurde – ohne alle not! – eines wohltarierten rhythmus beraubt. man hat reißnägel gestreut, und flieger mit sowas in den düsen sollen bekanntlich besser nicht abheben.



Schluss



es gibt drei Arten von Darstellungen.

1. Jene, deren Beziehung zu ihren Gegenständen

eine bloße Gemeinschaftlichkeit

mit irgend einer Qualität ist,

und diese Darstellungen mögen als Ähnliche begriffen werden.

2. Jene, deren Beziehung zu ihren Gegenständen

in einem tatsächlichen Zusammenhang besteht,

und diese Darstellungen mögen als Anzeichen oder Zeichen begriffen werden.

3. Jene, deren Grund ihrer Beziehung zu ihren Gegenständen

ein unterstellter Charakter ist,

wodurch diese Darstellungen dasselbe

wie allgemeine Zeichen sind,

und diese Darstellungen mögen als Symbole begriffen werden.

(Peirce 1867, aus dem § 14. Übers. P.M.)


(1) Bei all den Anzeichen und Tatsachen des Niedergangs von Ö1 dürfen nicht diejenigen MitarbeiterInnen vergessen und verschwiegen werden, die die alte hohe Qualität von Ö1 bewahren und weiterentwickeln. Das "Journal-Panorama", dessen Identität durch inzwischen allzu viele kurzfristige Programmänderung bedroht ist, mit der umsichtigen Elisabeth Vass, der forschen Cornelia Krebs und der vielseitigen, auch in Diskussionsleitungen kompetenten Astrid Plank lassen im Bewusstsein bleiben, dass neben dem vielen, mitunter unsozialen Getöse auch Gründlichkeit noch einen Platz auf Ö1 hat. Für viele Andere stehe, neben Sendungen aus dem mitunter vernachlässigten Ausland, Ulla Ebners Reportage über "Bettelei als Menschenrecht?" in Österreich am 24. 3. 2011. Auch das "Europa-Journal" unter der Leitung von Brigitte Fuchs setzt sich mit tiefer gehenden Analysen, Berichten, Interviews, Diskussionen und Geschichten der Tendenz des "Mittagsjournals" entgegen, längere und vielstimmigere Beiträge auch ohne O-Ton zu verdrängen. "Die Ö1 Klassiknacht" und "Die Ö1 Jazznacht" sind schon deshalb zu loben, weil ihre Damen und Herren ModeratorInnen live in den dunkelsten Stunden sich dafür aufopfern, die Helligkeit und Aufmerksamkeit für jene hochzuhalten, die nicht schlafen können, dürfen oder wollen. Und nicht zuletzt wird das Niveau hoch gehalten durch Kurzsendungen wie "Vom Leben der Natur", "Rudi! Radio für Kinder" und Betrifft: Geschichte" - es dürfte auch einmal Kurzsendung der Musik gewidmet sein, ohne gleich in Werbung oder Pop abzugleiten.

(2) Die Popmusik auf Ö1 und ihre Moderatoren bleiben kontinuierlich ein Ärgernis. Wolfgang Kos steckt mit seinem einst für Ö3 konzipierten "Popmuseum" seit dem Sommer 2016 über die folgenden Weihnachts- und Osterferien hinaus weiter in den Kinderkrankheiten. So kommt am 23. 7. 2017 nach der Signation unangekündigt sofort der Refrain Petula Clarks "Downtown" oder am 6. 8. unangekündigt sofort ein kurzer Ausschnitt einer wilden Improvisation von Cream, unausgewiesen, wohl weil "jazzinduziert", wie Kos despektierlich sagt, und deswegen nicht der Angabe wert ... "Und im Zentrum der Aufmerksamkeit stand aber ...". Am 23. 7. dreht sich also alles um Songs über downtown mit Zentrum von Clarks "Downtown". Kos meint den Pianisten, Songwriter, Film- und Fernseharrangeur Tony Hatch einen Komponisten nennen zu müssen. "Die Ampel, die gleich in der ersten Strophe blinkt, soll sich an der Ecke 48. Straße/Broadway befunden haben. Das Stück <seit wann ist ein Lied ein Stück?> beginnt mit einfachen Progressionen am Klavier. Petula Clarks Stimme erklingt anfangs fast allein. Erst beim Wort 'downtwon' plustert sich die Musik auf bis zum finalen Crescendo. Und ganz am Schluss kurz eine gedämpfte Trompete, eines <sic!> vielen Filmern bekanntes Zeichen für die nächtliche Großstadt. Ein Stück mit raffinierter Dynamik also. Und das Wort 'downtown' ist insgesamt 19 <29!> Mal zu hören. <Kos lässt die Nummer beginnen> 'Downtown' wurde auch deshalb so ein großer, alle Stile <welche?> überschreitender Song, weil Tony Hatch die Idee hatte, einerseits ein Studio-Orchester nach Art klassischer U-Musik-Plattenproduktionen einzusetzen, diesen Sound jedoch mit Beat-Instrumenten zu ergänzen. Der Trick bestand darin, so Hatch, ein Orchester wie eine Beat-Gruppe klingen zu lassen. Neben vier Posaunen und fünf Holzbläsern waren auch drei <zu hören ist nur eine> elektrische Gitarren dabei. Dem glückstrunkenen, jegliche Bodenhaftung verlierenden Finale zum Trotz spürt man, dass es sich nur um einen abendlichen Kurzbesuch im Paradies handelt, um eine Flucht, eine Illusion. Am nächsten Tag wird für die Protagonistin das fade Vorstadtleben unverändert weitergehen." Also Kommerz als Massenbetrug, so Kos unfreiwillig ideologiekritisch, in stiller Anknüpfung an den nicht von Clark geschriebenen Songtext. Wieso dann aber nicht auch die Musik kritisch-analytisch behandeln? Weil das so wie im einstigen Ö3- nun auch in einem Ö1-Popmuseum keinen Platz hat?

Am 13. 8. 2017 spielt Kos in der Sendung über Tribute-Songs Paul Simons "Graceland". Ein Tribute-Song? Die Nummer beginnt mit einem langen instrumentalen Intro (13:39:55 bis 13:40:40 Uhr). Kos schafft es nicht, wie beabsichtigt und wie von einem Musikmoderator des ORF erwartet werden kann, rechtzeitig mit seinem Kommentar über die unterlegte Musik in dem Moment aufzuhören, als Simon zu singen anfängt: "The Mississippi Delta was shining ...". Am 20. 8. Intonationsfehler, Vorlesefehler, Ahs und 13 Versprecher, falsches Atemholen nicht mitgezählt.

Zurechtgebogen am 6. 8. 2017 das Bild, das uns Kos von dem Sänger-Bassisten und Ex-Cream-Mitglied Jack Bruce geben will: "Er fand ... seinen Freiraum mit drei Songalben, die er ab 1969 allein herausbrachte. <es waren zwei> ... Sie werden im Zentrum dieser Sendung stehen, speziell das erste ...". Entgegen dieser Ankündigung kommen aber lediglich vier Nummern aus Songs for a Tailor und eine Nummer aus Harmony Row, was nur wenig mehr als 16 der 50 Sendeminuten ergibt. Kos vergisst, das Zitat "Allen Ginsberg sagte damals zu mir ..." Jack Bruce oder seinem Songtexter Pete Brown zuzuschreiben, und unterlässt den Hinweis, dass Jon Hiseman von Colosseum nicht nur Sideman auf Songs of a Tailor war, sondern Colosseum Nummern von Bruce erfolgreicher als dieser einspielten und diesen vergeblich als Bassisten und Komponisten anzuwerben trachteten. Zudem war Harmony Row nicht Bruce's zweites (wenn auch das zweite Song-Album), sondern das dritte Solo-Album. Die von Kos behauptete "LP mit Frank Zappa" ist nicht von Bruce angedacht worden; Zappa nahm für Apostrophe(') lediglich die Titel-Nummer mit Bruce auf. Dass Kos das Instrumental-Album Things We Like mit Hiseman, Dick Heckstall-Smith und John McLaughlin nicht einmal nennt, obwohl es nicht nur einen überzeugenden Jazz-Kontrabassisten Bruce, sondern in jeder Hinsicht überzeugende, heute unbekannte Free-Jazz-Aufnahmen präsentiert, zeigt, wie schmalspurig Kos unterwegs ist. Dafür wird dem Ö1-Publikum ein Zusammenhang von Bruce mit dem grauenhaften Ohrwurm "My Name Is Jack" untergejubelt - der Ohrwurm ist der extremistische Populismus der Popmusik - , obwohl der allein in Österreich Nr. 1 gewesene Hit mit verbratenen Kinderlied-Elementen über einen in einem Drogenhotel in San Francisco aufwachsenden Buben weder von Bruce geschrieben, noch gesungen, noch begleitet wurde. Bruce spielte nur von 1965 bis 1966 bei Manfred Mann, und hatte 1968 längst schon das Abenteuer mit Cream zu Ende gebracht, um Things We Like aufzunehmen. Ist diese Unfundiertheit/Unterjubelung der Musikjournalismus, der auf Ö1, ja im gesamten ORF zuhause sein sollte? So etwas würde man auch FM4 und Ö3 nicht wünschen. Dass Rock- und Popmusik auf einem derart schwachen Niveau reflektiert wird und dass eine Vorzeigepersönlichkeit wie Wolfgang Kos nach seinen dürftigen Einsätzen im Sommer 2016, zu Weihnacht und Ostern 2017 auch im Sommer 2017 von der Ö1-Leitung nicht stärker gefordert und resoluter begleitet wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(3) Jazz, Pop, Country, World Music in "Anklang" am Donnerstag mit Klaus Wienerroither, Helmut Jasbar, und Michael Neuhauser - die Sendung am 17. 8. 2017 wird von Jasbar bestritten. Etwas großspurig lautet ihr Titel "Musik schreiben, Geschichte schreiben. Radiohead". Die Songliste auf der Ö1-Website - besonders wichtig bei unvollständiger Moderation - liess auf sich warten. Jasbar glaubt, wohl um dem Ö1-Publikum einen Gefallen zu tun, Radiohead in die "Renaissance des Progressive Rock" einordnen zu sollen. Alternative rock tut es eher. So meint er für das teilweise von Colosseums "Valentyne Suite" abgekupferte "Paranoid Android" 20 Minuten Spieldauer angeben zu müssen. Aber mehr als die 6 Minuten 22 der Studioversion dauert die Nummer auch live kaum. Dann ein angeblicher Radiohead-Cover von Brad Mehldau, die Nummer bleibt ungenannt. Die Lyrics werden fanmäßig übersetzt wie seinerzeit im Jugendstil der Ö3-"Musicbox". Zum Schluss rührend "Creep", die Nummer 10 der 90er Jahre Charts von FM4, ein zweites Mal, nun von einem Kinder-Chor gesungen und am Klavier begleitet. Die Band ist interessant. Aber eine fundierte Auseinandersetzung mit Musik, die das Klassik-erfahrene Publikum auch auf "Anklang" erwarten darf, ist das nicht.

In "Anklang" vom 20.7.2017, wiederholt in der Nacht darauf, duzt Klaus Wienerroither den zu präsentierenden siebzig Jahre alt gewordenen Jubilar gleich einmal fanmäßig. Vielleicht ist er ja per Du mit dem Gitarrenkollegen. "Carlos <Santana> hat in Interviews behauptet, dass die ganze Band vor dem Auftritt <in Woodstock> die psychedelische Droge ...". Doch Wienerroither lässt sich vom Produzenten der Woodstock-Live-Triple-LP täuschen, wenn er ein "Percussion-Intro" von mehr als zwei Minuten zu Gehör bringt für das Stück "Soul Sacrifice", das Intro des Stücks in Woodstock in Wahrheit aber nur 12 Takte und 21 Sekunden dauerte. Oder: Dass Santana das Coltrane-Stück "Naima" mit niemand anderem als John McLaughlin einspielte, bleibt unterschlagen. Oder: Wenn Wienerroither von einem "Kitsch"-Stück von Santana sagt, "hier verwendet Carlos Santana die schon im Barock sehr gebräuchliche und beliebte Quintfallsequenz", dann ist das bloßes Imponiergehabe, solange er den Begriff nicht erklärt und die Notwendigkeit seiner Anwendung nicht deutlich macht, ungenau noch dazu, denn diese in mehreren Quinten abfallende Tonsequenz wurde auch von Schubert und Chopin sowie im Pop etwa von Demetrio/Ruiz und Barry Manilow verwendet. (Ähnlich verhält es sich mit der "barocke(n) Polyphonie", die Wienerroither in Spielräume Spezial am 10. 9. 2017 für die Aufnahmen von "Bernie's tune" und "My funny Valentine" durch Gerry Mulligan/Chet Baker reklamiert: polyphon ja, barock nein, denn das Bachsche (?) Kontrapunktische (?) ist so zart angedeutet und auf so wenige Noten beschränkt, dass Baker und Mulligan gut und gerne ohne es auskommen.) Oder Wienerroither zu einer Nummer aus Sacred Fire: Live in South America: "Carlos übernimmt direkt, als die Band das Tempo verdoppelt." (00:49:40-00:49:45 Uhr). Nein, zuerst gehen die 4/4 in 12/8 über, wobei 3/8 1/4 entsprechen. Und nein, Carlos Santana übernimmt schon hier, siehe die Minute 49:32 auf https://www.youtube.com/watch?v=avRK8cIjSss; woher weiß das Wienerroither überhaupt, wenn nicht vom Video, über dessen Existenz er kein Wort verliert - klingen doch Jorge Santana und Carlos Santana bis in den Anschlag hinein gleich? Erst später tritt dann kurz die angesprochene 'Verdopplung' ein, wobei punktuell noch der 12/8-Takt nachwirkt. Doch das reicht nicht an Ungenauigkeiten und Falschaussagen: "Unermüdlich tourt Santana um die Welt. Und live ist er nach wie vor ein Bank." Die sich vom Gegenteil von Santanas aktueller Live-Kompetenz überzeugen möchten, können das auf einer bekannten Videoplattform von Santanas Konzert in Wien am 12. Juli 2016 tun.

Leider darf es auf FM4 keine Sendung geben, die sich ausschließlich der Geschichte des alternative mainstream widmet. Hier wäre eigentlich Platz für Wolfgang Kos, Helmut Jasbar und Klaus Wienerroither. Dass selbst in Ö1 Popmusik expressis verbis nicht unbedingt geschätzt wird, zeigte die Abmoderation einer Musik durch den mitunter verblüffenden Bernhard Fellinger am Marienfeiertag Di 15. 8. 2017 in der Sendung Guten Morgen Österreich gegen 7 Uhr. Fellinger scheint nicht ganz von der Musikauswahl durch Gerald Kolbe überzeugt zu sein: Popmusik in "Guten Morgen Österreich"? Verfehlen des Marienthemas durch das Lob Gottes? Aber er gibt sich gutmütig: "Leonard Cohen mit 'Hallelujah' passt irgendwie auch zum heutigen Marienfeiertag."

