peter.mahr
<2016.6>: Rede zur musikalischen Privataufführung
von John Cage's Imaginary Landscape
# 4 am 1. Juni 2013 im Volksheim
Heiligenstadt, Wien. 7872 Zeichen. online 8. 12. 2016
.html
Sehr
geehrte Freunde! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße
Sie zur
Aufführung, zum Fest von und zu John Cage, Imaginary
Landscape Nr.
4. Ich sage einfach ein paar Worte zunächst zum Ablauf und
zu den
Personen, die wir hier alle anwesend sind. Und dann noch ein
wenig
zum Stück. Das wird Sie nicht quälen. Das Erste ist, wir
werden
jetzt das Stück hören, das circa sechs Minuten lang dauert,
und
zwar vier Mal hintereinander. Wir werden es zuerst hören in
der
Fassung für Ultrakurzwelle. Dann werden wir es hören in der
Fassung
für Mittelwelle. Drittens noch einmal Ultrakurzwelle. Und
noch ein
letzter Durchlauf: wieder die Ultrakurzwelle. Danach werden
wir
vielleicht zehn Minuten brauchen, um den Saal umzubauen, um
ihn
gastlich zu machen für das Fest, sodaß ich bitte, vielleicht
zehn
Minuten dann hinauszugehen. Damit wir dann ein bißchen mehr
Platz
haben. Das Zweite ist - Ihr, Sie haben inzwischen schon
mitbekommen,
dass sozusagen bei den Personen, die hier zusammenfinden,
ein
bestimmtes Prinzip besteht. Das Prinzip ist: Ich habe zuerst
mich
gewandt an Freunde, Bekannte, die sich dann ihrerseits
wieder an
Freunde und Bekannte gewandt haben, damit wir das Ensemble -
es gibt
immerhin 24 RadiospielerInnen - zusammen stellen können. Im
Zuge
dessen habe ich auch dann die Dirigentin gewonnen. Und wir
konnten
dann im März zu einer Vorbesprechung zusammentreffen, um im
Weiteren
die Zwischenproben und die gestrige Generalprobe
vorzubereiten und
durchzuführen. Die PerformerInnen, die RadiospielerInnen,
meine
Wenigkeit als Taktanzeiger und die Dirigentin, hatten dann
weiters
die Möglichkeit, Sie, die Sie nun hier sitzen und hier sind,
als
Gäste einzuladen. So finden wir hier zusammen in der Weise,
wir wir
jetzt eben in diesem Raum sind. Und bei dieser Gelegenheit
möchte
ich mich bei allen bedanken, zunächst einmal bei den
RadiospielerInnen, dass sie diese Herausforderung angenommen
haben
und auch die zum Teil mit den Radioinstrumenten mühsame
Probenarbeit
auf sich genommen und bewältigt haben. Dafür vielen Dank!
Und der
Dirigentin natürlich gilt Dank, dass sie die Herausforderung
angenommen hat, mit Laien zu arbeiten, weil, was Sie
vielleicht zum
Teil nicht wissen, der größte Teil derjenigen, die hier die
zwölf
Teams bilden, die zwölf Radios bespielen, sind Laien. Das
heißt,
das ist eine besondere Aufgabe für die Laien selber, auch
für die
Dirigentin. Der Dank geht natürlich auch an Sie, das werte
Publikum,
an die Gäste, die in verschiedener Weise auch zum Teil
umfangreiche
Aufgaben übernommen haben, um das Fest im Anschluß des
Konzerts
überhaupt möglich zu machen, was Ausstattung betrifft,
Verköstigung, die Dekoration, den Transport. Also viele
Dinge, ohne
die wir das nicht geschafft hätten, sind nur dank Ihrer
Hilfe
möglich gewesen. Das ist das Zweite. Und das Dritte ist: Ich
möchte
noch ein paar kurze Wort zum Stück sagen. Ich habe
vielleicht nur zu
sagen, dass das Stück von John Cage eigentlich noch zu
seiner frühen
Phase rechnet, zum Schluß der frühen Phase, wo Cage noch
traditionell notiert hat, also wo er sich noch der
traditionellen
Notenschrift seit Beginn des 17. Jahrhunderts bedient hat
und diese
Notation dazu verwendete, um Dinge auszuprobieren. Sie
wissen alle,
Cage hat schon vorher mit präparierten Klavieren gearbeitet.
Er
beginnt schon in den vierziger Jahren mit bestimmten
Klangmaterialien, die bislang in der Musik keinen Platz
hatten oder
nur sehr eingeschränkt Platz hatten. Das holt er hier voll
heraus.