Dass die Qualität der Sendungsmacher von Popmusik auf vielen Ebenen unzulänglich ist, ist aber noch nicht alles. Dass Nichtfachjournalisten wie Walter Gröbchen, teilweise im Interessenkonflikt, und Thomas Mießgang ein "Lexikon der österreichischen Popmusik" schreiben dürfen, dass mit einem immer größeren Zulassen von Popmusik, ohne dass es auffiele, die Vielfalt der Instrumente eingeschränkt wird und die breite österreichische Instrumentalausbildung an Musikschulen ihre faktische Legitimation verliert, dass Ö1 für musikalischen Kitsch eintritt, ja dass die Ö1-Musikchefin ihre seltenen öffentlichen Reden unargumentiert dem Popkommerz widmet, - das ist der Niedergang von Ö1.

(4) Für diejenigen, die es vielleicht überhört oder überlesen haben: "Don Carlos feiert Geburtstag" lautete der Titel der Sendung. Das ist in Wienerroithers, man kann es nicht anders sagen, hinterhältiger Diktion die Behauptung, dass Carlos Santana es mit Verdis Oper und Schillers Stück gleichen Namens aufnehmen kann, ja, nach Geschmack diesen beiden vorzuziehen ist. Mein Don Carlos, den kann mir niemand nehmen. Witzig mag das für diejenigen sein, die mit der klassisch-romantischen Epoche nicht nur nichts anfangen können, sondern sie auch ablehnen. Dass diese Haltung aber gerade in Ö1 zur Schau gestellt werden darf - das ist der Niedergang von Ö1.

(5) Einen ähnlichen Eindruck von Ablehnung vermittelte auch Helmut Jasbar, der in "Des Cis" am 2. 8. 2017 die Frage stellte: "Wohin geht das Lucerne Festival 2017?" Gegenstand des Spotts: Mahlers Achte. Wie es neuerdings auf Ö1 Mode ist, kommt ein Ausschnitt Musik ungenannt hereingeschneit und auch nicht abmoderiert. Kommentar: "Sowohl mein Tonmeister als auch ich sind schon komplett fertig. Aber, wir bleiben dran. Übrigens, zur letzten Aufführung, die Mahler selbst dirigierte <es folgt immerhin eine kurze Angabe zur Besetzung und zum Programm der Symphonie> ... Mehr geht nicht. Das ist schon das ganze Programm des Scheiterns." "Bombast" wird suggeriert. "Gustav Mahlers Symphonie polarisiert Musiker und Möa <Versprecher, recte:>, Hörer auch noch heute. Wir <recte: wie> spielt man das ohne Weihrauchschwaden. <Betonung ohne Fragezeichen> Was für dieses Werk spricht, ist die so außerordentlich differenziert komponierte Musik, die allerdings einen sehr kontrollierten Umgang mit diesem Orchesterkoloss verlangt. Aus einem derartigen Klangkörper ein feines piano zu locken, ist keine leichte Aufgabe. Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist der Grund, warum sich Dirigenten immer wieder an diesem Monster von einer Symphonie versuchen. <vergeblich?> Und so kommen wir zur heutigen Musikempfehlung von Des Cis, denn letztes Jahr wurde die Achte Mahler von Riccardo Chailly in Luzern aufgeführt ... Dass er ein guter Zureiter ist, hat er schon mehrfach bewiesen. Aber stemmt er auch die Achte?" Was ist das für ein Niveau? Wieder folgt ein unausgewiesener Musikausschnitt. "Riccardo Chailly schafft es hier, die Symphonie der Tausend als ein wahres Konzentrat der abendländischen romantischen Musik darzustellen." Das alles wird, wie oft bei Jasbar, ohne Einfühlung und zu schnell heruntergelesen.

Dass es daneben ressentimentgeladene Äußerungen gegen Arnold Schönberg geben darf (und seine Wiener Schule als Zweite Wiener Schule degradiert wird wie zuletzt im "Klassik-Treffpunkt" von Renate Burtscher am 19. 8. 2017, wobei es nie eine Erste Wiener Schule gegeben hat, wie Martin Eybl 2005 im Anschluss an seine Antrittsvorlesung "'Bannerträger der neuen Kunst.' G. M. Monn und die Idee einer ersten Wiener Schule" an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst bestätigte), dass zudem allgemein auf Ö1 Entgleisungen gegen berühmte Dirigenten, Respektlosigkeiten gegen klassik-affine Sendungsgäste, der "Klassik-Treffpunkt" ohne Klassik sowie eine textlich geäußerte Angriffigkeit gegen Klassik und zeitgenössische E-Musik möglich sind, dass der offensichtliche Mangel an Weltmusik trotz programmatischer Verpflichtung durch ORF-Generaldirektor Wrabetz hingenommen wird, dass es inzwischen nur mehr wenige Sendungen gibt, die Musikgattungen oder Besetzungsarten von klassischer und zeitgenössischer E-Musik gewidmnet sind, - das ist der Niedergang von Ö1.

(6) Wen wundert's, dass in diesem Klima von Ablehnung ein volles Einlassen auf große Werke der Klassik und sei es der klassischen Gegenwart - die 1970/80er Jahre brachten auch in der Musik die Rückkehr des (großen) Werks - unwahrscheinlich ist. Der "Zeit-Ton", moderiert von Rainer Elstner: Gérard Grisey, Les Espaces acoustiques. Teil 1 am 28. und Teil 2 am 29. 8. 2017. Nachdem die Sendung am 28. fast zur Gänze von Musik gefüllt war, war Ähnliches für den Tag danach zu erwarten. Aber Elstner, der offensichtlich nicht in Salzburg war und nicht vor Ort atmosphärische Eindrücke mitnehmen konnte, spannte am zweiten Tag mangels Hinweisen und vorab angedeuteter Gliederung seiner unüberschaubar beinahe 15 Minuten langen Einleitung die ZuhörerInnen einigermaßen auf die Folter. Zunächst wäre genügend Zeit gewesen, die Sendung des Vortags verbal zusammenfassend nachklingen zu lassen und einen Vorausblick auf das noch zu Erwartende zu geben. Statt dessen ein Sammelsurium von sechs Musikeinstiegen in Griseys Werk, allesamt unbezeichnet - sie waren wohl aus dem am Programm stehenden Werk genommen - und mit diversen O-Tönen aus Interviews mit dem Dirgenten, dem Festivalleiter und dem Solo-Bratscher verklammert. Zu Beginn und nach dem ersten unvermittelten Musikeinstieg - die neueste Mode auf Ö1 ist, die HörerIn zu Beginn einer Sendung mehr zu verwirren, als neugierig zu machen - kommt allzu Allgemeines, etwa zur Spektralmusik, die Grisey verfochten (und deren Hauptwerk er mit Les Espaces acoustiques geliefert?) hat: zum Teil worthülsig mit "Hören ... neu zu kalibrieren", "DNA der Klänge", zum Teil aufschlußreich: "Orchester als ... Synthesizer". Der zweite Musikeinstieg sprach wenig interessant den Aufführungsort Salzburger Kollegienkirche und die Tatsache des sehr jungen, einspringenden Dirigenten an. Nach dem dritten Musikeinstieg, nicht richtig ausgeblendet, ist wieder der Dirigent zu hören, anstatt dass Elstner selber das Wort ergreift. Etwa zu Olivier Messiaen, der klanglich mit Händen zu greifen ist und wahrscheinlich auch biographisch wichtig war für Grisey, zu dem selbst Elstner fast gar nichts zu sagen hat, auch nichts zur offensichtlich komplizierten Entstehungsgeschichte des Zyklus (1974-85) und seine verschiedenen Besetzungsmöglichkeiten. Auch müsste bei einem derart großen 90 Minuten langen Instrumentalstück etwas zur Faktur, zur Organisation und Struktur des Werks kommen. Nach dem vierten Musikeinstieg spricht Elstner immerhin kurz die Mikrointervalle im Werk an. Der fünfte Musikeinstieg mit einer Passage mit Solobratsche ist kurz, läuft aber unnötigerweise im Hintergrund weiter: Grisey als Klangtapete. Der Bratscher und der Dirigent kommen zu Wort. Spät erfährt man zum zweiten Sendungstermin: "Sechs Teile hat <haben die> Espaces acoustiques"; auch jetzt keine Information, welche der sechs "Sätze" den ersten Tag der Ausstrahlung und welche den zweiten ausmachten. Zur Verwirrung spricht der Dirigent von den zwei (Haupt-?)Teilen, ohne dass Elstner das aufklärt. Der sechste vollorchestrale Musikeinstieg dauert etwas länger, womit umso mehr seine Verortung wünschenswert war. Dass Festivalleiter Markus Hinterhäuser schwelgt - "opus magnum", "umgekehrte Abschiedssymphonie", "die profundeste ... Ergreifung akustischer Räume", "die in Musik gefasste metaphysische Dimension einer Ästhetik und einer Idee, was Musik sein kann, was Musik sein soll, was Musik sein muss" - , bestärkt den Eindruck vom hohen Rang des Werks. Allein, eine auch wertende Einordnung des Werks wird von Elstner nicht gegeben (etwas davon ist wenigstens im Internet-Text zu lesen: http://oe1.orf.at/programm/20170829/485102).

Zum Glück gab Gustav Danzinger in Des Cis am 16. 8. 2017 nach einem passenden Nachklang zur wunderbaren Marienvesper von Monteverdi vom Feiertagsvorabend diesen Vernstaltungshinweis: "Historische Moderne gibt es heute Abend ... Grisey war ein Hauptvertreter der französischen Spektralmusik, die ihr musikalisches Material aus dem Obertonspektrum von Tönen und auch Geräuschen bezog. Wie das mit dem Obertonspektrum funktioniert, haben Sie vielleicht schon einmal an einem Klavier hören oder ausprobieren können. Da drückt man die Tasten der ersten vier, fünf Obertöne stumm nieder und schleppt dann den Grundton an. Schon klingen die Obertöne, durch die Resonanz angeregt, kräftig mit. Ganz Ähnliches hört man im dritten Teil von Griseys Werk sehr schön." Und auf der Ö1-Website schrieb Danzinger präzise, kommentierend zur gesendeten Einspielung: "Komponist/Komponistin: Gerard Grisey/1946 - 1998 Titel: Nr.3 Partiels (1975) - für 18 Musiker (beschreibt den Teil eines größeren Werks, die Teiltöne eines Klanges u.Verschmelzung) Gesamttitel: LES ESPACES ACOUSTIQUES - ein Zyklus "akustischer Räume" * Einleitung Ausführende: Asko Ensemble /Mitglieder Länge: 03:00 min Label: Kairos 0012422".

Dass nur mehr wenige jüngere MusikredakteurInnen von Österreich 1 einen musikwissenschaftlichen Hochschulabschluss oder äquivalente publizistische Leistungen wie etwa Stefan Höfel, Nina Polaschegg und Eva Teimel vorweisen können und dass schlecht ausgebildete Mitarbeiter in Ö1 nicht mehr ordentlich eingeschult werden wie im Falle Rainer Elstners, worunter besonders ein fragiles Feld wie die zeitgenössische E-Musik leidet, und dass in demjenigen Teil des Radiokollegs, der der Musik gewidmet ist, zeitgenössische E-Musik fast nicht behandelt wird, - das ist der Niedergang von Ö1.

(7) "Punkt eins" ist seit dem 1. Mai 2017 die mißlungene Umdimensionierung einer nun 54 Minuten dauernden Sendung, die über viele Jahre sehr gut funktionierte, nämlich "Von Tag zu Tag", dienstags bis freitags von 14 Uhr 05 bis 14 Uhr 40. Hier nur nebenbei: "Klartext" könnte von 18 Uhr 10 bis 18 Uhr 55 dauern, und es reichte vielleicht auch. Die ModeratorIn in "Von Tag zu Tag" lud einen Gast ins Studio, selten zwei, noch seltener ein Gast über eine Standleitung, in der letzten Zeit bis zum 30. April 2017 auch über Telefon. Es wurde ein kontroverses oder gelehrtes oder unterhaltsames Thema zu Beginn gut aufbereitet (und so gut wie nie dazu ad personam missbraucht, um einen Schauspielregisseur coram publico fertig zu machen, wie das Barbara Rett vor vielen Jahren in einem "Von Tag zu Tag" von den Salzburger Festspielen tat), sodass das Radiopublikum über Telefon bald mitreden konnte. Jetzt ist alles gleich und doch ganz anders. Ein Gast allein, das ist schon selten, oft sind es zwei, gar drei, und es kann noch jemand von außen dazukommen, sogar erst im Lauf der Sendung. Dem nicht genug, muss nun, der Unruhe nicht genug, Musik dazu, drei oder vier Nummern, meistens ausschnittweise und trotz oft offensichtlicher Kontextsignifikanz unbenannt (und wenn sie benannt wird, wirkt es meistens umständlich). Die Musiken lockern nicht auf, sie unterbrechen das Gespräch. Sie werden in der Wirkung von den zum Teil wenig musik-affinen SendungsmacherInnen zum bloßen Füllmaterial degradiert, werden "als beiwerk hineingarniert (extrem in »punkt.eins« ...)", wie Bertl Mütter zurecht sagt (http://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#Stellungnahme_von_Bertl_M%FCtter) Das Ganze endet jetzt auch nicht mehr mit der Schluss-Signation, die in "Von Tag zu Tag" die ins Gespräch Verstricken sanft ans Ende der Sendezeit erinnerte. Die Eingeladenen sind einander nicht selten Konkurrenz, etwa zwei Segelexperten, die jeweils singuläre Erscheinungen mit ihrer verschiedenen Art und Herkunft sind. Das anrufende Publikum, früher der heimliche Hauptakteur, ist jetzt oft nur mehr geduldeter Funktionär. Die Stimmen im Studio sind manchmal nicht mehr zu unterscheiden. Intelligente und geistvolle ModeratorInnen wie Philipp Blom (promovierter Historiker und renommierter Publizist), Andreas Obrecht (habilitierter Soziologe) oder Barbara Zeithammer (diplomierte Publizistikwissenschaftlerin) wirken seit dem 1. Mai 2017 von der komplexen On- und Off-air-Dynamik der vielen Stimm-, E-Mail- und Musikereignisse genervt und überfordert. Sie wirken durch die mit der Reform einsetzende Themenverflachung zur Talk-Show hin oft überqualifiziert. Eine großartige Wissenschaftsvermittlung wie diejenige Zeithammers mit der Physikerin Ille Gebeshuber ist nun kaum mehr möglich: Einer der Sendungshöhepunkte war der Hinweis auf besonders leuchtende Farben etwa bei nanotechnisch strukturierten Flügeln von Schmetterlingen. ("Im Dschungel finden sich die Lösungen. Bionik und Nanotechnologie - sicher und nachhaltig", http://oe1.orf.at/programm/20161014/445985). Die Auslöschung der Qualitäten von "Von Tag zu Tag" durch "Punkt Eins" mit dessen schon logisch wenig haltbarem Sendungstitel scheint besiegelt.

Auch gleitet "Punkt Eins" insgesamt ins Ungenaue ab wie am 18. 7. 2017 die Sendung "Der Körper im Verhältnis von Grenze und Potenzial - Impulstanz gehört behindert". Moderiert von Kristin Gruber unter Beteiligung der behinderten Vera Rosner, der Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich sowie über schlechte Telefonleitung des Musiker-Tänzers Simon Mayer fiel besonders die banale und irreführend Musikauswahl auf. Sie hatte weder etwas mit dem Gegenstand behinderter (!) Tanz zu tun, noch mit Musik zum Tanz, wie sie auf einem Festival wie Impulstanz zum Einsatz kommt, noch mit Gästen wie Techno-Anhängerin Doris Uhlich. Georg Danzers "Ollas leiwaund", Dean Martins Sway (Quien Sera), Volksmusik von Sons of Sissy und Madeleine Peyroux' verjazztes "Dance me to the end of love" von Leonard Cohen - die Faust aufs Aug'.

Bedenklicher Tiefpunkt punkto Sendungsqualität auf Ö1 war die Sendung am 11. 9. 2017, insbesondere die Minuten 13:30:00 bis 13:35:05 der Sendung "Ihr Baby wird eine Behinderung haben" anläßlich der Kinopremiere von Thomas Fürhapters Dokumentarfilm Die dritte Option, der Abtreibungen nach teilweise späten Pränataldiagnostiken von erwartbar schwer behinderten Kindern gewidmet ist. Es fällt der Gynäkologin und Pränataldiagnostikerin Elisabeth Hacket-Balluch, ins Studio neben Regisseur Fürhapter und Ethnologin Aurelia Weikert von Moderatorin Elisabeth Scharang eingeladen, schon merklich schwer, auch nur auf Scharangs Frage nach dem zu antworten, was Fetozid ist. Aber dem nicht genug, muss die hauptberufliche Dokumentarfilmerin und Spielfilmregisseurin Scharang auch noch einen Ausschnitt (aus Fürhapters Film?) abspielen aus einem Selbsterfahrungsbericht einer Fetozid gerade vornehmenden Frau, die den Bericht selbst (?) vorliest, der drastische graphical details enthält. Pornographie des Grauens. Oder, wenn wirklich aus Fürhapters Film: Wie hat der Regisseur diese heikle Szene in seinem Film dargestellt. Diese nicht nur filmisch wichtige Frage wird erstaunlicherweise von der hauptberuflichen Filmerin Scharang nicht adressiert. Die beiden Studiogästinnen und Thomas Fürhapter tun es in der Sendung übrigens auch nicht. (Dorothee Frank im Mittagsjournal vom 6. 6. 2017 interviewte Museumsdirektorin Danielle Spera über die Aussstellung "Bunker! Architektur des Überlebens" im Jüdischen Museum Wien; Spera fand für die Beschreibung einer Greueltat dezente, aber ausreichend informative Worte, worauf Frank - wenn du's nicht sagen willst, sag's ich - extra noch ordentlich graphical details nachschob. Déformation professionelle? Egal ob ja oder nein: wie kommt das Ö1-Publikum dazu?) Jedenfalls von Scharang und den anderen: kein Kommentar! In einer Sendung, in der es um das Sprechen auch zu Schwierigem geht, breitet sich Sprachlosigkeit aus. Dafür muss Scharang unmittelbar nach der Lesung des Selbsterfahrungsberichts und dem Moment Stille ohne Worte einen unangekündigter Ausschnitt eines notwendigerweise kitschig wirkenden Songs bringen (wenn er es nicht von vornherein ist): "Wonder" von Soap & Skin. Der Song-Titel ist nur auf der Ö1-Website zu erfahren, der Text bleibt in der Sendung unangesprochen und muss extra im Internet gesucht werden, weil die Sängerin absichtlich undeutlich singt, was ja legitim ist. "Wonder" soll trösten. Die Sängerin singt mit Chor vier Mal: "Why we can't be / or see who cuts asunder / like a boor <?> falling a tree / you're the thunder / going under / over me / Don't forget to pray / to keep it away / away from every day / where you wonder." Ausblenden der Musik, Scharang: "So. Die Diskussion im Studio ist sehr heftig weiter gegangen". Schön für Scharang und vielleicht auch für die anderen. Das Ö1-Publikum erfährt nichts davon. So eine Sendungsführung mag vielleicht (!) noch angehen in "Auf Laut", dem einstündigem "Diskussionsformat"/"Live-Talk" für Jugendliche auf FM4 (http://fm4.orf.at/player/20170912/AL; http://fm4v3.orf.at/radio/stories/fm4auflaut), in dem wie bei ähnlichen Sendungen auf Ö3 etliche Musiknummern hineingemischt sind. Aber es ist wohl nicht falsch zu sagen, dass das nicht das Niveau ist, das auf Ö1 erwartet werden darf.

(8) Es ist schon paradox. Dass die Zeit-Ton-Producerin Susanna Niedermayer in einem Zeit-Ton extended (http://oe1.orf.at/programm/20110701/215465) mit Konrad Becker die frühen Ursprünge von Techno und avancierter Clubkultur bespricht und Beckers mitgebrachte gute Beispiele bringt, hätte viel besser zu FM4 und dessen Techno-Sendung "La boume de luxe" gepasst; immerhin bezeugt Niedermayers Ausflug, was auf Ö1 möglich ist. Dass aber Elisabeth Scharang andererseits, als Filmregisseurin von Otto Brusatti in den "Klassik-Treffpunkt" eingeladen und von ihm nach störenden Klängen befragt, ausgerechnet Techno den Daumen nach unten gibt (obwohl bereits der Pianist Pierre-Laurent Aimard im "Klassik-Treffpunkt" der damaligen Moderatorin Haider Tenner gegenüber Techno wertschätzte und die Mozart-Sopranistin Christine Schäfer andernorts dasselbe tat), was sie einmal auf FM4 versuchen sollte, und dann in Ö1 FM4-Talk einschleust - das ist der Niedergang von Ö1.

(9) Die wichtigste Nachrichtensendung ist und bleibt das "Mittagsjournal". Man kann zwar heute jederzeit Verteidigungsminister Doskozil in der Früh aus dem Badezimmer ans Telefon holen. Aber die Möglichkeit, Neues mitzuteilen, bleibt doch sehr auf irgendwie Übriggebliebenes von Vortag und Nacht beschränkt. Der Druck auf das Publikum, schon um 7 Uhr gespannt von einer Sensation aus dem Bett katapultiert zu werden, ist unnötig effekhascherisch. Überhaupt relativiert sich Einzelnes und Kurzlebiges. Substanzieller und nachhaltiger daher das "Mittagsjournal". Dass durch Ankündigung, Werbung und Erinnerung an das "Morgenjournal" im "Mittagsjournal" und zusätzlichem Hype das "Morgenjournal" über die Maßen dem Ö1-Publikum unter die Nase gehalten wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(10) Aber, das "Mittagsjournal" leidet, besonders seit ab 2011 die ModeratorInnen immer mehr Interviews in einer Sendung aufgebürdet bekommen - und es ist auch auch eine immer größere, bereits unübersehbar gewordene Anzahl von Mittagsjournal-ModeratorInnen: Andrea Maiwald, Barbara Schieder, Helene Seelmann, Cornelia Vospernik, Agathe Zuppan, Paul Kraker, Manuel Marold, Franz Renner, Christoph Riedl-Daser, Paul Schiefer, Klaus Webhofer und Christian Williwald (vergangene 12 Monate). Diese Interviews jedenfalls sind zwar spürbar nicht immer live, obwohl alles getan wird, dass die Live-Täuschung nicht offenbar wird. Auch werden mitunter hörbar den ModeratorInnen von den RedakteurInnen wörtliche Notizen vorab übermittelt bis hin zu grotesk voll ausformulierten, geschriebenen Interviews mit den WetterredakteurInnen, die nicht ebenso perfekt dem Publikum "vorgespielt" werden. Aber der Zwang, von Vormittag bis 13 Uhr dauerproduktiv zu sein - und das mehrmals in der Woche auch morgens - , bedeutet für den ORF, dass er sich Geld an BereichsredakteurInnen erspart, und für die betreffende ModeratorIn, schlicht und einfach verheizt zu werden. Während ein Hubert Armin-Ellisen noch 30 Jahre Journalmoderator war - mindestens von Tschernobyl bis 2016 - und fast ebenso lang Werner Löw, der nicht nur die einzelnen Beiträge elegant verbinden, sondern im Live-Interview etwa mit Karim El Gawhary das leidenschaftliche Interesse an Politik zum Knistern bringen und das Gefühl vermitteln konnte, dass wir um 12 Uhr 53 ein Ganzes gehört haben (sollte das auch nur eine Illusion sein, so war für ein paar Momente die Welt, der Mittag ganz und wir selbst waren es auch), werden die heutigen JournalmoderatorInnen kaum über 15 Jahre Dienst hinauskommen. Bei dieser allgegenwärtigen Zuständigkeit für alles und alle kann eine Jornalmoderatorin schon einmal auf die Idee verfallen, einen 30-Sekünder-Kulturbeitrag selbst unter Verwendung eines gerade sich anbietenden O-Tons zu improvisieren. O-Ton überhaupt, noch immer in Zunahme begriffen. Nicht nur das. Ein behutsames Bezugnehmen der ModeratorInnen auf die KollegInnen, deren Beiträge sie ansagten, war ein weiteres wichtiges Element, um das Mittagsjournal zusammenzuhalten. Es sind zwar im Vergleich zu vor zehn Jahren nicht noch mehr Einzelbeiträge, und die Regie läuft meist leidlich ab. Aber heute sind Überleitungen mehr denn je Mangelware. Wenn nicht überhaupt an einen Beitrag direkt die Moderation ohne Überleitung montiert wird, wird viel zu oft spontanes Improvisieren nötig, das immer etwas von Notlösungen an sich hat. Demgegenüber sind Beiträge von Bereichsredakteurinnen mit einem gut geschriebenen und einfach gut vorgelesenen referierender Text vom Aussterben bedroht, zumal nach alter Sitte zwei oder drei Personen befragt werden müssten, wofür heute Zeit und Geld fehlen. Da ist es schon einfacher und billiger, eine (!) Person ins Studio einzuladen (und die Taxirechnung zu zahlen) oder in Deutschland nicht einmal politische Funktionsträger anzurufen, sondern ExpertInnen - die pure Ausnutzerei, gezahlt bekommen die Damen und Herren natürlich nichts. Und schon ist wieder ein Beitrag im Kasten. Dass auf diese Weise keine Erfahrung durch Bereichsredakteure gebraucht wird, scheint der trügerische Schluss in der Ö1-Redaktion zu sein. Aber ja, das ist ja einer der Gründe für den zentralen Newsroom am Küniglberg. Die Folge: Reportage, monologischer Bericht, dialogisches Gespräch verschwimmen immer mehr, zum Leidwesen der ZuhörerInnen, die mit einem zunehmenden Einheitsbrei an Beitragsgattungen abgespeist werden. Am besten alles ins Gespräch, um nicht zu sagen den Talk auflösen, in den das Interview - am besten der RedakteurInnen im Haus - einfließen, die Studio-Kurzdiskussion mit mehreren Personen (von Dorothee Frank in den Nuller Jahren im Kulturjournal eingeführt), das „Live“-Interview von ModeratorIn und O-Ton-Kürzestbeitrag. Klar, dass es so kaum mehr Kommentare, Umfragen, Besuche von innenpolitischen Orten mit ihrer räumlich-akustischen Atmosphäre gibt. Sie immer verschwinden immer mehr aus Aufmerksamkeit: die parlamentarische Berichterstattung, das Gespräch nach dem Ministerrat, Parteitage et cetera. Dass Ö1 und der ORF für das "Mittagsjournal" auf den großen Anchor setzen, dass damit nicht nur die Qualität der Beiträge und die Anmutung der Gesamtsendung, sondern auch die Personen, die den Anchor jeweil verkörpern, belastet werden - das ist der Niedergang von Ö1.

(11) Zudem die überflüssige, nahezu zeitparallele Konkurrenz im ORF Fernsehen mit der ZiB um 6:00, 6:30, 7:00, 7:30, 8:00, 8:30, 9:00, 11:00, 13:00, 17:00 Uhr, weiters der ZiB 100, ZiB 1, ZiB 20, ZiB 2, Spät-ZiB, ZiB 24 und der ZiB Flash. Sie alle sind heute, am Handy, eventuell bequemer abzurufen, weil dort visuell naturgemäß mehr entgegenkommend. Dass diese unnötige Konkurrenz zu den "Journal"-Sendungen vom ORF veranstaltet wird, dass damit dem ungezügelten Machtstreben der Radio-"Information" und infolge der schädlichen Konkurrenz zwischen den Abteilungen von Ö1 zusätzlich Nahrung gegeben wird, - das ist der Niedergang von Ö1.

(12) Experimente wie seinerzeit ein etwas längeres Journal auf Ö3 wie das 15-Minuten-Journal zur Mittagszeit von Christl Reiss und Luis Glück - schon abgesetzt, bevor Ö3-Chef Bogdan Roščić Mitte der 90er Jahre die „Durchhörbarkeit“ als Cash-Cow-Devise ausgab und alles Wertvolle wie Wolfgang Kos’ damaligem Pop-Museum oder „Sport und Musik“ auf Ö3 dran glauben mussten - werden im Radio schon lange nicht mehr durchgeführt. Klar, dass bei dieser Unstrukturieriertheit die Abfolge der je nach Sendung speziell gruppierbaren 18 oer 19 Beiträge des "Mittagsjournals" nach Themen der Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaft, von Österreich und Kultur nicht mehr möglich ist. Dass diese auffällige Unstrukturiertheit innerhalb einer vielteiligen 60-Minuten-Sendung von der Ö1- und ORF-Leitung hingenommen wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(13) Das Interview ist heute vielleicht, medientheoretisch gesprochen, zum allgegenwärtigen und ubiquitären Zwischenmedium geworden, zwischen großen Medien - wie Radio, Fernsehen und Internet - und den einzelnen Sendungsgattungen. Das gilt auch für Ö1 und seine Nachrichtenjournalwetter-Sendungen. Jedoch, konnte man noch vor zehn Jahren sagen, dass Stefan Kappacher sachliche, präzise, unaufgeregte und wirkungsvolle Interviews und Diskussionsrunden führte und darin nur von Gabi Waldner an Kompetenz, Schnelligkeit und Schlagfertigkeit übertroffen wurde, so ist davon heute nur noch wenig festzustellen.