In dem Stück, das wir jetzt gleich hören werden, geht es
darum,
eine ganz bestimmte Art von Klangmaterial zu verwenden,
nämlich das
Material von Radios, die Klänge von Radios, aber nicht ganz
bestimmte Sendungen, ganz bestimmte Klangereignisse, die man
für
ästhetisch halten würde, sondern prinzipiell. Also: Wenn
nichts
ist, wird das genommen als 'Musik'. Wenn Rauschen ist, wird
das
genommen. Wenn Musik ist, Rede, Sprache, wird auch das als
'Musik'
genommen. Wie geht Cage vor? Er geht - 1951 wurde das Stück
fertig
komponiert und auch uraufgeführt - er geht in diesem Stück
so vor,
dass er bereits die berühmte Methode des Zufalls beim
Komponieren
anwendet. Das heißt, er hat im selben Jahr 1951 zum ersten
Mal das
chinesiche Orakelbuch des I Ging verwendet. Und die
Komposition - ich
werde dann eine Partitur hier auflegen, Sie können sie
danach
ansehen - so traditionell, so konventionell sie auch
aussieht,
besteht rein aus nach I-Ging-Prinzipien gewürfelten
Ereignissen. Und
genau das hat Cage notiert. Das heißt, der Zufall liegt
erstens bei
der Komposition, wenn sie auch ganz traditionell notiert
ist. Und der
Zufall kommt natürlich noch herein durch das, was gerade in
diesem
Moment, also sagen wir 20 Uhr 01, von all den Sendern
gebracht wird,
gesendet wird, die angegeben sind. Weil, was Cage hier in
der
Partitur komponiert hat, das sind zwei Werte, nicht mehr.
Der erste
Wert ist eine bestimmte Frequenz - also, Sie haben alle
schon ein
Radio in der Hand gehabt, das ist bei Ultrakurzwelle von 88
bis 106,
107. Das wäre das Eine. Und das Zweite ist die Lautstärke.
Deswegen
immer pro Radio zwei Spieler. Eine SpielerIn ist zuständig
für die
Frequenzeinstellungen, die auf Notenpapier notiert sind, und
der
andere ist zuständig für die Lautstärke. Mehr ist von Cage
her
nicht zu sagen. Das Letzte: Was ich mir erlaubt habe, Ihnen
in die
Hand zu geben, ist eine 'Landschaft'. Sie wissen ja,
Kunstwerke, ob
sie Titel haben oder nicht, die haben das Tolle an sich,
dass man sie
frei interpretieren kann. Man kann alles hineinlegen, was
man will.
Es muß nur eine gewisse Resonanz geben. Und ich habe mir
eine ganz
bestimmte Vorstellung gemacht, was diese imaginäre
Landschaft ist,
Imaginary Landscape. Das ist für mich genau das, was Sie
hören
werden. Nämlich was Sie hören werden, sind alle diese
Sender, die
hier auf diesem Blatt verzeichnet sind. Es sind
hauptsächlich
Radiostationen aus Wien, aber auch ein paar aus der
Slowakei, sogar
vier, und aus dem Burgenland eine, aus Niederösterreich
eine. Das
ist sozusagen das Material, das Cage verwendet. Und ich habe
das
Imaginäre von Imaginary Landscape, um das zum Abschluß noch
zu
sagen, ganz realistisch gedeutet, indem ich mir denke: Was
passsiert?
Was wird an Klangereignissen jetzt gleich für Sie zu hören
sein?
Das sind Klänge, die genau von diesen Punkten her kommen, wo
diese
einzelnen Radiostationen beheimatet sind. Für die, die es
interessiert: Ich schicke Ihnen gerne die Liste mit den
konkrete
Straßenadressen, wo diese Musik-, diese Radiosendungen
produziert
werden und dann über den Sender Kahlenberg oder andere
Sender
ausgestrahlt werden. Ich habe die Sender nicht
eingezeichnet, sondern
nur die Radiostationen. Und imaginär, und das ist jetzt das
Letzte,
das ich sage. Es wird uns ja zugemutet, wenn wir das Stück
interpretieren, dass wir diese Klangereignisse zu einem
Bild, zu
einer Imago akustisch "zusammen-"komponieren in unserem
Hören, das letzten Endes deswegen imaginär ist, weil wir ja
nicht
die Ereignisse sehen. Wir sehen ja nicht Wien und ein
bißchen was
von Pressburg, von Bratislava. Sondern wir hören Wien. Und
das ist
das Imaginäre der Landschaft, um die es John Cage geht. Cage
ist ein
Mensch des Hörens. Er ist ein Musiker. Er ist ein Komponist.
Deswegen könnte man Imaginary Landscape Nr. 4 - insgesamt
gibt es
vier Stücke Imaginary Landscape - eben so deuten. Ich denke,
wir
beginnen jetzt einfach. Noch einmal, Sie werden das Stück
jetzt vier
Mal hören. Ultrakurzwelle, Mittelwelle, Ultrakurzwelle und
Ultrakurzwelle. Und ein Allerletztes noch. Sie haben es
schon
bemerkt. Es wird aufgenommen. Sie alle, wir alle, die hier
im Raum
sitzen, bekommen wenn es so weit ist, je eine CD von dieser
Aufnahme.
Die CD wird nicht verkauft. Sie ist wirklich nur für uns
hier. Und
weil jetzt gleich eine Aufnahme stattfindet, bitte ich Sie,
mucksmäuschen still zu sein während der vier Aufführungen.
Ja?
O.k.
© Peter Mahr 2016
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