Selbst die "Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung" ist nicht mehr immer gewährleistet (man erinnere Art. I, Abs. (2) von https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555). Aus jüngster Zeit Wolfgang Werth, doppelt voreingenommen zu einer Frage ansetzend: "Da hat der Oberste Gerichtshof die Gefängnisstrafe für einen Asylwerber herabgesetzt, der einen zehnjährigen Buben im <Wiener> Theresienbad aufs Klo gezerrt und dort vergewaltigt hatte ... mit der Begründung, der Mann sei bisher unbescholten. Der Punkt ist: Der Mann war vor der Tat erst seit drei Monaten in Österreich gewesen. Was er im Irak gemacht oder hoffentlich nicht gemacht hat, weiß keiner. Auch SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim im Mittagsjournal hat sich damals gewundert, dass dem Mann Unbescholtenheit angerechnet wurde. ... Warum gibt's dann nicht am nächsten Tag den Initiativantrag der Freiheitlichen auf Änderung des Strafgesetzbuches?" (Wolfgang Werth, Im Journal zu Gast Extra: Marlene Svazek 25. 8. 2017, 18.37-45-18:38:30)

Ein besonders drastisches Beispiel für den Verfall des einstigen Parade-Elements des Mittagsjournals, "Im Journal zu Gast", ist eines der selten gewordenen Interviews von Gabi Waldner: "Im Journal zu Gast - Extra" mit Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek am 9. September 2017. Schon der ungewöhnliche Sendeplatz des Gesprächs am Rand des Mittagsjournals lässt nichts Gutes erwarten (12:32:30-12:55:50). Die Devise ist Polarisieren, wohl zum Zweck des Aus-der-Reserve-Holens, als ob es nötig wäre. Waldner: "'Zusammenarbeit <am Wahlplakat heißt es 'Zusammenhalt'> währt am längsten. Das ist grün.' Und das plakatieren Sie ausgerechnet im annus horribilis der Grünen. Galgenhumor?" Der vorgespielte Zusammenhang geht über die kleine Gehässigkeit nicht hinaus. Waldner: "Peter Pilz, der Abtrünnige ...". Auch das ist falsch, Pilz wurde nicht mehr als Nationalratskandidat der Grünen aufgestellt, erst dann machte er sich parteipolitisch selbständig. Als ob das Gespräch aufgelockert werden müsste und das Gespräch sonst fad' wär, muss bald - Achtung, Vorbild Fernsehen! - ein O-Ton-her. Er macht das Gespräch nur unruhiger. 23 Minuten scheinen Waldner, anders als den anderen Ö1-InterviewerInnen bisher, zu lang. Der O-Ton macht die Grünen-Spitzenkandidatin automatisch zum Objekt einer Stellungnahme, was leicht überheblich von Seiten Waldners herüberkommt. Waldner stellt die grüne Ausländerpolitik (nach dem Austreten von Pilz aus den Grünen) als "blauäugig" hin, unterbricht aber Lunaceks Erwiderung ohne inhaltlichen und Zeitgrund. In dieser Art geht es weiter, jegliches Vertrauen in politische Positionierung aushöhlend: "Der grüne Humanismus ist ehrenwert", aber ... . So macht man Humanismus à la longue zum Schimpfwort, wie seit den 90er Jahren der gute Mensch zum "Gutmenschen" herabgewürdigt werden kann - Waldner extremisiert und unterstellt Lunacek: "Wer nicht Flüchtlinge, Zuwanderer bedingungslos begrüßt und willkommen heißt, der ist kein guter Mensch." Lunacek artikuliert dazu klar: "Ich weiß, dass dieses Bild gerne auch von unseren Gegnern propagiert wird." Whose side are you on, Waldner? Vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist wohl eine Seite zu erwarten, nicht eine politische, aber eine moralisch integre! Lunacek bittet um Gelegenheit, ihre Position des Migrationssystems dazulegen. "Vielleicht kann ich das kurz ausführen." Waldner: "Das mach' ma <Dialekt> bitte später." Aha. Wann, wenn nicht jetzt? Doch Lunacek lässt sich nicht beirren und bleibt bei ihrem Thema "Zusammenhalt ist stärker". Damit wird erkenntlich, dass Waldner in der Deutung des Plakatspruchs komplett danebenliegt. Dort geht es so weiter: "Ja zu gelebter Integration". Waldner lässt nicht locker: "Zum Thema Blauäugig hätt' ich noch einen O-Ton". Wir hören einen Ausschnitt aus einem durch unerfahrene Interviewführung schwachen "Im Journal zu Gast": Der Kabarettist Lukas Resetarits wird auf die Radiobühne zur Politik und mit keinem Wort zur Kunst befragt, geschweige denn zu seiner eigenen. (Mittagsjournal, 2.9.2017) Aber wodurch wäre Lukas Resetarits auf dem Gebiet der Politik ausgewiesen und profiliert? Durch besonders politisches Kabarett? Nein. Resetarits wird von der Ö1-Information eingesetzt, um die Kritik an der Sozialdemokratie von rechts anhand des "kleinen Mannes" zu exemplifizieren. Das wird jetzt von Waldner im Handumdrehen zur "Selbstkritik eines Linken" hochstilisiert, die Lukas Resetarits nie hat äußern müssen, anders als jene, gegen die die "Selbstkritik" führender politischer Oppositioneller in totalitären Staaten als ideologisches Instrument eingesetzt wurde. Lunacek weiß sich nur mit des Grünen Rudi Anschobers Regierungsbeteiligung in der schwarz-blauen Regierung in Oberösterreich zu wehren. Das darf aber nicht weiter zur Sprache kommen. Waldner: "Also ich halte fest, Sie sehen keinen Änderungsbedarf <Lunacek holt hier kurz Atem, um etwas zu sagen> in diesem Politikbereich. - Sie <Waldner richtet sich nun mit direkten Worten untypisch an uns> hören 'Im Journal extra'. Bei mir im Studio Ulrike Lunacek heute." Als ob Lunaceks Stimme und Diktion unbekannt wäre. Waldner: "Ich möchte, Frau Lunacek, mit Ihnen zwischendurch ein paar Punkte aus dem Wahlprogramm der Grünen präzisieren. Das geht, glaub' ich, ganz kurz. Ich bitte daher um ein paar Antworten im Staccato-Stil." Glücklicherweise wird nichts daraus. Waldner hält sich selbst nicht daran. "Sie werben mit einem Mindestlohn von 1.750 Euro. <Waldner setzt Lunacek die Interview-Pistole an:> Sagen Sie hier und jetzt Ihren potenziellen Wählerinnen und Wählern auch, dass das eventuell Jobs kosten könnte!" Waldner desinformiert: "Die Grünen wollen laut Programm auch vegetarische und vegane Ernährung fördern. Wie denn? Essensmarken?" Lunacek sagt "nein" und lacht über diese unfreiwillig komische Zuspitzung, Waldner lacht selbst. Das wichtigste Interview im ORF-Radio verkommt zur Spielwiese. Erbschaftssteuer, Klima, Pendlerpauschale, Feinstaub. Schlagworte ziehen vorbei. Manchmal kommt Lunacek mit Informationen durch. Was Waldner gar nicht mag: "um Ihren Redefluss ein wenig zu unterbrechen". Nur, Lunacek spricht ohnehin höchstens drei, vier kürzere Sätze. Doch dann, der Stil verändert sich in wenigen Minuten, kommt es zum schnellen, ansatzweise gleichzeitigen Sprechen, wie Frauen das können. Waldner: Flüge "fair pay statt mix pay?" (wird nicht erklärt) Lunacek fordert die Kostenwahrheit beim Fliegen. "Vielleicht kann man. - Ja. - Ja." Lunacek bremst sich selbst ein, obwohl sie offensichtlich noch etwas sagen wollte. Waldners Staccato: "4,8% beim Beginn der Grünen <erster Nationalratswahlkampf> - heute auch wieder dort?" Dann Waldners Todesstrafenprognose für die Grünen: "Es sagen auch viele ... grüne Stammwähler, sie überlegen, ob sie nicht doch lieber die SPÖ wählen, weil, wer weiß, ob sich's für die Grünen noch ausgeht. Was, was planen sie gegen diesen Fallbeil-Effekt noch in die Schlacht zu werfen?" Oder: "Sie fühlen sich jetzt, nehm' ich 'mal jetzt an, nicht wie die grüne Trümmerfrau, die jetzt zusammenräumen kommt. ... eher mehr so dieser Optimismus à la Herbert Haupt, der ja in einer ähnlichen Situation vor 15 Jahren gesagt hat: Ich werde mich bemühen, die Rosinen aus dem Feuer zu holen." Lunacek korrigiert die Redewendung und kontert erfahren: "Ich vergleiche mich nicht mit dem Herbert Haupt." Bei aller Ungenauigkeit hat es Charme, wenn Lunacek und Waldner beim österreichischen Frauen-Nationalteam den Fußball nicht treffend beschreiben oder das Wesentliche verfehlen. Lunacek: "Am Anfang, die haben auch aus den hinteren Reihen gestartet". Und Waldner: "Aber die entscheidenden Elfmeter haben sie leider verschossen". Worauf Lunacek auf den Erfolg des Erreichens des Semifinales beharrt.

Dieses Interview ist ein Beispiel dafür, wie sachliche Kompetenz, unaufgeregte Schnelligkeit und Schlagfertigkeit und die Entfaltung von Wirkung in einem Gesamtbild inzwischen von Ungenauigkeit, Verdrehungen des Inhalts und Schlampigkeit in Vorbereitung und Durchführung abgelöst werden können. Dass die Entwicklung des Interviews von Ö1 offensichtlich nicht ausreichend beobachtet und seine Form nicht gepflegt wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(14) Es geht beim Interviewen auch anders, wenn auch bei Interviews geringerer Dauer. Peter Fritz stellte am 12. 12. 2013 Bundespräsident Heinz Fischer kritische Fragen zum Unterbleiben seiner Reise zum Begräbnis Nelson Mandelas wegen der zu halten gewesenen Rede zum Hundertsten von Willy Brandt. Fritz, damals noch aus Deutschland berichtend, hat nur ein, zwei Minuten. Aber in dieser Zeit gibt er präzise, im angenehmen Tonfall, unaufdringlich beharrlich und en passant informativ Fischer die Gelegenheit, seinerseits nicht minder genau und auf dessen unverwechselbare, souveräne Art Stellung zu nehmen zur nicht wahrgenommenen Möglichkeit, mit dem deutschen Präsidenten Joachim Gauck mitfliegen zu können

So mutig wie Fritz war auch Andrea Maiwald im Interview mit Justizminister Wolfgang Brandstetter im Mittagsjournal am 14. 7. 2017, anläßlich "Brandstetter zieht Bilanz. Die 25. Gesetzgebungsperiode neigt sich dem Ende zu" (http://oe1.orf.at/programm/20170714). Alles wird der Reihe nach durchgegangen. Bis die Rede zum Schluss auf Brandstetters Gesetzesentwurf zum Maßnahmenvollzug kommt. Es ist offensichtlich, dass, nachdem vor Kurzem der Maßnahmenvollzug verschärft wurde, eine Ankündigung einer neuerlichen Verschärfung nur Teil der Nationalratswahlkampfs sein kann. Maiwald bleibt in ihren zwei Nachfragen nach einer ersten unklaren Antwort ebenso gelassen wie beharrlich. Sie kann hörbar deutlich machen, dass Brandstetter vielleicht selber nicht ganz wohl ist bei seinem Gesetzesentwurf, indem er zwar seine Unklarheit beibehält, aber doch leicht nervös wird. Dass Geschick und Mut wie in diesen beiden Beispielen von Ö1 nicht stärker übernommen werden, - das ist der Niedergang von Ö1.

(15) Es ist zwar allgemein an den klassischen Medien zu beobachten, aber eben auch an den Ö1-Journalen: Die Journale, nicht nur das "Mittagsjournal", leiden an ungenauer und mangelnder Berichterstattung. So wurde der Name des 15jährigen pakistanischen Mädchens Malala Yousafzai noch Monate nach dem Attentat am 9. Oktober 2012 auf sie, das sie berühmt machte, nicht genannt, obwohl schon am selben Tag eine ausführlichere Internet-Recherche ihre Identität hätte finden lassen. Mit einiger Verzögerung wurde auf Ö1 auch von der Torten-Attacke auf Medienmogul Rupert Murdoch während dessen parlamentarischem Hearing zum britischen Abhörskandal am 19. 7. 2011 um 17 Uhr 54 MEZ (Video-Streaming) berichtet; von ihr war weder im Abendjournal um 18 Uhr von Moderator Fabio Polly, noch im Nachtjournal um 22 Uhr, noch im Mitternachtsjournal um 0.00 Uhr etwas zu hören. Auch von den geplanten US-Sanktionen gegen Russland punkto Energie-Exporte, die am 25./26./28. 7. 2017 bekannt wurden, erfuhr man am 28. 7. kaum mehr als, dass die USA die Energieexporte behindern (wie könnte North Stream überhaupt behindert werden?) und angeblich eigenes Flüssiggas protegieren wollten. Oder worin besteht die dritte Gesetzesänderung für Polens Rechtssystem? Schließlich wartete man in den Journalen ab dem 21. September frühmorgens vergebens auf einen Bericht zum erstmals (!) veranstalteten Laver Cup, der vom 22. bis 24. 9. 2017 auf Anregung von Roger Federer durchgeführt wurde; lediglich am 22.9. um 8 Uhr 17 leitet der zu Sendungsbeginn sich nicht mit Namen vorstellende Moderator des 8-Uhr-Journals wenig spezifisch ein, der 1 Minuten-Beitrag von Daniel Kulovits erwähnte immerhin, dass die Eintrittskarten nach 30 Minuten vergriffen waren, verabsäumte aber zur Bedeutung der singulären Veranstaltung etwas zu sagen, um ja Dominik Thiem möglichst viele Sekunden O-Ton zu geben; auch am 23. 9. um 8 Uhr 08 war nur von einem Sieg von Thiem mit Thiem-O-Ton zu hören. Gewiß, das Internet macht es heute den traditionellen Medien auch inhaltlich schwer. Nur, das Internet ist heute der Informationsstandard, den die Ö1-HörerInnen kennen und mit dem sie gegebenenfalls die Leistungen auf Ö1 vergleichen und beurteilen können. Dass Ungenauigkeit und Unvollständigkeit der Beobachtung in Journalen seit einigen Jahren um sich greift, - das ist der Niedergang von Ö1.

(16) Vielleicht relevanter als diese vergleichweise partikulären Momente war Jean-Claude Junckers Rede zur Lage der Europäischen Union am 13. September 2017 um 10 Uhr. Über sie wurde auch gleich im Mittagsjournal an erster Stelle berichtet. Von von 12:02 Uhr bis 12:05:30 kommt eine kompakte Zusammenfassung von ORF-Brüssel-Korrespondenten Peter Fritz: Junckers Vorschläge bleiben diesseits von Verfassungsänderungen, Juncker vertritt einen wirtschaftlichen Optimismus, er sei selber im Lauf der Jahre durch dick und dünn gegangen, Ost und West müssen punkto Lebensmittel, neues Arbeitsrecht und Gehalt gleichziehen, Rumänien, Bulgarien und vor allen anderen Kroatien sollen in den Schengen-Raum, europäische Gerichtsentscheidungen müssen auch von Ungarn und Polen vollzogen werden, ein Beitritt der Türkei zur EU ist unrealistisch, der Währungskommissar soll zum Finanzminister der EU aufgestuft werden, der Austritt des United Kingdom sollte Anlass für ein entschiedenes Weitergehen der EU sein, der Sondergipfel in Rumänien zum Datum des EU-Austritts der Briten 2019 sollte zum Nachdenken über die Neuanfänge der EU Anlass geben, auf deutlichen Applaus zur Rede Junckers kommen Vorwürfe des EU-Sozialdemokraten-Vorsitzenden Gianni Pitella (nichts zur Jugendarbeitslosigkeit und zu Steuerlichem gesagt zu haben <obwohl Juncker wenigstens eine Digitalsteuer und die Transaktionssteuer streifte>) und der Rechtsaußen Nigel Farrages und Harald Vilimsky zu Wort. Vielleicht hätte Fritz, der meinte, alles sei im Rahmen des Erwartbaren gewesen, noch Junckers Bemerkungen zu den jüngsten Handelsabkommen, zum Pariser Klimaabkommen, zur gemeinsamen zu projektierenden Terroreinheit und besonders zur Migrationsproblematik erwähnen sollen <Junckers etwas längere Ausführung gipfelte im Satz: "Im Mittelmeer rettet Italien die Ehre Europas."> Wie auch immer, Peter Fritz gibt einen passenden Eindruck von der Bedeutsamkeit der Rede, die noch einige Facetten durch Erläuterungsfragen der Mittagsjournalmoderatorin Barbara Schieder dazugewinnt. 12 Uhr 09. Aber ist das alles gewesen? Es mangelt spürbar an einer kurzen Diskussion mit Fritz und einem EU-Kenner wie etwa dem Schriftsteller und Intellektuellen Robert Menasse (Die Hauptstadt, Roman. Suhrkamp, Berlin 2017) oder zumindest mit ORF-Radio-Außenpolitikchef Hartmut Fiedler. Dass gute Beiträge wie dieser nicht mehr von einem Komplement wie etwa einem Kommentar oder ein qualifizierten Interview mit jemandem von außerhalb des ORF die Stirn geboten wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(17) Es sagt sich leichter, als es ist: Ö1 soll Vollprogramm bleiben. Was ist ein Vollprogramm? Der Begriff wurde für das Radio geprägt, wird aber heute kaum mehr als innerhalb des Fernseh-Diskurses verwendet. Das ist ein Fehler. Das Vollprogramm ist keines der Spartenprogramme, auf deren Entwicklung sich Medienanstalten heute beschränken. Das Vollprogramm (Oe1ab1.5.2017Programmschema.pdf) spricht alle an, die sich interessieren für beziehungsweise lieben - eine ganze Ontologie tut sich hier auf - das Entstehende (Rudi. Radio für Kinder, Vom Leben der Natur), die Natur (Vom Leben der Natur), das Wetter (Nachrichten, Journale), das Leben (Menschenbilder, Hörbilder, Moment – Leben heute, Moment am Sonntag, Magazine des Glücks, Gedanken), die Gesundheit (Radiodoktor), das Reisen (Ambiente - Reisen mit Ö1), die Religion (Gedanken für den Tag, Religion aktuell, Im Gespräch), die Politik (Nachrichten, Journale, Journal-Panorama, Europa-Journal, Saldo - das Wirtschaftsmagazin, #doublecheck), den Sport (Nachrichten, Journale), die Geschichte (Betrifft: Geschichte, Dimensionen, Im Gespräch), die Wissenschaft (Vom Leben der Natur, Dimensionen, Wissen aktuell, Im Gespräch, Salzburger Nachtstudio, Kontext - Sachbücher und Themen), die Technik (Digital.Leben, Matrix), die Kultur (Kulturjournale, Leporello, Tonspuren, Ex libris, Klassik-Treffpunkt, Diagonal – Radio fürZeitgenoss/innen), die Literatur (Radiogeschichten, Neue Texte, Contra - Kabarett und Kleinkunst, Du holde Kunst), die Musik (Musiksendungen), das Hören (Radiokunst - Kunstradio, die Hörspiel-Galerie). Es geht also um nichts weniger als die ganze Welt. So muss jedem/r klar, dass es auch um ein Gleichgewicht der aufgezählten Programmteile geht. Wie das Hörspiel seit dem 1. Mai 2017 de facto halbiert ist und über die Jahre die Literatursendung am späten Vormittag unter der Woche immer kürzer wurde, geht es auch der Religion und der klassischen Musik. Für die Literatur etwa meinte Eva Jancak zutreffend: "Ö1, mein, dein, unser aller Kultursender, obwohl da die Literatur auch immer weniger wird". (Eva Jancak: Funkhäuser verkauft man nicht, in: Gerhard Ruiss (Hg.), Funkhausanthologie. Funkhäuser verkauft man nicht! – Textbausteine zur Wiedererrichtung, Wien: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=10951&L= 2016) Dass über die Rolle von Ö1 als Träger eines Vollprogramms im Sinne der Sendeinhalte und der Balance der SendungsmacherInnen spürbar immer weniger nachgedacht wird - das ist der Niedergang von Ö1.

(18) Aber geht Ö1 alle an? Dass wir es mit einem unkompletten und offenen Programmfeld zu tun haben, belegen die inzwischen etablierten Wiener Programme Orange 94.0 und radio klassik, die wie auch immer soziale Marginalisierungen anzeigen und auffangen. Dennoch darf Ö1 den Anspruch des Vollprogramms nicht aufgeben, auch wenn es selbstredend nicht die Musiken der ORF-Radioprogramme Ö3 (Kommerzpop), FM4 (Alternative Mainstream Pop und Clubkultur-Genres) und die neun Bundesländerprogramme, vormals Ö2 genannt (Pop und Verwandtes) abdecken kann und soll. Ö1 darf den Anspruch des Vollprogramms nicht aufgeben aus Gründen repräsentativer Demokratie, so schwer der Begriff der Repräsentation auch aufrechtzuerhalten ist. Es darf dies nicht tun aus Gründen der Welthaltigkeit, die kein anderes der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Programme des ORF auch nur annähernd so gut erfüllt. Aus Gründen der Aufteilung der Programminhalte sollte die Popmusik in Ö1 darauf beschränkt sein, Gegenstand der Erforschung und Reflexion ("Radiokolleg") zu sein. Noch einmal: Es gibt in der ORF-Radioflotte schon drei (!) Sender für Popmusik, Ö3, FM4 und die Bundesländerprogramme. Dass auch aus Gründen eines richtig verstandenen Vollprogramms das Überborden der Popmusik von den MacherInnen von Ö1 und im ORF nicht gesehen und die Balance zwischen den Teilen der Welt diesbezüglich nicht im Auge behalten wird, wie sich am Verfall des Sinns für Religion und für die "Menschenbilder" zeigt, dem nicht entgegengesteuert wird, - das ist der Niedergang von Ö1.

(19) Wie entwirft und positioniert sich Ö1 medial? Wie profiliert sich Ö1 gegenüber dem Fernsehen? Dass Ö1-MitarbeiterInnen zum ORF-Fernsehen gehen, scheint natürlich. Dass die AuslandskorrespondentInnen für Radio und Fernsehen die selben sind, ebenso. Nicht so natürlich ist das für Sendungen, die gemeinsam produziert werden, Ausnahme Neujahrskonzert. Dass "Klartext spezial" fallweise auch in ORF III übertragen wird, wenn auch zeitlich verzögert, bringt Ö1 nichts. Das ORF-Publikum wechselt gleich zum Screen, zumal die Sendung auch von der ORF-TV-Thek gestreamt wird. Klar, dass sich die von Klaus Webhofer eingeladenen Diskutanten verständlicherweise auf die audiovisuelle Sendeform einstellen. Wenn also im Wahlkampf-"Klartext spezial" am 6. 9. 2017 SPÖ-Chef Christian Kern auf FPÖ-Chef Heinz-Christian Straches Anwurf "Kern ist ja der Repräsentant dieser rot-schwarzen Regierung und er wird <Spitzenkandidat der schwarzen ÖVP Sebastian> Kurz sicherlich gut vertreten" nicht mündlich antwortet und den Kopf skeptisch hin- und herwiegt (siehe die Sekunden 2'17" bis 2'25" von https://www.youtube.com/watch?v=KlDTf8plgds), denkt Kern einfach nur daran, dass die Sendung im Fernsehen kommt. Sein Verhalten bestätigt, dass Ö1-HörerInnen sich potenziell oder de facto vom Radio ab- und dem Fernsehen zugewendet haben. Dass Ö1 sich gegen die mit "Klartext spezial" begonnene Übernahme durch das Fernsehprogramm ORF III - das Ö1 der Zukunft? - nicht wehrt oder wehren kann, aber auch dass es keine überzeugende homogene Web-Präsenz, einschließlich auf und gegenüber den bekannten weltweiten Monopol-Plattformen im Verein mit einem klaren Bekenntnis zur monomedialen Qualität von Ö1 gibt, - das ist der Niedergang von Ö1.

(20) Es ist nicht gut, dass Christoph Grissemann den Platz einnehmen wird, den sein Vater Ernst Grissemann mit den Worten "Österreich Eins" seit 1997 in der Hauptsignation von Ö1 inne hat. Nicht weil zwischen "Österreich" und "Eins" nun eine unbegründete kurze Pause eingebaut ist, was sich ändern ließe. Christoph Grissemann, dessen vielleicht beste Sendung, zusammen mit Dirk Stermann, die fiktive Kuppel-Call-in-Sendung "Blech oder Blume" auf dem Sender FM4 in dessen ersten Jahren war, steht zu sehr für seine Herkunft von FM4, für seine Präsenz als Werbesprecher für private Auftraggeber und für den Late-Night-Talk "Willkommen Österreich" in den Fernsehsendern ORF 2 und 3sat, als dass das Radio von Ö1 mehr von ihm hat als eine gute Stimme. Was verbindet ihn, der im ORF Fernsehen freimütig zugibt, schon vor Jahren das letzte Mal Ö1 gehört zu haben, mit dem Radioprogramm Ö1 anderes als sein Vater und die Bekanntschaft mit Ö1-MitarbeiterInnen aus der Radiokantine? Nichts, wie er selbst zugibt. Anders Ernst Grissemann. Er war zum Zeitpunkt der Einführung der Hauptsignation ein allgemein bekannter und anerkannter Radiomensch. Er hatte als Hörfunkintendant von 1979 bis 1990 Ö1 behutsam modernisiert und zwar nach dem erfolgreichen Aufbau eines noch vielfältigen Ö3, das mit Grund qualitativ mit Ö1 verglichen werden kann - die Übertreibung eines Radiohörers enthält ein Körnchen Wahrheit: "Diese große Bandbreite, das das Sendeschema von Ö3 damals präsentierte, prägte und erweiterte mein musikalisches Bewusstsein nachhaltig. ... das war ein zusätzlicher Raum in unserer engen Wohnung, ein Fenster zur Welt, eine Höruniversität im Kopf und auch ein Fest der Stimmen. ... Heute ist Ö1 das neue Ö3". (Rudolf Habringer: Meine Geschichte mit dem Radio, in: Gerhard Ruiss (Hg.), Funkhausanthologie. Funkhäuser verkauft man nicht! – Textbausteine zur Wiedererrichtung, Wien: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=11134&L= 2016) Dass Ö1 auf keine bessere Idee bei der Suche nach dem/r neuen SprecherIn für die Ö1-Hauptsignation kam, - das ist der Niedergang von Ö1.

(21) Das für den Ö1-Quiz-"gehört.gewusst" die Casinos Austria als Betrieb ohne Konkurrenz, quasi Staatsbetrieb (der aber sehr wohl mit Privaten in Konkurrenz steht) der auf Ö1 beworbene Sponsor ist, möchte man Ö1 verzeihen, auch wenn es hier gegen das gesetzliche Werbeverbot verstößt: "§ 14. ... (4) Eines der österreichweiten Programme des Hörfunks gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 hat von Werbung frei zu bleiben." (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785 Zugriff 25.9.2017) Anders liegt die Sache bei den in Ö1 werbenden Zeitungen. Dass Die Presse der offizielle Festspielpartner von Ö1 ist und die Ö1-Sendung "Im Gespräch" fallweise "In Zusammenarbeit mit der Tageszeitung DER STANDARD" (siehe zum Beispiel http://oe1.orf.at/artikel/634364) öffentlich veranstaltet wird, dass auch der monatliche Ö1-"Pasticcio"-Preis von einer Jury mit Standard-Musikredakteur Ljubiša Tošić vergeben wird, das alles bringt eine unscheinbare, aber nicht ganz unwichtige Konsequenz mit sich. Die Presse und Der Standard können zwar über gewisse Interna des ORF berichten, aber keine inhaltliche Kritik an den Programmen des ORF üben, ausgenommen Tatort. Es läuft darauf hinaus, dass Die Presse und Der Standard punkto Ö1 mundtot gemacht werden. Die anderen Printmedien, die sich vielleicht auch eine der sogenannten Partnerschaften mit Ö1 erhoffen, tun infolge gut daran, es sich lieber erst gar nicht mit dem ORF zu verscherzen. Damit wird die so dringende Medienkritik ausgehöhlt, insbesondere die Radiokritik. Dass Ö1 sein Monopol auf Kritik an seinem Programm ausbreitet, sich damit in Zeiten zunehmend nötiger werdender Kontrolle weitgehend immunisiert und dass flankierend die Gefahr nicht wahrgenommen wird, dass das Morgenprogramm mit immer kürzeren Musikstücken klammheimlich zur Werbefläche verkommt und die unerträgliche Zunahme der Ö1-Eigenwerbung noch immer keine Grenzen kennt, - das ist der Niedergang von Ö1.

(22) Der einstige Gesprächsleiter des Fernseh-"Club 2" und von "Im Gespräch" und heute begehrter Partner für öffentlich veranstaltete Dialoge Peter Huemer meint: "Vor einem Jahr hat der Architekturprofessor Friedrich Kurrent, ein Holzmeisterschüler, an den Generaldirektor des ORF einen Brief geschrieben: 'Herr Wrabetz, lassen Sie das Funkhaus in Ruhe!' ... Der Satz von Kurrent ist wichtig und kann ergänzt werden: 'Herr Wrabetz, lassen Sie Ö1 in Ruhe!' ... der Gebührenanspruch hängt wesentlich an Ö1. Dafür zu zahlen, versteht jeder. Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs Karl Korinek bezeichnet Ö1 als 'derzeit die einzige Rechtfertigung für die Bevorzugung des ORF, insbesondere auch durch die Gebührenfinanzierung.'" (in: Gerhard Ruiss (Hg.), Funkhausanthologie. Funkhäuser verkauft man nicht! – Textbausteine zur Wiedererrichtung, Wien: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=11182&L= 2016)

So klar das allen sein sollte, ebenso klar sollte allen sein, dass Ö1 über die gewiss nicht unbescheidene Gebühr von € 7,33/Monat (Wien) für alle vier (!) ORF-Radios zusätzlich Gelder lukrieren können sollte. Schon taucht der politisch-prozedurale Moloch auf, der das erst einmal genehmigen muss. Wie dem auch sei, es ist schon etwas verstörend für die langjährige Ö1 HörerIn und Rundfunk-Gebühren-ZahlerIn, dass seit Jahren auf der ganzen Ö1-Webseite nicht einmal die Möglichkeit angegeben wird, etwas für die - anders als beim ORF-Fernsehen - uneingeschränkten und sogar noch 7 Speichertage erweiterten unentgeltlichen Internet-Dienste für das Abrufen aller Sendungen, noch gänzlich ohne die verbotene Werbung, zu spenden. Eigentlich sollte es eine Pay-wall geben. Was aus Image-Gründen wohl kaum möglich ist. Aber ja, darüber, dass die AnaloghörerInnen "brav" Gebühr zahlen und die DigitalhörerInnen wie selbstverständlich nicht, schaut man großzügig hinweg. Bezeichnenderweise wird das beim offensichtlich geringen medienpolitischen Interesse am öffentlich-rechtlichen Radio nicht diskutiert. Doch in Zeiten, in denen hör- und sichtbar Ö1-MitarbeiterInnen abgebaut werden, muss eine Spendenmöglichkeit wie etwa seit geraumer Zeit bei der privaten Medieninstitution "The Guardian" möglich sein. Dass Ö1 nicht einmal daran denkt, zusätzliche Geldquellen zu erschließen, indem es sich direkt an die HörerInnen wendet - das ist der Niedergang von Ö1.

(23) Ö1-Chef Peter Klein will alle Ö1-"Schätze frei zugänglich machen" und das Archiv allen öffnen. (Mittagsjournal, 21. 4. 2017, Minute 12:43 ff.) Aber die Realität ist eine andere: "Gerne hätten wir Ihnen heute eine Ausgabe der skurril anmutenden Sendung 'Achtung, Sprachpolizei!' präsentiert. Doch in unserem digitalisierten Hörfunkarchiv findet sich nicht viel mehr als die Kennmelodie dieser Sendung". "Und hier kommt noch ein Beispiel des Verlusts. Die Sendung 'Lieben Sie Klassik?' ... Aus den knapp dreißig Jahren ist im digitalisierten Ö1-Archiv keine einzige Sendung zu finden. Dass wir nun doch einen dreiminütigen Ausschnitt aus einer nicht genau datierten Ausgabe von 1991 spielen können, das verdanken wir dem Dokumentationsarchiv Funk, das eigentlich nicht der Dokumentation von Sendungen, sondern jener von radiohistorischem Material gewidmet ist." (Museumsdepot der Meisterwerke. Ö1 Kunstsonntag: Museum der Meisterwerke. Moderation: Anna Soucek, 24.9.2017 19 Uhr 30 bis 24 Uhr, http://oe1.orf.at/programm/20170924, 20:40:00-20:40:10 und 20:44:00-20:44:40) Angesichts dieser Lücken, kommen Klein und die Seinen aber nicht auf die naheliegende Idee, das Publikum in einer öffentlichen Aktion um seine Aufnahmen zuhause zu bitten, um dieses Archiv auch nur um das Wichtigste ergänzen zu können. Zu wie vielen Aktionen wurden die ZuhörerInnen nicht schon zur Beteiligung eingeladen? Und 1968 bis 1996 ist die Zeit der Tonbandgeräte - nicht wenige Menschen haben "Lieben Sie Klassik?" aufgenommen, und der ehemalige ORF-Archivar Peter Dusek wäre vielleicht gern mit Hinweisen zur Suche nach akzeptablen Tonbändern bereit. Noch immer würde eine solche Archiv-Aktion Sinn machen; die Namen der donors (oder doch donators?) könnten auf der Ö1-Webseite gelistet werden wie die Sponsoren in Konzerthäusern. Dass Ö1 nicht auf diese Ideen kommt - das ist der Niedergang von Ö1.

(24) Es war schon seit einigen Jahren zu spüren: Der Sonntagabend lag brach. Die Hauptsendung um 19 Uhr 30 - nach der gehaltvollen, aber etwas unglücklich betitelten Sendung "Motive – Glauben und Zweifeln" - war über viele Jahre der klassischen Kammermusik gewidmet, für die es abgesehen von vereinzelten Auftritten in "Konzert am Vormittag" und "A Propos Musik" keinen Platz gab. Entscheidend war, dass es wirklich sehr gute Kammermusik-Konzerte waren, auch mit renommierten KünstlerInnen. Das wurde offensichtlich zu teuer. Immer seltener kam die Musik aus dem Musikverein, dem Konzerthaus, von den Salzburger Festspielen. So rückte die übrig gebliebene, vom ORF mitproduzierte Schubertiade in Vorarlberg in den Vordergund. Orgelkonzerte mehrten sich und kamen nur mehr von der Orgel im Großen Sendesaal des Funkhauses. Zudem verlor der Termin seine StammmoderatorInnen. Der Eindruck kam auf, dass die Sendung vernachlässigt wurde und dass sich am Sonntag Abend niemand so recht Zeit für sie nehmen wollte. In den letzten Jahren drangen vermehrt Orchesterkonzerte, Live-Übertragungen einschließlich der für diesen Sendeplatz gänzlich untypischen Opern. Schließlich wurde die Intensität von Übertragung - auch im psychischen Sinn - ganz heruntergefahren durch die Werbe-Sendung "Heimspiel – die Woche im RadioKulturhaus" um halb zehn, um dann Ö1 erst wieder ab zehn mit Kabarett und der Sachsendung über digitale Medien Fahrt aufnehmen zu lassen. Den bewährten abstrahierend transzendierenden Schlußpunkt der Radiowoche bildete ab elf "Kunstradio - Radiokunst", die Stunde, in der mit dem Radio im Radio experimentiert und das Radio künstlerisch reflektiert wurde.

Jetzt ist alles anders, und es ist alles andere als besser: Keine Sendung zeigt das Unvermögen zu Innovationen auf Ö1 mehr als der heuer im Mai eingeführte abendliche "Kunstsonntag" - die programmlichen Änderungen wochentags von 10 bis 16 Uhr stehen dem in kaum etwas nach.

Der "Kunstsonntag" von 19 bis Null Uhr: Als ein unrühmliches Novum für eine Sendestrecke, die meistens und zum größten Teil nicht live ist, gibt es keinen offiziellen Platz für die zum Teil zeitlich und gedanklich aufwendigen Moderationen, die die HörerIn den ganzen Abend hindurch begleiten und binden sollen. Das führt zu Reibungen und kleinen Ausfällen, wenn die Zeit knapp wird. Es wird also vom Ö1-Publikum erwartet, dass es knapp fünf Stunden hindurch an der Radiostrippe bleibt. Erwartet wird von der HörerIn disziplinierte Anstrengung. Nicht umgekehrt darf sich die HörerIn die Entspannung erhoffen, für die der Sonntagabend bis jetzt stand.

"Ö1 Kunstsonntag: Contra", 19.04 bis 19.30 Uhr. Bereits am 28. Mai schert die Kabarett-Sendung "Contra" aus dem Kunstsonntag aus. Warum? Weil die Anmoderation der knapp fünf Stunden der Sendung wertvolle Minuten kostet? Weil "Contra"-Sendungsleiterin Doris Glaser mit "Kunst" nichts zu tun haben will und bei der Hörfunk-Leitung ihren Eigensinn durchsetzte? Gewiss etwas langatmig ist die Kunstsonntags-Kennung, gespielt vom Gitarristen Wolfgang Muthspiel, dem Bruder des für alles Signations verantwortlichen Christian Muthspiel. Zudem spielt hier Wolfgang Muthspiel modernistischen Jazz in zwei Tonspuren mit sich selbst, was die Jazzlastigkeit des Sonntagabends vorwegnimmt, die nicht der Musikfarbe von "Contra" entspricht.

"Ö1 Kunstsonntag: Radiosession", 19.30 bis 20.15 Uhr. Bertl Mütter trifft es cum grano salis: "kollegen forçieren ... jingles von werken anderer moderatorenkollegen". (http://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#Stellungnahme_von_Bertl_M%FCtter) Beabsichtigt oder unfreiwillig rückt Muthspiels Doppelspur-Signation die Gitarristen Helmut Jasbar und Klaus Wienerroither ins Rampenlicht, die für die (Jazz!-)"Radiosession" zuständig sind und diese moderieren. Letzterer der beiden, Wienerroither, nahm einmal einen Platz im österreichischen Jazz-Nachwuchs ein als Gitarrist im Stil des Jazz der späten 60er Jahre, deutlich gegen Free Jazz gerichtet, welchen Wienerroither teilweise verkennt, so in der sogenannten "'Milestones'-Sonderausgabe" vom 15. 8. 2017 von 13 Uhr 10 bis 14 Uhr: "das Album 'The Real McCoy' ... klingt anders: Viel erdiger, funkiger und unbeschwerter als bei Coltrane." (http://oe1.orf.at/programm/20170815). Jedenfalls zeigt Muthspiels Signation an, mit wem in der gleich folgenden Sendung um 19 Uhr 30 die einzuladenden Jam-/Vamp-Gäste spielen müssen oder dürfen: mit den Gitarristen Jasbar und Wienerroither. Bertl Mütter hat recht, wenn er schreibt "leute promoten sich da selber als all-stars" (http://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/2017.2.html#Stellungnahme_von_Bertl_M%FCtter) und damit den Interessenkonflikt von Wienerroither und Jasbar anklagt, die unter den Verdacht geraten, die "Ö1 Kunstsonntag: Radiosession" für ihre partikulären Zwecke auszunützen. Die Sendung neigt zu promotion von jungen und eher unbekannten Musikern, da diese am wenigsten kosten und jede Gelegenheit on air ergreifen. Eine Selbstdefinition der Sendung unterbleibt übrigens (http://oe1.orf.at/oe1kunstsonntagradiosession) ebenso wie die des Ö1-Kunstsonntags als Ganzem (http://oe1.orf.at/sendereihen?letter=k). Aber es zeichnet sich hier programmatisch klar eine traditionellere Jazz- und eine sanft gelöste Rockimprovisation ab, die eben ganz auf die partikulären persönlichen musikalischen Vorlieben der beiden Sendungsgestalter zugeschnitten ist. Große Bereiche wie Free Jazz, free improvisation (ab den späten 60er Jahren), Neue Elektronische Musik und eine Improvisation, wie sie heute auch in den Konzertsälen der E-Musik gemacht und an Musikuniversitäten in Abteilungen für zeitgenössische E-Musik unterrichtet wird, bleiben vom persönlich geprägten Tellerrand ausgeschlossen. Aber ist nicht Ö1-Jazz-Chef und Musikwissenschaftler Andreas Felber mit mehreren Schriften zum Free Jazz in Erscheinung getreten, etwa mit seiner voluminösen, gedruckten Dissertation Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde? (Felber 2005) Im Übrigen war der Sinti-Jazz von Gewürztraminer am 10. 9. 2017 gar keine "Radiosession" mehr, sondern einfach ein Konzert mit gut eingeübten Nummern, in deren letzter Wienerroither "jammend" seine Improvisation einbrachte. Und es war auch NICHT live, indem Hauptmoderator Hans Groiss die letzte Nummer des Sets im fade-out auslaufen liess und ohne Verweis auf Liveness absagte.

"Ö1 Kunstsonntag: Tonspuren", 20.15 bis 21.00 Uhr. Die Sendung ist gegenüber der Programmreform zum 1. Mai 2017 unverändert und wird am dienstags um 16 Uhr 06 wiederholt. In Anknüpfung an früher wird sie ohne Rücksicht auf eine mögliche, wenn auch faktisch nie vollzogene Schwerpunktbildung im "Kunstsonntag" produziert. Es handelt sich also um ein nicht am "Kunstsonntag" ausgerichtetes Literaturfeature, eine Sendung sozusagen am Rande der Kunst, in der der diskursive Anteil über Literatur die künstlerischen Gestaltungsanteile überwiegt. Daher die etwas fremde Anmutung innerhalb eines Kunstsonntags.

"Ö1 Kunstsonntag: Milestones", 21.00 bis 21.40 Uhr. Es folgt auch sogleich die Rückkehr zum Jazz mit einem Sendetitel, der auf Miles Davis' klassische Cool-Phase mit dessen gleichnamigem Album anspielt. So brachte denn auch Ö1-Jazzchef Andreas Felber - die Sendung mit kompletten LPs hatte Felber kompetent, perfekt geschrieben und in angemessener Fassung vorgetragen bereits gelegentlich angedeutet mit The Inner Mounting Flame des Mahavishnu Orchestra in der Jazznacht auf den 20. 11. 2011 oder Eric Dolphys Out to Lunch! in "Spielräume spezial" zu Fronleichnam 2014 - Davis' "Milestones" programmatisch in der ersten Sendung, obwohl eigentlich "Kind of Blue" das legendäre Album ist - legendär, so die Eigendefinition laut http://oe1.orf.at/oe1kunstsonntagmilestones: "Meilensteine der Jazzgeschichte, legendäre Alben". Schon mit den bisherigen 17 Sendungen zeichnet sich ein allzu schmaler thematischer Zuschnitt ab, sodass der Sendereihe die Meilensteine bald ausgehen werden. Was ist "legendär"? Antwort: legendenumwoben, weshalb die HörerInnen auch ein Anrecht auf so etwas wie Legenden haben. Sicher sind Benny Goodmans Famous Carnegie Hall Concert (Andreas Felber, 4. Juni), Dorothy Ashbys Afro-Harping (Marlene Schnedl, 6. August), Carla Bleys als Jazzoper noch nie aufgeführtes Werk Escalator Over The Hill (Johann Kneihs, 16. Juli) und Thelonious Monks Genius of Modern Music <1> + 2 (Gerhard Graml) ausgewiesene Meilensteine. Aber war Dave Brubeck/Paul Desmond 1975: The Duets wirklich ein Meilenstein? Felber, der das Album am 17. September vorstellte, muss einen starken Gegensatz aufbieten und konstatiert wenig überzeugend etwas holzschnittartig eine "romantische Tendenz ... als Gegenbewegung zum elektrifizierten, dezibelstarken Bombast des Rockjazz wie auch, so ergänze ich selbst, zur Ästhetik des expressiven Schreis im Free-Jazz. ... Dave Brubeck und Paul Desmond setzten dem ein höchst persönliches introspektives Statement entgegen als leisen, sensiblen, aber umso eindringlicheren Kontrapunkt." Und bereits in der Sendung am 3. September mit Louis Armstrongs Hot Five und Hot Seven gab es kein legendäres "Album". Wienerroither blieb den Hinweis schuldig, dass - aus welchen Gründen? - diese Musik aus den 1920er Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nie auf LPs zusammengefasst und anscheinend erst im Jahr 2000 in einer 4-CD-Box als Hot Fives & Sevens einem breiten Publikum zugänglich wurde. Ob nicht Felber Ornette Coleman's Free Jazz dessen In All Languages 1987 am 2. Juli vorziehen hätte müssen, wäre ebenso zu fragen wie, ob Live at "The Club" des Cannonball Adderley Quintet nicht einfach nur wegen der Nummer "Mercy, Mercy, Mercy" legendär ist (Albert Hosp, 10. September). Fraglos legendär ist Heavy Weather von Weather Report (20. August), wobei Wienerroither zum letzten Stück der B-Seite konstatierte, "ich vermeine ... Le sacre du printemps herauszuhören" - und wenn das zutrifft, ist doch die Frage: Ist das gut oder schlecht für das Stück? Ist die Art und Weise der Anleihe des komponierenden Jaco Pastorius gut oder schlecht? Einfach nur auf die Tatsache hinzuweisen, ist oberlehrerhaft. Auch unterschlug Wienerroither die Nummer "Rumba Mamá" - weil es die einzige Live-Nummer des Albums ist und etwas herausfällt? Weil die Nummer von den beiden Perkussionisten stammt, die anders als Zawinul, Shorter und Pastorius unbekannt geblieben sind? Oder einfach weil 40 Minuten Sendezeit nicht ausreichen, wenn ein Album zur Gänze vorgespielt und kommentiert werden soll? Diese simple Tatsache der Begrenzung der Zeit wird "Milestones" von vornherein zu keinem großen Erfolg lassen. Ist es diese unbequeme Situation, die die Musikredakteure von Ö1 auf bewährte Meilensteine der Jazzgeschichte zurückgreifen lässt? Sicherlich. Nur wie? Leider nicht in jazzkritischer, sondern eher in jazzantiquarisch-sentimentaler Geschichtsschreibung. Dazu passt, dass die Sendung wie "Radiosession" eher traditionell profiliert ist. Neben der Aussparung von Free Jazz (Mingus, Coleman, Dolphy, Sun Ra, Ayler, Coltrane, Brötzmann ...) werden Jazzrock-Bands - Felber führt seit Neuestem für den früher auch Fusion-Jazz genannten "Jazzrock" richtigerweise die Bezeichnung "Rockjazz" ein - wie etwa Blood, Sweat & Tears oder Flock nicht berücksichtigt so wie auch Acid Jazz von Kruder & Dorfmeister oder St. Germain beziehungsweise Ambient Jazz wie von The Necks nicht. - "Milestones" dauert am 10. 9. 2017 von 20:58:00 Uhr bis 21:35:15 Uhr. Die Übergabe des "Milestones"-Moderators Albert Hosp an "Ö1 Kunstsonntag"-Moderator Hans Groiss funktioniert. Doch Groiss ist wenig inspiriert, die Überleitung zur nächsten Sendung bis 21:37 Uhr passt weder zum Jazz der 60er Jahre noch zur mit Jazzgitarrensignation eingeleiteten Sendung "Neue Texte". Ein Ausschnitt von "Taschenrechner" von Kraftwerk soll auf "Neue Texte" einstimmen. Befremdlich.

Exkurs in die Ö1-Jazznacht. Joachim Ernst Berendt sagte einst in seinem Ö1-Selbstporträt "Der neue Mensch wird ein hörender sein" ("Menschenbilder - die Sendung vom geglückten Leben", 21. Juli 1991), dass der Jazz entwicklungsmäßig nicht über das Jahr 1980 hinausgekommen sei. Tatsächlich stammt der solitäre Erstling Tango From Obango des Vienna Art Orchestra aus 1980. Die Brecker Brothers, auf die Frank Hoffmann in seinen Ö1-Jazznacht-Ausgaben immer wieder hinweist, brachten in der Phase des Cool-down des Fusion Jazz und in der Rückkehr zu traditionellerem Instrumentarium um 1980 kurzzeitig eine eigene harmonisch-melodische Struktur zuwege. James Blood Ulmer, Defunkt, The Lounge Lizards mit ihrem ersten Album 1981, kaum später Christian Marclay, John Zorn (Do-LP Locus Solus, dann seine Naked City), Elliott Sharp, Fred Frith und Zeena Parkins. Aber dann? Was kam Genuines, Genrebildendes, Stilprägendes danach und kommt heute? Ist der Jazz - anders als die Dopplung der Popmusik in den Mainstream (Ö3) und Alternative Mainstream (FM4) (http://homepage.univie.ac.at/peter.mahr/994f4-08.html) - heute nicht drauf und dran, sich ähnlich der Verdopplung der Kunstwelten der bildenden Kunst (Mahr 2003, 53f.) in eine professionelle Jazzwelt und eine Jazzwelt der Freizeit zu verdoppeln? Das heißt, in einen öffentlichen (Kunst?-)Jazz und einen wie auch immer hausmusikähnliche Züge tragenden Haus-/Kleinclub-Jazz? Das jedenfalls zeigt die enorme Zahl technisch perfekter, in Jazzschulen ausgebildeter junger JazzmusikerInnen an, die seit einigen Jahren von Andreas Felber unermüdlich "mise en abyme" (So 27.8.2017, 02:35:35) in "Ö1 Jazznacht", "On Stage" und Felbers Donnerstags-"Spielräumen" vorgestellt werden. Diese MusikerInnen werden sich nicht alle in den wichtigen Venues, den raren erfolgreichen Plattenlabels und den wenigen Jazzmagazinen durchsetzen. Andererseits gravitiert der arrivierte fortschrittliche Jazz in das Feld der zeitgenössischen E-Musik und ihrer institutionellen Kompositionserfordernisse, wie umgekehrt Call Boys Inc. 2 von 1990 oder Bernhard Langs <trio x 3> am New Jazz Meeting Baden-Baden 2002 ein umgekehrtes Eindringen bezeugen. So jüngst auch Gerald Preinfalk am Jazzfestival Saalfelden, wie in der 66. Ö1/WDR3-Jazznacht vom Samstag, den 26. auf Sonntag, den 27. August 2017 zu hören war. Es fiel die teilweise im Vierteltonspektrum notierte "Suite 1" von Gerald Preinfalks Ensemble Prine Zone durch einen jazzunüblichen forcierten Rubato-Teil auf, der mit kleinem Bläsersatz und Sopransaxophon beginnend bald nur mit Viertelton-Pianola das Sopransaxophon begleitend und ab 3 Uhr 56 nur das Pianola mit Schlagzeugbegleitung solieren liess, Stillstände einzog, um etwas später einen noch zurückgenommeneren kleinen Bläsersatz erklingen zu lassen. Sehr schräg. Originell. (03:05 bis 04:07 Uhr, besonders 03:54:00-3:58:30) Und doch: Vielleicht hatte der WDR-Moderator an Andreas Felbers Jazznacht-Seite recht, wenn er das Programm der Nebenschiene des Festivals als teilweise interessanter befand. Hier traten die Rapperin Yasmo und die begleitende Klangkantine auf, beherzt Songs vortragend, die schmerzhaft daran gemahnten, dass es heute trotz der vielen frisch ausgebildeten beeindruckenden SängerInnen kaum avancierte Interpretationen von Jazz-Standards gibt. (vgl. "Einer dieser Tage" http://derstandard.at/2000063070245/Live-in-der-STANDARD-Redaktion-Yasmo-die-Klangkantine)Jedenfalls brachte die "Jazznacht" noch von der Hauptbühne ein Set mit der Band 5K HD um Mira Lu Kovacs (erinnert angenehm an Joni Mitchells Jazzphase), das eher wie Rock, wenn nicht überhaupt wie Trip-Hop und rhythmisch entwerkter Radiohead anmutete und kaum Improvisation enthielt (Ausnahme: Nummer "„And To In A“" und "Trouble Boy") und auch kein Solospiel, somit auch kein virtuoses Instrumentalspiel. Es folgten die harmonisch simpelste, improvisationslose, dafür umso pathetischere Sinikka Langeland, Mats Gustafssons mehr rockiges als jazziges, gut komponierendes und improvisierendes NU ensemble mit "Hidros 8 Heal" inklusive dem "besseren" Robert Fripp in Person von Martin Siewert, dann Michael Riessler, Steve Lehman & Sèlèbèyone mit zwei Rappern spektralmusikinspiriert, eine Stunde lang The Necks mit einer "Séance, ein Konzert als meditativer Akt, als Übung in Sachen Trance", (Andreas Felber, 04 Uhr 59), bevor das Brian Marsella Trio mit John-Zorn-Kompositionen (The Book of Angels) die Ö1-Jazznacht etwas konventioneller abschloss. Saalfelden, wohl eines der wichtigen Jazzfestivals, gemessen an der enormen Tradition und Vielfalt des Jazz wie der Neuen Musik seit 1900 heutzutage die Frage nach Innovation vorsichtig stellend. - Vielleicht müsste von Zeit zu Zeit auf Ö1 im Zuge der deutlichen Ausweitung des Jazz mit der Programmreform zum 1. Mai 2017 die theoretische Vermittlung des Jazz adressiert werden. Fachsimpeln! Ein Todesfall wie das Ableben des eminent einflussreichen Free-Jazz-Forschers Ekkehard Jost am 23. März 2017 hätte Gelegenheit geboten, Ines Reiger in der Jazznacht vom 25. auf den 26. März oder Felber in seinen Donnerstags-"Spielräumen" am 30. März oder seiner Jazz-Nacht vom 1. auf den 2. April den Ball aufnehmen zu lassen.

"Ö1 Kunstsonntag: Neue Texte", 21.40 bis 22.00 Uhr. Unveröffentlichte "Neue Texte". Ihre Tonalität verweist allgemein ein bisschen zurück auf die der "Tonspuren", die "Texte" bleiben aber letztlich ebenso solitär wie jene. Das ist der folgenden Sendung geschuldet. Die Nachrichten reißen in ihrer unliterarischen und realitätsstachelhaften Art aus der poetischen Stimmung heraus - offensichtlich die mehr als hörbare Keule der Kulturlosen im Kultursender Ö1, die zur selben Zeit lieber Tatort und Polittalk fernsehen. Auch hier muss Ö1 offensichtlich sparen, sodass die vor ein paar Jahren von ORF Kärnten schändlich abgesetzte Bachmannpreis-Organisatorin Michaela Monschein am 10. 9. 2017 nicht nur in den neuen Text einführen, sondern zum Teil auch selber lesen muss; die Sendung endet mit anonym bleibender romantischer Klaviermusik von 21:50:50 Uhr bis 21:56:30 Uhr, um bis 21:56:45 Uhr abmoderiert zu werden. Es folgt wieder ein Ausschnitt aus Kraftwerks "Wir sind die Roboter", dieses Mal mit Groiss' überleitenden Worten, und auch schon seinem Abschied für den Abend - hin zum "Live vom Ars Electronica Festival 2017 in Linz aus der Post City" nach den Nachrichten, der einzigen (befremdend) pünktlichen Sendung des "Kunstsonntags". Es ist 22:00 Uhr.

"Nachrichten" 22.00 bis 22.05 Uhr. Korrekter-, aber inkonsequenterweise wird das Element "Nachrichten" nicht als "Ö1 Kunstsonntag: Nachrichten" bezeichnet. Wie könnte es auch? Kommt es doch aus der Radio-"Information", und da kennt man keine Faxen! Das Element "Nachrichten" ist für das Großprojekt decouvrierend. Zeigt es doch allzu groß die Heterogenität der Sendungen des Sonntagabend an, die ein Ganzes ergeben sollen. So kommen "Neue Texte" und "Tonspuren" ebenso wie "Zoom->In" aus verschiedenen Redaktionen. Ihnen und ihren Sendungen hört man die Unterschiede auf mehr als einer Ebene an.

"Ö1 Kunstsonntag: Zeit-Ton extended", 22.05 bis 22.55 Uhr. Dem "Kunstsonntag: Zeit-Ton" fehlt es von allen anderen Sendeteilen des Sonntagabend am allermeisten an Konzept. Da gibt es, selten, die hochinteressanten Musikauswahlen von eingeladenen Komponisten wie Bernhard Lang, die weniger interessante Self-Promotion von Festival-Intendanten, ein plötzliches Wiederaufleben einer von drei auf eine Stunde geschrumpften "Jet Lag All Stars Radio Show", drei Ausgaben von Auswahlen aus der Festival-Plattform Shape für Projekte audiovisueller Kunst, eine Sendung zu einem Song-Projekt des Gitarristen Raphael Roginski mit der Sängerin Genowefa Lenarcik oder eine Sendung zu Gérard Grisey von einem der diesjährigen Schwerpunkte der Salzburger Festspiele, die keine Grisey-Sendung ist - was ist von all diesen "Zeit-Ton-"Sendungen, die auch unter der Woche sein könnte, der gemeinsame Sonntagsnenner?

"Ö1 Kunstsonntag: Zoom->In", 22.55 bis 23.00 Uhr. Zur Wiederholung: Dies ist die als Originalsendung ausgegebene, dreiste Wiederholung eines Beitrags aus dem Kulturjournal vom vorvortägigen Freitag unter eigenem Mantel. Die HörerInnen können sich den Spaß machen zu vergleichen, wie Zoom->In von dem/der KulturjournalmoderatorIn und von dem/der KunstsonntagsmoderatorIn an- und abmoderiert wird. Zusatz: Die Sendung atmet, wie könnte es anders sein, die Alltags-Luft des Kulturjournals unter der Woche; die paar wenigen Minuten lassen auch gar nichts anderes zu. Dieses Sende-Element des "Kunstsonntags" wirkt deplatziert fremd - bei aller mehr oder weniger erfolgreichen Bemühung ihrer wechselnden Autoren. Letztlich sind die fünf Minuten ein den Redakteuren zugestandenes Überbleibsel einer längeren Sendung über Film auf Ö1, "Synchron", die es schon lange nicht mehr gibt.

"Ö1 Kunstsonntag: Radiokunst - Kunstradio", für gewöhnlich 23.00 bis 24.00 Uhr. Am 10. 9. 2017 begleitet also Hans Groiss das Ö1-Publikum nur bis 22 Uhr. Irgendwie soll es wohl zum späteren ars-electronica-Schwerpunkt passen, oder es ist die eigenen Vorliebe: Groiss leitet von 19:30 bis 19:36 Uhr mit der Nummer "Radioaktivität" von Kraftwerk ein und unruhig und auch etwas uninspiriert mit vielen hierorts unüblichen "O-Ton"-Sendungsausschnitten - zu "Neue Texte" hatte es fast nur mehr O-Ton aus der Sendung gegeben.

Nun jedoch, es kommt zum Hauptstück dieses Kunstsonntags, wird die Signation übersprungen, die die Sendung "Ö1 Radiokunst - Kunstradio" ankündigen hätte sollen. Und dann übernimmt auch schon Anna Soucek die Moderation. Für die folgenden, besonderen zwei Stunden live ist sie relativ kurz angebunden und sagt: "das Ö1 Kunstradio feiert(e) sein 30jähriges Jubiläum mit einem theoretischen Nachmittag". (http://oe1.orf.at/programm/20170910, ohne ausreichende Angaben allgemein; nicht einmal alle gesendeten Stück(ausschnitt)e sind verzeichnet) Allein, die 30 Jahre stimmen so nicht. Dass es überhaupt zu Heidi Grundmanns "Kunstradio - Radiokunst" kam, brauchte einige Jahre an teilweise kürzeren und nicht kontinuierlich gesendeten Vorläufern, bis die Sendung endlich etabliert war, wie sie bis Ende April 2017 lief. Aber auch nicht länger, sodass von einem jetzt im September 2017 gefeierten Jubiläum nicht die Rede sein kann - heute heißt es mit eher weniger gutem Grund "Radiokunst- Kunstradio". Jedenfalls kommt in der Live-Sendung am 10. 9. 2017 zuerst ein Ausschnitt aus der Radioarbeit "Heartbeat" des bildenden und Medienkünstlers Wolfgang Temmel. Live-Gäste waren eingeladen, etwa Sabine Breitsameter und Nathalie Singer. ((Am Tag davor von 14 bis 16 und 17 bis 19 Uhr hatte es den "Sonic Saturday - Symposium: Different Places. ‚From broadcasting to transmitting to processing. A symposium at Anton Bruckner University celebrating 30 years of Ö1 Kunstradio‘" gegeben: https://bonline.bruckneruni.at/bonline/vak.wbDownloadVaDoc?pVaNr=34828&pVaDocType=PDF. Die Erfinderin und grande dame der Sendung "Kunstradio - Radiokunst", Heidi Grundmann, stand am Podiumsprogramm, war aber abwesend. Es gab Einleitungen des Veranstalters Volkmar Klien, der später die Experten-Runde nach einer gewissen network fatigue für ein etwaiges Aufkommen von Radiokunst fragen sollte, und Elisabeth Zimmermann, die unterließ, ihrer Aussage "in the moment it is called ''Radiokunst - Kunstradio'" hinzuzufügen, dass die Sendung ab dem 1. Mai 2017 nur mehr die Hälfte ihrer Termine dem "Kunstradio" in alter Form widmet und die andere dem Hörspiel, dessen alter Termin Dienstag abends zum 30. April 2017 von Ö1 aufgelassen wurde.)) Sabine Breitsameter erinnert nun an "Horizontal Radio", eine Verknüpfung von 24 Radiostationen und anderen Netzwerken mit Material aus allen Medienarten vom 22. Juni 1995 um 12 Uhr bis zum 23. Juni 1995 um 12 Uhr, von welchem Event 2 CDs mit Samples produziert wurden, weiters an Douglas Davis' "Seven Thoughts" 1976 und Robert Adrians "Die Welt in 24 Stunden" 1982. Zur Erklärung dieses Aufbruchs von seiten der bildenden Künstler erinnerte Breitsameter am Symposium daran, dass der heutige deutsche Hörspiel-Doyen Klaus Schöningh und die Seinen einst für eine Erweiterung des Hörspielbegriffs nicht offen waren. Es folgt ein Ausschnitt von "Horizontal Radio" bis 22:33:40 Uhr. Dann erzählt Nathalie Singer, die an der Bauhaus-Universität Weimar ein Radiokunst-Archiv für Deutschland mit Referenz unter anderem auf das Kunstradio-Archiv aufbaut (http://kunstradio.at/): "Alle meine Studenten machen alles selber ... wenn die dann auf Radiokunst oder klassische Hörspieltheorie oder so 'nen Kram stoßen, dann mischen sie das mit ihrer Musik, ihrem Background. Und dann entstehen ja auch wieder neue Stile. Das Netzwerk ist total normal geworden." (22:35:30-22:36:00) Dann ein Ausschnitt aus dem kollektiven Projekt "Rivers & Bridges" von der ars alectronica 1996. Es wird unterbrochen vom Live-Konzert "Radiation Day" von Anna Friz (die am Symposium vom Radio als "poorest <media> possibility" sprach, von einer "civic responsibility ... in listening to others" und dass es Wellen brauche). Das Konzert kommt aus dem ehemaligen Postcenter Linz. Darauf folgt ein Ausschnitt aus einer Aufnahme von Kristen Roos' "Sound Drifting" von 1999, gefolgt wiederum von einem Einstieg live in das Konzert "Anti-wave" desselben Künstlers (wie auf der Ö1-Website nicht in Erfahrung zu bringen ist). Zum Schluss folgt auf Souceks Absage und Verabschiedung ab 22:57:10, weil es sich nicht anders ausgeht, noch einmal ein "Heartbeat"-Ausschnitt von Wolfgang Temmel. Dennoch läuft der "Ö1 Kunstsonntag" im Nichts aus. Knapp vor 24:00 Uhr ist vom durch den ganzen (?) Abend moderierenden Hans Groiss nichts mehr zu hören. Hätte Groiss wegen der Live-Sendung aus Linz für die Schlußmoderation im Funkhaus bleiben und für die Extra-Anwesenheit extra bezahlt werden müssen?

Dass es keinen Mut, keine Intelligenz und keine Kraft für neue Sendungen gibt und dass die alten wie etwa die Ö1-Freitagnacht nicht gepflegt und in ihrer Identität weiterentwickelt werden, ja im Gegenteil die fünfte Ö1-Freitagnacht-Sendung im Monat durch eine fixe ModeratorIn ab einem gewissen Zeitpunkt ohne Begründung eingestellt wurde, dass die Sendezeit für Alben stümperhaft auf 40 Minuten begrenzt wird und dass die des sentimental an tempi passati erinnernden "Zeit-Ton extended" kürzer ist als der reguläre "Zeit-Ton" unter der Woche und das nach vier Monaten noch immer niemandem aufgefallen ist - das ist der Niedergang von Ö1.

(25) ERSTENS lässt sich die Einbildungskraft (Kant) als ein Interface fassen (Halbach), das technisch die Form des Radios annehmen kann; elektromagnetische Wellen gehören zum teilweise zusätzlich unterdrückten (Medosch) physikalisch-technischen = syntaktischen Hintergrund des Tonbilds, das wir dem Radio entnehmen. - Im Fall des "Ö1-Kunstsonntags" zum Beispiel vertrauen wir auf die Technik, deren Ausfall uns am Montag in eine Reparaturwerkstätte gehen liesse. Das Tonbild, das mit dem Einschalten des Radiogeräts immer schon automatisch kontinuierlich Schallwellen überträgt,

wird ZWEITENS in kontinuierlich aufeinander folgenden Radiosendungen kodiert (Knilli) und zwar durch die Zeit-Taktung des Zeitstroms und die Vergegenwärtigung sowie Schöpfung eines Gesamt-Mediums in Form eines symbolischen Systems (Goodman). Dieses bildet sich aus einzelnen Medien = Sendungen, die als und in Gattungen und Könnenstechniken charakterisiert sind, in die der technische Spielraum der Einbildungskraft (Kant) semantisch mittels Improvisation eingeht (Cavell). - Im Fall des "Ö1-Kunstsonntags" wurde "das programm insgesamt ... eines wohltarierten rhythmus beraubt." (Mütter)

Dieses mediale Gebilde wird DRITTENS der Gestaltung pragmatisch unterworfen in einem privaten Selbst-Medium und zwar in der Art, wie ich mir im Alltag die Sendungen zurechtlege, wie ich sie in meinen Alltag einbaue und wie ich sie zum Mittel und Medium des privaten und kollektiven Umgangs mache. Es wird zum Spielraum, der mir eigene Lebensformen ermöglicht. - Im Fall des "Ö1-Kunstsonntags" wird diese private Pragmatik nicht respektiert. Der "Kunstsonntag" versucht, sich mit der Metagestaltung seiner fünf Stunden an die Stelle des Privatmediums zu schieben und die Pragmatik in einer stundenlangen Konzentration aufzuheben. Das ist totalitär.

Die akustisch-technisch Einbildungskraft des Radios wandelt elektromagnetische Wellen zu schallwellenübertragenen Tonbildern (syntaktisch), sodass (semantisch) in kontinuierlich aufeinander folgenden Radiosendungen mit ihren Spielräumen innerhalb eines symbolsystemischen Radiosenders kodiert und (pragmatisch) zum privaten Spielraum eines Selbst-Mediums werden - eine Gegebenheit, die von Ö1 inzwischen so sehr verkannt wird, dass von einem Niedergang gesprochen werden muss, der sinnbildlich von Wolfgang Kos verkörpert wird. Die akustisch-technische Einbildungskraft des Radios wandelt also elektromagnetische Wellen zu schallwellenübertragenen Tonbildern (syntaktisch), sodass (semantisch) in kontinuierlich aufeinander folgenden Radiosendungen (mit Spielräumen) eines symbolsystemischen Radiosenders kodiert und (pragmatisch) zum privaten Spielraum eines Selbst-Mediums werden - eine Gegebenheit, die von Ö1 inzwischen so sehr verkannt wird, dass von einem Niedergang gesprochen werden muss, der sinnbildlich von Wolfgang Kos verkörpert wird. - Die Sendung von Kos ist  in ihrer Konzeptionsschwäche, in der Schlampigkeit ihrer Durchführung und ihrer wissenschaftlichen Unfundiertheit ein konzentriertes Abbild von Ähnlichem wie der Ö1-Kunstsonntag, Diagonal, Gesprächssendungen wie Punkt Eins oder Im Journal zu Gast, musikjournalistischen Sendungen wie Anklang donnerstags und Des Cis, das Mitternachtsprogramm freitags auf samstags, die Kulturberichte in den allgemeinen Journal-Sendungen, das Anti-Klassik- (und Anti-Schönberg-)Ressentiment in Musiksendungen, das ‚Radiokolleg‘ und die Porträtsendung ‚Menschenbilder‘. Die Besetzung von Kos im Programm von Ö1 zur signifikanten Feiertags- und Ferienzeit in einer allzu leicht leicht bekömmlich Art ist ein vielfältiges Anzeichen dafür, dass  Ö1- und ORF-Leitung zu dulden bereit ist: die zunehmende Unvereinbarkeit durch programmliche Hereinnahme privater ProgrammproduzentInnen etwa des CD-Markts, die abnehmende klassische und Weltmusik-Vielfalt und deren Musikinstrumenten-Vielfalt, die Verflachung von Interviews und Gesprächssendungen zum Live-Talk um den Preis eingebüßten Muts, die Vermischung und Verwechslung der Sender-Identitäten von Ö1 und den popmusikalischen Programmen von FM4 und Ö3, der Einsatz von Kommentaren beinahe nur mehr von Personen des ORF, die Tatsache der Über-Dominanz eines (ehemaligen, zurückgeholten) Radio-Stars analog der Tendenz zur Dominanz des News-Anchor über die beitragenden Redakteure zunehmend auch in Ö1, der Verlust des Sinns für ein Vollprogramm mit Reflexion der Popkultur, das zunehmend bewusst in Kauf genommene Ungleichgewicht im Ö1-Gesamtprogramm durch Bevorzugung bestimmter Sendebereiche gegenüber anderen wie E-Musik, Religion und Kulturberichte, schließlich die Ö1-externe Konkurrenz durch "Journal"-analoge Sendungen im ORF-Fernsehen und ORF-interne channel merger tendencies hin zu Fernseh-, Ö1- und FM4-Personalities in einer Person. Aufgrund der Konzentration der zahlreichen Schwächen von Kos so wie von anderen jüngst auf Ö1 eingeführten Sendungen wird Kos auch zum Symbol für die zunehmend schlechte Ausbildung, Einschulung und Kontrolle der einzelnen SendungsmacherInnen, für die spürbare Wien-Dominanz von Ö1 als ehemaliger Direktor des Wien Museums, schließlich für die Immunisierungstendenz gegen Kritik durch Printmedien mittels realer und damit potenzieller Werbeerlaubnis und durch eine vermeintlich pluralistische Zunahme popkultureller Inhalte wie in den traditionellen Printmedien und der Kulturförderung auch.

Zusatz A. Bei jeder Programmreform stellt sich die Frage nach neuen Sendungen. Man muss nicht mühsam neue erfinden. Zum Einen lassen sich Sendungen verbessern, verändern, erneuern. Zum Anderen bräuchte man sich nur ein bisschen umzuhören, im Inland wie im Ausland. Etwa die Sendung auf Radio France "Le Casque et l'enclume", auf deutsch in etwa: "Der Kopfhörer und der Amboss" (http://radiofrance-podcast.net/podcast09/rss_14126.xml). In diese Sendung wird eine Dreiergruppe angesehener Musikkritiker von außen eingeladen, die Einspielungen anonym vorgelegt bekommen, diese bewerten und eventuell identifizieren. Zu ihnen gehört der vortreffliche, übrigens ein vollkommenes Deutsch sprechende Le-Figaro-Kritiker und Musikwissenschaftler Christian Merlin, der heuer Die Wiener Philharmoniker vorgelegt hat (2 Bde., Wien: Amalthea Verlag 2017). Er könnte Gastkritiker einer im Radio argumentierenden Jury des Ö1-"Pasticcio"-Preises sein, dessen monatliche Entscheidungen bislang ohne Kriterien mitgeteilt wurden.

Zusatz B. Dass auf Ö1 wenig Bewusstsein über die Qualität der Sendungsreihen besteht, zeigt eine Reihe von Einstellungen, die nur durch den Druck an Einsparung zu erklären sind: das informelle Sende-Element "Acht vor halb acht" im Morgenjournal wochentags von 7 Uhr 22 bis 7 Uhr 30), in dem auf drei Minuten Kulturbeitrag, zwei Minuten Kulturnotizen und drei Minuten Kulturbeitrag folgten; die wunderbaren, mit Spannung erwarteten Minuten von "Ö1 danach" im Anschluss an das Nachtjournal um 0 Uhr 07 mit Berichten von Publikumsreaktionen auf Konzerte, Theater-/Opernpremieren und Ausstellungseröffnungen; "Praxis", die Religionssendung zu Feiertagen von 0 Uhr 05 bis 2 Uhr mit spannenden und abwechslungsreichen Sendungselementen; "Patina - Kostbares aus den Archiven", "Baukasten", die Architektursendung von Liesbeth Waechter-Böhm. Auf Einsparungen und latente Kulturfeindlichkeit der Verantwortlichen ist die Tatsache zurückzuführen, dass das "Kulturjournal" einmal von 16 Uhr 30 bis 17 Uhr ganze 30 Minuten umfasste, mittlerweile nur mehr 20.

Dazu kommt die auch gattungsmäßig relevante an Einsparung gekoppelte zunehmende Wiederholung von Sendungen, die seit der Einführung des Streaming-Dienstes von 7 Tage Ö1 obsolet sein sollte: "Tonspur", "Ex libris", "ZOOM->In", "Das Ö1 Konzert" (drei Mal abends ohne Differenzierung), "Du holde Kunst", "Anklang" (4 Mal), "Intrada", "Im Gespräch", "Saldo - das Wirtschaftsmagazin", "Kontext - Sachbücher und Themen", "Moment, Leben" (wenn auch nur im Sendungstitel, früher nur wochentags 20', jetzt auch sonntags 45').

Die Schwäche im Bewusstsein der Sendungsgattungen zeigt sich markant im Beibehalten des Namens "Zeit-Ton extended", obwohl die Sendung nur mehr eine Stunde dauert wie "Zeit-Ton" selbst. Eine viel weniger formale, als inhaltliche Schwäche der Einfallslosigkeit ist die Sendung "Gedanken", die früher das Ersatzprogramm für Sommersonntage und Feiertage war, jetzt regulär an allen Sonntagen eingesetzt wird und das auch noch an jenem traditionsreichen, immer noch nachschwingenden Sendeplatz um 9 Uhr, der über viele Jahre für von Ö1 selbst produziertes zeitkritisches, buntes Programm kabarettistischen Zuschnitts vorbehalten war, für Sendungen wie "Watschenmann", "Guglhupf" und auch noch "Café Sonntag".

Ein spezieller Fall von Gattungsmurx ist "Radiokunst - Kunstradio": die geschrumpfte Halbierung von "Kunstradio - Radiokunst" - der Sendung für die künstlerische Erforschung des Mediums Radio - , welcher Titel umgekehrt wird, nur um in die andere Hälfte das seinerseits halbierte, aufgelassene "Hörspiel-Studio" (vormals dienstags 21 bis 22 Uhr) zu pressen mit dem zweifelhaften Trost, als "Radiokunst" im Sendungstitel "Radiokunst - Kunstradio" nun die nominell erste Stelle einzunehmen.

Zusatz C. Andererseits: Existenz und der Wert einer Sendung, die immer auch eine Sendungsgattung ist, zeigen oft ihre Unabdingbarkeit durch einzelne Radiopersönlichkeiten an: China-Korrespondent Helmut Opletal, Helmut Waldert für das "Radiokolleg", Nora Aschacher für "Nova. Abenteuer, Perspektiven, Utopien", die grüne Sendung dienstags 22 Uhr 15 bis 23 Uhr, Giselher Smekal für die Weltmusiksendung "Mandala", den spirituellen Freitags-"Zeit-Ton" und "Ö1 bis zwei" samstags für Ballettmusik, Dolores Bauer für die kritische Reportagen-Sendung "Im Brennpunkt", Heribert Hutar für die Wirtschaftsberichte, Hans Langsteiner für den Aufbau einer Filmredaktion und das Filmmagazin "Synchron", Volkmar Parschalk für "Im Künstlerzimmer", Maria Rennhofer für "Im Künstlerzimmer", Heidi Grundmann für die bildender Kunst gewidmete Sendung "Kunstradio" und die Radiokunst gewidmete Sendung "Kunstradio - Radiokunst", Ernest Hauer für das "Journal Panorama", Peter Huemer für "Im Gespräch". Mögen die Radiopersönlichkeiten in Ö1 von heute sich miteinander verständigen und das Heft des Programms in die Hand nehmen!



Biblio-/Diskographie



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Peter Mahr © 2017 (Bertl Mütter © 2017)

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